Berlin-Marathon-Gründer Horst Milde - "Es war der große Traum für die Läufer"

Fr 22.09.23 | 06:13 Uhr
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Horst Milde
Audio: rbb24 Inforadio | 20.09.2023 | Vis à Vis mit Horst Milde | Bild: imago/Camera 4

Horst Milde war als Initiator des Berlin-Marathons ebenso ein Wegbereiter für die Laufbewegung in Deutschland. Im Interview spricht der 84-Jährige über anfängliche Hindernisse, den ersten Lauf durchs Brandenburger Tor und den Marathon-Boom.

rbb|24: Horst Milde, Sie waren Initiator und Gründer des ersten Berlin-Marathons 1974 im Grunewald und 30 Jahre lang Renndirektor dieses jährlichen, sportlichen Großereignisses in der Hauptstadt. Über die Jahre sind Sie mit diversen Titeln bedacht worden: "Mr. Marathon" oder "Der Mann, der Berlin das Laufen beibrachte" zum Beispiel. Welcher Titel gefällt Ihnen am besten?

Horst Milde: Gründer des Berlin-Marathons – richtigerweise, denn es gab keine anderen, die den Marathon mitbegründet haben. Zuvor hatte ich schon den Cross-Country-Lauf am Teufelsberg organisiert, das war 1964. Man hat dann mitbekommen, dass es weltweit große Marathon-Läufe gibt. Also habe ich mich informiert und mich gefragt: "Warum machen wir das nicht auch in Berlin?" 1974 fand dann zum ersten Mal der Marathon, der damals noch 1. Berliner Volksmarathon hieß, statt.

Traditionell verschicken Sie seit einigen Jahren vor jedem Marathon ein Papier, das mit dem Wort "Randthemen" überschrieben ist: Themen, die in der Aktualität keine so große Rolle spielen, für den Berlin-Marathon aber eine prägende Bedeutung haben oder hatten. In diesem Jahr geht es um die Entstehungsgeschichte. "Es ist nicht alles vom Himmel gefallen", schreiben Sie da. Erzählen Sie gerne mal von den schwierigen Anfängen mit dem ersten – von Ihnen bereits genannten – Cross-Lauf 1964.

Beim Cross-Lauf hatten wir gar keine Gegner. Das war im Grunewald, da musste ich mich alleine mit der Forst-Verwaltung in Verbindung setzen und die Leichtathleten überzeugen. Ich war damals Student an der Freien Universität und unser Sportreferent hatte uns zu einem Lauf nach Le Mans in Frankreich eingeladen. Wir waren es gewohnt, auf harten Waldwegen im Grunewald zu laufen. In Frankreich stellten wir fest, dass es bergauf und bergab ging, über Hindernisse und durch Matsch. Ich habe meinen Sportreferenten also gefragt, ob wir einen ähnlichen Cross-Lauf nicht auch in Berlin veranstalten wollen. Er sagte: "Können wir machen – wenn du die Arbeit machst!"

Die Polizei sagte: 'Herr Milde, die Straßen gehören den Autofahrern. Was Sie da machen, können Sie erstmal vergessen.'

Horst Milde über die Planungen des ersten Marathons

Ich habe mich dann ins Sport-Institut gesetzt und die Berliner – die Ruderer, die Kanuten, die Alliierten – angeschrieben und gefragt, ob sie daran teilnehmen wollen. 60, 70 oder 80 Teilnehmer waren damals bei Waldläufen die Norm. Durch die Unterstützung der Medien haben wir ein sensationelles Ergebnis mit 700 Teilnehmern im Grunewald gehabt.

Wie ging es dann weiter?

Der Leichtathletik-Verband sagte: "Macht mal weiter, ihr Studenten." 1973 hatte der Berliner Leichtathletik-Verband bereits einen Lauf mit 70 oder 80 Teilnehmern veranstaltet und war unendlich froh, dass so viele Leute mitgemacht haben. Da habe ich gesagt: Das kann ich besser. Also habe ich 1974 ein Datum festgelegt, an dem wir den 1. Volksmarathon in der Waldschulallee 80 starten wollten und wir hatten am Ende 286 Teilnehmer, was damals eine Riesenzahl war. Acht Jahre lang haben wir das da im Wald gemacht, der große Sprung gelang uns 1981, als wir am Reichstag unseren Start hatten. Die Schwierigkeiten waren zu der Zeit noch viel größer. Die Polizei sagte: "Herr Milde, die Straßen gehören den Autofahrern. Was Sie da machen, können Sie erstmal vergessen." Aber die französischen Alliierten waren der Vorreiter. Die haben einfach gesagt, dass sie einen 25-Kilometer-Lauf veranstalten. Da konnte die Polizei nichts machen. Ich habe am nächsten Tag einen Brief an die Stadt geschrieben, dass ich gleichbehandelt werden will. Und wir haben es durchgesetzt.

1990 gab es den Wiedervereinigungs-Marathon mit dem Lauf durchs Brandenburger Tor. Für Sie das Highlight in der Berlin-Marathon-Geschichte?

Nicht nur für mich, für alle, glaube ich. Das war ja der große Traum für die Läufer. Wir hatten unseren Startpunkt bis 1989 ja vor der Mauer. Als die Mauer fiel, haben wir schon drei oder vier Tage später den Crosslauf gehabt am Teufelsberg. Da kamen die ersten Läufer aus der DDR und Ostberlin, die teilgenommen haben. Das war eine Sensation. Ich traf dann einige Leute, die mit mir nach Hause kamen, darunter der Organisator Roland Winkler. Wir haben beschlossen, dass die an ihren Ostberliner Bürgermeister Erhard Krack schreiben und ich an den Westberliner Bürgermeister Walter Momper, dass wir einen Gesamtberliner Neujahrslauf machen wollen. Das konnten wir tatsächlich dann durchboxen. Das Brandenburger Tor wurde zur damaligen Zeit eingerüstet, weil es renoviert werden musste. Wir haben es geschafft, dass es entrüstet wurde für den Neujahrslauf. Tatsächlich konnten dann zum ersten Mal seit 38 Jahren Läuferinnen und Läufer durchs Brandenburger Tor laufen, bis zum Roten Rathaus und zurück. Das waren über 20.000 Teilnehmer aus aller Welt.

Sie lernten Konditor, später studierten Sie. Sie haben die elterliche Bäckerei in Tempelhof übernommen und viele Jahre geführt, bis 1998 – und nebenbei die Marathonbewegung vorangebracht. Hatte Ihr Tag 26 Stunden?

Ich räume gerade meinen Keller auf und sortiere hunderte von Ordnern. Wenn ich sehe, was ich da auf die Beine gestellt habe in den fast 60 Jahren, verstehe ich das heute überhaupt nicht mehr. Wenn Sie heute die Laufbewegung außerhalb des Marathons sehen, hat sie sich so diversifiziert, dass man es kaum glauben kann. Im Vergleich zu vor 50 Jahren etwa war das ganze noch unbekannt. Wenn man da Läufer auf der Straße gesehen hat, hat man gesagt, die haben eine Macke. Ich bin heute morgen kurz vor Sonnenaufgang auf der Straße gelaufen, da trifft man dann bereits Gleichgesinnte. Der Laufsport hat eine Entwicklung genommen, dass es zur Normalität gehört wie das tägliche Zähneputzen.

Sie sprechen es an, das tägliche Laufen spielt in Ihrem Leben auch mit Ihren fast 85 Jahren nach wie vor eine tägliche Rolle?

Natürlich. Ich trainiere aber natürlich nicht mehr zweimal am Tag, sondern altersgemäß. Der Körper erholt sich nicht mehr so schnell. Jeden zweiten Tag laufe ich morgens mindestens eine Stunde. An den anderen Tagen mache ich viel Gymnastik. Ich kann es allen anderen, die älter sind, wirklich nur empfehlen. Wenn man morgens auf die Straßen kommt, das ist ja himmlisch. Und wenn man dann durch die Tempelhofer Gartenkolonien läuft, das ist ein Erlebnis für sich.

Herr Milde, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führt Lars Becker, rbb Sport. Bei diesem Text handelt es sich um eine redigierte, gekürzte Fassung.

Sendung: rbb24 Inforadio, 21.09.2023

4 Kommentare

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  1. 3.

    Genau so war es, war bei einigen Besprechungen dabei. Die Straßen gehören den Autos. Wenn überhaupt, zunächst nicht durch die Innenstadt, Der Durchbruch kam mit 25km de Berlin. Übrigens ist es ähnlich mit der jährlichen Sternfahrt des ADFC passiert. Als sie 2009 erstmalig ein Teilstück über die BAB fahren wollten, kam derselbe Spruch, dass es nicht genehmigt werden kann, weil die BAB den Autofahrern gehört. Als Demonstration musste es nach einem Urteil des VG Berlin dann doch genehmigt werden.

  2. 2.

    Bei dem Neujahrslauf 1990 war ich dabei. Uns wurde geraten, vorsichtshalber den Perso mitzunehmen. Am Brandenburger Tor standen VoPos, ich bekam auf meine Startnummer einen Einreisestempel! Die Startnummer habe ich aufgehoben.

  3. 1.

    Wer sich die Laufstrecke des Marathon anschaut, erkennt leicht, dass das immer noch eine West-Berliner Veranstaltung ist. Der kleine symbolische Schlenker am Alex vorbei durch das Brandenburger Tor ist weiterhin nur schwach.

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