#Wiegehtesuns? | Lungenkranke Patientin - "Aufgeben, das gibt es für mich nicht"

Di 27.10.20 | 17:26 Uhr
Arzt betrachtet Röntgenbild von Covid-19 Patient vor Klinik in Coronavirus Pandemie (Quelle: dpa/Robert Kneschke)
Bild: dpa/Robert Kneschke

Warten, warten, warten. Einer 58-jährigen Steglitzerin bleibt nichts anderes übrig als geduldig auszuharren, bis der Anruf kommt, mit der Nachricht: Wir haben eine neue Lunge für Sie! Seit Corona lebt sie noch viel eingeschränkter als zuvor. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Seit es Corona gibt, lebt Ulrike K. (Name von der Redaktion geändert) viel zurückgezogener als zuvor. Die 58-jährige Steglitzerin leidet seit Jahren an einer schweren Lungenerkrankung. Vor sieben Jahren musste sie ihren Beruf aufgeben. Nun wartet sie auf ein Spenderorgan. So geht es Ulrike:

Ich bin Optimistin. Aufgeben, das gibt es für mich nicht. Denn ich weiß: Ich stehe auf der Liste von Eurotransplant, die neutral gewichtet und bewertet. Und irgendwann wird es soweit sein, dann bin ich dran. Da gibt's ein Punktesystem von Null bis 100. Und abgesehen vom gesundheitlichen Zustand und der Wartezeit ist es eben nicht nur entscheidend, ob das Gewebe übereinstimmt, sondern auch, wie groß zum Beispiel die Spenderlunge ist. Natürlich kreisen meine Gedanken oft um eine mögliche Transplantation. Aber ich habe keine Albträume und vertraue eben Eurotransplant und dem Deutschen Herzzentrum.

Als die Corona Pandemie bei uns ankam, habe ich mich sofort in strenge häusliche Quarantäne begeben. Das war ein Dienstag, der 10. März, den Tag habe ich mir gemerkt. Insgesamt gute neun Wochen bin ich dann gar nicht vor die Tür gegangen, und bis heute ist das eigentlich, bis auf wenige Ausnahmen, so geblieben.

Sieben Monate lebe ich seit dem Lockdown noch eingeschränkter als bisher. Doch es bringt nichts, zu jammern. Ich bewege mich mit Hilfe im Rollstuhl, und bin rund um die Uhr auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Mein Partner und ich konzentrieren uns seit Monaten darauf, dass wir virenfrei bleiben. Wir haben es umso mehr geschätzt, dass wir im Sommer ein paarmal draußen ein Lokal besuchen konnten. Ich war bis heute vielleicht drei Mal in einem großen Supermarkt. Ansonsten habe ich mich in die eigenen vier Wände zurückgezogen. Ich bin sehr froh, dass ich mich dort einigermaßen, ohne Rollstuhl, bewegen kann.

Alle Veranstaltungen mit vielen Menschen sind für mich noch gefährlicher als für alle anderen. Wenn ich dann mal draußen war, habe ich Leute beobachtet, die es offenbar cool finden, ihre Maske nur halb zu tragen oder gar nicht. Das regt mich auf. Ich versuche einfach, Abstand zu halten und mich nicht nur darauf zu verlassen, dass andere Leute auf mich Rücksicht nehmen. Alle sechs Wochen muss ich auf jeden Fall raus, um Arzttermine wahrzunehmen. Der Zustand der Lunge, des Herzens, Blutbild, EKG – all das wird regelmäßig gecheckt. Das belastet und strengt sehr an, aber ist nicht zu ändern. Mit strenger Disziplin geht das, und anderen Menschen geht es viel schlechter. Krank zu sein ist Mist, keine Frage, vor allem in Coronazeiten. Aber ich habe keine finanziellen Sorgen, und dafür bin ich sehr dankbar.

Klar gibt es auch traurige Momente, in denen ich merke, dass mein Körper sehr schwach ist, weil ich immer den Rollstuhl und fremde Hilfe benötige, und mir die Luft fehlt. Ich müsste gerade jetzt ständig Ausdauertraining machen, meine Muskeln aufbauen. Das Einzige, was mir blieb, war die Physiotherapie, und die lass ich nun auch weg, weil ich Angst vor einer Infektion habe.

Mein Sicherheitsbedürfnis ist groß, denn ich warte so lange auf eine neue Lunge, da will ich nichts, wirklich nichts, riskieren. Sehr belastend ist es auch, dass ich mich wegen des ständigen Sauerstoffmangels kaum noch auf etwas konzentrieren kann und unter häufigen Angstattacken leide.

Ich möchte nicht in der Haut der Politiker stecken. Mein Eindruck bei den Statements der Ministerpräsidenten bei den Pressekonferenzen war, dass sie aus unterschiedlichen Gründen sehr unzufrieden sind. So wirken die Maßnahmen für alle wie ein "fauler" Kompromiss.

Offenbar werden diejenigen, die am lautesten schreien, die sich in ihrer Freiheit eingegrenzt fühlen, eher gehört als jene, die sowieso eingegrenzt sind und eben nicht so laut schreien, weil sie es zum Teil gar nicht können.

Seitdem die Fallzahlen wieder so hoch sind, bin ich sicher, dass ich weiterhin zu Hause im Lockdown bleibe. Und ich freue mich über Kleinigkeiten; ich war noch rechtzeitig beim Friseur, so lächerlich, wie es klingt. Nun heißt es, wie in den letzten Wochen, für mich warten, warten, warten – egal ob es um Corona geht oder um eine neue Lunge für mich.

Gesprächsprotokoll: Ansgar Hocke, rbb24 Recherche

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