Test mit Comic-Zeichner "Flix" - Kann Künstliche Intelligenz auch Kunst?
KI-gestützte Bildgeneratoren können in Sekundenschnelle ganze Bilder kreieren. Aber wie künstlerisch begabt und kreativ sind sie eigentlich? Der Test mit Illustrator Felix "Flix" Görmann. Von Marvin Wenzel
In seinem Atelier in Berlin-Pankow beugt sich Illustrator Felix Görmann über eine Bleistiftskizze. Sie zeigt einen Mann, der an einem Schreibtisch sitzt und versucht, sich zu entspannen. Mit einem schwarzen Fineliner zieht Görmann die dünnen Linien des Gesichts der Figur nach.
Unter dem Künstlernamen "Flix" hat sich Görmann einen Namen gemacht für humorvolle Comic-Geschichten, die Alltagssituationen aufgreifen. In diesem Fall: Dass sich ein Vater bei der Arbeit nicht entspannen und konzentrieren kann, weil im Nebenzimmer sein kleiner Sohn spielt und ihn ablenkt.
Bevor die Comics in Büchern oder Zeitungen wie der FAZ erscheinen, scannt er die Bilder ein und fügt den Bildern mit einem Computerprogramm Graustufen hinzu. Das Zeichnen eines seiner Comics kann mehrere Tage in Anspruch nehmen.
In den vergangenen zwei Jahren haben sich auf Künstliche Intelligenz (KI) gestützte Anwendungen etabliert, die versprechen, innerhalb von wenigen Sekunden eine ähnliche Arbeit zu leisten. Dazu gehören Bildgeneratoren wie Midjourney und Canva. Ihre Funktionsweise ist relativ unkompliziert: Die Nutzer:innen können in einem Textfeld beschreiben, welches Bild sie sich wünschen - und schon erzeugt die KI Bilder nach diesen Vorgaben.
"Wollte herausfinden, ob ich ersetzbar bin"
Auch Felix Görmann hat KI-Anwendungen wie Chat-GPT bereits bei der Ideenfindung ausprobiert. "Ich wollte herausfinden, ob ich ersetzbar bin", sagt er. Er ließ das Programm Handlungsstränge für einen Comic schreiben. Die Ergebnisse seien aber erstaunlich unoriginell gewesen. "Die Vorschläge waren einfach nicht lustig", sagt er. Humor habe er der KI nicht entlocken können. Ihm sei das Programm daher keine Hilfe gewesen. Denn um Spannung zu erzeugen, brauche es "eine Pointe oder ein Dreher, der die Geschichte am Ende nochmal verändert".
Gibt man bei Chat-GPT den Befehl "Generiere mir einen Comic im Stil von Illustrator Flix!" ein, erscheint sofort ein Text auf der Bildfläche, der eine Comic-Geschichte in acht Bildern beschreibt. Sie hat den Titel "Der Tag des Pechs". Die erste Szene der Handlung beschreibt die KI wie folgt:
"Eine gemütliche Küche am Morgen. Ein Mann, nennen wir ihn Max, sitzt am Tisch und liest die Zeitung. Er trägt einen Schlafanzug und hat eine Tasse Kaffee vor sich. Darüber der Text: Es sollte ein ganz normaler Tag werden."
Die darauffolgenden Szenen handeln davon, dass der Mann einen ganzen Tag lang Pech hat. Er verschüttet seinen Kaffee, stolpert, vergisst Dinge und schneidet sich beim Rasieren. Am Abend macht er sich einen Tee, setzt sich auf die Couch und sagt: "Morgen wird es bestimmt besser."
Keine Fallhöhe, keine Emotionen
"Das ist völlig belanglos", sagt Görmann. Der Geschichte fehlte es an einem Ziel, auf das sie hinarbeitet. Auch das Ende sei für ihn "extrem unbefriedigend". Schließlich habe die Geschichte keine Fallhöhe und würde so keine Emotionen erzeugen.
Obwohl das Programm bei dem Illustrator durchgefallen ist und er es bei seiner Arbeit nicht mehr verwendet, machen sich viele Künstler:innen Sorgen um ihre berufliche Zukunft. In einer Studie haben die Stiftung Kunstfonds und die Initiative Urheberrecht [kunstfonds.de] rund 3.000 Kunstschaffende unter anderem aus den Bereichen Grafik, Malerei, Bildhauerei, Videokunst, Digitale Kunst, Zeichnung und Fotografie befragt. Dabei gaben über die Hälfte der Befragten an, dass sie ihre Lebensgrundlage als gefährdet sehen.
"Bisher ist die KI eher eine Inspiration, kein Ersatz"
"Die meisten Betrachter:innen können bei Kunstwerken oftmals gar nicht erkennen, ob sie mithilfe von KI-Tools entstanden sind", sagt Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds. Viele Künstler:innen befürchteten deshalb eine wachsende Konkurrenz auf dem Kunstmarkt. Gleichzeitig seien KI-Anwendungen für viele Kunstschaffende aber auch ein wichtiges Werkzeug. "Knapp die Hälfte nutzt KI zum Experimentieren", sagt Lingl. So könnte beispielsweise ein Maler in einem KI-generierten Bild einen interessanten Pinselstrich sehen und ihn anschließend auch in sein Gemälde integrieren. Sie sagt: "Bisher ist KI aber eher eine Inspiration, kein Ersatz."
Gibt man bei dem kostenfreien Bildgenerator Canva die Beschreibung von der von Chat-GPT erzeugten Comicszene im Flix-Stil ein, erscheint in dem Online-Programm circa zehn Sekunden später eine digitale Zeichnung. Ein Mann mit schwarzen Haaren und Zehn-Tage-Bart sitzt an einem Küchentisch. Vor ihm sind ein Tellerstapel und mehrere Kaffeetassen zu sehen. Görmann schaut sich das Ergebnis an und sagt: "Das sieht null nach mir aus!" Schaue man auf die Details, merke man schnell, dass etwas mit dem Bild nicht stimme. So fehlten die Augen des Mannes. Er sagt: "Die KI nuschelt sich da was zusammen, was echt aussehen soll, aber nicht echt ist." Die Präzision von klaren Linien funktionierte bisher nicht.
"Für mich wäre es deutlich weniger Arbeit, das Bild nochmal komplett neu zu zeichnen, als die Fehler zu korrigieren." In seinem Arbeitsablauf habe er KI-Programme deshalb nicht integriert. Bisher sei er auch nicht besorgt um seine Zukunft. Denn finanzielle Einbußen habe er noch nicht.
In ihrer Studie "KI und bildende Kunst. Chancen und Risiken" gehen die Stiftung Kunstfonds und die Initiative Urheberrecht zudem davon aus, dass KI-Bildgeneratoren bis 2030 einen Umsatz von zwei Milliarden Euro machen werden. Dadurch würden sie am gesamten Bildmarkt einen Anteil von einem knappen Viertel ausmachen. Schon in den kommenden vier Jahren könnten Kunstschaffende dadurch schätzungsweise Einkommenseinbußen von rund zehn Prozent beim Verkauf ihrer Werke haben.
Stiftung Kunstfonds fordert Regulierung von KI-Kunst
"Es muss klare Regeln geben, um Künstler zu entschädigen", so Karin Lingl. Schließlich würden die KI-Programme meist mit den Werken der Künstler:innen lernen. Sie würde sich wünschen, dass Kunstschaffende erst zustimmen müssen, bevor eine KI die Kunst in ihren Datensatz aufnehmen darf. Zudem sei eine faire Vergütung sinnvoll, falls die Künstler:innen zustimmen. In einem dritten Schritt hält sie eine verpflichtende Kennzeichnung von KI-Kunst für erforderlich - unabhängig davon, ob sie in einem Museum ausgestellt wird oder im Internet zu sehen ist.
Illustrator Görmann geht davon aus, dass es in den kommenden Jahren wegen der KI-Konkurrenz weniger Kreative geben wird, die von ihrer Kunst leben können. Künstler:innen, die aus der Menge herausstechen und einen eigenen Stil haben, bräuchten sich weniger Sorgen machen. Bedroht seien wahrscheinlich eher Kunstschaffende, die handwerklich variabler sind und "keine klare Handschrift" haben. So seien schon jetzt in Teilen Illustratoren ersetzbar, die Zeichnungen für Storyboards von Filmen anfertigen.
KI in der Kunst: Nur eine Phase?
Görmann geht jedoch auch davon aus, dass KI-Programme in der Illustration zwar zunächst an Bedeutung gewinnen, dann aber auch wieder verlieren werden. "Ich denke, wir sind momentan in einer Lernphase: Man probiert, was geht und was nicht geht", so Görmann. "KI kann nur bereits Vorhandenes recyceln und diese Wiederholung wird sich mit der Zeit erschöpfen." Die fehlende Originalität würde die Betrachtenden irgendwann langweilen.
Auf die Idee von seinem aktuellen Kinderbuch "Das ZYX" brachte ihn zum Beispiel seine Tochter, als er ihr mit einem ABC-Buch das Lesen beibrachte. Das Buch dreht sich um ein Abenteuer eines fiktiven ZYX-Wesens, das rückwärts durchs Alphabet reist.
Insgesamt sieht Görmann KI-Programme als "Lückenfüller". Er habe in den vergangenen Jahren auch verstärkt wahrgenommen, dass Kunstfans wieder Original-Zeichnungen kaufen wollen würden. In der Flut aus digitalen Bildern hätten sie wieder das Bedürfnis, etwas Einzigartiges und Unverfälschtes zu besitzen. KI-Werke könnten ihnen das nicht geben, sagt er und schaut nochmal auf die KI-Version des Comics im Flix-Stil. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Seelen der Leute davon dauerhaft satt werden."