Marzahn-Hellersdorf - Monatelanges Warten, bis der Tod amtlich wird

Fr 14.06.24 | 10:23 Uhr | Von Julian von Bülow
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Symbolbild:Ein Sarg wird bei einer Beerdigungsfeier getragen.(Quelle:imago images/Panthermedia)
Bild: imago images/Panthermedia

Im Osten Berlins müssen Angehörige ein Vierteljahr darauf warten, dass ihnen das Standesamt den Tod eines Verwandten beurkundet. Das kostet die Hinterbliebenen Geduld, Geld und Nerven in einer ohnehin schwierigen Zeit. Von Julian von Bülow

"Mein Lebensgefährte hat als Ehrenmann gelebt. So ist er auch gestorben. Und nun soll er nicht nach seinem Tode als lausiger Schuldner dastehen." Das sagt Marianne Eckert, 73, die nun versuchen muss, Gläubiger zu besänftigen. "Ich tue das voller Scham", sagt die ehemalige Lehrerin. Ihr Problem: Das Paar war privat krankenversichert, die Rechnungen und Mahnungen aus der letzten Phase der Krebserkrankung ihres Partners flattern in Eckerts Briefkasten.

Doch an Geld mangelt es ihr gar nicht. Das Problem: Das Standesamt in Marzahn-Hellersdorf gibt ihr seit drei Monaten nicht schriftlich, dass ihr Mann verstorben ist. Dabei ist der bereits bestattet. Doch ohne Sterbeurkunde lässt die Bank Eckert nicht an das Konto ihres Mannes, trotz Vollmacht.

Das Warten auf Sterbeurkunden ist ein Schicksal, das Menschen in Marzahn-Hellersdorf häufiger erleben. 550 Sterbeurkunden-Fälle seien derzeit offen beim örtlichen Standesamt, teilt die zuständige Bezirksstadträtin Juliane Witt (Linke) auf rbb-Anfrage mit.

Zum Vergleich: In Treptow-Köpenick und Reinickendorf sind es laut aktueller Zahlen 0, in Spandau 57, in Mitte 68 und Steglitz-Zehlendorf 94. Pankow hat 110 offene Fälle, allerdings versichert das Bezirksamt, dass die Urkunde in der Regel nach ein bis zwei Wochen fertig sei.

Marzahn-Hellersdorf mit größter Personallücke im Standesamt

In Marzahn-Hellersdorf warten sie länger. "Momentan dauert es zwischen drei und vier Monaten, bis wir die Sterbeurkunden erhalten", sagt Jacqueline Ruprecht von Grieneisen Bestattungen in Marzahn. Dass die amtliche Bestätitgung des Todes zuletzt zeitnah bei ihr ankam, war vor der Covid-Pandemie, da habe es sieben bis zehn Tage gedauert.

Danach sei es immer schwieriger geworden. Personalmangel, Home-Office und Krankheitsfälle in den Standesämter reduzierten die Leistungsfähigkeit. "Aber Personalmangel herrscht nun mal überall und wir müssen auch alle unsere Arbeit schaffen", sagt Ruprecht.

Anders als bei einem Personalausweises muss die Sterbeurkunde dort beantragt werden, wo eine Person starb. Wäre Marianne Eckerts Lebenspartner in Lichtenberg gestorben, wäre die Sterbeurkunde laut Angaben von Ruprecht wohl innerhalb von fünf Tagen da.

Doch Eckerts Mann starb in einem Hospiz in Marzahn-Hellersdorf. "Wir haben hier in Biesdorf-Süd Ende der 1990er Jahre unser Haus gebaut. Hätten wir es doch nie getan, dann wären wir nicht in diesem Stadtbezirk", sagt die 73-Jährige. Die Verwaltung lasse sie an ihren Entscheidungen vor 25 Jahren zweifeln.

Jene Verwaltung hat im Vergleich der Bezirke die größte Personallücke im Standesamt: Ein Drittel der Stellen war im März unbesetzt. Gründe hierfür seien die "hohe Fluktuation aufgrund der hohen Arbeitsbelastung - zusätzlich zur regulären Altersfluktuation", so Bezirksstadträtin Juliane Witt. Hinzu kämen hohe Zugangsvoraussetzungen und der genereller Arbeitskräftemangel. Zudem habe man die Einwohnerentwicklung unterschätzt.

Das Warten auf Sterbeurkunden hat dazu geführt, dass es in Berlin Bestattungsgenehmigungen gibt, damit die Bestatter die Toten auch ohne Sterbeurkunde beerdigen oder kremieren dürfen. Dafür müssen Bestattungsunternehmen allerdings mitunter in Vorleistung gehen. Denn viele Menschen schließen Sterbegeldversicherungen ab, die nach dem Tod Geld für eine Bestattung an die Hinterbliebene auszahlen.

"Das war ganz schön mies"

Marion Joswig erhielt von ihrer Versicherung zunächst kein Geld. Die 60-Järige hatte für ihren Mann eine Police abgeschlossen. Mit ihm war sie fast 40 Jahre verheiratet, er starb im Juli letzten Jahres im Krankenhaus. Doch ohne eine Sterbeurkunde konnte sie das Geld nicht auslösen.

"Das war ganz schön mies", sagt sie. "Ich hatte zwar noch etwas Erspartes zu Hause, aber das hat bei Weitem nicht gereicht." Sie habe zwischendurch versucht, das Standesamt zu erreichen. "Aber ans Telefon ging da gar keiner", sagt Joswig. Auf die fünf E-Mails, die sie geschrieben habe, habe sie nur einmal eine Antwort bekommen. Die sei automatisch generiert gewesen: Das Arbeitsaufkommen der Mitarbeiter sei so hoch ist, dass sie keine Zeit hätten, auf E-Mails zu antworten und ans Telefon zu gehen.

Joswig sagt, sie habe sich dann Geld aus der Familie geliehen, denn die Bestattung war im August. Erst als die Sterbeurkunde im Oktober vom Standesamt kam, zahlte auch die Versicherung.

Auch Wohnungen oder Internetverträge lassen sich häufig erst mit der Sterbeurkunde kündigen, ebenso wird sie häufig für die Auszahlung einer Witwenrente verlangt.

Zahl offener Fälle sinkt

Doch langsam bessert sich die Lage beim Standesamt. Wegen der hohen Fallzahlen habe sich der Bezirk Marzahn-Hellersdorf an die anderen Bezirke gewandt und werden derzeit besonders von Pankow unterstützt, sagt Bezirksstadträtin Juliane Witte.

Dank der Amtshilfe habe die Zahl der offenen Fälle bereits von 798 im März auf unter 550 reduzieren werden können. Die Wartezeit werde kontinuierlich sinken, so Witt. Derzeit liege die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei vier bis sechs Wochen. Bei einer Umfrage unter den Bestatter:innen in Marzahn-Hellersdorf gab zumindest eine an, dass sich die Wartezeit verkürzt habe.

Marianne Eckert allerdings wartet noch immer.

Beitrag von Julian von Bülow

29 Kommentare

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  1. 28.

    Die Bestatter bestatten „die Tot:innen“, die nichts dafür können...und mitunter auch „Mörder:innen“ sein können..

  2. 27.

    Joo, leider werden Sie damit recht haben.

    Mal etwas zugespitzt:
    Es gab Zeiten, in denen es etwas wie ,Berufsehre' oder ,Wir arbeiten FÜR den Bürger!' gab.
    Manch einer sollte evtl. mal in der freien Wirtschaft arbeiten, damit ein gewisser Realitätssinn nicht abhanden kommt.
    Aber in Zeiten des Personalmangels kann sich (fast) jeder alles ,erlauben' bzw. Forderungen stellen.

    Schon ziemlich traurig für die Betroffenen und ein Ende wohl nicht in Sicht!

    Was mir noch nicht so klar ist, bekommen Angehörige mit Bestattungsplan mit -unternehmen schneller an eine Sterbeurkunde? Also, dass das Bestattungsunternehmen die Urkunde beantragt?

  3. 26.

    Sie frage, warum sich die Ämter nicht gegenseitig unterstützen und die Mitarbeiter bei Bedarf ausleihen? Das kann ich Ihnen sagen. Eine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter vom Standesamt Reinickendorf ist nicht erfreut wenn sie/er nach Marzahn/Hellersdorf soll um die Mitarbeiter den zu unterstützen. Der lange Fahrweg wird von vielen nicht in Kauf genommen. Wenn so ein "Einsatzbefehl" kommt, wird sofort der gelbe gezogen um dem Einsatz im anderen Bezirk zu umgehen.

  4. 25.

    Wir haben 1,5 JAHRE auf die Sterbeurkunde unserer Oma warten müssen (Standesamt Wilmersdorf), wer soll denn für die Kühlung so lange bezahlen wenn’s eine Erdbestattung wird? Das sind inzwischen 50-60€ pro Tag, wer hat denn so viel Geld oder meinen Sie das übernimmt dann die trödelnde Behörde? Mit Sicherheit nicht, erst recht wenn man bedenkt dass Sozialämter durchschnittlich 6 Monate brauchen um Sozialbestattungen bezahlen.

    Mein Mann ist Bestatter -> doch die Leichen müssen zeitnah nach dem Tod unter die Erde auch wenn die Ämter zu lange brauchen……was soll man sonst mit dem Körper machen, einfrieren vielleicht? Die meisten Mitarbeiter in den Ämtern wissen dass die Behörden es zeitlich nicht mehr schaffen und sind da zwangsläufig inzwischen kulant(er) geworden.

  5. 24.

    Und die Leute wählen genau die Partei wieder, die ihnen all das verursacht hat.

  6. 23.

    Im Sozialismus war halt nicht alles schlecht.Wie hoch sind die Anforderungen ans Personal? Abschluß als was? Quereinstieg für Bürokokräfte erlauben? Und erst mal nur in den Bezirken, die Überlastet sind. Und dann erst mal nur für diese Aufgabe Schulen. Ausbilden in der Firma kann man Sie dann immer noch.

  7. 22.

    Nun können sich ja mal all die Wutbürger welche in ihrem Bezirk die AFD auf Platz 1 gehievt haben z.B. im Standesamt bewerben.
    Ich jedenfalls überlege mir dreimal ob ich dann nicht lieber in einem anderen Bezirk...
    Die Wahl habe ich und viele andere ja zum Glück auch. ;)

  8. 21.

    Unfassbar, und verlängert den Trauerprozess und mental load zusätzlich.
    Ich und mein Mann waren im Oktober bei seiner Familie in Kuba, sein Opa starb während wir da waren an einem frühen morgen. Er wurde noch am gleichen Tag kremiert und die Sterbeurkunde gabs innerhalb von 5Stunden. Für uns als Familie war es so heilsam, das alles Organisatorische innerhalb kürzester Zeit erledigt war, die Beerdigung war eine Woche später.
    Als ich erzählte, wie lange dies oft in Deutschland dauert, waren alle schockiert.

  9. 20.

    Eine Bankvollmacht gilt automatisch über den Tod hinaus, es si denn, man schließt dies ausdrücklich aus.

  10. 19.

    Homeoffice funktioniert nur bei Arbeiten, die aus der Ferne auch qualitativ und quantitativ beurteilt werden können. Und es muss der jeweilige Chef auch ein Interesse daran haben, die Leistung zu kontrollieren und zu fordern. Dann kann es gut funktionieren. Ich finde, es sollten aber mindestens 2 Präsenztage die Woche vorhanden sein. Einfach des sozialen Gefüges wegen.

  11. 18.

    Ich hab's gelesen, aber da muss doch wohl mehr drin sein!

    "... In Treptow-Köpenick und Reinickendorf sind es laut aktueller Zahlen 0, in Spandau 57, in Mitte 68 und Steglitz-Zehlendorf 94. ..."

    Und in Marzahn-Hellersdorf 550. Einmal zusammen ,aufholen'!

    "... 798 im März auf unter 550..." also ca. 250 in 3 Monaten ...
    Da kann man wohl nur auf wenige Verstorbene im Bezirk hoffen ;-(

  12. 17.

    Dass Bestattungsunternehmen ohne eine Sterbeurkunde die Beisetzung durchführen, ist mir neu. Der Bestatter meiner Mutter hätte das nicht gemacht. Gut, in in Reinickendorf, wo meine Mutter wohnte, haben wir auch "nur" 4 Wochen auf die Unterlagen warten müssen.
    Diese ganze Verwaltung in Berlin sollte endlich reformiert werden. Auch wenn jeder Bezirk mindestens ein Standesamt hat, sollte es doch möglich sein, endlich die Digitalisierung voranzutreiben und eine zentrale Stelle für die Erfassung und weitere Bearbeitung von Geburten und Sterbefällen in ganz Berlin einzurichten. Eine Stelle, die nichts anderes macht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man für diese Verwaltung dann viel Personal benötigt. So kocht jeder Bezirk weiter sein eigenes Süppchen und um eine temporäre Amtshilfe untereinander wird erst gebeten, wenn der liegengebliebene Aktenberg unübersichtlich geworden ist. Der Senat sollte das endlich zur Chefsache machen.

  13. 16.

    Etwas vorsichtig bei ,mehreren' Erben ...
    z.B. Kinder aus anderer Ehe mit Erbanspruch

  14. 15.

    Welche Konsequenzen soll es denn für die Mitarbeiter geben? In der Gesellschaft denkt noch jeder, die würden alle nur Kaffee trinken und quatschen. Dass dir Mitarbeiter aber alle auf dem Zahnfleisch gehen, aufgrund der hohen Arbeitsbelastung, das sieht keiner. Da wird einfach mal gesagt, sie müssen halt doppelt so viel schaffen, denn es gibt niemanden, der es sonst noch tun könnte. Erzähl das mal einem Dachdecker oder Handwerker. Der öD wurde bereits vor Jahren kaputt gespart. Konsequenzen...

  15. 14.

    Die Sterbeurkunden sind nur ein Problem, man kriegt in Marzahn auch schon seit Monaten, eigentlich schon seit mindestens einem Jahr, keinen Termin zur Anmeldung einer Eheschließung. Man ist also ziemlich schlecht dran, wenn man seinen Wohnsitz in Marzahn hat, da kann man schon das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates verlieren. Vielleicht ist das ein Grund, warum in diesem Bezirk so viele AfD gewählt haben? Hausärzte gibt es übrigens auch viel zu wenig ...

  16. 12.

    Warum ,borgt' man sich keine Mitarbeiter aus den Bezirken, in denen es gut läuft, für ein paar Wochen?
    Es ist m.E. nicht akzeptabel, trauernde Angehörige so im Regen stehen zu lassen - schämt euch!

  17. 10.

    Das ist IMO meist dem Unwissen und einer Gewissen Laxheit aller Beteiligten schuldet. Bei getrennten Konten wird meist nur eine normale Vollmacht - wenn überhaupt - eingerichtet. Und diese erlischt automatisch sobald der Bank der Sterbefall bekanntgemacht wird. Allerdings ist die Bekanntmachung bei einigen Banken an die Sterbeurkunde gebunden - ohne Sterbeurkunde gilt die Vollmacht dann weiter. Gerade erst vor kurzem bei der Sparkasse gehabt.
    Nur wenige denken im Leben an den möglichen Tod.

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