Pläne für Karstadt-Neubau am Hermannplatz - Viel Kritik am "Bikini-Haus im Kreuzberg-Style"
Ein Investor will "Babylon Berlin"-Flair an den Hermannplatz holen: Das Karstadt-Kaufhaus soll abgerissen und durch eine Kopie des Originals aus den 1920er Jahren ersetzt werden. Der erwartete Jubelsturm bleibt aus. Hier hat man ganz andere Sorgen. Von Oda Tischewski
Auf dem Hermannplatz ist Markt. An fünf Tagen in der Woche preisen hier Gemüsehändler ihre Ware an. Es gibt frischen Fisch und Lederwaren, Fladenbrot und Currywurst, Kräutertöpfe und T-Shirts. Der unwirtliche, weitgehend betongraue Platz bekommt ein fröhlicheres Gesicht, vor den Imbissbuden bilden sich lange Schlangen. Auf dem langgezogenen Rechteck an der Bezirksgrenze zwischen Kreuzberg und Neukölln herrscht reger Durchgangsverkehr. Die Straßen sind ewig vom Verkehr verstopft, unter dem Platz kreuzen sich die U-Bahnlinien 7 und 8.
Für die einen ist der Hermannplatz ein praktischer Ort, an dem sich gut Besorgungen erledigen lassen, für die anderen ein Platz, an dem sie nicht auffallen und in Ruhe gelassen werden. Ein junger Mann mit aufgedunsenem Gesicht ist vor dem U-Bahn-Eingang zusammengesackt, die angebotene Hilfe lehnt er lallend ab. "Gentrifick Dich!" hat jemand an eine Hauswand geschrieben.
"Da entwickelt sich echte Wohnungsnot"
Gentrifizierung, sagt der Soziologe Sigmar Gude, sehe aber eigentlich anders aus: Wohnungen würden aufwendig saniert und dadurch schicker. Letzteres könne man am Hermannplatz nicht beobachten. "Augenblicklich sehe ich in Nord-Neukölln nur, dass die vorhandenen Wohnungen teurer vermietet werden."
Ausbaden müssen es die, die keine Alternative haben. Vor allem Migranten können oft nicht einfach auf die Außenbezirke oder nach Brandenburg ausweichen. Vor allem in Wohnungen von ärmeren Menschen müssten sich deswegen mehr und mehr Mieter den Wohnraum teilen. "Da entwickelt sich echte Wohnungsnot."
Kaufhaus im Stil der "Goldenen Zwanziger"
In diese alles andere als luxuriöse Umgebung hinein plant das österreichische Unternehmen Signa nun sein nächstes Großprojekt: einen Nachbau des Karstadt-Gebäudes aus dem Jahr 1929. Es wurde 1945 von den Nazis gesprengt. Das laut Plan 71 Meter hohe Haus soll den Vorkriegsglanz an den Hermannplatz zurückholen, wie er in der Serie "Babylon Berlin" zu sehen ist.
Signa will das pragmatische Karstadt-Gebäude aus den 60er Jahren abreißen. Der britische Architekt David Chipperfield plant neun Stockwerke mit insgesamt etwa 72.000 Quadratmetern Nutzfläche - nicht nur für Karstadt, sondern auch für eine Bibliothek, für Gastronomie und Büros.
Doch Anwohner wie die Architektin Niloufar Tajeri von der "Initiative Hermannplatz" befürchten, dass damit ein funktionierendes Zentrum ersatzlos verschwindet. Sie verweist auf die Mietpreissteigerung der vergangenen zehn Jahre. "146 Prozent in Nord-Neukölln. Wir haben Verdrängung erlebt." Tajeri befürchtet, dass Signas Pläne "negative Konsequenzen" für die Anwohner haben wird.
Die Anwohner sind nicht allein mit ihren Bedenken. Der Bezirk Kreuzberg, als Standort des Karstadt-Gebäudes, und der Bezirk Neukölln, zuständig für den Hermannplatz, haben die Pläne der Signa geprüft und sind mehr als skeptisch: Zu groß und an dieser Stelle nicht erforderlich, lautet die Einschätzung. Der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt erteilt deswegen erstmal keine Baugenehmigung. "Auf der Postkarte ist es schön", sagt Schmidt. "Aber wenn man es betrachtet, hat das so eine erdrückende Wirkung. Da hilft auch nicht die romantische Vorstellung, dass da alte Zeiten à la Babylon Berlin wieder auferstehen."
"Das ist Verdrängung, wenn das gebaut wird"
Darüber hinaus mutmaßt Schmidt, dass Karstadt am Hermannplatz am Ende gar kein Karstadt mehr beherbergen könnte - sondern vielmehr Geschäfte mit hohen Preisen, die der Signa hohe Mieten zahlen. "Wir haben keine Notwendigkeit, am Hermannplatz, in einem extrem verdichteten Quartier, einen stadtweit relevanten Shopping-Tempel zu errichten." Die Stadt sei nicht unterversorgt. "Nur weil viel Geld investiert wird, muss es dann auch passieren? Nein." Der Kiez entwickele sich inzwischen positiv, aber auch in Richtung Verdrängung. Was Signa vorhabe, wäre eine Art "Bikini-Haus, Kreuzberg-Syle".
Auch die Händler am Hermannplatz sind größtenteils nicht begeistert von den Plänen der Signa. George Wojatzis vom Kartoffelpufferimbiss sieht darin das sichere Ende für sein Geschäft. "Das ist Verdrängung, wenn das gebaut wird. Dann sind auch die kleinen Gewerbe weg." Auch der Puffer-Imbiss, der seit 30 Jahren auf dem Hermannplatz steht, glaubt Wojatzkis.
Abu Aktu Fausi, der auf dem Markt am Hermannplatz an seinem Kaffeestand sitzt, hält auch nichts von dem Neubau. Zwar soll es darin dann auch eine überdachte Markthalle geben, aber das sei eben nicht dasselbe wie ein Markt unter freiem Himmel, meint er. Auch seine Kollegen würden seine Meinung teilen, doch daran, dass sie den Bau verhindern können, glaubt er eigentlich nicht. "Die sind alle sauer. Wir haben Zettel verteilt, haben eine Demo geplant. Aber der wird es schaffen, sein Luxuseinkaufszentrum zu bauen."
Neuköllns Bürgermeister ist begeistert
Martin Hikel wird der Kaffeeverkäufer wahrscheinlich nicht auf seine Seite bringen können. Der Bezirksbürgermeister von Neukölln ist von dem Signa-Projekt begeistert - ganz anders als sein eigenes Stadtentwicklungsbüro. "Ich habe auch nur die Bilder gesehen und fand die sehr beeindruckend", sagt Hikel. "Weil ich das alte Karstadt-Gebäude einfach sehr beeindruckend fand." Dennoch müsse man natürlich mit den Eigentümern reden über das, was im Inneren geschehen soll. Darum knüpft Hikel Bedingungen an seine Unterstützung für den Bau. "Für mich als Neuköllner Bürgermeister ist es von großer Bedeutung, dass es eine Ergänzung zum bestehenden Einzelhandel in der Karl-Marx-Straße ist, keine Konkurrenz." Hikel erwartet "eine gewisse Kiez-Orientierung": Das neue Kaufhaus dürfe "nicht einfach nur wie ein UFO dort landen", sondern müsse einen echten Nutzen bringen.
Auch Niloufar Tajeri von der "Initiative Hermannplatz" stellt klare Forderungen an die Verwaltung. "Sich mal kümmern um den Platz und verstehen, was da genau nicht in Ordnung ist." Nicht akzeptabel sei, sagt Tajeri, das Bauprojekt nutzen zu wollen, um den Hermannplatz grundsätzlich aufzuräumen und die Menschen, die dort jetzt sind, zu vertreiben.
Und auch Mathias Zillig, Bestatter am Hermannplatz, hat bodenständige Wünsche. "In erster Linie bezahlbarer Wohnraum, anständige Grünanlagen für die Kinder, eine vernünftige Stadtreinigung." Zillig schaut aus dem Fenster. "Sie sehen es draußen an den Fassaden, wie es aussieht. Es ist einfach runtergekommen."