Positiv-Beispiele aus Brandenburg - Wie Inklusion am Arbeitsplatz gelingen kann

So 03.12.23 | 08:18 Uhr
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Michelle Burschewski im November 2023 bei ihrer Arbeit in Bernau. (Quelle: rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 01.12.2023 | Riccardo Wittig | Bild: rbb

Menschen mit Behinderung haben es nachweislich schwerer, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt zu behaupten. Zu groß sind die Hemmungen vieler Arbeitgeber. Eine Frau und ein Mann aus dem Barnim zeigen, dass es auch anders geht.

Michelle Burschewski arbeitet an einem Fensterflügel. Sie schleift, spachtelt, schleift wieder. Die 25-Jährige beobachtet konzentriert das Ergebnis und hängt das Fenster an einen Haken.

Burschewski hat auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß gefasst - auch mit einer Behinderung. "Ich bin jemand, die auch viel Bewegung braucht", sagt sie. "Hier kann ich meine Energie herauslassen, durch das Tragen, Heben, Schleifen. Ich bin immer in Bewegung."

Schon in der Schule konnte Burschewski nicht stillsitzen, wie sie erzählt. Sie hat eine angeborene Lernbehinderung und arbeitet nun bei den Freitag-Tischlerwerkstätten in Bernau (Barnim).

"Wenn ich es drin habe, dann habe ich es drin"

"Ich brauch länger zum Lernen. Ich kann das nicht so schnell aufnehmen, wie man das von mir manchmal möchte", so Burschewski. Doch einmal Gelerntes vergesse sie nicht schnell: "Wenn ich es drin habe, dann habe ich es drin."

Menschen mit Behinderungen wie Burschewski stoßen auf viele Barrieren – besonders auf dem Arbeitsmarkt. Oft sind sie gut ausgebildet, aber im Vergleich zu anderen Menschen überproportional erwerbslos. Laut Statistischem Bundesamt [destatis.de] waren im Jahr 2021 nur 57 Prozent der Menschen mit Behinderung berufstätig oder suchten nach einer Tätigkeit – bei Menschen ohne Behinderung lag die Erwerbsquote bei 82 Prozent.

Seit 30 Jahren wird am 3. Dezember der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung begangen. Dieser Tag soll das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen stärken.

Integration in Kollegenkreis ist die schwerste Aufgabe

Inklusion ist in vielen Betrieben noch die Ausnahme, obwohl es Vorschriften dazu gibt: Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen schwerbehinderte Menschen einstellen. "Die schwerste Aufgabe ist sicherlich die Integration in den Kollegenkreis", sagt Johannes Richter, zweiter Geschäftsführer der Bernauer Tischlerwerkstätten. "Auf die rein fachliche Komponente lässt man sich sowieso ein."

Nach der Schule habe Burschewski ein Praktikum absolviert und einen guten Eindruck hinterlassen, sagt Richter. Inzwischen arbeite sie seit fast zehn Jahren im Unternehmen. Sie habe damals im neuen Job Zweifel gehabt, sagt Burschweski: "Anfangs ja, weil ich nicht wusste, was es für Leute sind." Das habe sich aber schnell gelegt. "Zwei Wochen später oder so war ich hier integriert." Im Job fühle fühle es sich, als wäre sie bei ihrer Familie, erzählt die 25-Jährige.

Inzwischen haben die Tischlerwerkstätten einen zweiten Kollegen mit einer Beeinträchtigung eingestellt.

"Ich fühle mich hier wohl"

Etwa 25 Kilometer weiter nördlich arbeiten bei einem Schienenfahrzeugwerk in Eberswalde 14 Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen. Hier werden Güterwagen in Stand gesetzt und gehalten sowie umgebaut.

Beim Schienenfahrzeugwerk ist seit vergangenem Sommer der Dreher Marko Noack dabei. Der 42-Jährige hat als Kind seinen linken Fuß verloren, wie er erzählt. Nun trägt er eine Prothese. Noack arbeitet an einer Maschine, vorwiegend im Sitzen. Neben ihm liegen fertige Eisenbahnräder. "Ich bin hier ganz gut angekommen, ich fühle mich hier wohl", sagt er.

Marko Noack im November 2023 bei seiner Arbeit in Eberswalde. (Quelle: rbbMarko Noack bei seiner Arbeit in Eberswalde.

Es war nicht immer einfach

Anders sei es bei seiner früheren Arbeit gewesen. Dor habe er zwei Drehmaschinen bedient und Flansche für Autos hergestellt. "Ich hatte immer gesundheitliche Probleme, weil der Arbeitsweg sehr lang und weit war", so Noack.

"Der Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ist für ihn jetzt auch so weit, dass er damit gut zurechtkommt", sagt Ulf Boehnke, Personalchef beim Schienenfahrzeugwerk in Eberswalde. Er hoffe, dass es weiter so bleibe. Für ihn wäre das die Bestätigung, dass man Mitarbeiter wie Noack voll einsetzen könne.

"Ich werde hier sogar noch dreckig"

Bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz bekam Noack Unterstützung vom Integrationsfachdienst aus Eberswalde. "Als Unternehmen braucht es ein bisschen Mut, mal was Neues auszuprobieren", sagt Mareike Hinz, Mitarbeiterin beim Integrationsfachdienst in Eberswalde. Den Arbeitsplatz müsse man eventuell umgestalten, wichtig sei aber, dass die neuen und die alten Mitarbeiter zusammenkommen.

Mit seinen Kollegen verstehe er sich gut, sagt Dreher Noack. Er freue sich sehr, dass er im Beruf geblieben sei. "Ich werde hier sogar noch dreckig", erzählt er und lächelt.

Mit Material von Riccardo Wittig

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 03.12.2023, 19:30 Uhr

4 Kommentare

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  1. 4.

    Man ist verpflichtet ab einer gewissen Größe….
    Macht man dies nicht ist eine Ausgleichsabgabe fällig… diese hat man ab 2024 verdoppelt.
    Aber auch das wird kaum mehr Arbeitsplätze schaffen. Stellt man einen behinderten Menschen ein, kann man dem eigentlich nicht mehr kündigen. Darum wird das Gesetz, dass für mehr Beschäftigte sorgen sollten auch gern als Beschäftigungsverhinderungsgesetz bezeichnet.

  2. 3.

    Ich kann mich noch genau daran erinnern, das in den 60er 70er Jahren in West Berlin, mit sehr viel angelernte Arbeitskräfte gearbeitet wurde.
    Das waren meist unglernte oder lehrabrecher aber auch körperlich behinderte, das war der Tatsache geschuldet, daß nach den 13. August 1961 die Arbeitsplätze durch DDR Bürger nicht mehr besetzt werden konnten.
    Ansonsten hatten wir damals schon einen sehr hohen Fachkräfte Mangel und es gab noch wenig automatisierungen!

  3. 2.

    Man sollte nicht als Arbeitgeber mit einer gewissen Größe gesetzlich verpflichtet werden, Inklusionsarbeitsplätze zu schaffen. Wir brauchen weniger Regulierung in Deutschland um wieder international wettbewerbsfähig zu sein!

  4. 1.

    Integrationsfachdienste (IFD) sind auf dem Arbeitsmarkt wichtige Akteure für Menschen mit Behinderung und Arbeitgeber. Sie fungieren als Schnittstelle zwischen ihnen, beraten zu Auswirkungen einer Behinderung im Job und tragen zur Integration im Kollegenkreis bei, vermitteln in Arbeit und werden sichernd tätig, sollte der Arbeitsplatz in Gefahr sein. Es gibt sie bundesweit und ihre Angebote sind kostenfrei.

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