"Nicht sie allein" - Ausstellung widmet sich Frauen im Widerstand gegen die Nazis

Sa 06.07.24 | 08:27 Uhr | Von Marie Kaiser
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Die Künstlerin Claudia Balsters verstreut sie überall auf dem Boden der Ausstellung. Auf den Zetteln sind Parolen zu lesen, die vor Frauen warnen. "Hab Acht vor den Hausfrauen" heißt es da. (Quelle: rbb/Kaiser)
Bild: rbb/Kaiser

Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielten nicht nur Männer eine wichtige Rolle. Doch die Namen der Frauen kennt kaum jemand. Das will die Ausstellung "Nicht sie allein" im Berliner Willy-Brandt-Haus ändern. Von Marie Kaiser

Flugblätter wirbeln durch die Luft. Die Künstlerin Claudia Balsters verstreut sie überall auf dem Boden der Ausstellung. Auf den Zetteln sind Parolen zu lesen, die vor Frauen warnen. "Hab Acht vor den Hausfrauen" heißt es da oder "Sie trifft sich. Sie versteckt. Sie kauft ein. Sie näht. Sie schießt." Auf anderen Flugblättern stehen die oftmals in Vergessenheit geratenen Namen von Frauen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben.

Schon im Titel "Nicht sie allein" steckt drin, worum es dem Künstlerinnen-Duo Claudia Balster und Hannah Goldstein geht. "Die gängige Vorstellung vom Widerstand ist ja eher militärisch und dass dort nur Männer mitgewirkt haben. Es waren aber eben nicht sie allein. Wir wollten hier den Fokus auf den weiblichen Handlungsspielraum setzen und die widerständigen Handlungen, die darin möglich waren", sagt Claudia Balsters.

In die Rolle der Widerstandskämpferin schlüpfen

Eine der Frauen, die ihren Handlungsspielraum zu nutzen wusste, war die Berliner Journalistin, Verlegerin und Politikerin Annedore Leber. Sie war mit dem SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Julius Leber verheiratet, der unter anderem an der Vorbereitung eines Attentats auf Hitler mitgewirkt hat.

Annedore Leber steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Ihr widmen die Künstlerinnen die Serie "Dear Annedore". In inszenierten Fotografien nähern sie sich dem Leben von Annedore Leber an.

Für einige Fotos ist Künstlerin Hannah Goldstein in die Rolle von Annedore Leber geschlüpft. Zu sehen ist der Hinterkopf einer Frau mit Hochsteckfrisur vor blauem Hintergund. Mit Daumen und Zeigefinger zieht sie eine Haarnadel heraus - eine kleine unscheinbare Geste, die aber durchaus als bedrohlich wahrgenommen werden kann. Auch aus einer Haarnadeln könnte im Ernstfall eine Waffe werden.

Auf einem anderen Foto wird ein großes Schnittmuster entrollt. Darauf sitzen zwei Kinder, die wir nur von hinten sehen. "Annedore Leber war Mutter, sie war Schneidermeisterin und hat lange Jahre auch für den Unterhalt der Familie gesorgt, als ihr Mann im Gefängnis war. Und zusätzlich hat sie die widerständigen Handlungen Ihres Mannes unterstützt im Kleinen", erklärt Claudia Balsters.

Julius Leber wurde 1945 von den Nationalsozialisten hingerichtet. Seine Witwe Annedore Leber kümmerte sich dann in der Nachkriegszeit um die Demokratiebildung junger Menschen.

Flugblätter wirbeln durch die Luft. Die Künstlerin Claudia Balsters verstreut sie überall auf dem Boden der Ausstellung. Auf den Zetteln sind Parolen zu lesen, die vor Frauen warnen. "Hab Acht vor den Hausfrauen" heißt es da. (Quelle: rbb/Kaiser)

Das Gewissen steht auf

Gemeinsam mit Willy Brandt brachte Annedore Leber 1954 das Buch "Das Gewissen steht auf" heraus. In diesen Büchern finden sich mehr als 60 Porträts und Lebensläufe von Widerstandskämpfern und Widerstandskämpferinnen. "Es waren vornehmlich Männer, da war Annedore auch ein Kind ihrer Zeit. Ihr war es wichtig, dem deutschen Volk diese Menschen nahezubringen, weil diese Menschen im Nachkriegsdeutschland noch oft als Verräter:innen galten", sagt Claudia Balsters.

Die Schwarz-Weiß-Porträts aus diesen Büchern haben die Künstlerinnen mit zarter Schere ausgeschnitten und für Collagen verwendet. Mal sind nur die Köpfe oder Teile des Gesichts zu sehen, die einander überlagern und zu einem großen Ornament verschmelzen.

Collage als Form der Reparatur

Auf einer anderen Collage sehen wir die Oberkörper der Widerstandskämpfer, die sich aneinander zu lehnen scheinen. Beim Zerschneiden der Bücher ging es Claudia Balsters und Hannah Goldstein nicht darum, etwas zu zerstören, sondern es war für die Künstlerinnen eher eine Reparaturarbeit.

"Diese Fotos wurden bei Schauprozessen aufgenommen", sagt Balsters. "Wir wollten die einzelnen Angeklagten ineinander verschränken, damit sie sich gegenseitig stützen können. Wir wollten mit ihnen in Kontakt treten und sie anders zusammenfügen - zu einer größeren Menge, einem gemeinsamen Körper."

Die zerschnittenen Bücher haben die Künstlerinnen dann noch für eine Videoarbeit weiterverwendet. Die herausgerissenen Seiten mit den fehlenden Gesichtern und Silhouetten der Widerstandskämpfer werden sorgsam übereinander geschichtet zu einem großen Stapel. Durch die Löcher im Papier sind auch immer Teile der anderen Seiten zu sehen. Die meisten der Menschen, die hier jetzt nur noch als Leerstelle zu sehen sind, wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Die große Lücke, die sie hinterlassen haben, wird gerade in dieser Arbeit schmerzhaft spürbar. Sie erscheinen hier fast wie Geister.

"Das sind Menschen, die zu einem demokratischen Deutschland hätten beitragen können, die dann aber nicht da waren", sagt Claudia Balsters. "In der Ausstellung geht es uns auch darum, uns alle daran zu erinnern, dass wir für die Demokratie arbeiten müssen. Es soll eine Erinnerung daran sein, wie wichtig es auch heute ist, dass wir uns verbinden und menschlich solidarisch handeln. Und das können wir, weil wir genug Vorbilder haben, die uns gezeigt haben, dass es geht."

Die Künstlerin Claudia Balsters verstreut sie überall auf dem Boden der Ausstellung. Auf den Zetteln sind Parolen zu lesen, die vor Frauen warnen. "Hab Acht vor den Hausfrauen" heißt es da. (Quelle: rbb/Kaiser)

Kunst gepaart mit Zärtlichkeit

Ihre Verbindung zum Vorbild Annedore Leber ist durch die Arbeit an der Ausstellung sehr innig geworden. Claudia Balsters redet immer nur von "Annedore", als wäre sie eine alte Freundin.

Darauf angesprochen, muss die Künstlerin lachen. "Ich würde hoffen, dass sie es genauso sehen würde", sagt sie. "Wenn man sich lange mit jemandem beschäftigt, gewinnt man eine Menge Zärtlichkeit für jemanden. Gerade wenn man eine Person in sehr schweren Zeiten beobachtet, wie sie es geschafft hat, mit allen Höhen und Tiefen und allen Facetten des Charakters durchzukommen. Davor habe ich eine große Hochachtung."

Die Ausstellung "Nicht sie allein - Frauen im Widerstand" von Claudia Balsters und Hannah Goldstein ist noch bis 8. September zu sehen im Willy-Brandt-Haus, dem Sitz der Bundeszentrale der SPD, in der Stresemannstraße in Berlin-Kreuzberg. Geöffnet ist von Dienstag bis Sonntag. Der Eintritt ist frei. Ein Ausweis ist erforderlich.

Sendung: Radioeins, 05.04.2024, 9.15 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

9 Kommentare

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  1. 9.
    Antwort auf [Wossi] vom 07.07.2024 um 10:00

    Also jetzt mal Klartext! Sie stellen diese Ausstellung, bzw. die Künstlerin als sinnlos dar? Hallo, gehts noch? Auf alle Fälle ist die Ausstellung wichtig, weil sie vielen namenlosen Sichtbarkeit gibt und die meisten Bürger Deutschlands wissen noch zuwenig darüber. Sie stellen eine flachgeistige Frage mit der Absicht zu ...ja was? Gehen Sie lieber mal hin! Gibt Leute, dit hälste nicht aus!

  2. 8.

    Alle Menschen, die dem Widerstand in Berlin zuzuordnen sind, sind größtenteils (Trafo Verlag) im Lexikon „Widerstand in Berlin gegen das Nazi-Regime von 1933-45“ zusammengefasst. Sehr viele Menschen übrigens.
    Da habe ich meine Großmutter wiedergefunden, die sicher nichts Großartiges vollbracht hat, aber Gefangenentransporte, die in Viehwaggons auf der Schiene ankamen, mit ihrem Zuteilungsbrot und Wasser versorgte. Sie wurde von Nachbarn denunziert und von der Gestapo einen ganzen Tag verhört, ein Aufseher der Gefangenen sagte hingegen für sie aus, ihr großes Glück, auch sie leugnete und leugnete und kam um das KZ herum. Viele andere hatten weniger Glück.
    Allein das war schon Widerstand, eine einzige menschliche Regung gegenüber anderen Menschen.

  3. 7.

    Frauen waren im Widerstand durchaus sichtbar. Weiße Rose, Rote Kapelle und viele Andere Gruppen. Man sollte die Geschichte der Weimarer Republik und des NS-Regimes in den Focus des Geschichtsunterrichtes in der 10. Klasse oder der Oberstufe machen. Leider gibt es nur noch wenige Zeitzeugen!
    Im Studium hat ich das Glück Widerstandskämpfer kennen zu lernen und in der Familie war ebenfalls jemand der im Widerstand und dafür im KZ war mit dem ich über diese Zeit reden konnte!

  4. 6.

    Aber das Thema ist total wichtig zur Zeit, weil AKTUELL! Da müßte mehr Werbung gemacht werden, damit (nicht nur die Frauen) alle mehr tun, um die neue ,,Machtübernahme'' der neuen Nazis zurückzudrängen.

  5. 5.

    Ich werde mir diese Ausstellung sicherlich im Urlaub anschauen.
    Meinen Ausweis zu zeigen, empfinde ich nicht als Problem.
    Danke an die mutigen Frauen von damals.

  6. 4.

    PS: Man würde meinen, eine Taschenkontrolle genügte. Aber nein, das private Anschauen einer Ausstellung muss schon personalisiert sein. Ich frage erneut, wozu? Immerhin passt es zum BMI und der SPD, das ist eine durchgehende rote Linie.

  7. 3.

    So etwas wie Museen und andere ebenfalls steuerlich bezuschusste Häuser?

  8. 1.

    Wozu das? "Ein Ausweis ist erforderlich."

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