Verbotenes Fisch-Reißen - Angelszene in Potsdam streitet über Fischfang-Methoden in der Alten Fahrt
Wenn die Tage kürzer werden, ziehen viele Fische in die Alte Fahrt in Potsdam - und locken Angler an den Seitenarm der Havel. Um die Methoden, wie die trägen Fische gefangen werden, wird allerdings heftig gestritten. Von Friedrich Rößler
Grauer Himmel, Temperaturen leicht über Null und ab und zu Nieselregen. Ein typischer Tag im Januar an der Alten Fahrt in Potsdam. Vor dem Museum Barberini mit seiner sandfarbenen Fassade stehen wie auf einer Perlenkette aufgereiht mehr als zehn Anglerinnen und Angler nebeneinander. Ab und zu zuckt eine Rute nach hinten, hin und wieder werden Barsche, Brassen oder Güstern gefangen.
Kritisch wird jeder Neuankömmling beäugt, denn langsam wird es eng an dem wohl bekanntesten Winterangelspot im Berliner Großraum. Zwei Personen fallen besonders auf, da sie neben einer Angelrute auch einen Stapel bedruckter Blätter mit sich führen. Und sie suchen von Anfang an das Gespräch, was eher untypisch für Angler ist.
"Wir sind heute in einer informationsgebenden Rolle hier", sagt einer der beiden Neuen am Spot. Es ist Daniel Müller vom Landesanglerverband Brandenburg(LAVB), Mitarbeiter für Gewässerwirtschaft. "Wir wollen aufklären und deeskalieren und vor allem sensibilisieren", fährt Müller fort.
Regelanpassungen sollen das "Fischereißen" verhindern
Freundlich und verständnisvoll weist Daniel Müller an der Alten Fahrt in Potsdam die Anglerschaft auf die angepassten Regeln hin, die dort jedes Jahr vom 1. Januar bis 28. Februar gelten. "Wir haben hier auch Schilder aufgestellt, auf denen es schriftlich und symbolisch in drei Sprachen, Deutsch, Englisch und Russisch erklärt ist."
Welche Regelanpassungen das sind und warum diese vom LAVB in enger Abstimmung mit dem fischereiberechtigten Fischereischutzverein "Havel" Potsdam e.V. vor einem Jahr zum ersten Mal eingeführt wurden, erklärt Daniel Müller so: Da die Fische in der kalten Jahreszeit immer träger werden und weniger Nahrung aufnehmen, stehen sie oft am Gewässergrund oder legen sich in kleine Vertiefungen ab. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Angler die trägen Tiere querhaken beziehungsweise "reißen" können.
Der Fisch beißt also nicht an, sondern der Haken verfängt sich im Rücken oder im Schwanzbereich. Das sei keine reguläre Angelmethode und hätte in manchen Fällen für den gefangenen Fisch auch Verletzungen zur Folge, sagt Müller. Daher steht auch in der Fischereiordnung des Landes Brandenburg in Paragraph 4, dass es verboten ist, beim Fischfang Fangmethoden und Geräte zum Reißen der Fische anzuwenden.
Informieren, Aufklären, Deeskalieren
Deswegen sind mehrschenklige Haken beim Spinnfischen im besagten Zeitraum verboten. Außerdem darf der Haken maximal zehn Millimeter breit und 25 Millimeter lang sein, was laut internationaler Skala der Größe acht entspricht. "Unsere Erfahrungen sind, dass die neuen Regeln hier umgesetzt werden, denn es funktioniert auch mit kleinen Ködern und kleinen Haken", berichtet Daniel Müller.
Die Mehrheit der angesprochenen Fischjäger zeigt sich verständnisvoll. Einige haben noch nie von den Regelanpassungen gehört und wechseln sofort die zu großen Haken aus, andere lassen sich genau erklären, was Hakengröße acht im Detail bedeutet.
Ein Angler zeigt allerdings gar kein Verständnis und argumentiert, dass seine Methode niemanden schade. Er müsse doch nicht die ausgedachten Regeln anderer befolgen. Außerdem fühle er sich bedrängt und gestalkt, wenn jemand einfach so an ihn herantrete. "In so einem Fall können wir nur deeskalierend auftreten und auf die Regeln hinweisen", sagt Daniel Müller vom LAVB. Eine Kontrolle dürfen nur das Ordnungsamt Potsdam, die örtlichen Fischereiaufseher oder der Fischereiberechtigte durchführen.
Beim Ordnungsamt handelt es sich um amtlich verpflichtete Fischereiaufseher. "Unsere Empfehlung ist es, bei Verstößen das Gespräch zu suchen und wenn das nicht hilft, das Ordnungsamt zu rufen und so lange vor Ort zu bleiben, bis die Kollegen eintreffen."
Schlachthof Alte Fahrt?
Das habe er schon mehrfach getan, sagt der Potsdamer Angler Paul. Allerdings habe das Ordnungsamt Potsdam keine Kapazitäten frei gehabt und er habe habe vergeblich gewartet. Der Mittzwanziger angelt schon sein ganzes Leben lang, wie er sagt - und in der Winterzeit gern an der Alten Fahrt.
Doch er beobachte immer wieder, dass quergehakte Fische massenhaft aus dem Wasser dort gezogen werden würden, sagt Paul. "Letztes Jahr im Dezember war es besonders schlimm, bevor also die Regelanpassungen galten", berichtet er. Er spricht von "Reißerkommandos", die schwere Montagen auswerfen, an denen Zwillings- oder Drillingshaken hängen. "Und bei jedem kleinen Fischkontakt wurde sofort mit voller Absicht angehauen, sodass die Tiere gerissen wurden."
Die Alte Fahrt in Potsdam ist in Pauls Augen auch eine Flaniermeile, die Touristen anlocke. Allerdings soll es im Dezember "grauselig" dort ausgesehen haben. "Die Steine waren voller Blut, die Köderverpackungen flogen überall herum, bis zu 50 Leute standen nebeneinander und es stank." Paul sagt, er verstehe nicht, warum die Stadt Potsdam und der Fischereischutzverein "Havel" Potsdam e.V. als Fischereiberechtigter so wenig dagegen täten. Zwar seien die "Reißerkommandos" seit 1. Januar nicht mehr am Gewässer, doch quergehakte Fische würden weiterhin aus dem Wasser gezogen.
"Wenn die Fische nicht beißen, dann reiße ich die eben"
Das Problem sei aus seiner Sicht der offen stehende Haken, sagt Paul. Auch damit lasse sich ein träger Fisch querhaken, wenn man es drauf anlege.
Das hat auch der Berliner Patrick beobachtet, wie er erzählt. Der 19-jährige Raubfischangler sagt, er weiche wegen der Berliner Schonzeit ab 1. Januar immer nach Potsdam aus. Er habe schon im Dezember immer wieder andere Angler angesprochen, wenn diese einen quergehakten Fisch nach dem anderen gefangen hätten. Patrick sagt, er habe sogar angeboten, ihnen zu zeigen, wie man das Querhaken vermeiden könne. "Das wurde einfach abgelehnt und mir wurde gesagt, wenn die Fische nicht beißen, dann reiße ich die eben."
Daraufhin filmte Patrick bei einem späteren Angelausflug an die Alte Fahrt nach Potsdam heimlich andere Angler, die immer wieder heftig ihre Angelruten nach hinten rissen, wie er sagt. Bei Instagram zum Beispiel erregte der Berliner damit deutschlandweit Aufsehen. Auch Daniel Müller vom LAVB hatte diesen Clip gesehen und relativiert: "Man konnte allerdings den Köder nicht sehen, nur die zupfende Bewegung des Anglers. Weder Montage noch das Ziel des Anglers kamen in diesem Clip zum Vorschein".
Viele Probleme, keine einfache Lösung
Paul und Patrick machen sich außerdem darüber Sorgen, dass die enorme Menge an entnommenen Großbarschen den Fischbestand beeinträchtigen könnte. "Für mich ist das die reinste Gier, wenn man hier Tüten voll mit gerissenen Fischen mitnimmt", sagt der Berliner. Das habe nichts mehr mit Nahrungserwerb oder Entnahme mit Maß zu tun. "Als Raubfisch-Angler weiß ich ja, wie schwer es in Berlin und Brandenburg ist, einen großen Barsch mit mindestens 40 Zentimetern Länge zu fangen."
Der Flussbarsch-Bestand ist in Deutschland und Brandenburg nicht bedroht. Ob die Entnahme an der Alten Fahrt wirklich Auswirkungen hat, ist bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht worden.
Um der Lage vor allem vor dem 1. Januar Herr zu werden, schlagen die beiden Angler Paul und Patrick eine Ausdehnung der angepassten Angelregeln an der Alten Fahrt vor, vom 1. November bis 31. März. Paul plädiert sogar für ein Entnahmefenster und ein Fanglimit, sodass nur Barsche von 25 bis 35 Zentimetern entnommen werden dürften und nur zwei Fische pro Tag. "Und wenn das nicht funktionieren würde, dann muss hier einfach eine Schonzeit, also ein Angelverbot her." Das würde zwar beiden Anglern das Herz zerreißen, aber aus ihrer Sicht wäre das eine einfache und auch kontrollierbare Lösung.
Der Landesanglerverband Brandenburg möchte ein Angelverbot an der Alten Fahrt auf jeden Fall verhindern. "Wir wollen im Sinne aller Mitglieder bei uns weiterhin allen Anglerinnen und Anglern das Fischen an der Alten Fahrt ganzjährig ermöglichen", sagt Daniel Müller. Man beobachte nun schon im zweiten Jahr ganz genau, was dort in Potsdam passiere und würde dann dementsprechend reagieren. Ein Angelverbot käme als Lösung für den LAVB aber nicht in Frage.
Anmerkung der Redaktion: Weder das Ordnungsamt Potsdam noch der Fischereischutzverein "Havel" Potsdam e.V. haben sich auf Anfrage bis zur Veröffentlichung des Artikels geäußert.
Sendung: Angebissen - Der Angelpodcast vom rbb, 13.01.2023