Zwischenfazit der EM in Berlin - Sportliche Höhenflüge, preisliche Tiefschläge
Die Gruppenspiele der Fußball-EM sind Geschichte. Sportliche Glanzlichter wurden begleitet von positiven und negativen Randnotizen. Ein erstes Zwischenfazit für die Hauptstadt. Von Fabian Friedmann
Sportlich: Hochklassige und torreiche Spiele
Rein sportlich betrachtet waren die Gruppenspiele der Fußball-Europameisterschaft in Berlin absolut hochklassig und spannungsgeladen. So manches EM-Publikum musste trost- und torlose Unentschieden über sich ergehen lassen, nicht aber die Fans in der Hauptstadt. Den Anfang machten die Spanier, die beim souveränen 3:0 gegen Kroatien deutlich unter Beweis stellten, warum sie einer der absoluten Top-Favoriten auf den Titel sind.
Anschließend schrieb die österreichische Nationalmannschaft ihre Erfolgsstory im Berliner Olympiastadion. Das Team des deutschen Trainers Ralf Rangnick fertigte zunächst die Polen in ihrem zweiten Gruppenspiel mit 3:1 ab. Was folgte, war eine von Dramatik geprägte Partie gegen die Niederlande. Durchaus überraschend behielten die Österreicher auch hier mit 3:2 die Oberhand und dürfen sich seitdem zum engeren Favoritenkreis auf den Titel zählen. Das Team-Quartier in Berlin-Grunewald und die kurzen Wege dorthin scheinen sich schon jetzt auszuzahlen.
Fazit: drei EM-Spiele im Olympiastadion, dreimal Spektakel mit insgesamt zwölf Toren, im Schnitt also vier Tore pro Partie. Fußballherz, was willst du mehr? Das kommende Achtelfinale am Samstag (18 Uhr) in Berlin zwischen Schweiz und Italien verspricht ebenfalls ein spannendes Duell zu werden, wobei die "Azzurri" allerdings nicht für ihre torreichen Spiele bekannt sind.
Fans: Friedliche Stimmung mit dramatischen Nebengeräuschen
Das Spiel zwischen Spanien und Kroatien begann als friedliches Fußballfest und wurde nach dem Abpfiff von unschönen Szenen im Olympiastadion begleitet. Laut Polizei war es zu einer Auseinandersetzung zwischen 50 Personen gekommen. Die Beteiligten hätten sich geschubst und beleidigt, sagte ein Sprecher. "Am Ort eingesetzte Dienstkräfte konnten die Lage beruhigen", teilte die Berliner Polizei mit.
Erheblich dramatischer war die Lage beim Spiel Österreich gegen Polen. Ein polnischer Fan verletzte sich nach einem Tribünen-Sturz schwer. Wie die Feuerwehr rbb|24 bestätigte, war der Fan vom Unterrang rund drei Meter tief in den Graben gefallen. Er war kurzzeitig bewusstlos, Rettungskräfte brachten den Mann in ein Krankenhaus. Es habe aber keine Anzeichen für ein Fremdverschulden gegeben. Österreichische Fans zeigten darüber hinaus im Stadion ein rechtes Banner. Am Eingang zur Fanzone am Brandenburger Tor gab es eine Auseinandersetzung zwischen Ordnern und polnischen Fans. Die Polizei musste eingreifen. Es kam zu zehn Festnahmen, acht Beamte wurden durch Stein- und Flaschenwürfe verletzt.
Wesentlich friedlicher lief der erste Auftritt der niederländischen Anhänger in der Hauptstadt ab. Bei strahlendem Sonnenschein feierten 20.000 Oranje-Fans am 25. Juni ihr Fanfest vor der Messe Berlin mit anschließendem Fanmarsch. Es gab Schlagermusik und Glückseligkeit, soweit das Auge reichte. Auch im Nachgang der Partie gegen Österreich, die die Niederlländer mit 2:3 verloren, blieb es ruhig.
Fanzonen: Großer Andrang und horrende Preise
Die Berliner Fanmeile boomt auch zur Euro 2024. Mehr als 390 000 Menschen haben seit Beginn des Turniers die Berliner Fanzonen vor dem Brandenburger Tor und am Reichstag besucht. Mit 70.000 Gästen war der 23. Juni (Länderspiel Deutschland gegen Schweiz) bislang der besucherstärkste Tag, wie der Veranstalter Kulturprojekte Berlin mitteilte. Damit wurde die Kapazität der am vergangenen Sonntag erstmals erweiterten Fanzone voll ausgenutzt. Bereits eine Stunde vor dem Deutschland-Spiel mussten wegen des Andrangs Zugänge geschlossen werden. Die Stimmung wurde als "sehr freundlich" empfunden. Es gab laut Polizei keine nennenswerten Zwischenfälle.
Ein großer Wermutstropfen: Die Veranstalter konnten sich bislang nicht dazu durchringen, ein Gruppenspiel der Türkei auf der Fanmeile zu zeigen. Immerhin leben in Berlin weit mehr als 100.000 Türken und türkischstämmige Menschen. Die Richtlinie, wonach nur Deutschland-Spiele und Partien, die im Olympiastadion stattfinden, gezeigt werden, sollte überdacht werden. Zumal der türkischen Mannschaft der Einzug ins Achtelfinale geglückt ist. Die Fanzone am Reichstag, wo alle Spiele live zu sehen sind, war zuletzt zu häufig überfüllt.
Misstöne gab es auch zu den hohen Preisen in den Fanzonen. Bei Bier- und Bratwurstpreisen von jeweils sechs Euro eine durchaus berechtigte Kritik. Warum ein Mineralwasser fünf Euro kostet und man einen Becherpfand von drei Euro erheben muss, erschließt sich den wenigsten Fans. Selbstredend ist es jedem freigestellt, ob man ein EM-Spiel in der Eckkneipe zu anständigen Preisen verfolgt oder den Weg auf die Fanmeile auf sich nimmt. Aber die preisliche Schmerzgrenze ist eindeutig erreicht, wenn nicht sogar überschritten.
Wetter: Unwetterwarnungen und Sonne satt
Das Wetter spielte bislang nicht immer mit. Am Dienstag, den 18. Juni blieben die Fanfeste am Reichstag und Brandenburger Tor wegen Unwettergefahr komplett geschlossen. Die Partien Türkei gegen Georgien und Portugal gegen Tschechien konnten nicht gezeigt werden. Drei Tage später ließen Gewitterwarnungen den Verantwortlichen keine andere Wahl, als die Fanzonen erneut vorübergehend zu schließen. Betroffen davon waren vor allem die Fans aus Polen und Österreich, deren EM-Spiel an diesem Tag im Olympiastadion stattfand. Pünktlich zum Anpfiff wurde die Fanmeile aber wieder geöffnet.
Zuletzt spielte das Wetter wieder mit. Bei der Partie Niederlande gegen Österreich gab es blauen Himmel und sommerliche Temperaturen, die auch maßgeblich zu der angenehmen Stimmung auf den Fanfesten und Fanmärschen beitrugen. Für das Achtelfinale am Samstag (Schweiz gegen Italien) werden für die Hauptstadt sonniges Wetter und Temperaturen um die 30 Grad erwartet.
Ausblick: Sommermärchen 2.0?
Der Vergleich mit dem Sommermärchen von 2006 sollte vermieden werden, weil sich Geschichte grundsätzlich nicht wiederholt. Wir erinnern uns: Deutschland war zur damaligen WM fünf Wochen lang mit Sommerwetter gesegnet. Kaum ein Spiel fand im Regen statt. Allein das Wetter ist für die Euro 2024 ein anderes – und darüber hinaus auch das gesellschaftliche und politische Klima. Ob sich an der Stimmung im Lande und in Berlin angesichts der Krisen in den vergangenen Jahren durch die EM-Party dauerhaft etwas verändert, hängt besonders vom weiteren Turnierverlauf der DFB-Elf ab.
Der Sport-Philosoph Gunter Gebauer hat aber schon einen zarten Umschwung zum Positiven feststellen können. Im ZDF-Morgenmagazin vom 27. Juni [zdf.de] sagte der emeritierte Professor: "Die ersten Tage haben so etwas wie Trübnis weggewischt. Man hatte das Gefühl, man hat eine beschlagene Brille auf. Jetzt nimmt man sie runter, macht sie ein bisschen sauber und alles sieht schon wieder ein bisschen besser aus.“ Bleibt abzuwarten, wie es weitergeht.
Sendung: rbb24, 27.06.2024, 21:45 Uhr