Paketzusteller für Amazon - Im Netz der Subunternehmen
In einem Monat ist Weihnachten - fleißig werden jetzt Geschenke eingekauft und vor allem online bestellt. Es ist Hochsaison für Paketzusteller. Die Arbeitsbedingungen, unter denen sie arbeiten, sind oft unzumutbar. Von F. Montag, E. Angeloudis, G. Russew
Im Sekundentakt fährt ein weißer unbeschrifteter Van nach dem anderen auf das Amazon-Gelände in Hoppegarten vor den Toren Berlins. Black Friday steht vor der Tür. In einem Monat ist Weihnachten - Hochsaison für Paketzusteller.
Michael Wahl vom Beratungsnetzwerk "Faire Mobilität" des Deutschen Gewerkschaftsbundes reicht den Fahrern Infoflyer durch das Fahrerfenster - in zehn Sprachen übersetzt. Die Paketzusteller, alle männlich, viele sind migrantische Arbeitskräfte oder haben Migrationshintergrund - sie kommen aus Russland, Bulgarien, Polen und der Ukraine. Viele sprechen wenig Deutsch. Da kommt ein Flyer in der eigenen Muttersprache passend.
"Hi! Wenn es Probleme mit der Arbeit gibt, rufst du an, okay?", sagt der Gewerkschaftsvertreter zu einem Kurierfahrer vor dem Amazon-Depot und dem UPS-Center in Hoppegarten. "Was ist Deine Muttersprache?", "Bulgarisch", antwortet der Fahrer. "Okay, hier auf dem Zettel ist alles auch auf Bulgarisch. Du kannst uns auch in Deiner Sprache anrufen."
Geldabzüge bei Unfällen, Knöllchen selbst bezahlen
"Viele Menschen, die bei Amazon als Kurierfahrer arbeiten, haben einen Migrationshintergrund und sind an diese Arbeit auch wirklich gebunden, weil sie hoffen, dass sie so einen langfristigen Aufenthaltstitel bekommen", erläutert Gewerkschaftler Wahl. Benita Unger von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geht einen Schritt weiter: Viele deutsche Arbeitnehmer würden unter diesen Bedingungen bei den Subunternehmen gar nicht erst arbeiten. "Gerade geflüchtete Menschen gehen in ihrer Not diese Arbeitsverhältnisse ein."
Einer von ihnen ist der 31-jährige Malek* aus Syrien. Er ist vor eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommen. Zehn Monate arbeitet er bereits für ein Amazon-Subunternehmen, dessen Namen er nicht öffentlich nennen möchte. Das viele Treppensteigen bei der Auslieferung hat sich bei ihm bereits gesundheitlich ausgewirkt. Er klagt über Knieprobleme. Die Arbeitsbedingungen stimmten für ihn nicht.
"Es gab Geldabzüge bei Unfällen als Strafe", sagte Malek. Da er in Berlin gearbeitet hat, war er beim Ausliefern gezwungen falschzuparken, berichtet er. Er habe die Strafzettel selbst zahlen müssen. 200 Euro waren so auf einmal weg.
Das Netzwerk der Subunternehmen
Diese Berichte von Fahrern hat Unger schon häufiger gehört. Es gebe unterschiedliche Modelle bei den Subunternehmern. Manche Fahrer würden nach ausgelieferten Paketen, manche nach Stopps bezahlt. "Auf dieser Basis kann die Mindestlohn-Kontrolle gar nicht eingehalten werden", sagt Unger. Wenn jemand für über 200 Pakete in vielleicht zehn Stunden oder länger unterwegs sei, dürfte er kaum auf die zwölf Euro Mindestlohn kommen.
Und da kein Paketzusteller, der für Amazon arbeitet, direkt bei Amazon angestellt ist, läuft alles über dieses Netzwerk der Subunternehmer. Und damit nicht genug. Amazon verweist in seiner Antwort an den rbb darauf, dass es Partnern, nach vorheriger Abstimmung erlaube, bis maximal 15 Prozent ihres Volumens an andere Zustellunternehmen auszulagern - von Subunternehmen an weitere Subunternehmen.
Tariflohn gibt es bei keiner dieser Firmen
Malek kündigte und arbeitet seit zwei Monaten für ein anderes Subunternehmen. Bei seinem jetzigen Arbeitgeber seien seine Arbeitsbedingungen besser. Hier ist er jetzt zufrieden und arbeitet auch freiwillig samstags. Netto kann er so pro Arbeitstag 95 Euro einspielen, gerade mal den Mindestlohn. Wenn er auf einer Tour zu viele Pakete hat, bekommt er Hilfe von einem anderen Fahrer, sagte er dem rbb.
Die Arbeitsbedingungen, unter denen Malek und viele andere Zusteller arbeiten müssen, sind von Subunternehmen zu Subunternehmen unterschiedlich. Betriebsräte oder Tariflohn gibt es aber bei keiner dieser Firmen, kritisiert Benita Unger.
Daher fordert Unger ein Gesetz, das Subunternehmen verbietet: "Das größte Problem ist, dass viele Subunternehmer nicht die Arbeits- und Gesundheitsschutzbedingungen einhalten, die eigentlich erforderlich sind. Wir erleben dann auch wieder andere Subunternehmen, die wieder andere Subunternehmerketten beschäftigen. Da sind die Arbeits- und Lohnbedingungen überhaupt nicht mehr kontrollierbar", sagt Unger dem rbb.
Hotline für Fahrer
Amazon widerspricht dieser Darstellung. Man überprüfe regelmäßig Partnerunternehmen, um sicherzustellen, dass sie geltende Gesetze und Richtlinien einhalten, und ergreife Maßnahmen, wenn dies nicht der Fall ist, teilt ein Sprecher rbb|24 auf Anfrage mit.
"Wir haben in Deutschland außerdem eine Fahrer-Hotline eingerichtet, die allen Fahrer:innen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht. Dort können die Zusteller:innen auch anonym ihr Feedback abgeben. Wir gehen jedem Fall nach und klären mögliche Probleme mit dem zuständigen Arbeitgeber", heißt es in der Antwort von Amazon weiter. Bei Vertragsverletzungen oder Hinweisen auf illegale Handlungen beende Amazon die Zusammenarbeit mit dem Partner.
Bei wie vielen Subunternehmen, die Zusammenarbeit bereits beendet wurde, sagte Amazon nicht.
Verdi: Subunternehmen machen mit neuem Namen weiter
Aber auch wenn Verstöße von Subunternehmen auffliegen und Amazon den Werkvertrag aufkündigt, hat Verdi festgestellt, dass es weitere Optionen für die Rechtsbrecher gibt. "Die gleichen Subunternehmer setzten dann mit einem anderen Namen ihr Geschäft mit Amazon fort", sagt Unger rbb|24.
Malek machte von der Option der Fahrer-Hotline Gebrauch. Als er bei seinem alten Arbeitgeber kündigte, reichte er zudem Beschwerde bei Amazon über das Subunternehmen ein. Eine Antwort hat er bislang noch nicht bekommen. Ihm wurde gesagt, dass alles noch in Bearbeitung sei.
* Name geändert
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.11.2022, 17:03 Uhr