Ticketwege in die Nachbarländer - Schien-esisch - das 49-Euro-Ticket als neue Seidenstraße
Spätestens seit Mai kann jeder für 49 Euro täglich hunderte Kilometer reisen - und das sogar bis ins Ausland. Das Zauberwort lautet "Grenztarifpunkt". Stefan Ruwoldt hat vier Vorschläge für Mini-Interrails in die Nachbarländer.
Deutschlands Schienen werden glühen - und das vielleicht irgendwann sogar mit Pünktlichkeit zurückzahlen. Schließlich steigen derzeit Millionen (geschätzt) vom Individualmobil auf die kollektive Stranglösung der Bahn um.
Sie tun es der Umwelt zuliebe - doch nicht nur. Bares Geld wert ist nämlich folgendes: Das 49-Euro-Ticket sorgt dafür, dass jeder auf der Stelle seine Fernreisen runterkalkulieren kann. Besser sogar: seine internationalen Fernreisen. Mit dem Deutschlandticket ab ins Ausland? - Wir helfen.
Die Bezahlung - mehr als nur ein Deutschlandticket
Der Trick ist ein Wort, das bislang nur Bahndisponenten, Trainspotter und TT-Bahn-Freunde kannten: G-R-E-N-Z-T-A-R-I-F-P-U-N-K-T.
Grenztarifpunkte - das sind Haltestellen oder Bahnhöfe [bahnreise-wiki.de] außerhalb Deutschlands, die wenige Kilometer hinter den deutschen Grenzen liegen und bis zu denen der Beförderungstarif der Deutschen Bahn gilt. Diese Grenztarifpunkte machen das Deutschlandticket zum Mini-Interrail für Jung und Alt in Deutschland.
Grenztarifpunkte ermöglichen es also den deutschen Ticketbesitzern, für Verbindungen der Deutschen Bahn und deren regionalen Partnern und Regio-Bahnbetreibern sicher und mit gültigem Fahrausweis über die Grenzen zu kommen eben bis zu diesen Punkten. Erst nach diesen Bahnhöfen gelten die Tarife der Staats- und Privatbahnen der Nachbarn.
Die Geografie - Klassenfahrten und Sonderwissen inklusive
Das Deutschlandticket öffnet Grenzen. Die Redaktion der Zeitschrift Chip hat dazu eine App gebaut [chip.de], die anhand der Streckeninfos die Ziele im Ausland auflistet und die genauen Strecken mit Bahnlinien präsentiert. Zu beachten ist dabei, dass für einige Grenzfahrten auch Busse, also Buslinien möglich sind, in denen das 49-Euro-Ticket gilt:
Demnach kommt man mit dem 49-Euro-Monatsfahrschein:
- in die Niederlande (zu etwa 17 Orten und Städten hinter der Grenze),
- nach Belgien (14),
- rüber nach Luxemburg (dort sogar fast überall hin),
- nach Frankreich (15),
- in die Schweiz (15),
- nach Österreich (12),
- nach Tschechien (5),
- nach Polen (6) und
- nach Dänemark (2).
Das heißt: neun Nachbarländer hat Deutschland (merken!), 49 Euro kostet ein Monatsticket (weiß jeder) und 49 dividiert durch 9 macht (rechnen!): 5 (Rest 4). Umfassende Auslandserfahrung in jedem Alter für gut fünf Euro monatlich pro Land. Schienenwelt, wir kommen!
Unsere Auswahl daraus ist hier nun: vier aus neun - in jeder Himmelsrichtung ein 49-Euro-Ziel im Nachbarland. Niederlande, Schweiz, Polen und Dänemark - einmal rundrum. In die internationale Ferne mit dem Nahverkehr. Oder tarifsprachlich: Auslandsreise statt regionale Einzelverbindung.
Lokale Freuden beim fernen Nachbarn Niederlande
Brandenburg und Berlin verbindet mit den Niederlanden eine kleine Sehnsucht: Da ist das holländische Viertel in Potsdam, der Holland-Park bei Schwanebeck (Barnim), die Oranje-Verbundenheit der Oranienburger und das Tulpenfest in Potsdam. Brandenburg hat ein oranjes Herz und darum: ab nach Holland.
Kurz vor Holland liegt vom Osten aus betrachtet Niedersachsen und ein wenig südlicher NRW. Zwar gibt es auch Grenztarifpunkte in den Niederlanden, die man von Niedersachen aus erreicht, mehr aber sind es von NRW aus. Diese Orte hinter der deutsch-holländischen Grenze erschließen dem 49-Euro-Ticket-Champion die Bahnen des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR).
Über die Staatsgrenze mit dem Nahverkehr
Unser Tipp: Zevenaar und Arnhem. Dafür müssen wir den Rhein-Ijssel-Express erreichen, den dortigen RE19. Neun bis zehn Stunden Fahrzeit und fünf bis sechs Umstiege prognostiziert die Reiseauskunft von bahn.de dafür. Wir starten halb neun in Elstal oder ein bisschen früher vom Berliner Hauptbahnhof. Stendal, Wolfsburg, Hannover, Minden und Düsseldorf sind unsere Umsteigepunkte.
In Zevenaar gönnen wir uns dann am nächsten Tag das Liemers Kunstmuseum. Empfohlen werden vom örtlichen Fremdenverkehrsverbund in der Umgebung ein paar Bauernhöfe für ländliche Erholung und eine Windmühlentour mit historischer "De Buitenmolen"-Ausstellung. Eine Haltestelle weiter wartet dann am nächsten Tag Arnhem, die Hauptstadt von Gelderland. Dort ist Schlendern im Viertel 7straatjes empfohlen, und weil es eine Großstadt ist, gibt es Museen und Konzerte als Ausgleich für Zevenaars ländliche Freuden.
Stadtbummel, Aussicht und Badespaß in der Schweiz: Basel
In die Schweiz brauchen wir mit dem 49-Euro-Ticket ein bisschen länger und starten darum kurz nach sieben am Hauptbahnhof oder viertelneun in Belzig. Über Dessau, Leipzig, Nürnberg, Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg landen wir gegen zehn Uhr nach fünf oder sechs Umstiegen in Basel – und brauchen Abkühlung im Rhein.
Es sind nur ein paar hundert Meter vom Badischen Bahnhof Basel zu diesem Sommer-Badespaß mit zunächst einem Stopp am Wickelfischstand zum Verstauen der Straßenbekleidung. Dann tauchen wir ab in den porentief sauberen Rhein und reiten auf der acht KahÄmha schnellen Flusswelle vorbei an den marzahnisch anmutenden Roche-Türmen, passieren mit schalligen Pfeifgeräuschen unter den Steinbögen die Wettsteinbrücke, winken dem Münster, überholen die Spaziergänger am oberen Rheinweg und hieven uns wieder rauf ans Ufer, wo die Freude der Fastenwähe mit Bouillon hinter der Johanniterbrücke wartet. Nass, kühl und (in der Schweiz eigentlich unmöglich) echt günstig ist dieser 49-Euro-Ticket-Trip in den Süden. Bad Belzig - Bad Basel. Danke Deutschlandticket.
Ein bisschen nach Polen mit Bus und kleinen Bahnausnahmen
Besonders tiefe Reisen ins Nachbarland - wie etwa in die Niederlande oder nach Frankreich - sind nach Polen mit dem günstigen 49-Euro-Ticket leider nicht möglich. In Polen muss der Traveller ein paar Besonderheiten beachten.
Nach Angaben des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) gilt das Deutschlandticket nicht für Fahrten auf den Strecken der Regionalbahn über die Grenze nach Polen. Allerdings gilt das Deutschlandticket dem VBB zufolge immerhin für einige Haltestellen der Buslinien des VBB ins Nachbarland Polen. Die Busse der Stadtverkehrsgesellschaft Frankfurt (Oder) nach Slubice, die Linien der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft (UVG) nach Krajnik Dolny und die Buslinie der DB Regio nach Gubin können demnach mit dem Ticket genutzt werden.
Zwei Zug-Ausnahmen aber gibt es immerhin: Von Ahlbeck (Usedom), also M-V, kann man mit dem DB Regio nach Swinemünde fahren und dabei das 49-Euro-Ticket nutzen. Und von Sachsen aus kommt man auch mit dem Regio RE1/RB61 des Trilex auf die andere Neiße-Seite nach Zgorzelec: Dresden - Görlitz - Zgorzelec. Zu beachten ist hier: nur mit Zügen der DLB (Die LänderBahn Gmbh), nicht mit Zügen der polnischen KD (Koleje Dolnośląskie) oder der PR (Przewozy Regionalne) [bahn.de]. Genau dort liegt dann auch das Ziel unserer Deutschlandticketreise nach Polen: Zgorzelec – drei Stunden und zwei Umstiege braucht man von Berlin. Von Cottbus sind es knapp zwei Stunden und ein Zugwechsel.
Zgorzelec bietet allen – nun aber natürlich auch dem Fahrgast mit Deutschlandticket - Theater, Konzerte und natürlich die Natur entlang der Neiße. Die kleine Besonderheit: Der 49-Euro-Traveller kann hier die wenigen hundert Meter über die Neiße nach Görlitz schlendern und hat so das Erlebnis der Doppelstadt. Die eigentliche, ja fast symbolische, Attraktion dieser Reise aber ist das rund 180 Jahre alte Neißeviadukt: knapp 500 Meter, 30 Bögen, 35 Meter hoch – eine Eisenbahnüberführung, die keine Grenzen kennt. Also keine Landesgrenzen.
Dänische Kleinstadtidylle und Hochzeitsparadies
Die Grenzerfahrungsmöglichkeiten in Dänemark sind verglichen mit den Niederlanden oder Frankreich deutlich geringer, so richtig direkt erreicht man nur zwei Orte. Doch wir trösten uns und sagen: Der Deutschlandticket-Effekt für G-R-E-N-Z-T-A-R-I-F-P-U-N-K-T-R-E-I-S-E-N-D-E nach Dänemark ist die Variation der Erfahrung.
Das 49-Euro-Ticket ermöglicht immerhin eine RE-Reise nach Tondern, ein Städtchen, das man über Rathenow, Stendal, Uelzen, Hamburg und Niebüll erreicht. Gut sieben Stunden braucht man und ist dann mehr als fünfhundert Kilometer weit weg im ruhigsten Norden.
Was aber machen die 49-Euro-Reisende und der Deutschlandticket-Traveller in Tondern? Zum Beispiel heiraten. Seit Mitte der 60er-Jahre gilt die Kleinstadt als Heiratsparadies. Viele hundert Ehen auswärtiger Paare werden hier jährlich geschlossen, wirbt die Gemeinde. Weniger aufwändig, total idyllisch und – so jedenfalls betonen es die örtlichen Medien – ausgesprochen günstig können auch deutsche Paare hier heiraten. Und wenn sie das Umsteigen nicht scheuen, können sie dazu auch noch günstig anreisen.
Reisegrußwort
Einkaufen, flußabwärts baden, Brücken begutachten und heiraten: Das 49-Euro-Ticket setzt Kilometersäulen des Glücks und der ökologischen Sparsamkeit auf die Ferienlandkarten der Berlinerinnen und Brandenburger. Hier zum Abschluss vier Übersetzungshilfen für Aufforderungen, die den Deutschlandticket-Glückritterinnen keine Angst mehr machen: "tiketcontrole", "Billettkontrolle", "kontrola biletów" oder "billetkontrol".
Sendung: Antenne Brandenburg, 28.07.2023, 05:00 Uhr