Neuer Brandenburger Landtag - Zusammenarbeit mit der AfD kein Tabu mehr?

Mo 14.10.24 | 16:55 Uhr | Von Hanno Christ
  29
Ein Plan der neuen Sitzordnung im leeren Plenarsaal des Brandenburger Landtages, aufgenommen während der Umbauarbeiten für die neue Sitzordnung am 08.10.2024.(Quelle: dpa/Katharina Kausche)
Bild: dpa/Katharina Kausche

SPD und BSW in Brandenburg sondieren derzeit, ob sie eine Regierung bilden werden. Jüngste Äußerungen von BSW-Abgeordneten deuten an, dass sich der Umgang mit der AfD ändern könnte. Auch die Landtagsspitze stellt sich neu auf. Von Hanno Christ

  • Alterspräsident will AfD-Anträgen auch zustimmen
  • BSW-Landesvorsitzender appelliert an AfD
  • Vorschlag: Künftig drei statt zwei Vize-Präsidentschaftsposten

Wer am Montag den Landtag betritt, findet einen Plenarsaal in geordneter Unordnung. Die roten Stühle verteilen sich noch in der Lobby, im Saal aber lässt sich an den neu formierten Tischreihen die politische Kräfteverteilung Brandenburgs ablesen.

Es sind zwar noch immer 88 Abgeordnete, aber nur noch von vier, nicht mehr sechs Parteien. Das bedeutet, dass es deutlich luftiger geworden ist zwischen den Fraktionsreihen, allerdings nur räumlich betrachtet. Mehrere Vertreter des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) haben nun unterstrichen, dass sie ihren Worten im Wahlkampf Taten folgen lassen wollen. Sie halten es für denkbar, auch Anträge der AfD-Fraktion mitzutragen.

Alterspräsident sieht sich als Brückenbauer

Zum einen ist das der Alterspräsident Reinhard Simon. Der 73-jährige war langjähriger Intendant der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt. Er wird am Donnerstag die Eröffnungsrede bei der Konstituierung des Parlamentes halten. Seine Funktion ist eine eher symbolische, weil mit der Wahl eines Präsidiums die Sitzungsleitung rasch auf die neue Präsidentin übergehen wird. Dennoch wird der Eröffnungsrede viel Gehör geschenkt werden.

Im Interview mit der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" [Bezahlinhalt] vom Montag deutet Simon zumindest eine Stoßrichtung seiner Rede an. Er bezeichnet sich als "Brückenbauer" – auch zur AfD. Den Willen von 29 Prozent der Wähler könne man nicht ignorieren, so Simon. "Das BSW hat mehrfach gesagt, dass wir dort, wo die AfD sinnvolle Dinge beantragt, die mit den Zielen des BSW vereinbar sind, nicht pauschal ablehnen, sondern unter Umständen auch zustimmen werden."

In allen übrigen Fragen gelte der politische Wettstreit um die besseren Argumente und wessen Interessen man vertrete, so Simon im Interview. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa bekräftigt Simon ebenfalls am Montag: "Ein ideales Parlament sollte in der Lage sein, die Kunst des Zuhörens der Argumente zu trainieren und weniger die Meinungen anderer mit Buh-Rufen zu begleiten."

BSW-Landesvorsitzender: "Vernünftigen AfD-Anträgen auch mal zustimmen"

Simon ist mit dieser Haltung nicht alleine. Auch der BSW-Landeschef und Fraktionsvorsitzende Robert Crumbach unterstützt einen anderen Umgang mit der AfD. Im Interview mit rbb24 fordert Crumbach eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung: "Wenn die AfD einen vernünftigen Antrag stellt, dann gehört dazu, dass man dem auch zustimmt. Also der Himmel ist blau. Und wenn die AfD mal feststellt, dass der Himmel blau ist, dann wird er nicht grün oder rot oder sonst was, sondern er bleibt blau. Und dann stimmt man so einem Antrag natürlich auch zu." Bollwerke und Ausgrenzung seien nicht der richtige Weg, so der BSW-Fraktions- und Landesvorsitzende.

SPD lehnte Zugeständnisse an die AfD bislang ab

Dergleichen Wortmeldungen aus den Reihen des BSW sind nicht neu. Im Wahlkampf hatten sich Parteivertreter wiederholt in eine ähnliche Richtung geäußert, auch die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht. Neu hingegen ist das zeitliche Umfeld, in das die Äußerungen fallen – mitten in die Sondierungsgespräche von SPD und BSW. Spitzenvertreter beider Parteien klopfen derzeit ab, ob sie eine tragfähige Regierung bilden können, aber auch wo sie klare Grenzen ziehen.

Die SPD hatte bislang jegliche Zugeständnisse an die AfD, auch eine Zustimmung zu ihren Anträgen oder gar Gesetzesinitiativen, konsequent abgelehnt. Wie sie auf die Äußerungen der BSW-Politiker blickt, ist unklar. Vor einer rbb-Kamera wollte sich der SPD-Fraktionsvorsitzende und Sondierungsteilnehmer Daniel Keller nicht äußern.

Crumbach appelliert an AfD

Im parlamentarischen Alltag ist eine Zustimmung aus den Regierungsfraktionen zu Anträgen der Opposition möglich, war bislang bis auf wenige Ausnahmen aber eher unüblich. Der BSW-Vorsitzende Crumbach will nicht ausschließen, dass sich dort künftig etwas ändert. "Üblicherweise wird in einem Koalitionsvertrag festgelegt, wie man sich bei Anträgen der Opposition verhält. Ich gehe davon aus, dass auch in einem nächsten Koalitionsvertrag dazu eine entsprechende Klausel vorhanden sein wird – wer auch immer den unterschreibt."

Wie konkret sich das BSW bei Abstimmungen über Initiativen der AfD verhalten wird, lässt Crumbach im Unklaren. Entscheidend ist für ihn der Praxistest. Er habe sich sämtliche AfD-Anträge der letzten Legislatur angeschaut. "Da war nichts Vernünftiges dabei. Ich hoffe, dass die AfD ihr Verhalten etwas ändert. Ich hoffe auf vernünftige Anträge."

Neues Präsidium mit drei Vize-Posten

Einen ersten Punkt im neuen Landtag konnte das BSW am Montag für sich verbuchen. Auf Vorschlag des Bündnisses soll es neben dem Präsidium drei und nicht mehr nur zwei Vize-Präsidenten geben. Eine Idee, der alle beteiligten Fraktionen folgten und die den Konflikt um die Besetzung der Posten noch vor der ersten Sitzung am Donnerstag entschärft. Die Wiederwahl der bisherigen Präsidentin Ulrike Liedtke (SPD) gilt als wahrscheinlich, das BSW schlägt aus seinen Reihen Jouleen Gruhn vor, die AfD Daniel Münschke. Die CDU will ihren Vorschlag erst am Dienstag verkünden.

Damit stehen vor der ersten Sitzung des Landtages die Zeichen auf Entspannung, nicht auf Konfrontation. Nach der turbulenten ersten Sitzung des Landtages in Thüringen [mdr.de] war befürchtet worden, dass sich ähnliche Szenarien auch in Brandenburg wiederholen könnten. Das sieht derzeit nicht danach aus.

Der amtierende Vize-Präsident der AfD, Andreas Galau, kommentierte die Idee eines Dreier-Vize-Präsidiums denn auch als "guten Auftakt" der nächsten Legislatur. "Ich denke, es ist ein guter Kompromiss, der hier gefunden wurde und dafür sorgen wird, dass wir eine reibungslose konstituierende Sitzung haben werden", so Galau.

Mögliche Signalwirkung für Kommunalvertretungen

Noch ist gänzlich offen, welche Regierung Brandenburg bekommen wird und wie die Fraktionen im Landtag arbeiten werden. Sollte jedoch die klare Abgrenzung zur AfD im neuen Landtag aufgegeben werden, so hätte das Signalwirkung ins Land hinein. Ob in Stadtverordnetenversammlungen, Gemeindevertretungen oder in Kreistagen – eine offizielle Zusammenarbeit mit der AfD findet in Brandenburg bislang nicht statt. Die Zustimmung zu Anträgen der AfD wird nicht konsequent ausgeschlossen, aber doch oft vermieden.

Sollte der Landtag künftig einen anderen Umgang pflegen, so würden sich auch kommunale Abgeordnete womöglich kaum mehr gebunden fühlen. Auch über die Verteilung von Posten etwa beim Vorsitz von Ausschüssen oder von Kommunalparlamenten würde dann wohl neu nachgedacht werden – die sogenannte Brandmauer zur AfD könnte dann rasch Geschichte sein.

Beitrag von Hanno Christ

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden Kommentare, bei denen die E-Mail-Adresse in den Feldern Name, Wohnort oder Text geschrieben wurde, nicht freigegeben. Mit Nutzung der Kommentarfunktion stimmen Sie unserer Netiquette sowie unserer Datenschutzerklärung (Link am Ende der Seite) zu. Wir behalten uns vor, Kommentare, die nicht zu einer konstruktiven Diskussion beitragen, nicht freizugeben oder zu löschen. Wir geben keine Auskunft über gelöschte oder nicht freigegebene Kommentare. Mit der Abgabe eines Kommentars erklären Sie sich mit diesen Regeln und den Kommentarrichtlinien des rbb einverstanden.

29 Kommentare

  1. 29.

    „ Politiker wollen sich an ihre Wahlversprechen halten. Das ist mittlerweile einen Artikel wert.“

    Ich versteh das auch nicht. Was soll dieser Artikel? Stimmung machen?

  2. 28.

    "Mehrere Vertreter des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) haben nun unterstrichen, dass sie ihren Worten im Wahlkampf Taten folgen lassen wollen. Sie halten es für denkbar, auch Anträge der AfD-Fraktion mitzutragen."

    Wen wundert es, wenn Rechtsextremisten mit Rechtsextremisten gemeinsame Sache machen?

    Niemals wieder ist jetzt!

  3. 27.

    Wenn die AfD verboten wird kommt als höchstes der starke BSW.

    Auch der BSW wird dann verboten.

    Mit den Nichtwählern liegen in dieser dann so tollen Demokratie die kumulativen Prozente Nichtwähler + AfD + BSW über 50 Prozent.

    Die Demokratie hätte dann kein Legitimation als Staatsform mehr!

    Das GG wäre eine neue Bibel, an die nur eine Minderheit glaubt.

  4. 25.

    Ich habe den BSW nur deswegen gewählt weil sie im Umgang mit der AfD pragmatischer als die Altparteien agieren und konstruktive Politik in der Sache machen wollten.

    Ich erinnere mich sinngemäß an S. Wagenknecht:

    „ Wenn die AfD sagt der Himmel ist blau stimmen wir dem zu!“.

    Ich erwarte von dem BSW die Versprechen!

    Sonst ist meine Stimme und die vieler anderer sehr schnell wieder weg!

  5. 24.

    Stimmt, leider!
    Vielleicht waren seine Äußerungen erste Symptome seiner Erkrankung.... Nein, das war jetzt unfair - wünsche ihm trotzdem gute Besserung - und der SPD insgeamt auch.

  6. 23.

    Kevin Kühnert hat den aus der Flasche gelassen Geist als großen Erfolg bewertet, der zeigt, dass die SPD noch siegen kann und sich steil im Aufwärtstrend befindet. Im Angesicht der Bundestagswahlen ist mit einem phänomenalem Ergebnis zu rechnen, quasi eine Auferstehung. Leider ist er danach krank geworden und kann den Erfolg nicht auskosten.

  7. 22.

    Nicht traurig sein in Berlin. Das ist Brandenburg. Vieles, was sie schreiben oder meinen zu wissen, ist nicht richtig.

  8. 21.

    Politiker wollen sich an ihre Wahlversprechen halten. Das ist mittlerweile einen Artikel wert.

    Nur weil man Zustimmungen nicht ausschließt, heißt das noch lange nicht, dass man auch zustimmt.
    Da ich das Interview nicht sehen kann, kann ich das Zitat auch nicht weiter einordnen. Wahrscheinlich wird wieder aus einer Mücke ein Elefant gemacht.

  9. 20.

    „mit entsprechend hoher Entlohnung der Dienstleistenden“
    Was wenn ein solcher Antrag eingebracht wird? Es ist sogar wahrscheinlich, wenn man auf Beitragsentwicklungen der KV/Pflege schaut?
    Aber mal was Grundsätzliches: Seit wann werden in einer sozialen Marktwirtschaft Löhne politisch festgelegt? Wer das will, der will Sozialismus...oder anders: Planwirtschaft.... oder noch anders: Zuteilverwaltungsstaat... oder noch anders: Geldverwalter denken über fremdes Weggenommenes zuerst an sich selber... immer, wie die Geschichte lehrt.

  10. 19.

    Können Sie begründen, worin Sie die "selbstgewählte Opferrolle" sehen? Sind es nicht die Gegner der AfD, die die Partei in die Opferrolle gedrängt haben?

  11. 18.

    Sollen sie mal koalieren und eine Region machen. Schön alle Migranten raus und das Land wirtschaftlich noch weiter runter, weil es dann noch weniger Arbeitskräfte gibt. Die Leute werden sich umschauen. Aber sind ja nur vier Jahre, da kann man nachher auch alles von sich weisen. Hahaha

  12. 17.

    Da kommt zusammen, was wohl auch zusammen gehört!
    Und was dann da am Ende rauskommt, da denkt keiner drüber nach. Woidke hat mit seiner Wahlstrategie den Geist aus der Flasche gelassen und wird ihn nicht mehr einfangen können - nicht nur zum bundesweiten Schaden der SPD.
    Mein persönliches Fazit: in die Region fahre ich nie mehr und werde auch durch Einkäufe etc. die Region nicht stützen.

  13. 15.

    Zuerst geht um die Sache für das Land, nicht darum wer einen Antrag stellt. Zustimmung für einen vernünftigen Antrag macht Sinn. Konsequente Ablehnung nach SPD ist zwangsläufig Unvernunft, bedeutet Schaden für das Land. Sollte jemand von der AfD vorschlagen mich im Auto anzuschnallen werde ich den Vorschlag annehmen.

  14. 13.

    Das BSW hat dies vor der Wahl gesagt, warum wundert sich jetzt jemand? Sonst regt man sich immer auf, dass etwas im Wahlkampf versprochen und nach der Wahl nicht umgesetzt wird. Wie es passt…. Versteh den Artikel nicht wirklich. Die SPD muss sich bloß entscheiden, ob sie wirklich mit dem BSW koalieren möchte. Das ist die Frage.

  15. 12.

    @ nutzer - Du willst lieber verbieten und damit Hunderttausende oder Milionen Wähler, die diese Partei gewählt haben, um den anderen Parteien "eins auszuwischen", verprellen?

  16. 11.

    Miteinander reden, angesichts der Wahlergebnisse, ist ein wichtiger Schritt und eigentlich eine Selbstverständlich, wenn man das Wort Demokratie noch ernst nimmt. Alles andere wäre kontraproduktiv.

  17. 10.

    Ich sach doch, das "BSW ist die weichgespülte, die Light-Variante der "AfD". Sie sind sich, gewollt, ähnlich in ihrer Ausrichtung und ihrem Tun. Wer was anderes behauptet, macht sich was vor. Würde sogar behaupten, der Bernd ist bestimmt ganz neidisch auf die Sarah, weil die in ihrem Laden die uneingeschränkte Bestimmerin ist. Ich weiss schon, warum ich beide Parteien nicht wählen kann. Nicht nur wegen ihrer unzerbrechlichen Freundschaft zu Putin. Das hat uns schon mal schwer geschadet.

Das könnte Sie auch interessieren