Paketzusteller für Amazon - Im Netz der Subunternehmen

Mo 28.11.22 | 09:49 Uhr | Von F. Montag, E. Angeloudis, G. Russew
  65
Paketbote übergibt zwei Amazon Pakete (Quelle: dpa)
AUDIO: rbb24 Inforadio | 23.11.2022 | Felicitas Montag | Bild: dpa

In einem Monat ist Weihnachten - fleißig werden jetzt Geschenke eingekauft und vor allem online bestellt. Es ist Hochsaison für Paketzusteller. Die Arbeitsbedingungen, unter denen sie arbeiten, sind oft unzumutbar. Von F. Montag, E. Angeloudis, G. Russew

Im Sekundentakt fährt ein weißer unbeschrifteter Van nach dem anderen auf das Amazon-Gelände in Hoppegarten vor den Toren Berlins. Black Friday steht vor der Tür. In einem Monat ist Weihnachten - Hochsaison für Paketzusteller.

Michael Wahl vom Beratungsnetzwerk "Faire Mobilität" des Deutschen Gewerkschaftsbundes reicht den Fahrern Infoflyer durch das Fahrerfenster - in zehn Sprachen übersetzt. Die Paketzusteller, alle männlich, viele sind migrantische Arbeitskräfte oder haben Migrationshintergrund - sie kommen aus Russland, Bulgarien, Polen und der Ukraine. Viele sprechen wenig Deutsch. Da kommt ein Flyer in der eigenen Muttersprache passend.

"Hi! Wenn es Probleme mit der Arbeit gibt, rufst du an, okay?", sagt der Gewerkschaftsvertreter zu einem Kurierfahrer vor dem Amazon-Depot und dem UPS-Center in Hoppegarten. "Was ist Deine Muttersprache?", "Bulgarisch", antwortet der Fahrer. "Okay, hier auf dem Zettel ist alles auch auf Bulgarisch. Du kannst uns auch in Deiner Sprache anrufen."

Geldabzüge bei Unfällen, Knöllchen selbst bezahlen

"Viele Menschen, die bei Amazon als Kurierfahrer arbeiten, haben einen Migrationshintergrund und sind an diese Arbeit auch wirklich gebunden, weil sie hoffen, dass sie so einen langfristigen Aufenthaltstitel bekommen", erläutert Gewerkschaftler Wahl. Benita Unger von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geht einen Schritt weiter: Viele deutsche Arbeitnehmer würden unter diesen Bedingungen bei den Subunternehmen gar nicht erst arbeiten. "Gerade geflüchtete Menschen gehen in ihrer Not diese Arbeitsverhältnisse ein."

Einer von ihnen ist der 31-jährige Malek* aus Syrien. Er ist vor eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommen. Zehn Monate arbeitet er bereits für ein Amazon-Subunternehmen, dessen Namen er nicht öffentlich nennen möchte. Das viele Treppensteigen bei der Auslieferung hat sich bei ihm bereits gesundheitlich ausgewirkt. Er klagt über Knieprobleme. Die Arbeitsbedingungen stimmten für ihn nicht.

"Es gab Geldabzüge bei Unfällen als Strafe", sagte Malek. Da er in Berlin gearbeitet hat, war er beim Ausliefern gezwungen falschzuparken, berichtet er. Er habe die Strafzettel selbst zahlen müssen. 200 Euro waren so auf einmal weg.

Das Netzwerk der Subunternehmen

Diese Berichte von Fahrern hat Unger schon häufiger gehört. Es gebe unterschiedliche Modelle bei den Subunternehmern. Manche Fahrer würden nach ausgelieferten Paketen, manche nach Stopps bezahlt. "Auf dieser Basis kann die Mindestlohn-Kontrolle gar nicht eingehalten werden", sagt Unger. Wenn jemand für über 200 Pakete in vielleicht zehn Stunden oder länger unterwegs sei, dürfte er kaum auf die zwölf Euro Mindestlohn kommen.

Und da kein Paketzusteller, der für Amazon arbeitet, direkt bei Amazon angestellt ist, läuft alles über dieses Netzwerk der Subunternehmer. Und damit nicht genug. Amazon verweist in seiner Antwort an den rbb darauf, dass es Partnern, nach vorheriger Abstimmung erlaube, bis maximal 15 Prozent ihres Volumens an andere Zustellunternehmen auszulagern - von Subunternehmen an weitere Subunternehmen.

Tariflohn gibt es bei keiner dieser Firmen

Malek kündigte und arbeitet seit zwei Monaten für ein anderes Subunternehmen. Bei seinem jetzigen Arbeitgeber seien seine Arbeitsbedingungen besser. Hier ist er jetzt zufrieden und arbeitet auch freiwillig samstags. Netto kann er so pro Arbeitstag 95 Euro einspielen, gerade mal den Mindestlohn. Wenn er auf einer Tour zu viele Pakete hat, bekommt er Hilfe von einem anderen Fahrer, sagte er dem rbb.

Die Arbeitsbedingungen, unter denen Malek und viele andere Zusteller arbeiten müssen, sind von Subunternehmen zu Subunternehmen unterschiedlich. Betriebsräte oder Tariflohn gibt es aber bei keiner dieser Firmen, kritisiert Benita Unger.

Daher fordert Unger ein Gesetz, das Subunternehmen verbietet: "Das größte Problem ist, dass viele Subunternehmer nicht die Arbeits- und Gesundheitsschutzbedingungen einhalten, die eigentlich erforderlich sind. Wir erleben dann auch wieder andere Subunternehmen, die wieder andere Subunternehmerketten beschäftigen. Da sind die Arbeits- und Lohnbedingungen überhaupt nicht mehr kontrollierbar", sagt Unger dem rbb.

Hotline für Fahrer

Amazon widerspricht dieser Darstellung. Man überprüfe regelmäßig Partnerunternehmen, um sicherzustellen, dass sie geltende Gesetze und Richtlinien einhalten, und ergreife Maßnahmen, wenn dies nicht der Fall ist, teilt ein Sprecher rbb|24 auf Anfrage mit.

"Wir haben in Deutschland außerdem eine Fahrer-Hotline eingerichtet, die allen Fahrer:innen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht. Dort können die Zusteller:innen auch anonym ihr Feedback abgeben. Wir gehen jedem Fall nach und klären mögliche Probleme mit dem zuständigen Arbeitgeber", heißt es in der Antwort von Amazon weiter. Bei Vertragsverletzungen oder Hinweisen auf illegale Handlungen beende Amazon die Zusammenarbeit mit dem Partner.

Bei wie vielen Subunternehmen, die Zusammenarbeit bereits beendet wurde, sagte Amazon nicht.

Verdi: Subunternehmen machen mit neuem Namen weiter

Aber auch wenn Verstöße von Subunternehmen auffliegen und Amazon den Werkvertrag aufkündigt, hat Verdi festgestellt, dass es weitere Optionen für die Rechtsbrecher gibt. "Die gleichen Subunternehmer setzten dann mit einem anderen Namen ihr Geschäft mit Amazon fort", sagt Unger rbb|24.

Malek machte von der Option der Fahrer-Hotline Gebrauch. Als er bei seinem alten Arbeitgeber kündigte, reichte er zudem Beschwerde bei Amazon über das Subunternehmen ein. Eine Antwort hat er bislang noch nicht bekommen. Ihm wurde gesagt, dass alles noch in Bearbeitung sei.

* Name geändert

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.11.2022, 17:03 Uhr

Beitrag von F. Montag, E. Angeloudis, G. Russew

65 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 65.

    Im „Paketboten-Schutz-Gesetz“ steht zum Thema „Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns“ NICHTS.
    Die schwarzen Schafe unter den Subunternehmen nutzen die Gesetzeslücke aus. Aber immerhin begründet das PSG eine „Nachhaftungspflicht“ von Generalunternehmern (Amazon & Co.).

  2. 64.

    "Kapitalismus bedeutet, dass ich, aufgrund eines freien Wettbewerbes, immer das Beste zum günstigsten Preis anstrebe."

    Falsch, das bedeutet der Kapitalismus nicht, das ist eine Stammtischparole oder alternativ eine Selbsttäuschung.

    Ihr geliebter freier Wettbewerb mit "dem Besten" zum "günstigsten Preis" und dazu noch "immer" funktioniert doch in der Realität überhaupt nicht. Wann bekommen Sie das denn alle 3 Faktoren gleichzeitig? Nie! Dafür bekommen Sie ungerechte Verteilung, Wirtschafts-Kriminalität, Korruption, Consultants, Ausbeutung. Ist Ihnen das nicht verständlich zu machen, dass einer weniger haben muss, damit ein anderer mehr hat? Die Ressourcen sind halt nicht unendlich.

  3. 63.

    "Kapitalismus bedeutet übrigens, dass man Dinge kauft, die man nicht braucht, von Geld das man nicht hat, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag."

    Falsch, das bedeutet der Kapitalismus nicht, das ist lediglich ein Kalenderspruch.

    Kapitalismus bedeutet, dass ich, aufgrund eines freien Wettbewerbes, immer das Beste zum günstigsten Preis anstrebe.

  4. 62.

    Das die Fahrer ausgebeutet werden ist Fakt, also besser bezahlen. Somit müssten die Preise deutlich erhöht werden.
    Vielleicht hätte dass aber den Nebeneffekt dass die zahlreichen und unnötigen Retouren reduziert würden, und nicht jede Kleinigkeit bestellt werden kann /muss.
    Aber es ist ja so einfach für die Internet-Generation sich aus reiner Bequemlichkeit
    Kartoffeln und Katzenstreu für wenig Geld in die 4. Etage zu liefern zu lassen. Sozusagen Faulheit gepaart mit Geiz ist immer noch geil.

  5. 61.

    So handhabe ich es auch. Obwohl ich überhaupt nicht viel Online bestelle, gebe ich grundsätzlich in der Regel so um 2-3 Euro Trinkgeld bei der Anlieferung. Selbst meinen Briefzustellern von der Post u.Pin AG hebe ich schon Trinkgeld gegeben. Das fördert eben den freundlichen Kundenkontakt.

  6. 60.

    Es ist immer sehr schön, dass Leute, die keine Argumente haben und selbst nichts machen, immer von anderen Dinge einfordern. Aber bitte schön, so soll es sein, auch wenn sich Ihre Einstellung eh nicht ändern wird, Sie wollen doch keine Veränderung, sondern einfach nur Recht haben. Neben der Unterstützung der Servicestelle gegen Zwangsarbeit helfe ich auch Fairwork bei der Forschung zum Thema. Zudem spende ich Gelder für Gewerkschaften, die Betriebsräte in genau diesen Branchen versuchen einzuführen. Und nun, was hilft es Ihnen? Sie sind trotzdem noch der Meinung, dass sich Leute den Job selbst aussuchen - und Sie werden sich NIE ändern.

  7. 59.

    Sie verdienen nur etwas über Mindestlohn. Aha. Um in Ihrer Weltanschauung zu bleiben, müsste ich sagen, dass Sie ja niemand dazu zwingt diesen Beruf auszuüben. Sie könnten sich ja auch was vernünftig bezahltes suchen, denn es steht ja niemand mit der Waffe vor Ihnen und zwingt Sie zu diesem Job. Kommt Ihnen das bekannt vor?
    Und Sie lieben den Kapitalismus, obwohl er Sie so schlecht verdienen lässt? Kapitalismus bedeutet übrigens, dass man Dinge kauft, die man nicht braucht, von Geld das man nicht hat, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag. Das sagt Ihnen vielleicht auch was?

  8. 58.

    Ach Sheela, es ist doch ganz einfach: wenn einer das nicht will, muss er es auch nicht machen.
    Und wenn wir weniger bestellen - wem hilft das?
    Man muss sich jetzt doch nicht hinstellen, dass in Frage zu stellen.
    Erinnert sei da an die Lockdowns, wo Alle in der Zwangsisolierung waren, nahm der Internet-Kauf ungeahnte Höhen.
    Sollen ich - hier schreibe ich nicht vom WIR, was allzugerne strapaziert wird - jetzt darauf verzichten?

  9. 57.

    Da ja auch der stationäre Handel von DHL, Hermes ect beliefert wird, ändert sich nichts. Jeder kauft dort ein, wo er es sich leisten kann.

    Das nur der stationäre Handel Arbeitsplatte schafft, stimmt so nicht.

    Das Gejammer um die angeblich so mies bezahlten Zusteller nervt jedes Jahr. Sie machen den Job freiwillig und ohne Druck.

    Das der Zusteller für Knöllchen selbst haftet, ist überall so. Jeder AN haftet dem AG gegenüber bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Falsches parken ist Vorsatz.

  10. 56.

    Es geht doch um moderne Sklaverei, es besteht die Möglichkeit in Deutschland, jedes Arbeitnehmerrecht zu umgehen und trotzdem offiziell behaupten zu können, man hielte sich an Recht und Gesetz. Der Fehler liegt in gewollten Gesetzeslücken, um höchst möglichen Profit zu erzielen und wenn die Arbeit sich verstehen würde, zusammenhalten würde, könnte man im Kampf um die Rechte der Arbeit tatsächlich etwas bewegen. Wem liegt denn etwas an dem Abbau von Gewerkschaften und fehlenden Betriebsräten, oder einem Betriebsrat, der auf Führungsebene arbeitet. Das ist der Abbau des Arbeitnehmerrechtes und mir kann keiner sagen, dass die Ausbeutung unentdeckt bleibt. Aber hier muss die Arbeit ihre verlorenen oder systematisch abgebautes Rechte neu erkämpfen, nichts anderes. Man kann sie bedauern, aber man kann ihnen tatsächlich auch helfen, indem man sie sieht und mit ihnen zusammen in eine Richtung schaut.

  11. 55.

    Amazon ist modernes Sklavenhaltertum - in den Logistikbuden und bei den Lieferfirmen. Hermes ist leider ähnlich; die, die bei DHL angestellt sind, mögen vernünftige Konditionen haben, dies ist gilt aber nicht für die Subunternehmer, die DHL auch für sich fahren lässt. DPD, GLS ubd UPS sind auch nicht besser. Wenn ich was online bestelle, achte ich daraufu, dass DHL liefert. Alle anderen fallen bei mir hinten runter, dann gehe ich lieber los und suche ganz oldschool in Läden. Geht auch, macht Spaß und fördert soziale Interaktion.

  12. 54.

    Es hat nicht jeder so viel Geld, um bei Galeria oder KaDeWe einkaufen zu können.

  13. 53.

    Der Bericht handelt von ausgenutzten Amazonsklaven in der Hauptsache. Ich nehme regionale Händler davon ausdrücklich aus.

  14. 52.

    Hat irgendjemand nur von Amazon gesprochen und wenn, fortgibt es unzählige Händler aus der Umgebung.

  15. 51.

    Es nettes Dankeschön, etwas süßes und ein kleines Trinkgeld ( bitte nicht 10 oder 50 Cent ) diese Fahrer werden gescheucht, und sie quälen sich täglich durch den Verkehr . Es sind bestimmt schwarze Schafe darunter aber, ich sehe bei uns viele nette Paketzusteller , mal eine Cola oder eine Flasche Wasser anbieten müsste doch immer machbar sein.
    Denkt daran ,wie es euch geht ,mit der großen Einkauf Tasche bis in den 4 Stock zu gehen.

  16. 50.

    Das verbietet europäisches Recht.

    Niemand wird gezwungen, als Lieferant zu arbeiten.

    Der Unterschied zwischen Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis sollte selbst Ihnen bekannt sein.

  17. 49.

    Leider kauft "man" doch bei Primark ein. Und "man" bestellt leider auch viel zu viel online. Aber in beiden Fällen will "man" auch nichts von den miesen Arbeitsbedingungen wissen. Dann wäre ja das Märchen von der "sozialen" Marktwirtschaft zerstört...

  18. 48.

    Amazon liefert immer schnell und pünktlich. Post und DHL kommt bei mir noch 2-3mal in der Wochen, dafür haben diese eine geregelte Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Kann ich auch mit leben.

  19. 47.

    Ich kaufe überall ein, bei Amazon und Friends, sowie im Einzelhandel. Die Lieferanten bekommen immer ein Trinkgeld so wie der Kellner im Restaurant oder der Mechaniker in der Werkstatt.

  20. 46.

    Man kauft ja auch nicht bei Primark ein!

    Kaufen Sie lieber bei kleinen, regional inhabergeführten Geschäften gut Qualität, dann brauchen Sie sich solche Gedanken nicht machen.

Nächster Artikel