Durchfallbakterium Campylobacter - Viele Hähnchen aus Brandenburg können krank machen

Mo 03.09.18 | 06:08 Uhr | Von Robin Avram und Dominik Wurnig
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Filetierer lösen in einem Brandenburger Geflügel-Schlachthof Hähnchenbrust von den Knochen, 14.12.17 (Quelle: rbb|24/Schneider).
Video: rbb24 | 03.09.2018 | Robin Avram | Bild: rbb|24 / Schneider

Campylobacter kann schmerzhafte Darmbeschwerden hervorrufen. rbb|24-Recherchen zeigen: Jedes fünfte getestete Hähnchen aus Brandenburger Schlachthöfen überschreitet den Grenzwert - einige sogar ganz erheblich. Von Robin Avram und Dominik Wurnig

Jedes fünfte Hähnchen aus Brandenburger Schlachthöfen, das in diesem Jahr von Behörden untersucht wurde, war hochgradig mit dem Durchfallbakterium Campylobacter kontaminiert.

Das zeigen bislang unveröffentlichte Daten des Landeslabors Berlin-Brandenburg, die rbb|24 und dem Verbrauchermagazin "Supermarkt" exklusiv vorliegen. 6 von 30 untersuchten Schlachthähnchen lagen demnach über dem seit Anfang des Jahres geltenden EU-Grenzwert - gelangten aber trotzdem in den Handel. Zwei der Proben überschritten den Grenzwert sogar um mehr als das Zehnfache.

Campylobacter kann starken Durchfall und Bauchkrämpfe verursachen, in seltenen Fällen auch chronische Gelenkschmerzen und Nervererkrankungen. Laut Robert-Koch-Institut starben im Jahr 2016 sogar vier Senioren an Campylobacteriose.

Große Halle voller Hühner
Die Campylobacter-Keime aus dem Kot gelangen oftmals bei der Schlachtung auf das Fleisch. | Bild: rbb

Auch in Supermärkten hohe Trefferquote

Nicht nur in den Schlachthöfen, auch in den Supermärkten tummelt sich das Bakterium erschreckend häufig. Die Kontrolleure der Lebensmittelaufsicht kauften in diesem Jahr im Berliner Einzelhandel bislang 15 Geflügelprodukte unterschiedlicher Hersteller und schickten sie anschließend zur Analyse ins Landeslabor. Auf jeder vierten Probe wies das Landeslabor nach rbb|24-Recherchen Campylobacter-Bakterien nach.

Kerstin Stingl vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt vor Campylobacter-Keimen.
Kerstin Stingl vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt vor Campylobacter-Keimen. | Bild: rbb

Besonders häufig erkranken Kleinkinder und junge Erwachsene

Laut Kerstin Stingl vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sind vor allem die Daten aus den Schlachthöfen besorgniserregend. "Gerade von den hoch kontaminierten Fleischprodukten geht das größte Risiko für den Verbraucher aus, sich mit Campylobacter zu infizieren", sagt die Wissenschaftlerin dem rbb. Als hochkontaminiert gelten alle Proben, die über dem Grenzwert liegen. Als Leiterin des Nationalen Referenzlabors Campylobacter befasst die Forscherin sich ausschließlich mit dem Thema.

Das Bundesinstitut nimmt Campylobacter sehr ernst, weil die Infektionszahlen bundesweit seit 2001 gestiegen sind - laut Robert Koch-Institut (RKI) von 54.000 auf rund 70.000 registrierte Fälle pro Jahr. Da Studien ergeben haben, dass nur rund jeder zehnte Patient zum Arzt geht, geht das RKI davon aus, dass sich jährlich hunderttausende Menschen mit der Krankheit infizieren.

In Berlin und Brandenburg sind die jährlich gemeldeten Infektionszahlen relativ stabil.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Schätzungen des Robert-Koch-Instituts zufolge haben sich seit 2001 mehrere hunderttausend Menschen in Berlin und Brandenburg mit Campylobacter infiziert - fast jeder zehnte. Nach gemeldeten Fällen ist Campylobacteriose inzwischen die häufigste lebenmittelbedingte Krankheit - deutlich vor Salmonellose, die inzwischen rund fünfmal seltener auftritt als Camplyobacteriose.

"Gegen Salmonellen können Geflügelbetriebe ihre Hühner inzwischen impfen - gegen Camplybacter jedoch noch nicht. Daran wird noch geforscht", erläutert Wissenschaflerin Stingl.

Hähnchenfleisch wird auf einem Schneidbrett geschnitten
Achtung: Nicht auf dem gleichen Schneidbrett Fleisch und Salat verarbeiten. | Bild: rbb

Rund jede zweite hühnerbedingte Infektion ließe sich verhindern

Patientenbefragungen und epidemiologische Studien zeigen: Jeder dritte Kranke infiziert sich, weil er halbgares Hähnchenfleisch gegessen hat - oder beispielsweise Salat, der auf dem selben Schneidebrett wie rohes Geflügel geschnitten wurde. Besonders häufig erkranken junge Erwachsene und kleine Kinder. Bei jungen Eltern ist das Wissen über die Wichtigkeit guter Küchenhygiene offenbar noch nicht so ausgeprägt, vermuten die Epidemiologen.

Um die Verbraucher besser vor der Krankheit zu schützen, führte die EU deshalb Anfang des Jahres einen Grenzwert für Campylobacter in Schlachthöfen ein. Pro Gramm Fleisch dürfen nicht mehr als 1.000 Keime (exakt: Kolonie bildende Einheiten) vorhanden sein.

Rund jede zweite durch Hühner verursachte Infektion ließe sich laut Studien verhindern - wenn die Schlachthöfe den Campylobacter-Grenzwert flächendeckend einhalten würden. Wie die rbb-Recherchen zeigen, ist das aber bei Weitem nicht der Fall.

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft erklärt auf Anfrage zu den rbb-Recherchen: "Auch eine optimale Hygiene kann das Risiko des Auftretens von Campylobacter-Keimen nur reduzieren, aber nie gänzlich ausschließen." Die deutschen Hähnchenschlachtereien hielten zudem die seit Anfang des Jahres geltenden EU-Vorgaben ein.

(Quelle: rbb)
Matthias Wolfschmidt von Foodwatch fordert, dass die Lebensmittelindustrie mehr unternimmt als Hinweise auf die Verpackungen zu kleben. | Bild: rbb

Foodwatch fordert: Kontaminiertes Fleisch dürfte nicht in den Handel gelangen

Die EU-Vorgaben sind nach Auffassung der Verbraucherorganisation Foodwatch allerdings viel zu lasch. Die im August 2017 von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unterschriebene EU-Verordnung 2017/1495 erlaubt, dass nur 60 Prozent der untersuchten Schlachthühner den Campylobacter-Grenzwert einhalten müssen. Solange die Geflügelschlachtereien diese Vorgabe erfüllen, dürfen sie ihr hochkontaminiertes Fleisch ungestört weiter verkaufen – obwohl es potentiell krank machen kann.

Erst 2025 soll die Vorgabe soweit verschärft werden, dass nur noch jedes fünfte Masthähnchen den Grenzwert überschreiten darf. "Geflügelfleisch oberhalb des Grenzwertes dürfte gar nicht in den Handel kommen", sagt Foodwatch-Kampagnendirektor Matthias Wolfschmidt. "Die EU nimmt hier billigend in Kauf, dass Menschen krank werden und es Ausfallzeiten im Beruf gibt - nur weil man die Geflügelfleisch-Industrie schont und sie nicht zwingt, durch entsprechende Vorgaben ihre Hausaufgaben zu machen."

Anstrengungen der Geflügelwirtschaft haben bislang wenig gebracht

rbb|24 und "Supermarkt" schickten einen Fragenkatalog an sieben große Unternehmen der Geflügelindustrie, um zu erfahren, wie die Unternehmen die Belastung in den Schlachthöfen senken wollen. Keine einzige Firma antwortete, dafür schickte der Zentralverband der Geflügelwirtschaft eine Stellungnahme. Er erklärt, die deutschen Schlachtbetriebe zählten bereits zu den modernsten in der EU, die Arbeitsabläufe und Maschinen in den Schlachthöfen würden kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert. "Zudem stehen die Unternehmen der Branche seit vielen Jahren Universitäten und Behörden für Forschungsprojekte zum Thema Campylobacter zur Verfügung", heißt es.

"Das sind reine Lippenbekenntnisse, denn die Maßnahmen der Geflügelindustrie haben bislang offenkundig überhaupt nichts gebracht", kritisiert Foodwatch - und verweist auf bundesweite Zahlen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Demnach ist die Anzahl der Campylobacter-positiven Hähnchenproben von 2011 bis 2016 nicht etwa gesunken. Sondern im Gegenteil kontinuierlich gestiegen: sowohl im Einzelhandel - als auch in den Schlachthöfen.

Beitrag von Robin Avram und Dominik Wurnig

15 Kommentare

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  1. 15.

    Nun verschreckt der rbb24 die Geflügelindustrie auch noch mit Fragebögen über Hygieneverbesserung in den Schlachthöfen..., tzz,tzz, ... , dass nur der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft antwortet darf nicht verwundern. Die gesamte Geflügelwirtschaft befindet sich zur Zeit in einer Schreckstarre aufgrund des Vogelgrippeausbruchs in Wismar vor wenigen Tagen. "Einige" Durchfallerkrankte, durch eventuelle Hygienemängel in Schlachthöfen, sind für die Geflügelindustrie ein Lacher gegenüber den wirtschaftlichen Ausfällen bei einem Vogelgrippeseuchenzug.
    Ach so, dann wären da auch noch die stetig zunehmenden MRSA Fälle...

  2. 14.

    Solln se doch lieber Broiler essen.

  3. 13.

    Das gilt nicht nur für Hähnchen bzw. Hühner sondern auch für die Regierenden Politiker in Brandenburg. Ausser Trostlosigkeit und Perspektivlosigkeit würde in Brandenburg nichts produziert.

  4. 12.

    Da haben Sie meine Person in Ihrer abschlienden Bemerkung völlig richtig eingeschätzt, und da ich bin auch froh drüber.

  5. 11.

    Sehe ich genau so!
    Das Überangebot an BIO Produkten mittlerweile hat es ja gezeigt, egal ob da Siegel was wert ist oder nicht, das ist eine andere Diskussion. Nicht der Staat bzw. die Politik muss was ändern sondern wir alle, einfach nicht kaufen bzw. wenn dann wieder beim Fleischer meines Vertrauens.
    Und Massentierhaltung in jedem Fall verbieten, was für Zeiten jeder kann sich jederzeit Filet und Lachs leisten und das, obwohl angeblich keiner mehr im Portemonnaie hat, merkt da noch jemand was? So wie die Krabben vom Discounter aus dem Thailand, es gibt da keine Krabben außer in vollgekoteten ehemaligen Reis Feldern.
    Es wird ja noch nicht einmal mehr ein Geheimnis daraus gemacht, einfach Luke auf und rin damit Hauptsache es macht satt. Na dann guten Appetit ;-)

  6. 10.

    Nicht kaufen. Nicht essen. Ganz einfach.

    Das lässt dann auch diese Industrie umdenken. Und auch die Konsumenten, die dann nicht mehr konsumieren.

  7. 9.

    Und ich gehe noch weiter: In Deutschland zollt man weder Menschen noch Tieren Respekt! Warum wird Massentierhaltung nicht verboten? Tiere sind Lebenwesen wie wir Menschen, sie sind uns gleichgestellt. Was für ein abscheuliches Land, in dem wir leben.

  8. 8.

    Wer immer nur billig, billig, billig kauft, der braucht sich nicht zu wundern, wenn minderwertige Ware bekommt.

  9. 7.

    Wer keine Ahnung hat, postet? Es gibt Rassen, von denen die Hühner verwendet werden zur Eierproduktion, und die Hähnchen nicht genutzt werden. Bei anderen Rassen werden die schneller wachsenden Hähnchen zur Fleischproduktion genutzt, und die Hühnchen nicht. Aber kräftig draufhauen - der Verbraucher in seiner Masse will billiges Essen (Tine wohl nicht, da bin ich sicher).

  10. 6.

    Ich schrieb von der Massentierhaltung. Für unser Immunsystem sind Keime und Bakterien eminent wichtig und Tiere für den eigenen Bedarf dem Verzehr dienen zu lassen ist da auch nochmal eine andere Sache. Wenn ich mit den Tieren gemeinsam auf einem Grundstück lebe, sie versorge usw, lässt mein Immunsystem eh schon anders dastehen. Die oftmals übertriebene Sterilität im Leben der urbanen Menschen lässt die Leute und deren Kinder anfälliger werden. Wer als Kind noch Sand gegessen hat, wird verstehen was gemeint ist.

  11. 4.

    Es hat auch noch keiner untersucht, was bei Hausschlachtung der paar Hühnerstalltiere alles an Keimen anfällt. Ein paar Keime gehören zu unserem Leben. Und wer alles ordentlich durchbrät oder mindestens 10 Min über 180 Grad erhitzt, dem kann denn da auch nichts mehr passieren. Vorausgesetzt natürlich, die Lebensmittel sind nicht anderweitig belastet mit Chlor oder so...

  12. 3.

    Also schon der erste Satz bringt mich- Biologiestudent- zur Verzweiflung. Campylobacter sind, wie die Endung "-bacter" sagt, Bakterien. Keine Krankheit. Sie lösen Erkrankungserscheinungen aus, sofern man sich infiziert hat. Ich korrigiere gerne für die noch verschlafene RBB-Redaktion: "Hunderttausende Menschen infizieren sich jedes Jahr mit Campylobacter, eine Bakterienart, die schmerzhafte Darmerkrankungen hervorruft." So oder so ähnlich.

    Liebe Grüße

  13. 2.

    Da kann einem wirklich schlecht werden. Wir Verbaucher sind doch letztendlich die Versuchskaninchen für eine profitgierige Industrie.
    Ganz nebenbei ärgert es mich immer, wenn von "Hähnchen" die Rede beim Geflügelfleisch ist. Die Hähnchen werden schon gleich nach dem Schlüpfen geschreddert oder vergast, weil ihr Fleisch für die Industrie nicht geeignet ist. Die Hühnchen werden gemästet und geschlachtet. Es kann also gar keine "Hähnchen" im Kühlregal oder im Imbiss geben.

  14. 1.

    Das sind wohl die Folgen der Massentierhaltung. So etwas kommt dabei heraus, wenn Mensch dem Tier nicht den Respekt zollt, die es und die Natur verdient haben.
    Es muss ja immer billig sein. Umdenken ist zwangsläufig angesagt.

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