Volleyball | VCO Berlin - Wildcard zum Verlieren
In der Volleyball-Bundesliga der Männer hat es ein Team gerade besonders schwer: Der VCO Berlin konnte in sieben Spielen erst einen Satz für sich entscheiden. Warum das nicht schlimm ist, sondern ein Erfolgserlebnis. Von Lynn Kraemer
Null Punkte. Sieben Niederlagen. Die Volleyballer des VCO Berlin haben in dieser Saison erst einen Satz gewonnen. Und doch ist diese Spielzeit das Beste, was ihnen passieren konnte. Die Tabellenletzten der Volleyball-Bundesliga können noch nicht mit dem Niveau der anderen Teams mithalten. Genau deswegen sind sie dort richtig.
Denn die Mannschaft des VCO Berlin ist keine normale Bundesliga-Mannschaft. Sie besteht aus den besten Nachwuchsvolleyballern des Landes. Die Spieler sind zwischen 16 und 19 Jahren alt und trainieren gemeinsam am Bundesstützpunkt in Berlin. Mit einer Wildcard dürfen sie außer Konkurrenz in der obersten Spielklasse antreten.
Für den Berliner Djifa Amedegnato wird damit am letzten November-Wochenende ein kleiner Traum wahr: "Vor sechs Jahren habe ich noch bei den BR Volleys zugeguckt und gesagt, dass ich gegen die mal spielen möchte." Im Sportforum Hohenschönhausen steht er plötzlich auf der anderen Seite des Netzes und misst sich mit der Mannschaft in den orange-schwarzen Trikots.
Spielzeit für die besten Nachwuchstalente
Der Deutsche Volleyball-Verband hat damit eine Lösung für ein Problem gefunden, das sportartenübergreifend besteht: jungen Spielern Spielzeit zu verschaffen. "Die Jungs in dem Alter sind einfach noch nicht so spielerfahren, dass man sie in den ersten Bundesliga-Verein schicken kann und dann auch auf dem Spielfeld sieht", sagt Bundesstützpunktleiterin Ilka Niklaus. Wer direkt nach der Schule zu einem Erstligisten geht, trainiert meist nur mit und bleibt während der Spiele in der Aufwärmzone.
"Der wichtigste Punkt für mich war, dass ich hier spielen kann", sagt Milan Kvrzic. Der 19-Jährige ist aus Friedrichshafen für diese Saison nach Berlin gezogen: "Wäre ich zu einem Erstliga-Klub gegangen, wäre ich dort zweiter Zuspieler gewesen und hätte zwar gutes Training gehabt, aber gar keine Spielerfahrung." Am Bundesstützpunkt in Berlin bekommt er beides.
Vierjähriges Ausbildungsprogramm
Alle zwei Jahre sichtet der Verband die neuen Talente. Die besten bekommen die Möglichkeit das vierjährige Erstligaprojekt zu durchlaufen. Im Alter von 14 oder 15 Jahren kommen die Jugendlichen nach Berlin, gehen auf die Sportschule und trainieren mehrmals täglich zusammen. Im ersten Ausbildungsjahr startet die Mannschaft in der Regionalliga und steigert sich von Saison zu Saison. "Das heißt, im vierten Jahr landen sie dann im Spielbetrieb der 1. Bundesliga", erklärt Niklaus.
Djifa Amedegnato hat das ganze Programm durchlaufen: "Von den Jungs, die am Anfang da waren, sind jetzt – das habe ich mal nachgezählt - noch fünf übrig. Am Anfang waren wir zwölf." Die anderen mussten gehen, weil sie auf dem Leistungsniveau nicht mehr mithalten konnten. Dafür rückten andere Nachwuchsspieler nach. "Natürlich guckt man sich dann um und fragt sich, wer es schaffen wird und wer als erstes geht. Und es ist immer wieder traurig zu sehen, dass Leute gehen müssen", sagt der 19-Jährige. Er sei auch ein bisschen stolz, einer von denen zu sein, die den ganzen Weg mitgegangen sind.
Ausreizen der Frustrationstoleranz
Denn der Druck, der auf den Spielern lastet, ist groß. Sie stehen nicht nur untereinander in ständiger Konkurrenz, sondern müssen auch damit umgehen, dass sie gegen die Profi-Teams nur selten eine Chance haben. Aktuell steht hinter dem VCO in der Tabelle eine Null. "Ich muss sagen, am Anfang bin ich damit nicht so gut umgegangen", sagt Milan Kvrzic. Er habe sich selbst Druck gemacht: "Was denken jetzt die anderen von mir?" Inzwischen habe sich das gelegt: "Irgendwann habe ich einfach realisiert, dass mir egal ist, was die anderen sagen. Ich spiele Volleyball für mich."
Obwohl der Vergleich mit den anderen Teams automatisch aufkommt, müssen die Nachwuchstalente diesen ignorieren. "Ich will immer gewinnen. Für mich ändert das nichts, ob das Haching oder die BR Volleys sind. Aber natürlich muss ich das auch realistisch sehen", so Kvrzic. Er versuche sein Bestes zu geben und "wenn man dann nicht gewinnt, ist auch alles in Ordnung." Die anderen seien einfach besser. "Die anderen Teams spielen auf einmal drei bis zehn Klassen höher als wir, aber das spornt uns an", sagt Zuspieler Djifa Amedegnato. "Wir wollen gucken, wie wir uns gegen sie schlagen. Ist es denn wirklich so unmöglich, wie alle sagen, oder können wir da doch gut mithalten?" Es lohne sich immer.
Gegen die BR Volleys schaffen es Amedegnato und seine Mitspieler im zweiten Satz sogar einen kleinen Vorsprung zu erspielen. Die Volleys nutzen das Spiel zwar, um ihren neuen Zuspieler einzugewöhnen, und spielen nicht mit ihrer besten Sechs, aber für die Nachwuchsspieler ist es trotzdem ein Erfolgserlebnis. Auf der Anzeigetafel im Sportforum Hohenschönhausen steht schließlich 23:25 für den zweiten Satz.
Auch vom Stützpunkt gibt es nicht die Erwartung, dass die Mannschaft oben mitspielen muss: "Im besten Fall ist das Projekt so ausgerichtet, dass es in der Hinrunde eher schwieriger ist und in der Rückrunde das eine oder andere Spiel dabei ist, das man gewinnen kann", so Ilka Niklaus. Der psychologische Aspekt sei allen Verantwortlichen bewusst. Aber: "Man kann trainieren bis zum Umfallen. Es ist am Ende doch immer noch etwas anderes, Leistung unter Druck im Spiel abzurufen." Der VCO biete dafür die perfekte Möglichkeit. Die Nachwuchssportler sollen auch an ihrer Frustrationstoleranz arbeiten.
Vorspielen für Profivertrag
Jeder Gegner kann in der nächsten Saison ein potenzieller Arbeitgeber für die Nachwuchstalente sein. "Wenn man spielt, spielt man auch, um sich zu präsentieren und zu vermarkten", sagt Milan Kvrzic. Woche für Woche haben sie die Möglichkeit, sich zu empfehlen. "Manchmal sieht man schon fremde Personen, die dann außerhalb oder auf der Tribüne sitzen und sich Notizen machen. Da weiß man schon natürlich, dass der nicht nur hier ist, um das Spiel zu gucken", sagt Djifa Amedegnato. Er versuche aber, sich nicht ablenken zu lassen. Auch für Kvrzic gilt: "Das hat man schon im Kopf. Außer wenn man auf dem Spielfeld ist. Dann ist man eigentlich immer im Tunnel und dann gibt es nur das Spiel."
Der VCO Berlin kann für die Nachwuchsspieler der Karrierestart sein. Auf den aktuellen Kaderlisten der Bundesligisten finden sich viele Ehemalige. So spielen Anton Brehme und Johannes Tille inzwischen bei den BR Volleys, Yannick Goralik bei den Netzhoppers und Erik Röhrs in Düren. "Es ist schon so, dass der Prozentsatz, von dem wir uns erhoffen, dass er nach dem VCO in die Bundesliga geht, über 50 Prozent liegen sollte", so Stützpunktleiterin Ilka Niklaus. Da die Liga aktuell nur aus acht Teams besteht, sind die Plätze begrenzt.
Die Verantwortlichen beim VCO Berlin versuchen die Nachwuchstalente bei der Vereinssuche zu unterstützen. "Es ist so, dass wir vom Bundesstützpunkt aus auch Informationsveranstaltungen machen", erklärt Team-Manager Arvid Kinder. Ehemalige VCO-Spieler berichten von ihren ersten Verträgen und den Weg in die 1. Liga. Und: "Die Trainer machen sich natürlich stark und netzwerken mit den anderen Vereinen."
Glücklich nach der Niederlage
Das Spiel gegen die BR Volleys ist nach 73 Minuten vorbei. Es bleibt beim erwartbaren Ergebnis: Die Nachwuchstalente verlieren 0:3. Vom Gegner gibt es aber trotzdem Lob. "Die Mannschaft ist jung, hat aber viel Potenzial. Sie wird sich in den nächsten Wochen noch verbessern", sagt Anton Brehme. Er wisse noch genau, wie es für ihn war, gegen die ganzen Großen zu spielen. "Man lernt jedes Spiel dazu. Das ist für die Weiterentwicklung sehr, sehr wichtig."
Während die Profis nach einer schnellen Runde durch die Halle in die Kabinen verschwinden, sitzen ein paar der VCO-Spieler noch zusammen auf dem Feld. Jemand hat selbstgebackene Kekse mitgebracht. Trotz der Niederlage ist die Stimmung gut. Nächstes Wochenende können sie auch gegen Friedrichshafen nur gewinnen.
Sendung: rbb24, 26.11.2022, 21:45 Uhr