Ex-Spielerinnen von Turbine Potsdam - "Der Verein hat den Absprung verpasst und das Innovative verloren"

Mo 02.01.23 | 06:13 Uhr | Von Tamara Keller
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Das Logo von Turbine Potsdam (imago images/Martin Hoffmann)
Bild: imago images/Martin Hoffmann

Einst Vorzeigeprojekt, nun auf dem letzten Tabellenplatz: Turbine Potsdam steckt in der Krise. Frühere Spielerinnen sprechen von schlechten Bedingungen und chaotischen Strukturen. Auch im zurückgetretenen Vorstand soll es eine Spaltung gegeben haben. Von Tamara Keller

"Was ist eigentlich los bei Turbine Potsdam?" Das ist eine Frage, die im letzten halben Jahr vermehrt gestellt wurde, gemeint war damit vor allem die sportliche Leistung. Aktuell steht das Team mit einem Punkt auf dem letzten Tabellenplatz in der ersten Bundesliga. Vergangene Saison waren die Turbinen noch knapp an der Champions League-Qualifikation gescheitert und hatten am Ende den vierten Platz belegt.

Aber auch neben dem Platz war viel los: Im Sommer zuvor hatte man den Vertrag vom amtierenden Trainer Sofian Chahed zur neuen Saison hin aufgelöst. Daraufhin trat der damalige Präsident Rolf Kutzmutz zurück, kurz darauf Vizepräsident Uwe Reher und weitere Vorstandsmitglieder. Als im Herbst die sportliche Leistung nicht stimmte, wurde sich vom neuen Trainer Sebastian Middeke getrennt. Die größte Zäsur für den Verein war jedoch, als zur Sommerpause zwölf Spielerinnen, also fast die Hälfte des Kaders, den Verein verließen.

"Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir uns nur auf den Fußball konzentrieren können"

"Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir uns nur auf den Fußball konzentrieren können", sagt eine der Spielerinnen, die den Verein verlassen hat. Insgesamt hat rbb|24 mit sechs ehemaligen Spielerinnen gesprochen, die alle anonym bleiben wollen. Die Aussagen zeichnen ein Bild von tiefen strukturellen Problemen innerhalb des Vereins, die sich bis in die Gegenwart fortsetzen sollen und dem Wunsch von Spielerinnen-Seite nach mehr Fortschritt.

Laut den Spielerinnen spiegelt der Erfolg der vergangenen Saison nicht wider, was im Hintergrund alles schief laufe. "Das klingt krass - aber unsere Leistung auf dem Platz war überdurchschnittlich, trotz schlechter Strukturen", sagt eine Spielerin. Konkret tauchen folgende Probleme besonders häufig in den Schilderungen auf: Schlechte Platz- und Trainingsbedingungen, Kommunikationsprobleme - zum Beispiel, dass Physios teilweise gar nicht wissen, welche Verletzungsprobleme eine Spielerin hat. Das Trainerteam sei für sämtliche Kommunikation verantwortlich und damit für die Spielerinnen bemerkbar überlastet. Die eigentlichen Aufgaben des Trainerteams fallen hinten runter. Zudem fehle dem Verein eine Weiterentwicklung und Anpassung an den modernen Fußball der Frauen.

Wir haben viele Gespräche geführt, sehr sehr oft die gleichen Themen angesprochen, dass wir mehr Personal brauchen und die Bedingungen sich verändern müssen.

Spielerin von Turbine Potsdam (anonym)

Viele Spielerinnen schildern, dass die Struktur und Herangehensweise der Turbine-Erfolgsphase von vor zehn Jahren noch gelten. "Das Thema ist sehr komplex", sagt eine Spielerin. "Vor zehn Jahren hatte man einen Vorsprung in der Infrastruktur, jetzt ist der Frauenfußball gewachsen und die Strukturen ähneln mehr dem Männerfußball. Der Verein hat den Absprung verpasst und das Innovative verloren und sich in der Phase des Erfolgs ausgeruht." Turbine verliere durch das steife Image, so sehen es die Spielerinnen, immer mehr an Sponsoren.

Wunsch nach Management und sportlicher Leitung

Was die interne Kommunikation betrifft, fehlen den Spielerinnen die Ansprechpartnerinnen. Die Spielerinnen selbst schildern, sie hätten versucht, zur Veränderung beizutragen: "Man hat ja doch immer das Herz auch im Verein." So habe man sich häufiger über mehrere Saisons hinweg zusammengesetzt, gemeinsam Strukturpläne erarbeitet. Als Lösungen habe man an die Führungsebenen den Wunsch nach einem Management, Team-Betreuerin oder einer Sportdirektion herangetragen.

"Wir haben viele Gespräche geführt, sehr sehr oft die gleichen Themen angesprochen, dass wir mehr Personal brauchen und die Bedingungen sich verändern müssen", schildert eine weitere Ex-Spielerin. "Sowas sollte aber nicht nur von uns kommen." Allerdings habe man auch die Überlastung beim ehrenamtlichen Vorstand gesehen. Aus Sicht der ehemaligen Spielerinnen spricht aber genau diese Situation dafür, mehr Strukturen unabhängig vom Ehrenamt zu schaffen.

Es hapert an der Kommunikation

Ihre Ideen seien begeistert entgegengenommen worden, sagen die Spielerinnen, spürbar etwas geändert habe sich aber nie etwas. Oft sei die Antwort gewesen: Das Geld fehle. "Eine Stelle für sportliche Leitung muss geschaffen werden", sagt der aktuelle Geschäftsführer Stephan Schmidt auf Nachfrage. Es sei eine der wichtigsten Aufgaben, der sich der neue Vorstand, der am 6. Januar gewählt werden soll, stellen müsse.

rbb|24 hat mit unterschiedlichen Personen gesprochen, die zu verschiedenen Zeiten Teil der Vereinsführung waren und die teilweise anonym bleiben wollen. Laut diesen Aussagen erreichten die Anliegen der Spielerinnen nicht alle im Vorstand, allgemein soll es dort am Informationsfluss gehapert haben. Teile des Vorstandes sollen auf konkrete Fragen zur Sponsorenakquise keine Antwort bekommen haben. Gerade bei den Diskussionen rund um Finanzierung moderner Strukturen, wäre so ein Einblick wichtig gewesen.

Spaltung zwischen Vorstand und Präsidium?

Konfrontiert mit diesen Vorwürfen sagt der im Sommer zurückgetretene Präsident Rolf Kutzmutz, der sich auch um die Sponsoren kümmerte: "Wenn es um Dinge geht, die kein anderer übernehmen wollte und ich mich dieser Sache angenommen habe - dann ist es schon so, dass ich diesen Vorwurf auf meine Kappe nehme. Weil dann habe ich auch keinen großen Grund gesehen, darüber Rechenschaft abzulegen." Während der Vorstandssitzungen habe es laut Kutzmutz aber keine solche Vorwürfe gegeben.

Andere Personen schildern, dass es in den Vorstandssitzungen vor den geballten Rücktritten im Sommer und Herbst mehrfach geknallt habe. Es soll eine Spaltung zwischen dem Vorstand und dem Präsidium - also zwischen Befürwortern für ein fortschrittliches Turbine und Befürwortern der alten Strukturen - gegeben haben. Kutzmutz sagt, ihm hätten immer die konkreten Vorschläge für eine Umstrukturierung gefehlt.

Neuer Präsident will "das Ruder rumreißen"

Laut Schilderungen der Ex-Spielerinnen habe auch der aktuelle Kader zum Training auf einen nicht ausreichend großen Ausweichplatz gemusst, um für andere Potsdamer Klubs Platz zu machen. Geschäftsführer Stephan Schmidt bestätigt, dass es derzeit mehrere Baustellen gebe, die Platzbedingungen seien von den Spielerinnen mehrfach angesprochen worden. Mehrere Vorstandsmitglieder bestätigen, dass man in der Vergangenheit immer wieder in Verhandlungen mit der Stadt gewesen sei, weil es zu wenig Sportplätze für die zahlreichen ansässigen Vereine gäbe. Aktuell soll aber eine zufriedenstellende Lösung gefunden worden sein.

Im vergangenen November wurde Karsten Ritter-Lang als neuer Präsident von Turbine Potsdam gewählt. Da die Äußerungen der Spielerinnen nicht in Verbindung mit seiner Amtszeit stehen, haben wir ihn mit den Aussagen nicht konfrontiert. Kurz nach seiner Wahl sagte er gegenüber rbb|24: "Es ist sicherlich nicht die verlockendste Aufgabe in den Zeiten." Er sei aber nach Gesprächen mit Team und Fans motiviert "das Ruder rumzureißen".

Die Ex-Spielerinnen erhoffen sich, dass das neue Präsidium einen Wandel für den Verein bringt: "Es braucht auf der Kulturebene mehr Offenheit. Mehr gemeinsames Arbeiten und nicht das 'Jeder zieht sein Ding durch'. Mehr aufeinander hören, aufeinander zugehen und gemeinsam daran arbeiten. Ich wünsche mir das für Turbine."

Sendung: rbb24, 06.01.2023, 21:45 Uhr

Beitrag von Tamara Keller

11 Kommentare

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  1. 11.

    Also ich könnte jetzt konkret auf wahrscheinlich Dutzende Zeitungsartikel über Pfleger*innen verweisen, die den Job gekündigt haben und dann Arbeitszeiten, Gehalt und Co. kritisiert haben, aber das führt zu weit. Zumal Sie ja auch offensichtlich grundsätzlich nicht glauben, dass es solche Situationen gibt. „Jahre später“ ist im Übrigen Blödsinn, die Spielerinnen sind größtenteils vor etwa sechs Monaten gegangen. Ist also auch nichts Halbgares von anno dunnemals, sondern konkret und akut. Und was Sie als „niederträchtig“ verstehen ... Überlegen Sie mal, wer in unserer Gesellschaft wirklich niederträchtig ist. Sicherlich keine Fußballspielerinnen, die ein bisschen Kritik am System üben.

  2. 10.

    Sie verkennen die Situation.
    Die von Ihnen angeführten Mitarbeiter sind noch tätig in den Arbeitsbereichen und nicht "Ehemalige".
    Wenn es Missstände gibt, gehören sie umgehend aufgeklärt und nicht durch Nachtreten Jahre später. Das ist charakterlich niederträchtig.

  3. 9.

    Sie verkennen die Situation.
    Die von Ihnen angeführten Mitarbeiter sind noch tätig in den Arbeitsbereichen und nicht "Ehemalige".
    Wenn es Missstände gibt, gehören sie umgehend aufgeklärt und nicht durch Nachtreten Jahre später. Das ist charakterlich niederträchtig.

  4. 8.

    "Listen to each other more, approach each other and look for solutions together". Good luck to Turbine Potsdam in the new year. Good luck to Karsten Ritter-Lang for his leadership task.

    Tamara Keller has presented journalistically credible research. Along with Annika Becker and Frank Hellmann, she is one of the journalists worth reading when it comes to the topic of women's football in Germany.

    It is remarkable that six former players who were on the pitch for Turbine at highlights such as the quarter-finals, semi-finals and final of the 2022 DFB Cup are claiming their right to whistleblower protection. "The team is the star:"
    I wish you a happy new year as well. "The team is the star."

  5. 7.

    Die Frauen werden ihre Gründe haben anonym bleiben zu wollen. Gründe die wir nicht kennen, aber es ihr gutes Recht.

  6. 6.

    @Fritz und @Torsten Neumann: Sind dann für Sie Pflegekräfte, die anonym über Misstände berichten oder rbb-Mitarbeiter*innen, die unerkannt zum Fall Schlesinger berichten wollen, auch „charakterlich schwache Nachtreter“?

  7. 5.

    Das Dilemma begann letzte Saison als man völlig unnötig Sofian Chahed als Trainer entließ, danach ging eine gute Spielerin nach der anderen weg.

    Und man denkt das sich die Leute nur profilieren wollen, siehe damals die Präsidentenwahl als man sich scheute Tabea Kemme zu wählen.

    Deshalb hält sich mein Mitleid dort in Grenzen, weil der Abstieg der wohl folgen wird hausgemacht und selbstverschuldet ist.

  8. 4.

    Ich empfinde ja anonyme "Nachtreter" als charakterlich schwach und das der RBB solchen Personen ein Forum geben, bedenklich.

  9. 3.

    Warum anonym? Verein verlassen.....kritisieren.....aber warum dann anonym?

  10. 2.

    Leider bestätigen diese Berichte immer wieder, was auch ich aus entsprechenden Kreisen mitbekomme. Ist nur zu hoffen, dass der an diesem Freitag neu zu wählende Großteil des Vorstandes die Fähigkeit des Umdenkens mit sich bringt. Bei der Vorstellung der Kandidat*innen Mitte Dezember war diese m. E. bestenfalls mäßig ausgeprägt. Insbesondere einige der alten Herren bestätigten leider wie zu erwarten meine Befürchtungen eines Stehenbleibens in der Zeit. 2024 stehen dann die nächsten ordentlichen Neuwahlen von Vorstand und Verwaltungsrat an und wenn in den knapp anderthalb Jahren bis dahin keine Besserung in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Kommunikation, Antidiskriminierung und Image eintritt, werde ich wohl selbst antreten müssen.

  11. 1.

    Ich bin ja großer Fan meine Oma und mein Opa wohnten in Babelsberg und meine Tante in Potsdam und ich habe die guten Jahre miterlebt.
    Tatsache ist der Verein braucht dringend Hilfe und muss mit seiner Spielstätte und Trainingsanforderungen aufs Neue umgestellt werden.
    Ich hoffe das noch was passiert um das Ruder rumzureißen.

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