Deutsch-russischer Dialog nach dem Angriffskrieg - Sie wollen weiterreden

Mo 15.07.24 | 06:09 Uhr | Von Wolf Siebert
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Die Bürgerrechtlerin Elena Stein, Gründerin des Vereins "Cisr", der sich seit 2015 für den Austausch mit der russischen Zivilgesellschaft engagiert, am 18.06.2024 in Berlin (Quelle: rbb / Siebert).
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Audio: rbb24 Inforadio | 02.07.2024 | Wolf Siebert | Bild: rbb / Siebert

Der deutsch-russische Dialog ist seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine auf einem Tiefpunkt. Einige zivilgesellschaftliche Initiativen aus Berlin versuchen dennoch, Gespräche aufrechtzuerhalten. Von Wolf Siebert

Ob Städtepartnerschaften, wie die zwischen Berlin und Moskau, oder der Austausch von Schülern und Lehrern: Seitdem Russland Krieg gegen die Ukraine führt, wirkt der deutsch-russische Dialog wie eingefroren. Auch die deutschen politiknahen Stiftungen mussten ihre Arbeit in Russland einstellen.

Dennoch bemühen sich Berliner Initiativen weiterhin um den Austausch mit Russland. Für ihre Gesprächspartner dort ist das gefährlich - denn Russen, die für Organisationen arbeiten, die in Russland als "unerwünscht" oder als "feindliche Agenten" gebrandmarkt sind, machen sich strafbar.

"Cisr": für Verständigung und Zusammenarbeit

Der Verein "Cisr" in Berlin beispielsweise ist Teil eines breiten Netzwerks von Initiativen, die die demokratische Zivilgesellschaft in Russland unterstützen. Elena Stein, Politikwissenschaftlerin mit russischen Wurzeln, hat "Cisr" 2015 gegründet. Die Verständigung und die Zusammenarbeit mit Russland und früheren Republiken der Sowjetunion ist eines der Ziele. Das gefällt offenbar nicht jedem, der Verein ist mehrfach attackiert worden. "Die letzten drei Überfälle waren politisch motiviert. Das hat uns zumindest die Polizei gesagt und hat uns für die nächsten acht Monate unter Schutz genommen", sagt Stein.

Nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, richtete der Verein seine Arbeit neu aus. Die Antikriegsarbeit rückte in den Mittelpunkt. Der Verein gehörte 2022 zu den Initiatoren eines Antikriegskongresses in Berlin. Daraus ist inzwischen ein breites europäisches Bündnis von Initiativen entstanden, die sich auch für ein demokratisches Russland einsetzen. Für Elena Stein wäre eine Reise nach Russland inzwischen zu gefährlich, wie sie sagt, aber die Kooperation mit russischen Initiativen will sie unbedingt fortsetzen. "Wir agieren in Russland, wir wissen also, was dort passiert. Wir wissen es besser als Politiker und andere Akteure, die nicht mehr ihre offices dort haben, die nicht mehr Journalisten dorthin schicken können", sagt sie.

Treffpunkt in einer Kneipe: Engagement für ein demokratisches Russland

An einem Abend in einer Kneipe irgendwo in Berlin. Hier treffen sich Menschen, die sich für ein demokratisches Russland einsetzen, für Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Ihre Arbeit wird von Partnern aus Deutschland und der EU unterstützt. Weitere Details wollen die Teilnehmenden nicht preisgeben, um ihre Partner in Russland nicht in Gefahr zu bringen. Die Angst vor dem russischen Sicherheitsapparat ist groß.

Wenige Tage später ein Treffen mit Elena Shakhova in einem schlichten Büro in Berlin, wo sie gerade zu Besuch ist. Sie arbeitet für die NGO "Citizens Watch" aus Sankt Petersburg - eine NGO, die in Russland schon vor vielen Jahren den Stempel "ausländischer Agent" bekommen hat. Putins Regime, sagt die Bürgerrechtlerin, ruhe auf zwei Säulen, Gewalt und Furcht. Dennoch lasse sich die Bürgerrechtsbewegung nicht entmutigen. "Citizens Watch" setzt sich zum Beispiel für faire Gerichtsverfahren ein.

Seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine ist Russland eine Blackbox. Niemand weiß, was darin passiert, deshalb ist es ganz wichtig, Informationen auszutauschen, um ein realistisches Bild zu vermitteln.

Elena Shakhova

Eigentlich hat Elena Shakhova Ökonomie studiert, aber schon früh sei ihr klar geworden, dass eine Gesellschaft ohne Rechtsstaat nicht funktionieren könne. "Seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine ist Russland eine Blackbox. Niemand weiß, was darin passiert, deshalb ist es ganz wichtig, Informationen auszutauschen, um ein realistisches Bild zu vermitteln", erzählt sie.

Direkte Kontakte nach Berlin und in die EU sind deshalb auch für Elena Shakhova von großer Bedeutung. Die russische Regierung hat deutsche, politische Stiftungen und viele Organisationen aus dem Land geworfen. Der Vertreter einer dieser Stiftungen erzählt, dass 85 Prozent seiner Gesprächspartner inzwischen nicht mehr aktiv sind oder Russland verlassen haben.

Kulturzentrum "Panda Platforma": ein Ort für Kultur und Aufklärung

Das Kulturzentrum "Panda Platforma" in Prenzlauer Berg ist ein Ort der Kultur mit Konzerten, Performances und Lesungen. Seit der Gründung 2009 ist man aber auch politisch engagiert und will über russische Propaganda aufklären.

An diesem Abend diskutiert der Autor Olaf Kühl über sein Buch "Z. Kurze Geschichte Russlands von seinem Ende her gesehen", das es nun auch in einer russischen Übersetzung gibt. Kühl war von 1996 bis 2021 Jahre Osteuropa-Referent mehrerer Regierender Bürgermeister von Berlin. In seinem Buch begründet er seine Sorge, dass die völkisch-nationalistische Außenpolitik Putins zum Zerfall Russlands führen könnte, mit unvorhersehbaren Folgen für Europa.

Svetlana Müller, die Geschäftsführerin des Kulturzentrums, sagt, sie hoffe, dass Kühls Buch auch in Berlin russischsprachige Menschen und "Putin-Versteher" erreiche. "Sie können natürlich auch Deutsch, aber sie lesen auch gerne russischsprachige Ausgaben." Deshalb sei es gut, dass es dieses Buch in den beiden Sprachen gebe. Müller hofft ihren Worten zufolge, dass der eine oder andere seine Haltung überdenke.

Jörg Morré, Leiter des Museums Berlin-Karlshorst am 19.06.24 in den Räumen des Museums (Quelle: rbb / Siebert).
"Selbst im Kalten Krieg gab es Gespräche": Jörg Morré, Leiter des Museums Berlin-Karlshorst. | Bild: rbb / Siebert

Museum Karlshorst

Als letztes eine Fahrt in den Südosten der Stadt. Seit 30 Jahren gibt es das Museum Berlin-Karlshorst , das intensiven Austausch mit Moskau, Kiew und Minsk hatte, darunter mit dem Außenministerium der Russischen Föderation und mit dem staatlichen Historischen Museum Moskau.

Nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine legte aber das deutsche Staatsministerium für Kultur der Museumsleitung nahe, den Kontakt zu staatlichen russischen Stellen einzufrieren. Seit zwei Jahren nun ist der deutsch-russische Dialog auf einem Tiefpunkt. Der Museumsleiter und Historiker Jörg Morré will das aber nicht mehr akzeptieren. Selbst im Kalten Krieg habe es Kontakte und Gespräche gegeben. "Ich habe auch seitens meines Arbeitgebers, das ist der Trägerverein des Museums Berlin-Karlshorst, den Auftrag, die Völkerverständigung hier zu fördern, am Leben zu erhalten." Was er bereits jetzt tut, darüber will Morré nicht öffentlich sprechen, um seine Gesprächspartner nicht zu gefährden.

Das frühere deutsch-russische Museum Berlin-Karlshorst am 19.06.2024 (Quelle: rbb / Siebert).
Die ehemalige Heerespionierschule der Wehrmacht. Im großen Speisesaal unterzeichnete die deutsche Heeresleitung am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation - und der Zweite Weltkrieg war zu Ende. | Bild: rbb / Siebert

"'Sprich nicht mit denen' bringt uns nicht weiter"

Er würde auch gerne Kontakte zu regionalen Museen, Archiven und zu zivilgesellschaftlichen Organisationen in Russland aufbauen. Auch mit den 15 ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Zentralasien will der Leiter des Museums ausloten, ob sie Interesse an einem Dialog haben. "Dieses Generalverbot 'sprich nicht mit denen' bringt uns nicht weiter."

Dieses Weitersprechen aber ist riskanter geworden. Häufig sind es Russen im Exil, die mit russischen Bürgerinnen und Bürgern reden: in Telegram-Gruppen, via Youtube-Videos, bei persönlichen Treffen in Deutschland oder in Nachbarländern Russlands.

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Beitrag von Wolf Siebert

87 Kommentare

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  1. 87.

    Wenn meinen Sie mit "uns"?
    Und wann hat "uns" Russland den den Krieg erklärt?
    Wahrscheinlich sind Sie auf für den Einsatz von deutschen Truppen in der Ukraine?
    Die Pläne liegen noch Museum für Deutsche Geschichte.

  2. 86.

    Alle Kommentartoren ist eins gleich - wir sind die Opfer und das Kanonenfutter für Nato/Politiker. Es wird keinen konventionellen Krieg geben und Panzer wie Flugzeuge entscheiden nichts mehr. Kein Politiker wird in den Schützengräben stehen, man verheizt uns bereits weil Diplomatie nicht gewünscht ist. Uns erreichen nur einseitige Informationen und Stimmungsmache. Alle erlebt im kalten Krieg, heute ist man dümmer als damals. Hier auch zu lesen.

  3. 85.

    Wenn die Besatzer wieder in der neuen DDR sitzen kann wieder perfekt weiter geredet werden...

  4. 83.

    Die da wäre? Wir leben doch inzwischen in einer Welt, wo wissenschaftliche Fakten mit alternativen Wahrheiten konkurrieren.
    Also nur zu, lassen sie uns bitte auch an ihrer Wahrheit teilhaben.

  5. 82.

    Oh offenbar gibt es ein Problem, wenn man auf Sachen wie die "Operation Unthinkable" hinweisen möchte. Gründe?

  6. 80.

    Sinnvolle Beiträge sind hier nicht mehr zu erwarten. Den fortlaufenden Geschichtslügen wird breiter Raum eingeräumt, die Korrekturen werden vom Staatssender gecancelt.
    Nun sei's drum. Die Wahrheit lässt sich nicht ewig verschweigen !

  7. 78.

    Mit verengter LInse blendet man manches aus - praktisch? Russland soll also das alleinige Privileg zugestanden werden, seit der Wende den Westen mit Langstreckenraketen aus Kalliningrad und anderswo zu bedrohen, während die USA nur das Gleichgewicht der Abschreckung mit ihrer Langstreckenraketen-Ankündigung herstellen.

  8. 77.

    Nichts ist ewig. Erst recht nicht Putin. Allerdings werden die Russen in ihrem eigenen Interesse die Dinge innenpolitisch auf die eine oder andere Weise werden regeln müssen.
    Die Frage ist nur, ob es dazu erst wieder eines völligen Systemzusammenbruch bedarf?

  9. 76.

    "Ja, unsere Außenministerin erklärte im Juli 2022 erklärte Russland den Krieg, als sie in ihrer Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg sagte:"

    Offensichtlich haben sie nicht mitbekommen, dass uns Putin schon lange vorher den Krieg erklärt hatte. „We are fighting a war against Russia and not against each other“, so Baerbock. Das ist keine Kriegserklärung, sondern eine nüchterne Feststellung. Sonst hätte es heißen müssen: "We declare war against russia".

  10. 75.

    Aber im Gegensatz zu Putin!! Der, aus welchen Gründen auch immer(lassen wir die Diskussion beiseite, denn sie ist für ihre Behauptung völlig unerheblich), eine Invasion in der Ukraine für eine tolle Idee hält.
    Und die veralteten Raketen in der Türkei waren mit denen auf Kuba bezüglich strategischem Vorteil überhaupt nicht vergleichbar, obwohl sie schließlich als gesichtswahrende Verhandlungsmasse für ein Einlenken Chruschtschow reichten.
    Auch sie müssten mit ein bisschen Willen einen gravierenden Unterschied in den Prinzipien zwischen Kennedy, Chruschtschow auf der einen Seite und Putin auf der anderen Seite sehen und warum Putin für den Weltfrieden eine viel größere Gefahr ist, als seinerzeit die UdSSR jemals war.

  11. 74.

    Man muss weiterreden, da hat NGO "Citizens Watch recht. Nicht aufgeben ist die Hoffnung.
    Die Wahrheit über Russland und Ukraine liegt politisch weit weg. Bei einem Land soll angeblich alles nachprüfbar sein, beim anderen nicht? Sie kommen sich so nie näher, dass es zu einem Verhandeln kommen kann. Jeder kämpft für sein Land, Ausgang ungewiss. Es gab und gibt persönliche Beziehungen privat zwischen den Ukrainern und Russland, wie reden sie miteinander? Man fragt sich, ist die USA in Zukunft so verlässlich wie man annimmt? Der UKR- Krieg hätte verhindert werden können von der Politik im Westen was bestimmt keinen Angriff ausgelöst hätte. Die Chance zu einem Friedensabkommen wurde verpasst, der Weg für Zerstörung, Folter und Opfer wurde frei. Ich glaube, nicht nur die Ukrainer auch viele Russenfamilien leiden unter diesen Abnutzungskrieg. Bei diesen Krieg ergreife ich keine Partei, an Hetze denke ich keineswegs, wäre auch auf Grund der vielen Toten nicht angebracht.


  12. 73.

    Obwohl ich kein Freund der Grünen bin, hier hat die Baerbock recht. Natürlich soll Deutschland Waffen an die Ukraine liefern, wie soll diese sich denn sonst verteidigen? Russland sieht sich einer geschlossenen Gemeinschaft gegenüber. Mag es ein, zwei Orbans geben, das wird nichts ändern. Die Hoffnung das sich dieses verdorbene (Russ)Land von Innen reinigen kann ist jedoch gering.

  13. 72.

    Ja, da haben SIe recht. Russland ist wieder ein Land der Spitzel und Verräter wie in Stalins Zeiten. Selbst in meiner Familie gibt es Mitglieder vor denen man nicht offen sprechen kann. Da wird nach einem Parkplatzstreit der Nachbar als wegen einem Ukraine T-Shirt auf der Wäscheleine angezeigt.

  14. 71.

    "Diplomatie ist immer besser"

    Putin will aber den Krieg und keine Diplomatie. Was sind ihre Vorschläge?

  15. 70.

    "Und werden ermordet wie ..."
    Sicherlich auch, nur erfahren wir davon nichts.

    oder sie sterben dann leider bei Verkehrs- oder Badeunfällen, erleiden einen plötzlichen Herztod, sind Kollateralschäden bei Amokläufen, müssen sich in befreundete Botschaften flüchten, werden mit 100+x Jahren Gefängnis bedroht etc.
    Ohne Zweifel alles menschenverachtend, hüben wie drüben. Ich plädiere nur dafür, sich bewusst zu sein, dass immer wenn man mit einem Finger auf jemanden zeigt, die anderen Finger in die eigene Richtung gehen.

  16. 69.

    Ja, unsere Außenministerin erklärte im Juli 2022 erklärte Russland den Krieg, als sie in ihrer Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg sagte: „We are fighting a war against Russia and not against each other“ („Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“). Das erklärt die Kriegsretorik der Grünen.
    @Revisori - muss ich Ihnen die täglichen Auftritte zur besten Sendezeit erklären? Die Permanenz?

  17. 68.

    "nichts gelernt nach dem 8. Mai 1945. " haben die Putinfreunde, ja. Und erst recht nicht vom 30. September 1938.

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