GDL plant "Wellenstreiks" - Kennt das Streikrecht Grenzen?

Do 07.03.24 | 17:41 Uhr | Von Julian von Bülow
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Archivbild: Streik der GDL bei der Deutschen Bundesbahn am Hauptbahnhof Nürnber am 25.01.2024. (Quelle: IMAGO/Ardan Fuessmann)
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Video: rbb24 Abendschau | 07.03.2024 | Philipp Höppner | Bild: IMAGO/Ardan Fuessmann

GDL-Chef Claus Weselsky plant nach dem aktuellen Ausstand bei der Deutschen Bahn kurzfristig angekündigte "Wellenstreiks". Wie soll dieser ablaufen? rbb|24 beantwortet Fragen zu den aktuellen und möglicherweise folgenden Streiks

Seit dem frühen Donnerstagmorgen sind die Lokführer bei der Deutschen Bahn von der GDL zum Streik aufgerufen. Der Bahnverkehr ist bundesweit massiv beeinträchtigt. Am Freitag soll der 35-Stunden-Streik enden, danach könnte die nächste Streikwelle kommen, denn GDL-Chef Claus Weselsky hat am Montag "Wellenstreiks" angekündigt.

Was ist ein "Wellenstreik"?

GDL-Chef Claus Weselsky kündigte am Montag "Wellenstreiks" an, also an- und abschwellende Streiks. Laut GDL werde sie nicht mehr 48 Stunden vorab über ihre Streiks informieren. Im Gespräch mit rbb24 Inforadio sagte Weselsky am Donnerstagmorgen, die Ankündigungsfrist für die Streiks würde verkürzt. Mehr Details nannte er nicht. "Das ist tatsächlich auch rechtlich ein wenig problematisch, weil das mit der Verhältnismäßigkeit Schwierigkeiten vor Gericht geben könnte", sagt Felix Hartmann, Professor für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin. Ein Notfahrplan könne dann nicht organisiert werden.

Wann darf man in Deutschland streiken?

Damit ein Streik legal ist und die Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießen, muss dieser von Gewerkschaften wie der GDL ausgerufen werden. Zudem kommt es auch auf die Ziele und Umstände des Streiks an. Erst wenn ein Tarifvertrag ausgelaufen sei, können Gewerkschaften zum Streik aufrufen, andernfalls werde die sogenannte Friedenspflicht verletzt, sagt Professor Hartmann. Der bisherige Tarifvertrag von GDL und Deutscher Bahn ist ausgelaufen.

Zudem müssen die Streiks "verhältnismäßig" sein. In der Praxis spiele das Kriterium aber nur eine geringe Rolle: "Die Gerichte lassen den Gewerkschaften eine große Freiheit, selbst einzuschätzen, was notwendig ist, um die Streikziele zu erreichen, und wann Verhandlungen gescheitert sind", so FU-Professor Hartmann. Deshalb würden Streiks in Deutschland auch sehr selten verboten.

Streiks müssen laut Hartmann außerdem an Forderungen geknüpft sein, die im Rahmen eines Tarifvertrages geregelt werden können. "Würde die GDL dafür streiken, dass der Schienenverkehr ausgebaut werden soll, so wäre das meiner Einschätzung nach kein tariflich regelbares Ziel." Politische Streiks seien in Deutschland verboten. Die GDL-Forderungen, etwa nach einer 35-Stunden-Woche, seien aber unproblematisch, sagt Hartmann.

Kann jemand die Tarifparteien zu Verhandlungen zwingen?

Nein. Es gebe zwar Diskussionen über einen Schlichtungszwang in der Daseinsvorsorge, bevor gestreikt werden dürfe. Umgesetzt sei dazu aber nichts, so Hartmann. Zudem sei auch umstritten, ob dies überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Muss Weselsky Streiks ankündigen?

"Klare Regeln gibt es da nicht", sagt Professor Felix Hartmann. Zwar gebe es Bestrebungen, Ankündigungsfristen in der Daseinsvorsorge wie der Bahn gesetzlich festzuschreiben. Aber Gesetze dazu gebe es bisher nicht. Das sei bislang nur durch Gerichtsurteile geregelt und das auch nicht sehr konkret. "Den Wellenstreik allerdings ohne jegliche Ankündigung zu führen, wäre eine Eskalation, bei der ich jetzt nicht weiß, wie die Gerichte das beurteilen würden", sagt Hartmann. Insofern gehe die GDL mit einer solchen Streiktaktik ein gewisses Risiko ein.

Bahnsprecher Achim Strauß appellierte am Donnerstagmorgen an die GDL, eine 48-Stunden-Ankündigungsfrist einzuhalten, damit ein Notfahrplan organisiert werden könne.

Der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, forderte in der Düsseldorfer "Rheinischen Post" eine Änderung des Streikrechts: "Wir müssen für die kritische und alternativlose Infrastruktur in Deutschland neue Regeln schaffen". Der Staat müsse künftig sicherstellen, "dass es eine gewisse Grundversorgung immer gibt", sagte Naumann.

"Wir sollten in den kommenden Wochen prüfen, ob die Regeln für Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur modernisiert werden müssen," regte auch der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christian Dürr, an. Ein FDP-Vorschlag sieht die Einführung einer zweieinhalbtägigen Ankündigungsfrist vor.

Ist der Arbeitskampf zwischen GDL und Bahn außergewöhnlich?

"Wenn wir jetzt einen Vergleich mit anderen Ländern wagen, wird in Deutschland vergleichsweise wenig gestreikt. Wir sind also in Deutschland nicht besonders viel gewöhnt", sagt Hartmann. Für deutsche Verhältnisse sei es jetzt schon ein langwierige Tarifauseinandersetzung. Zudem bekämen Millionen Menschen die in ihrem Alltag mit. "In der Metallbranche hatten wir in vergangenen Jahrzehnten sehr harte Auseinandersetzungen in den Tarifverhandlungen, die sich teilweise über Wochen und Monate erstreckt haben", sagt der Professor für Arbeitsrecht. Das hätten aber weniger Menschen mitbekommen. Erst die öffentliche Wahrnehmung lasse die Streiks außergewöhnlich erscheinen, glaubt Felix Hartmann.

Bekomme ich mein Geld bei Zugausfällen und -verspätungen zurück?

Ja. Die Deutsche Bahn schreibt auf ihrer Webseite [bahn.de], dass der volle Ticketpreis erstattet wird, wenn der Zug ausfällt oder ausfallen wird. Zudem werden Tickets, die bis einschließlich 4. März gebucht wurden, von der Zugbindung befreit: "Das Ticket gilt dabei für die Fahrt zum ursprünglichen Zielort auch mit einer geänderten Streckenführung. Sitzplatzreservierungen können kostenfrei storniert werden." Ansonsten gelten die üblichen Fahrgastrechte, die eine Fahrpreis-Erstattung bei entsprechender Verspätung ermöglicht, teilte die Bahn weiter mit.

Wie geht es weiter?

Sicher ist derzeit nur, dass das Vertrauen zwischen beiden Parteien auf einem Tiefpunkt ist. Da die Deutsche Bahn entgegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung den Schlichtungsvorschlag öffentlich gemacht habe, teilte die Gewerkschaft der Lokführer am Mittwoch mit: "Wir versichern, dass wir einem von der DB zugesagten Stillschweigen künftig keinerlei Vertrauen mehr entgegenbringen werden." Für weitere Gespräche bedürfe es eines neuen Angebots von Seiten der Deutsche Bahn, so die GDL.

Bahn-Sprecher Strauß sagte am Donnerstagmorgen, dass man den Tarifkonflikt nicht lösen könne, wenn die eine Seite Zugeständnisse mache und die andere Seite auf ihre Maximalforderungen beharre.

GDL-Chef Weselsky schloss am Donnerstagmorgen im rbb24 Inforadio Streiks über Ostern nicht aus. Das hänge von der Deutschen Bahn ab, so Weselsky.

Sendung: rbb24 Abendschau, 07.03.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Julian von Bülow

84 Kommentare

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  1. 84.

    Man muss vor allem aushalten, dass jemand sein Recht in vollem Umfang nutzt. Das tut er mit Recht. Er darf das. Insbesondere vom Streikrecht Gebrauch zu machen und voll zu nutzen ist das, was uns alle unsere Einkommen auf weit mehr als zehn Pfennige am Tag rauf und Arbeitszeiten von 16h auf gut erträgliche 8,5h runter bekommen zu haben. Mehr als zehn Tage Urlaub im Jahr. Berufsgenossenschaften kümmern sich bei Arbeitsunfällen und so weiter. Nichts ist gottgegeben.

  2. 82.

    Geschrei hin oder her: Die langandauernden Wünsche haben bisher niemals bewirkt, irgendetwas am grundgesetzlich verbrieften Streikrecht zu ändern - oder habe ich irgendetwas verpasst?

  3. 81.

    Sorry, aber wollen oder können Sie nicht verstehen?

    Es geht doch nicht um das Streikrecht an sich, sondern um die "speziellen" Forderungen des Herrn Weselsky ohne adäquate Verhandlungen.

    GDL-Forderungen:
    555 Euro Lohnerhöhung + 3.000 Euro Inflationsausgleich + 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für Schichtarbeiter. Wer freiwillig auf 40 Stunden erhöht, soll 2,8 % pro Stunde zuätzlich erhalten.
    Nachzulesen unter: https://www.gdl.de/ueber-uns/tarif/

    Diese "Anliegen" bezeichne ich als unverhältnismäßig. Es ist meine Meinung!

    Herr W. könnte beispielsweise bei den Lohnerhöhungen runtergehen oder beim Inflationsausgleich.
    Selbst das Angebot der DB auf schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich lehnt er ab und schädigt die Wirtschaft unseres Landes.

    Wer Ihrer Meinung nach, bezahlt das Alles?

  4. 80.

    Muss man jedes Recht immer bis zum Erbrechen ausnutzen ? Es gibt schon Überlegungen, dass zu ändern. Dann sit das Geschrei wieder groß.

  5. 79.

    Wie man sieht, sind die Kunden ja davon sehr erfreut und möchten, dass das noch möglichst lange anhält, weil es schön ist.
    Interessant ist auch, dass alle die, die einen sicheren Arbeitsplatz haben, wie auch bei der Lufthansa, die ersten sind, die aus Eigeninteresse den Bettel hinwerfen.

  6. 78.

    Falsch. Die Mitarbeiter befinden sich in ihrer Dienstzeit am Arbeitsplatz, tun aber nichts. Ansonsten wäre das unerlaubtes Fernbleiben und die Kündigung wert. So sieht es geltendes Recht vor.

  7. 77.

    Dieses Gejammere geht einem auf den Zeiger.
    Bei Streikrecht und stattfindenden Streiks von Erpressung zu sprechen ist einfach nur Blödsinn.
    Mit welchen Mitteln soll der Arbeitnehmer sonst seinen Anliegen bei den Arbeitgebern Nachdruck geben?
    Und wenn es bei Branchen wie die Bahn, Lufthansa, Flughäfen ist sind nunmal auch Kunden betroffen.

  8. 76.

    Noch besser wäre, wenn sie gar nicht mehr erscheinen würden. Das würde zwar zu einigen Verwerfungen führen, die man aber mit allem was möglich ist, schnell und pragmatisch kompensieren müsste. Gleichzeitig könnte man schon für ein mögliches Kriegs-Szenario üben, und für den Fall, dass die Bahn-Logistik durch Feindeinwirkung nicht mehr voll zur Verfügung steht.

  9. 75.

    Es gibt das Streikrecht in Deutschland, das jeder hat der in einer Gewerkschaft organisiert ist. Jeder,ausser Beamte , hat dir Möglichkeit dafür.
    Das Streikrecht ist ist gesetzlich geregelt und das ist gut so.
    Hier von Erpressung zu reden zeigt ihren Charakter.

  10. 74.

    Ist ein Streik nicht auch Erpressung ? Vielleicht sogar noch schlimmer, weil unbeteiligte geschädigt werden, die mit der Auseinandersetzung nichts zu tun haben ?

  11. 73.

    Gut das sie nichts zu entscheiden haben.
    Dann müssten sich die Arbeitnehmer von den Arbeitgeber erpressen lassen.
    Sie sollen sich für ihre Ausführungen hier Schämen.

  12. 71.

    „Was haben den all die jetzt laut "heulen" das Zugfahrten oder der Postverkehr bestreikt werden gemacht als die Privatisierung von Bahn, Post und andere Unternehmen der Daseinsvorsoge auf der politischen Agenda standen?“

    Ein Großteil von denen dürfte die Schulbank gedrückt, im Sandkasten gespielt oder im Teich schwimmend auf den Klapperstorch gewartet (sprich: noch nicht geboren) haben.

    Ich mit meinen 50 Jahren durfte jedenfalls das erste mal im Herbst 1994 meine Stimme für den Deutschen Bundestag abgeben – da war die Bahn aber schon privatisiert.

  13. 70.

    Wäre den Mitarbeitern der Bahn zu gönnen, wenn über Ostern gestreikt würde.
    Dann hätten diese auch Ostern mit der Familie und bräuchten nicht Fahrgäste wie Sie oder sabi in der Gegend rumzufahren.

  14. 69.

    "Fehler kann wohl jeder Mensch mal machen."
    Tja, wieviel kostet die Wirtschaft dieser Fehler?
    Aber egal, ob Denkfehler oder nicht - solange er nicht seine Forderungen zu 100 % durchgesetzt hat, gibt er eh keine Ruhe und lässt weiter streiken.
    Ich hoffe, die DB gibt nicht nach!

  15. 68.

    Es gibt leider viele Gründe zu streiken, soviel ist klar. Als da wären die überdurchschnittliche Arbeitszeit, die schon längst verkürzt werden sollte und der immer noch zu niedrige lohn. Es ist nur sehr ärgerlich daß auch immer mehr Trittbrettfahrer an den Demos teilnehmen. Die Rechten kommen mit der rot-schwarz-goldenen Wirmer-Flagge. Und keiner gebietet denen Einhalt?

  16. 67.

    Ob die Bahn über Ostern bestreikt wird, hängt n i c h t von der Bahn ab, denn n i c h t die Bahn streikt. Aber das übersteigt wohl das kleine Hirn.

  17. 66.

    Fehler kann wohl jeder Mensch mal machen.
    Auch wenn Weselsky nicht beliebt ist, aber auch er ist nur ein Mensch. Ewig auf solch einen Fehler rumzureiten ist einfach nur Kindisch.
    Mich würde mal interessieren wenn er mit der selben Gangart genauso kritisiert würde ,wenn er in Branchen Verhandlungen führen würde die nicht so in der Öffentlichkeit stehen würde.
    ZB. Einzelhandel, Hoch und Tiefbau bzw. Baugewerbe. Usw.

  18. 65.

    Ich denke, die Frage "Wie viele der Kommentatoren hier sind GDL-er" sollte erlaubt sein. Dürfte an Formulierungen und teils Anzüglichkeiten festzumachen sein.
    Wie so häufig, sind deren "Kommentare" wohl nicht so zielführend.
    Andere, teils untereinander sich zu kommentieren, das fällt nun wirklich auf.

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