GDL plant "Wellenstreiks" - Kennt das Streikrecht Grenzen?
GDL-Chef Claus Weselsky plant nach dem aktuellen Ausstand bei der Deutschen Bahn kurzfristig angekündigte "Wellenstreiks". Wie soll dieser ablaufen? rbb|24 beantwortet Fragen zu den aktuellen und möglicherweise folgenden Streiks
Seit dem frühen Donnerstagmorgen sind die Lokführer bei der Deutschen Bahn von der GDL zum Streik aufgerufen. Der Bahnverkehr ist bundesweit massiv beeinträchtigt. Am Freitag soll der 35-Stunden-Streik enden, danach könnte die nächste Streikwelle kommen, denn GDL-Chef Claus Weselsky hat am Montag "Wellenstreiks" angekündigt.
Was ist ein "Wellenstreik"?
GDL-Chef Claus Weselsky kündigte am Montag "Wellenstreiks" an, also an- und abschwellende Streiks. Laut GDL werde sie nicht mehr 48 Stunden vorab über ihre Streiks informieren. Im Gespräch mit rbb24 Inforadio sagte Weselsky am Donnerstagmorgen, die Ankündigungsfrist für die Streiks würde verkürzt. Mehr Details nannte er nicht. "Das ist tatsächlich auch rechtlich ein wenig problematisch, weil das mit der Verhältnismäßigkeit Schwierigkeiten vor Gericht geben könnte", sagt Felix Hartmann, Professor für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin. Ein Notfahrplan könne dann nicht organisiert werden.
Wann darf man in Deutschland streiken?
Damit ein Streik legal ist und die Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießen, muss dieser von Gewerkschaften wie der GDL ausgerufen werden. Zudem kommt es auch auf die Ziele und Umstände des Streiks an. Erst wenn ein Tarifvertrag ausgelaufen sei, können Gewerkschaften zum Streik aufrufen, andernfalls werde die sogenannte Friedenspflicht verletzt, sagt Professor Hartmann. Der bisherige Tarifvertrag von GDL und Deutscher Bahn ist ausgelaufen.
Zudem müssen die Streiks "verhältnismäßig" sein. In der Praxis spiele das Kriterium aber nur eine geringe Rolle: "Die Gerichte lassen den Gewerkschaften eine große Freiheit, selbst einzuschätzen, was notwendig ist, um die Streikziele zu erreichen, und wann Verhandlungen gescheitert sind", so FU-Professor Hartmann. Deshalb würden Streiks in Deutschland auch sehr selten verboten.
Streiks müssen laut Hartmann außerdem an Forderungen geknüpft sein, die im Rahmen eines Tarifvertrages geregelt werden können. "Würde die GDL dafür streiken, dass der Schienenverkehr ausgebaut werden soll, so wäre das meiner Einschätzung nach kein tariflich regelbares Ziel." Politische Streiks seien in Deutschland verboten. Die GDL-Forderungen, etwa nach einer 35-Stunden-Woche, seien aber unproblematisch, sagt Hartmann.
Kann jemand die Tarifparteien zu Verhandlungen zwingen?
Nein. Es gebe zwar Diskussionen über einen Schlichtungszwang in der Daseinsvorsorge, bevor gestreikt werden dürfe. Umgesetzt sei dazu aber nichts, so Hartmann. Zudem sei auch umstritten, ob dies überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Muss Weselsky Streiks ankündigen?
"Klare Regeln gibt es da nicht", sagt Professor Felix Hartmann. Zwar gebe es Bestrebungen, Ankündigungsfristen in der Daseinsvorsorge wie der Bahn gesetzlich festzuschreiben. Aber Gesetze dazu gebe es bisher nicht. Das sei bislang nur durch Gerichtsurteile geregelt und das auch nicht sehr konkret. "Den Wellenstreik allerdings ohne jegliche Ankündigung zu führen, wäre eine Eskalation, bei der ich jetzt nicht weiß, wie die Gerichte das beurteilen würden", sagt Hartmann. Insofern gehe die GDL mit einer solchen Streiktaktik ein gewisses Risiko ein.
Bahnsprecher Achim Strauß appellierte am Donnerstagmorgen an die GDL, eine 48-Stunden-Ankündigungsfrist einzuhalten, damit ein Notfahrplan organisiert werden könne.
Der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, forderte in der Düsseldorfer "Rheinischen Post" eine Änderung des Streikrechts: "Wir müssen für die kritische und alternativlose Infrastruktur in Deutschland neue Regeln schaffen". Der Staat müsse künftig sicherstellen, "dass es eine gewisse Grundversorgung immer gibt", sagte Naumann.
"Wir sollten in den kommenden Wochen prüfen, ob die Regeln für Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur modernisiert werden müssen," regte auch der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christian Dürr, an. Ein FDP-Vorschlag sieht die Einführung einer zweieinhalbtägigen Ankündigungsfrist vor.
Ist der Arbeitskampf zwischen GDL und Bahn außergewöhnlich?
"Wenn wir jetzt einen Vergleich mit anderen Ländern wagen, wird in Deutschland vergleichsweise wenig gestreikt. Wir sind also in Deutschland nicht besonders viel gewöhnt", sagt Hartmann. Für deutsche Verhältnisse sei es jetzt schon ein langwierige Tarifauseinandersetzung. Zudem bekämen Millionen Menschen die in ihrem Alltag mit. "In der Metallbranche hatten wir in vergangenen Jahrzehnten sehr harte Auseinandersetzungen in den Tarifverhandlungen, die sich teilweise über Wochen und Monate erstreckt haben", sagt der Professor für Arbeitsrecht. Das hätten aber weniger Menschen mitbekommen. Erst die öffentliche Wahrnehmung lasse die Streiks außergewöhnlich erscheinen, glaubt Felix Hartmann.
Bekomme ich mein Geld bei Zugausfällen und -verspätungen zurück?
Ja. Die Deutsche Bahn schreibt auf ihrer Webseite [bahn.de], dass der volle Ticketpreis erstattet wird, wenn der Zug ausfällt oder ausfallen wird. Zudem werden Tickets, die bis einschließlich 4. März gebucht wurden, von der Zugbindung befreit: "Das Ticket gilt dabei für die Fahrt zum ursprünglichen Zielort auch mit einer geänderten Streckenführung. Sitzplatzreservierungen können kostenfrei storniert werden." Ansonsten gelten die üblichen Fahrgastrechte, die eine Fahrpreis-Erstattung bei entsprechender Verspätung ermöglicht, teilte die Bahn weiter mit.
Wie geht es weiter?
Sicher ist derzeit nur, dass das Vertrauen zwischen beiden Parteien auf einem Tiefpunkt ist. Da die Deutsche Bahn entgegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung den Schlichtungsvorschlag öffentlich gemacht habe, teilte die Gewerkschaft der Lokführer am Mittwoch mit: "Wir versichern, dass wir einem von der DB zugesagten Stillschweigen künftig keinerlei Vertrauen mehr entgegenbringen werden." Für weitere Gespräche bedürfe es eines neuen Angebots von Seiten der Deutsche Bahn, so die GDL.
Bahn-Sprecher Strauß sagte am Donnerstagmorgen, dass man den Tarifkonflikt nicht lösen könne, wenn die eine Seite Zugeständnisse mache und die andere Seite auf ihre Maximalforderungen beharre.
GDL-Chef Weselsky schloss am Donnerstagmorgen im rbb24 Inforadio Streiks über Ostern nicht aus. Das hänge von der Deutschen Bahn ab, so Weselsky.
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.03.2024, 19:30 Uhr