Konzertkritik | Polyphia im Huxleys - "Guck mal, was ich kann" - Musik mit Wow-Faktor
Die Instrumentalband Polyphia spielt virtuos und hat Rockmusik auf ein anderes Level gehoben. Kein Takt zu krumm, kein Gitarrenriff zu kompliziert. Live wird das alles dann auch noch zur Party. Wie Hendrik Schröder beim Konzert im Huxleys beobachtet hat.
Irgendwas mit "Motherfucker" ins Mikro schreiend, kommen Polyphia auf die Bühne und legen direkt los. Die beiden Gitarristen klettern auf kleine Podeste, so dass sie quasi noch mal über der Bühne stehen, der Bassist bleibt auf dem Boden. Alle sind sie ganz in schwarz gekleidet, mit weißen Turnschuhen, mit schwarzen, meist langen Haaren. Wie Brüder, wie eine Gang. Was dann musikalisch passiert ist wirklich nicht von dieser Welt. Erst verwinkeln sich die beiden Gitarren in eine weiche Melodie des Introsonngs "loud" , dann bricht wie aus dem nichts verzerrtes Gitarrengewitter herein, dass die Fans aufjuchzen.
Flamenco trifft Heavyriff
Polyphia, das haben ihnen schon viele attestiert und und es ist wahr, betreiben eine völlig andere Sportart als die meisten anderen Rockbands ihrer Zeit. Vier hochbegabte Vollfreaks, die gefühlt keinen geraden Takt spielen, keinen Akkord doppeln. Und die nicht nur wie zum Beispiel die Math Rocker Tool, krummes weirdes Heavy Zeug konsumierbar, sprich moshbar machen, sondern die dabei auch gar keine Genre Grenzen kennen.
So spielt der eine Gitarrist Scott Le Page auf seiner 12-saitigen E-Gitarre ein Heavyriff in einer Geschwindigkeit und Komplexität, dass Metallica fragen würden : "Ähh…was genau machst du da?" Während der andere Gitarrist, Tim Henson, die E-Gitarre hinter den Rücken wirft, eine Semi Akustik gereicht bekommt, darauf einen Flamenco in die Heavyriffs knallt. Irre. Und so geht das die ganze Zeit. Rund 90 Minuten lang. Dann wieder Verzerrer an, hoch aufs Podest, Moshpart.
Die beste Instrumentalband ihrer Zeit
Als Polyphia sich 2010 gegründet haben, waren sie noch minderjährig und haben zum Beispiel Metalversionen von Bachs Concerto No. 1 in D Moll entwickelt. So ist die Legende, so steht es im Internet. So ambitioniert waren sie. Man mag die Story glauben, wenn sie jetzt, 14 Jahre später das Huxleys mit krummen Takten und ganz ohne Gesang zum Toben bringen. Eigentlich hatten sie ja mal einen Sänger, der stieg früh aus und sie hatten dann einfach so viel Spaß dran, die Musik rund um Melodien und Grooves zu elaborieren, nicht rund um Text, dass sie sich nie einen neuen Frontmann gesucht haben. Heute spielen sie bei Rock am Ring und freuen sich, wenn sie dort die einzige Instrumentalband des ganzen Festivals sind. Sowas ist ja auch selten. Polyphia sind eine totale Nischenband. Aber innerhalb dieser Nische sind sie die Größten.
Mitgesungene Riffs
Besonders elektrisierend wird es, wenn das Publikum mangels Lyrics, die Riffs mitsingt. Die Gitarre macht "fip fip fiddelliliip" und das Publikum singt aus voller Kehle "Fip Fip Fiddelllidellip"im Echo. Herrlich. Über 1.000 Leute sind gekommen, um den Spaß mitzumachen. Aus allen Ecken. Rapper mit Goldketten und Käppi. Schwer tätowierte Metaller mit Haaren bis zum Bauchnabel, Oberlippenbart Hipster, Ausdruckstanzhippies. Alle so zwischen 18 und 35.
Erstaunlich, wie viele sich auf diese Band einigen können, bei denen man eigentlich nur wissend nickende Jazzstudierende vermuten würde. Live sind Polyphias Songs härter als auf Platte. Der Sound ist derber als der vor allem der letzten Alben. In denen Polyphia immer tiefer in wildestes Genrecrossover getaucht sind, irgendwann sogar Trap für sich entdeckt haben, die Gitarren cleaner wurden. Beim Konzert kann man sich in ihre Wucht regelrecht reinfallen lassen.
Unsympathische Attitüde
Einzig die Art und Weise, wie die Band mit dem Publikum spricht, ist irgendwas zwischen ärgerlich und lächerlich. Sie schreien ihre Fans grundsätzlich ausschließllich an, brüllen super aggressiv Verhaltensbefehle wie "jetzt crowdsurfen", "jetzt klatschen", "wollt ihr noch" und sowas. Alles im Kasernenhofton. Alles pubertär inflationär gespickt mit Motherfucker und 125 fuckings / Stunde. Wilde These: US Bands, zumal aus Texas, fluchen in Europa auf der Bühne besonders viel, weil sie es sich zu Hause oft verkneifen müssen. Unsympathisch kommen Polyphia rüber, muss man echt sagen. Und passt auch gar nicht zu der intellektuellen "guck mal was ich kann"-Streber-Musik und den frisch gewaschenen Haaren der Band. Naja. Die Leute machen es mit. Vor allem junge Frauen folgen dem Aufruf, dass die Band nur weiterspielt, wenn das Publikum doch jetzt ausufernd crowdsurfen würde. Und lassen sich über den Köpfen der Menge durch den Club tragen.
Und können nach dem Konzert ihre Shirts auswringen und drei Tage lang schlecht hören, während sie versuchen, endlich dieses Dauergrinsen aus dem Gesicht zu kriegen. Was will man mehr.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.06.2024, 6:55 Uhr