Konzertkritik | Fred Again in Berlin - Melancholie für die Massen
In Berlin spielte der britische Musiker, DJ und Produzent Fred Again am Dienstag sein einziges Deutschlandkonzert. Das war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Es reisten sogar Besucher aus Kopenhagen an. Das dürfte sich gelohnt haben, findet Maike Gomm.
Das Konzert beginnt noch bevor der Künstler die Bühne betritt. Ein Videoclip erscheint auf den drei hochkant aufgehängten Leinwänden in der Mercedes-Benz-Arena. Schwarze Kabel oder Metall? Während man noch rätselt, setzt sich das Bild in Bewegung, schwenkt herum. Ein Kopf im Selfie-Modus erscheint. Es ist Fred Again, der mit dem Handy in der Hand vom Backstage auf die Bühne läuft.
Für alle, die Fred Again kennen, dürfte das keine Überraschung sein. Schließlich ist er so berühmt geworden: Mit selbstgedrehten kurzen Videosnippets von ihm selbst, von Freunden oder von Fremden, die vielleicht für ein paar Stunden zu Freunden werden. Unterlegt mit elektronischer Musik, mal mit Techno- oder Dubstep-Beats, mal melodischer. Auf diesen Clips baut er seine Tracks auf. Seine Songs benennt er nach der Person, die darin vorkommt. Er selbst bezeichnet dieses Vorgehen als sein "musikalisches Tagebuch". Seine drei Alben, die diesem Prinzip folgen heißen "Actual Life 1-3".
Musik für die Gen Z
Mittlerweile ist Fred Again oder Frederick John Philip Gibson, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, auf der Bühne angekommen. Während er auf seinem Keyboard die ersten Töne spielt, sehen wir auf dem Video nun abwechselnd ihn oder genau die Videoclips, die ihn so berühmt machen. Er beginnt das Konzert mit "Kyle (I found you)." Einem ruhigeren Song. Die Menge jubelt.
Die Musik von Fred Again wird oft als Musik für die Gen Z (Generation 1997-2012, Anm.d.Red) bezeichnet. Dabei ist der 30-Jährige selbst Millennial. Menschen unter 35 sieht man an diesem Abend aber tatsächlich kaum. Stattdessen viele kurze Röcke, Shorts und E-Zigaretten. Ab und zu etwas Buntes oder Glitzerndes, ein bisschen Coachella-Festival-Vibes in Berlin.
"Seine Musik berührt einen"
Dass Fred Again bei der Gen Z beliebt ist, verwundert nicht. Seine Videoclips erinnern an die Ästhetik der sozialen Medien: mit dem Handy gedreht, alle nur im Hochkant-Format, schnell geschnitten. Kurze Einblicke in ein Leben, wie auf Instagram oder Tiktok. Aber Fred Again schafft es, genau diesen Augenblicken Bedeutung zu verleihen.
Das schätzen auch seine Fans an ihm. "Seine Musik berührt einen", sagen Jun und Mikkel, die extra aus Kopenhagen angereist sind. Doch Fred Again berührt nicht nur, er animiert auch. Nachdem die ersten zwei Songs etwas ruhiger waren, spielt er nun "Jungel" und "Delilah (Pull Met Out of This)", bei denen er sein Können am Drumpad unter Beweis stellt. So schnell wie Fred auf die Tasten haut, kann man kaum Tanzen. Der Innenraum der Mercedes-Benz-Arena bebt, die Menge springt, tanzt, johlt und schwitzt.
An diesem Abend spielt Fred fast keinen seiner Songs so, wie man sie auf dem Album hört. Er remixed und sampelt, spielt Keyboard und singt. Unterstützen tut ihn dabei nur sein DJ Tony. Man sieht, was für ein begabter Musiker Fred ist, alleine dadurch, wie schnell und spielerisch er zwischen seinem Equipment hin und her wechselt. Das ganze Setup in der Varianz und Geschwindigkeit so bespielen zu können und dabei emotional und rhythmisch so mitzugehen, wie Fred es tut, ist allein körperlich eine Leistung. Tatsächlich muss er zwischen den Songs manchmal durchatmen.
Britischer Charme ohne Starallüren
Die Mercedes-Benz-Arena ist an diesem Abend zwar ausverkauft, aber gerade auf den Rängen sind noch einige Plätze leer. Also sind es nicht ganz die 17.000 Menschen, die in das Gebäude passen. Bei Fred Agains internationalem Erfolg fällt das auf. Obwohl er selbst eher wie der sympathische Junge von nebenan wirkt. Von Starallüren keine Spur. Dafür aber der typisch britische Charme. So läuft Fred auch mal quer durchs Publikum, um zu einer zweiten Bühne zu kommen, die in der Mitte der Arena aufgebaut ist.
Fred Again ist nahbar, physisch und emotional. Das erreicht er auch durch die persönlichen Anekdoten und Geschichten, die er bei seinem Konzert erzählt. Und durch seine Authentizität. Manchmal hat man das Gefühl, dass niemand im Publikum die Musik so sehr fühlt, wie Fred selbst. Dabei übertragen sich die Dance-Songs etwas mehr auf das Publikum, als seine melancholischeren Tracks. Das ist schade, denn gerade Songs wie "Sabrina (I am a Party)" oder "Marea (We’ve lost Dancing)" haben das Potential, so eine große Projektionsfläche aufzumachen, dass Tausende von Menschen sich mit ihnen identifizieren können und so ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Auch dafür geht man ja auf Konzerte.
Aber es gibt sie trotzdem, die emotionalen Momente, in denen sich die Armhaare aufstellen, ein Schauer durch den Körper läuft und sich ein leichter Druck hinter den Augen aufbaut. Momente, die berühren. Sowie am Ende, wenn die ganze Arena von Handy-Taschenlampen so erleuchtet ist, als wären die Scheinwerfer an und der ganze Saal den Text von "Angie (I’ve been lost)" mitsingt - bei jedem neuen Durchgang lauter. Als dann noch die Kamera an der ersten Reihe vorbeigleitet und die glücklich lächelnden, erschöpften Gesichter groß auf die Leinwand projiziert werden, weiß man mit Sicherheit: Fred Again hat etwas richtig gemacht an diesem Abend.
Sendung: Fritz, 13.09.2023, 7:05 Uhr