Interview | Salman Rushdie - "Die größte Gefahr ist der wachsende Populismus verbunden mit Ignoranz"
Vor zwei Jahren überlebte der Schritsteller Salman Rushdie schwer verletzt einen Messer-Angriff, verlor dabei sein rechtes Auge. Nun hat er ein Buch über das Attentat geschrieben. "Knife" heißt es - und der 76-Jährige stellt es jetzt in Berlin vor.
rbb: Mr. Rushdie, in Ihrem Buch "Knife" beschreiben Sie sehr detailreich Ihren monatelangen Weg von der Intensivstation über die Reha nach Hause zurück ins Leben und Schreiben. Wie geht es Ihnen gerade?
Salman Rusdhie: "Es geht mir überraschend gut. Überraschend ist das nicht nur für mich, auch viele der unzähligen Ärzte, die mich untersucht und behandelt haben, zeigten sich erstaunt darüber, wie gut ich mich erholt habe. Ich habe wohl Glück gehabt. Von fünfzehn Verletzungen sind vierzehn ganz gut verheilt. Die Beweglichkeit in meiner linken Hand ist fast ganz wieder hergestellt. Nur mein rechtes Auge wird nicht mehr, der Messerstich war zu tief. Das ist das Schlimmste für mich, ich hasse es."
Sie bedauern an einigen Stellen, dass Sie mit dem Attentat die Vergangenheit wieder eingeholt hat. Wie sieht denn Ihr Leben gerade aus?
Naja, jetzt gerade bin ich auf Lesereise. Das fühlt sich ziemlich vertraut an, weil ich das schon fast mein ganzes Leben lang mache, also bestimmt schon seit 50 Jahren. Aber durch die Corona-Pandemie und die Verletzungen infolge des Attentats war ich seit fünf oder sechs Jahren nicht mehr auf Lesereise. Unterwegs zu sein hat deshalb fast etwas Nostalgisches und ich genieße es.
Natürlich müssen wir jetzt wieder vorsichtiger sein als vorher. Aber Vorsicht ist nicht dasselbe wie Angst. Die Sicherheitsmaßnahmen betreffen die Auftritte an öffentlichen Orten. Mein Privatleben geht eigentlich so weiter wie vorher. Außerdem habe ich mit diesen Dingen seit fast 35 Jahren zu tun und bin deshalb leider auch damit vertraut. Ich weiß, wie ich damit umgehen muss.
Ihr Angreifer war erst 24 Jahre alt, als er Sie niederstach. Er hat nur ein paar Seiten aus "Die Satanischen Verse" gelesen und war noch nicht mal geboren, als der geistliche muslimische Führer des Iran, Ayatollah Khomeini, die Fatwa gegen sie verhängt hat und alle Muslime in der Welt zum Mord an Ihnen aufrief. In "Knife" nennen Sie den Attentäter nur "A". Denken Sie noch an ihn?
Immer weniger. Aber ich kann erst wirklich damit aufhören, an ihn zu denken, wenn die rechtlichen Fragen alle geklärt sind und er verurteilt wurde. Ich brauche seine Verurteilung, um damit abschließen zu können. Aber im Alltag denke ich nicht mehr viel über ihn nach. Ich glaube, ich bin ihn beim Schreiben dieses Buches losgeworden, indem ich mich mit ihm auseinandergesetzt habe. Das Entscheidende ist: er ist im Gefängnis, da gehört er hin. Und ich bin in Freiheit, da gehöre ich hin.
Sie sagten einmal, die größte Gefahr für die freiheitliche Welt gehe von Islamisten und anderen religiösen Fanatikern aus. Was halten Sie heute für die größte Gefahr für die Demokratie und die Meinungsfreiheit?
Nachdem, was mir nun passiert ist, bin ich auch heute ziemlich überzeugt davon, dass der radikale Islam gefährlich ist. Im Allgemeinen ist religiöser Fanatismus für eine Menge der gegenwärtigen Probleme in der Welt verantwortlich. Aber religiöser Fanatismus ist nicht die einzige Gefahr, vielleicht nicht mal die größte. Die größte Gefahr ist der wachsende Populismus verbunden mit Ignoranz.
Wir leben in Zeiten, in denen es Dank der neuen Medien sehr einfach ist, Lügen zu verbreiten. Und ein großer Teil der Leute akzeptiert diese Lügen. Zum Beispiel glaubt um die Hälfte der republikanischen Wähler in den USA, dass die letzte Wahl gestohlen wurde. Dabei wurde sie nicht gestohlen, es war eine faire ehrliche Wahl.
Aber Millionen von Menschen glauben, dass sie gestohlen wurde, weil ihnen das immer wieder erzählt wurde. Das ist ein Problem für eine Demokratie. Das kann sehr destabilisierend sein. Lügen sind überall und sie verbreiten sich heute einfacher und schneller. Vielleicht hat im Zeitalter der Lüge, in dem wir leben, die Literatur die Aufgabe, die Menschen daran zu erinnern, was Wahrheit ist.
In welchem Ausmaß verfolgen Sie, was aktuell in Deutschland passiert? Die pro-palästinensischen und in Teilen anti-israelischen Proteste, auch an den Unis, Ausladungen und Absagen von Veranstaltungen in der Kulturszene führen zu Kontroversen und Diskussionen. Wie stehen Sie dazu?
Dazu kann ich leider nichts sagen, ich kenne mich mit der aktuellen Situation in Deutschland leider nicht aus. Es scheint aber ein universelles Problem zu sein.
Wie denken Sie diesbezüglich über die Situation in den USA?
Ich lehre an der New York University, wo es auch Studentenproteste gab, allerdings nicht so heftig wie an der Columbia, und ich habe dazu eine zwiegespaltene Meinung. Auf der einen Seite haben Studenten natürlich das Recht, dazu zu demonstrieren. In meiner Generation richteten sich unsere Proteste gegen den Vietnam-Krieg. Es ist wichtig, diese Freiheit zu schützen.
Aber es ist auch notwendig sicherzustellen dass sich andere Studenten nicht unsicher dadurch fühlen, oder dass die Proteste in einen antisemitischen Diskurs abgleiten, was in vielen Fällen passiert ist. Es ist also sehr schwer das auszubalancieren. Die verschiedenen Uni-Verwaltungen sind damit unterschiedlich umgegangen, einige besser, einige schlechter. Bewaffnete Polizei auf Studenten loszulassen, ist nicht so eine gute Idee, finde ich, aber auf der anderen Seite ist es auch keine gute Idee, College-Gebäude zu besetzen und zu beschädigen.
Tatsache ist, dass jeder normale Mensch nur erschüttert darüber sein kann, was gerade in Gaza passiert, über das Ausmaß an unschuldigen Toten. Ich finde aber, die Demonstrierenden könnten ruhig auch mal die Hamas erwähnen. Denn mit ihnen fing das alles an. Und Hamas ist eine terroristische Organisation. Und es ist doch komisch, dass eine junge progressive Studentenpolitik eine faschistische terroristische Gruppe unterstützt, denn das tun sie auf eine Art. Sie fordern "free palestine", befreit Palästina.
Ich war die meiste Zeit meines Lebens für einen eigenen palästinensischen Staat. Seit den 1980ern schon. Aber wenn es jetzt einen palästinensischen Staat gäbe, würde er von der Hamas geführt und wir hätten einen Taliban-ähnlichen Staat. Einen Satellitenstaat des Iran. Ist es das, was die progressiven Bewegungen der westlichen Linken erschaffen möchte? Es gibt dazu nicht gerade viele tiefe Gedanken, sondern vor allem eine emotionale Reaktion auf die Toten in Gaza. Das ist ok. Aber wenn es in Antisemitismus abgleitet und manchmal sogar in Unterstützung für die Hamas, dann wird es problematisch.
In Deutschland stehen gerade drei Landtagswahlen an, die rechte Partei AfD steht in Umfragen gut da. Es gab in letzter Zeit einige Angriffe auf Politiker und Wahlkämpfer. Der SPD-Politiker Matthias Ecke wurde niedergeschlagen, andere wurden eingeschüchtert, angepöbelt, beleidigt, Plakate wurden beschmiert. Auch wenn Sie mit der Situation in Deutschland nicht vertraut sind, aber im Allgemeinen: Wo kommt diese Radikalisierung her? Und warum sind Politiker so oft Zielscheibe für Hass?
Nun, die ganze Welt ist zu einem gewaltbereiten Ort geworden. Ein Leben scheint heute weniger wert zu sein. Es scheint so, als sei es heute vorstellbarer als früher geworden, jemanden körperlich anzugreifen. Es gibt einen globalen Verfall der Zivilisation. Ich kenne mich in Deutschland nicht aus, aber ich war gerade erst in Frankreich und habe gehört, dass dort junge rechtsextreme Anführer auf dem Vormarsch und sehr beliebt sind. Und es scheint möglich, dass junge Wähler ihre Stimme der extremen Rechten geben.
Wenn die Welt sich dahingehend verändert, haben wir ein echtes Problem. Wissen Sie, ich war 1968 21 Jahre alt und wir dachten, die Welt würde sich zum Besseren wandeln und dass bestimmte Probleme - so wie die über die wir hier gerade sprechen - der Vergangenheit angehörten. Es ist ziemlich verstörend zu sehen wie falsch wir lagen. Wir lagen falsch und es ist auch irgendwie unsere Schuld.
Trotzdem: In Ihrem Buch nennen Sie sich einen Optimisten und sehen das gleichzeitig als Ihre beste und Ihre schlechteste Seite. Wie meinen Sie das?
Manchmal kommt man sich einfach dumm dabei vor, optimistisch zu sein, wenn es eigentlich gerade nichts gibt, was einen optimistisch stimmen könnte. Das ist der Grund, warum Voltaires Roman "Candide" ein Klassiker geworden ist, denn Candide bleibt optimistisch, als es keinen Grund dafür gibt. Er wirkt wie ein Idiot, und als solcher wird er uns vorgeführt. Ein Teil von mir fühlt sich wie ein Idiot, weil er hoffnungsvoll bleibt. Aber ich weiß aus meinem Geschichtsstudium, dass Geschichte nicht vorhersehbar ist. Geschichte hat nichts Zwangsläufiges. Sie folgt nicht unausweichlich dem Pfad, der ihr bestimmt zu sein scheint. Sie kann sich sehr schnell wieder ändern.
In "Knife" sagen Sie, dass Sie das Gefühl hatten, erst dieses Buch schreiben zu müssen, um das Attentat hinter sich zu lassen und sich überhaupt wieder in die Lag zu versetzen, Fiktion zu erschaffen. Haben Sie vielleicht schon einen neuen Roman in Arbeit?
Soweit bin ich noch nicht. Ich habe eine kleine Geschichte geschrieben, nachdem ich mit "Knife" fertig war. Und ich weiß noch nicht so richtig, was ich damit anfangen soll. Es sind bis jetzt 65 Seiten. Ich lasse den Text jetzt liegen, bis ich mit "Knife" richtig abgeschlossen habe, dann widme ich mich ihm erneut. Ich habe in den letzten zwei Jahren zwei Bücher geschrieben. Ich weiß noch nicht welches Buch als nächstes zu mir kommt, aber dass weiß ich nie.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Salman Rushdie führte Nadine Kreuzahler für rbb24 Inforadio.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.05.2024, 13:55 Uhr