Start in Fußball-Saison - Die drei größten Herausforderungen für den 1. FC Union
Der 1. FC Union eilt seit Jahren von Erfolg zu Erfolg. Die ganze Fußball-Bundesliga wartet auf den Einbruch. Auf Trainer Urs Fischer warten einige Herausforderungen, wenn er Union trotzdem oben halten will. Von Till Oppermann
Eine Woche vor dem Pflichtspielstart und beim Fußball-Bundesligisten 1. FC Union läuft schon wieder alles wie am Schnürchen: ausverkaufter Heimbereich im letzten Testspiel, ein 4:1-Sieg gegen die italienische Spitzenmannschaft Atalanta und Neuzugänge in Topform. Was will man da eigentlich noch mehr?
1. Das Spiel mit dem Ball
Trainer Urs Fischer hatte nach der erfolgreichen Generalprobe eine typische Antwort parat. Das Ergebnis sei herausragend, lobte er, fügte aber an: "Man hat auch gesehen, dass wir doch unsere Probleme hatten im Spiel mit dem Ball." Insbesondere in Umschaltsituationen hätte er sich mehr Ballbesitz gewünscht, sagte Fischer.
"Ist der denn nie zufrieden", könnte man jetzt genervt fragen. Immerhin hatte seine Mannschaft nicht nur vier Tore geschossen, sondern drei von ihnen auch noch mustergültig herausgespielt und damit eine Entwicklung angedeutet: Einen derart perfekt getimten Chipball wie von Alex Kral vor dem 4:1 haben selbst die erfolgsverwöhnten Unioner in den vergangenen Jahren so nicht gesehen.
Fischers Skepsis leuchtet ein, wenn man sich vor Augen führt, gegen wen Union in den vergangenen Saisons die bittersten Niederlagen einstecken musste. Mannschaften wie die SpVgg Fürth, den FC Augsburg, den VfL Bochum oder in der Europa League Union St. Gilloise eint, dass sie den Köpenickern mit einer kompakten Defensive vor Augen führten, dass sie spielerische Mängel haben und ziemlich hilflos wirken, wenn ein Gegner tief steht. Urs Fischer möchte in dieser Saison endlich das einzige schaffen, was ihm mit Union bisher noch nicht gelungen ist. Seine Mannschaft soll endlich auch mit mehr Ballbesitz klarkommen.
Versuche, das zu erreichen, gab es viele, aber keiner fruchtete. Die Leihe von Yunus Malli im ersten Bundesliga-Jahr, Experimente mit einer Viererkette, um eine weitere Offensivkraft aufstellen zu können, und die Verpflichtung von Milos Pantovic bleiben allenfalls Fußnoten in der Union-Geschichte. Gerade im Hinblick auf eine Bundesliga mit Gegnern wie Darmstadt, Heidenheim, Augsburg, Bochum, die allesamt den Teufel tun werden, gegen Union das Spiel zu machen, ist die Entwicklung des Ballbesitz-Spiels wichtiger denn je.
2. Das Mittelfeld moderieren
Eine besondere Verantwortung wird dabei dem Mittelfeld zukommen. Tage vor dem Saison-Start im Pokal gegen Walldorf ist noch nicht klar, wie Urs Fischer die Dreierreihe formieren wird. Rani Khedira ist gesetzt, um die zwei weiteren Positionen streiten sich Janik Haberer, Aissa Laidouni, Alex Kral, Lucas Tousart, Brenden Aaronson und perspektivisch auch Nachwuchsnationalspieler Aljoscha Kemlein und der zuletzt Dauerverletzte Andras Schäfer. Da sind Enttäuschungen programmiert, zumal der Großteil der Genannten in der vergangenen Saison entweder bei Union oder bei einem anderen Verein gesetzt war. "Der Konkurrenzkampf ist da, die Jungs nehmen den toll an", lobte Fischer, wohlwissend, dass er die "Qual der Wahl" hat, wie er es formulierte.
Da haben es seine Spieler schwerer: Manchen von ihnen bleibt nur die Qual der Bank. Insbesondere Laidouni und Haberers Spielanteile stehen auf der Kippe - und das, obwohl beide eine gute Vorbereitung gespielt haben. Die taktische Ausrichtung könnte gegen sie sprechen. Denn auf dem kreativen und dribbelstarken Brenden Aaronson ruht Fischers Hoffnung, die offensive Durchschlagskraft in Ballbesitz zu verbessern.
Um ihn als Zehner spielen lassen zu können, testete der Trainer immer wieder mit einer Doppelsechs bestehend aus Khedira und einem Nebenmann. Gegen Atalanta begann Laidouni, Alex Kral bekam insgesamt in dieser Vorbereitung etwas mehr Spielzeit. Und dann wäre da noch Lucas Tousart, der als Wunschspieler von Urs Fischer gilt und bald von seiner Verletzung zurückkehrt. In der Hinrunde bleiben Fischer viele Gelegenheiten sie alle spielen zu lassen. Sollte sich Union früh aus Pokal und Champions League verabschieden, werden manche sich regelmäßig auf der Bank oder sogar der Tribüne wiederfinden.
3. Späte Abgänge
Schon nachdem die Qualifikation für die Champions League perfekt war, prophezeite Oliver Ruhnert eine lange Transferphase. Er behält Recht: Nach wie vor droht Union der Abgang von Sheraldo Becker und Danilho Doekhi, zwei Leistungsträgern der Vor-Saison. Und nach wie vor sind zwei Planstellen im Kader unbesetzt. Union sucht noch nach einem Linksfuß für die Innenverteidigung und einem linken Flügelverteidiger, der Jerome Roussillon Konkurrenz machen soll. Dass Union Neuzugänge schnell integrieren kann, bewies die letzte Winter-Transferperiode, als mit Josip Juranovic und Rousillon zwei Verstärkungen für die Außenbahnen kamen.
Mehr Sorgen machen also die potenziellen Abgänge. Insbesondere der mögliche Wechsel von Becker treibt alle in Köpenick um, schließlich war der 28-Jährige im vergangenen Jahr Unions Top-Scorer und wäre im nächsten Sommer ablösefrei. Im Trainings-Lager brach Becker sogar ein Training ab, gegen Atalanta wurde er nur eingewechselt. "Du weißt nicht, was nächste Woche ist", kommentierte Urs Fischer. Man müsse vorbereitet sein.
Noch schwerer könnte die Berliner allerdings der mögliche Verkauf von Doekhi treffen, auf den Union schlechter vorbereitet wäre. Denn anders als für Becker steht für den Innenverteidiger noch kein Ersatz bereit, der sich in den letzten Wochen einspielen konnte. Unions Erfolg fußt traditionell auf einer starken Defensive. Die Innenverteidigung ist das Prunkstück des Kaders. Der Verlust von Doekhi würde zumindest in der ersten Zeit dazu führen, dass Union etwas wackliger verteidigt als gewohnt.
Sendung: rbb24, 08.08.2023, 18 Uhr