Ex-Spielerinnen von Turbine Potsdam - "Der Verein hat den Absprung verpasst und das Innovative verloren"
Einst Vorzeigeprojekt, nun auf dem letzten Tabellenplatz: Turbine Potsdam steckt in der Krise. Frühere Spielerinnen sprechen von schlechten Bedingungen und chaotischen Strukturen. Auch im zurückgetretenen Vorstand soll es eine Spaltung gegeben haben. Von Tamara Keller
"Was ist eigentlich los bei Turbine Potsdam?" Das ist eine Frage, die im letzten halben Jahr vermehrt gestellt wurde, gemeint war damit vor allem die sportliche Leistung. Aktuell steht das Team mit einem Punkt auf dem letzten Tabellenplatz in der ersten Bundesliga. Vergangene Saison waren die Turbinen noch knapp an der Champions League-Qualifikation gescheitert und hatten am Ende den vierten Platz belegt.
Aber auch neben dem Platz war viel los: Im Sommer zuvor hatte man den Vertrag vom amtierenden Trainer Sofian Chahed zur neuen Saison hin aufgelöst. Daraufhin trat der damalige Präsident Rolf Kutzmutz zurück, kurz darauf Vizepräsident Uwe Reher und weitere Vorstandsmitglieder. Als im Herbst die sportliche Leistung nicht stimmte, wurde sich vom neuen Trainer Sebastian Middeke getrennt. Die größte Zäsur für den Verein war jedoch, als zur Sommerpause zwölf Spielerinnen, also fast die Hälfte des Kaders, den Verein verließen.
"Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir uns nur auf den Fußball konzentrieren können"
"Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir uns nur auf den Fußball konzentrieren können", sagt eine der Spielerinnen, die den Verein verlassen hat. Insgesamt hat rbb|24 mit sechs ehemaligen Spielerinnen gesprochen, die alle anonym bleiben wollen. Die Aussagen zeichnen ein Bild von tiefen strukturellen Problemen innerhalb des Vereins, die sich bis in die Gegenwart fortsetzen sollen und dem Wunsch von Spielerinnen-Seite nach mehr Fortschritt.
Laut den Spielerinnen spiegelt der Erfolg der vergangenen Saison nicht wider, was im Hintergrund alles schief laufe. "Das klingt krass - aber unsere Leistung auf dem Platz war überdurchschnittlich, trotz schlechter Strukturen", sagt eine Spielerin. Konkret tauchen folgende Probleme besonders häufig in den Schilderungen auf: Schlechte Platz- und Trainingsbedingungen, Kommunikationsprobleme - zum Beispiel, dass Physios teilweise gar nicht wissen, welche Verletzungsprobleme eine Spielerin hat. Das Trainerteam sei für sämtliche Kommunikation verantwortlich und damit für die Spielerinnen bemerkbar überlastet. Die eigentlichen Aufgaben des Trainerteams fallen hinten runter. Zudem fehle dem Verein eine Weiterentwicklung und Anpassung an den modernen Fußball der Frauen.
Viele Spielerinnen schildern, dass die Struktur und Herangehensweise der Turbine-Erfolgsphase von vor zehn Jahren noch gelten. "Das Thema ist sehr komplex", sagt eine Spielerin. "Vor zehn Jahren hatte man einen Vorsprung in der Infrastruktur, jetzt ist der Frauenfußball gewachsen und die Strukturen ähneln mehr dem Männerfußball. Der Verein hat den Absprung verpasst und das Innovative verloren und sich in der Phase des Erfolgs ausgeruht." Turbine verliere durch das steife Image, so sehen es die Spielerinnen, immer mehr an Sponsoren.
Wunsch nach Management und sportlicher Leitung
Was die interne Kommunikation betrifft, fehlen den Spielerinnen die Ansprechpartnerinnen. Die Spielerinnen selbst schildern, sie hätten versucht, zur Veränderung beizutragen: "Man hat ja doch immer das Herz auch im Verein." So habe man sich häufiger über mehrere Saisons hinweg zusammengesetzt, gemeinsam Strukturpläne erarbeitet. Als Lösungen habe man an die Führungsebenen den Wunsch nach einem Management, Team-Betreuerin oder einer Sportdirektion herangetragen.
"Wir haben viele Gespräche geführt, sehr sehr oft die gleichen Themen angesprochen, dass wir mehr Personal brauchen und die Bedingungen sich verändern müssen", schildert eine weitere Ex-Spielerin. "Sowas sollte aber nicht nur von uns kommen." Allerdings habe man auch die Überlastung beim ehrenamtlichen Vorstand gesehen. Aus Sicht der ehemaligen Spielerinnen spricht aber genau diese Situation dafür, mehr Strukturen unabhängig vom Ehrenamt zu schaffen.
Es hapert an der Kommunikation
Ihre Ideen seien begeistert entgegengenommen worden, sagen die Spielerinnen, spürbar etwas geändert habe sich aber nie etwas. Oft sei die Antwort gewesen: Das Geld fehle. "Eine Stelle für sportliche Leitung muss geschaffen werden", sagt der aktuelle Geschäftsführer Stephan Schmidt auf Nachfrage. Es sei eine der wichtigsten Aufgaben, der sich der neue Vorstand, der am 6. Januar gewählt werden soll, stellen müsse.
rbb|24 hat mit unterschiedlichen Personen gesprochen, die zu verschiedenen Zeiten Teil der Vereinsführung waren und die teilweise anonym bleiben wollen. Laut diesen Aussagen erreichten die Anliegen der Spielerinnen nicht alle im Vorstand, allgemein soll es dort am Informationsfluss gehapert haben. Teile des Vorstandes sollen auf konkrete Fragen zur Sponsorenakquise keine Antwort bekommen haben. Gerade bei den Diskussionen rund um Finanzierung moderner Strukturen, wäre so ein Einblick wichtig gewesen.
Spaltung zwischen Vorstand und Präsidium?
Konfrontiert mit diesen Vorwürfen sagt der im Sommer zurückgetretene Präsident Rolf Kutzmutz, der sich auch um die Sponsoren kümmerte: "Wenn es um Dinge geht, die kein anderer übernehmen wollte und ich mich dieser Sache angenommen habe - dann ist es schon so, dass ich diesen Vorwurf auf meine Kappe nehme. Weil dann habe ich auch keinen großen Grund gesehen, darüber Rechenschaft abzulegen." Während der Vorstandssitzungen habe es laut Kutzmutz aber keine solche Vorwürfe gegeben.
Andere Personen schildern, dass es in den Vorstandssitzungen vor den geballten Rücktritten im Sommer und Herbst mehrfach geknallt habe. Es soll eine Spaltung zwischen dem Vorstand und dem Präsidium - also zwischen Befürwortern für ein fortschrittliches Turbine und Befürwortern der alten Strukturen - gegeben haben. Kutzmutz sagt, ihm hätten immer die konkreten Vorschläge für eine Umstrukturierung gefehlt.
Neuer Präsident will "das Ruder rumreißen"
Laut Schilderungen der Ex-Spielerinnen habe auch der aktuelle Kader zum Training auf einen nicht ausreichend großen Ausweichplatz gemusst, um für andere Potsdamer Klubs Platz zu machen. Geschäftsführer Stephan Schmidt bestätigt, dass es derzeit mehrere Baustellen gebe, die Platzbedingungen seien von den Spielerinnen mehrfach angesprochen worden. Mehrere Vorstandsmitglieder bestätigen, dass man in der Vergangenheit immer wieder in Verhandlungen mit der Stadt gewesen sei, weil es zu wenig Sportplätze für die zahlreichen ansässigen Vereine gäbe. Aktuell soll aber eine zufriedenstellende Lösung gefunden worden sein.
Im vergangenen November wurde Karsten Ritter-Lang als neuer Präsident von Turbine Potsdam gewählt. Da die Äußerungen der Spielerinnen nicht in Verbindung mit seiner Amtszeit stehen, haben wir ihn mit den Aussagen nicht konfrontiert. Kurz nach seiner Wahl sagte er gegenüber rbb|24: "Es ist sicherlich nicht die verlockendste Aufgabe in den Zeiten." Er sei aber nach Gesprächen mit Team und Fans motiviert "das Ruder rumzureißen".
Die Ex-Spielerinnen erhoffen sich, dass das neue Präsidium einen Wandel für den Verein bringt: "Es braucht auf der Kulturebene mehr Offenheit. Mehr gemeinsames Arbeiten und nicht das 'Jeder zieht sein Ding durch'. Mehr aufeinander hören, aufeinander zugehen und gemeinsam daran arbeiten. Ich wünsche mir das für Turbine."
Sendung: rbb24, 06.01.2023, 21:45 Uhr