Notfälle auf dem Land - First Responder helfen, wenn es um Minuten geht
Wer auf dem Land einen Herzinfarkt bekommt, hat schlechtere Überlebenschancen als er in der Stadt hätte. Denn die Entfernungen sind größer und Zeit ist der entscheidende Faktor. In Wenzlow versucht man, neue Wege einzuschlagen. Von Alexander Goligowski
- Auf dem Land ist die nächste Rettungsstelle oft weit entfernt
- Bei einem Herzinfarkt zählt aber jede Minute
- In Brandenburg haben sich in manchen Orten ehrenamtliche Rettungseinheiten "First Responder" gegründet
10:11 Uhr: Ein Notruf aus Wenzlow (Potsdam-Mittelmark) geht in der Regionalleitstelle Brandenburg an der Havel ein. "Sie haben Ihren Nachbarn bewusstlos im Hausflur gefunden und er ist nicht ansprechbar?" Noch ein paar weitere Fragen an die Anruferin und für Silvio Egner ist klar: Kreislaufzusammenbruch, vermutlich ein Infarkt. Er alarmiert die Einsatzkräfte – Notarzt und Rettungswagen. Außerdem aktiviert er die Katretter-App.
Drei Menschen mit App und medizinischen Vorwissen sind in der Nähe und können möglicherweise schnell erste Hilfe leisten. Noch eine weitere Möglichkeit poppt auf. In Wenzlow gibt es seit Oktober eine First Responder-Einheit. "Je mehr Möglichkeiten ich habe, desto besser ist es für den Patienten. Gerade bei Herzinfarkten geht es um jede Minute und auch um die Qualität der Ersten Hilfe", sagt Silvio Egner und weist die Frau am Telefon bei der Ersten Hilfe an.
First Responder erhöhen die Überlebenschancen
Es ist eine Übung, und doch fühlt es sich fast echt an, als in Wenzlow um 10:13 der Alarm losgeht. Von allen Seiten kommen drei Kameraden und eine Kameradin von der Freiwilligen Feuerwehr angelaufen, springen in ihre Klamotten und brausen mit ihrem Einsatzfahrzeug zum Einsatzort. Die vier sind die First Responder-Einheit, die Silvio Egner von Brandenburg an der Havel aus alarmiert hat. "Dorfstraße 6, bewusstlose Person im Treppenhaus. Carmen, Du nimmst den Koffer mit dem Defibrillator." Kevin Kujat gibt dem Team die Einsatzdaten.
Im Oktober wurde die Freiwillige Feuerwehr Wenzlow vom Landkreis Potsdam-Mittelmark offiziell als First Responder in die Ausrückeordnung aufgenommen. Nun werden sie von der Regionalleitstelle alarmiert. Die Kameraden um Kevin Kujat sind bestens in Erster Hilfe geschult, er selbst und eine Kameradin arbeiten als Rettungssanitäter. Seit neuestem haben Sie auch einen Defibrillator in ihrer Ausrüstung, gespendet vom Feuerwehrverein. "Mit dem Defi haben wir die Möglichkeit, das Herz zu resetten. Und je eher das passiert, desto größer sind die Überlebenschancen", erklärt Kujat die Idee hinter First Responder.
Innerhalb von zwei Minuten sind die Kameraden als Erste vor Ort. Der leblose Mann ist blass. Er hat Schweißperlen auf der Stirn, keine Atmung. Das Herz schlägt unregelmäßig. Sie beginnen sofort die Reanimation. Die Defi-Pads werden angebracht und die Maschine übernimmt die Anweisungen. Schock! Sie machen weiter, bis der Rettungswagen aus Ziesar eintrifft.
15 Minuten können zu lange sein
15 Minuten - länger darf ein Rettungswagen (RTW) von seinem Standort nicht zu einem Einsatz brauchen. Das schreibt das brandenburgische Rettungsdienstgesetz so vor. Der Rettungswagen aus Ziesar ist in 13 Minuten in Wenzlow. Eine gute Zeit - und dennoch kann es für einen Herzinfarktpatienten schon zu spät sein. Und in ungünstigen Fällen kann sich die Ankunftszeit doch verlängern. Der RTW in Ziesar ist auch für den Autobahnabschnitt bei Wollin zuständig. Wenn es dort kracht, kann der Einsatz schon mal länger dauern, dann müsste bei einem Notfall in Wenzlow der RTW aus Brandenburg (Havel) kommen. Und das dauert länger. Nebel, Glätte, nächtlicher Wildwechsel - all das kann auf dem Land die Ankunftszeit des Rettungswagens zusätzlich verzögern.
Die Überlebenschancen mit einem Infarkt sind auf dem Land schlechter als in der Stadt. Weil sie das nicht akzeptieren wollten, haben Kevin Kujat und seine Kameraden und Kameradinnen die First Responder-Einheit in ihrem Heimatdorf Wenzlow gegründet. "Viele von uns arbeiten im Schichtdienst. Das bedeutet, dass immer ein paar Kameraden oder Kameradinnen im Ort sind. Wir werden also immer die Schnellsten am Einsatz-Ort sein." Ihr Einsatzgebiet umfasst Wenzlow und seine Ortsteile, Wollin und auch die Park- und Rastplätze am nahen Autobahnabschnitt. "Für die Menschen hier auf dem Land bedeutet es viel mehr Sicherheit", sagt Kujat nicht ohne Stolz.
"Es geht wirklich um jede Minute"
In ganz Brandenburg gibt es mittlerweile einige First Responder. Allein im Einzugsbereich der Regionalleitstelle Brandenburg (Havel) - dazu gehört die Stadt selbst, Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming - gibt es acht Einheiten. Von Flächendeckung kann zwar keine Rede sein, aber es müssten auch keine Rettungslücken geschlossen werden, versichert der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in Brandenburg (Havel), Martin Hochstatter.
Das ehrenamtliche Engagement der First Responder, meist Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren, begrüßt er dennoch ausdrücklich - gerade im Hinblick auf Herz-Kreislaufstillstände. "Wir haben ein großes Problem: Das Hirn reagiert sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel. Nach drei Minuten treten Schäden auf, nach fünf Minuten sind die Schäden bleibend. Wenn wir das sogenannte therapiefreie Intervall verkürzen können, können First Responder den Unterschied ausmachen. Es geht wirklich um jede Minute."
Ehrenamt mit großer Wirkung
1.500 Euro kostet die nötige Ausrüstung, ein paar Schulungen müssen sein und ansonsten viel ehrenamtliches Engagement. Das bringen die Kameraden und Kameradinnen der Freiwilligen Feuerwehren ohnehin schon mit. Kevin Kujat hofft, dass noch mehr ihrem Beispiel folgen. "Der Anreiz wäre sicher größer, wenn die Ausrüstung nicht über Spenden besorgt werden müsste. Wenn die Gemeinden, die Landkreise oder das Land da etwas Geld in die Hand nehmen könnten, wäre viel für die Menschen auf dem Land getan."
In Wenzlow reagiert der zusammengebrochene Mann nach diversen Schocks, Beatmung und Medikamenten auf die Ansprache der Rettungssanitärer. Der Übungspatient ist bereit zum Abtransport. Durch die schnelle Hilfe der First Responder, sind nicht nur seine Überlebenschancen gestiegen. Auch die Gefahr von bleibenden Schäden konnte deutlich gesenkt werden.
10:45 Uhr: Übung beendet. Die Kameraden und Kameradinnen um Kevin Kujat können zurück in die Betten oder zum Job.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.01.2023, 14 Uhr