Wildnisgebiet Jüterbog - Waldbrände werfen Natur um Jahrzehnte zurück

Mo 16.09.24 | 07:48 Uhr | Von Alexander Goligowski und Philipp Rother
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Nach Brand in Jüterbog:verkohlte Baumstämme liegen auf dem Boden.(Quelle:rbb/A.Golikowski)
rbb/A.Golikowski
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 15.09.2024 | Alexander Goligowski | Bild: rbb/A.Golikowski

Das Wildnisgebiet nahe Jüterbog soll eigentlich unberührt bleiben, die Natur soll sich auf eigene Faust ausbreiten. Die häufigen Waldbrände verhindern das aber, Schutzstreifen durchlaufen das Gebiet. Von Alexander Goligowski und Philipp Rother

Das Land Brandenburg ist stolz auf sein riesiges Wildnisgebiet Jüterbog im Landkreis Teltow-Fläming. Wölfe sind in dem rund 7.000 Hektar großen Areal zu Hause, auch Wildkatzen und seltene Pflanzen sind zu finden.

Das Gebiet war über aber 150 Jahre lang ein Truppenübungsplatz, seit dem Truppenabzug Anfang der 1990er Jahre kann sich die Natur dort aber weitgehend unbeeinflusst vom Menschen entwickeln. Die landschaftliche Vielfalt reicht von Sanddünen und Pionierwäldern im zentralen Bereich bis hin zu Feuchtgebieten und älteren Wäldern in den Randlagen. Die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg sichert die Fläche für den dauerhaften Wildnisschutz.

Hintergrund ist, dass sich zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln sollen können. Dies entspricht etwa einer Fläche von 714.000 Hektar.

Nach dem Brand in Jüterbog.(Quelle:rbb/A.Golikowski)
Wildnischef Andreas Meißner auf eine Brandfläche | Bild: rbb/A.Golikowsk

Verkohlte Stämme, toter Boden

Es gibt aber ein Problem: Auf den munitionsbelasteten Flächen lodern die Flammen so häufig wie nirgendwo sonst in Deutschland. Allein seit 2017 wurden zehn Brände gezählt - ein Drittel der über 7.000 Fußballfelder großen Wildnisdfläche hat schon mindestens einmal gebrannt. "Die Flächen werden durch die Feuer jeweils massiv zurückgesetzt", sagt Wildnischef Andreas Meißner im Gespräch mit dem rbb.

Im vergangenen Sommer wurden durch ein Feuer rund 700 Hektar zerstört. Es blieben verkohlte Reste von einst riesigen Stämmen zurück, und toter Boden. Vereinzelt kämpfen sich mittlerweile Zitterpappeln aus dem Sand. Kanadisches Berufkraut verbreitet sich zaghaft - es könnte eigentlich die ganze Fläche einnehmen, wächst aber nur sporadisch.

Für Wildnischef Meißner ist das eine schwere Niederlage gegen das Feuer, seit 2017 habe er mit seinem Team und den Einsatzkräften intensiv gegen die Brände gekämpft. "Wir waren glücklich, dass wir einen bestimmten Bereich vor dem Feuer gerettet haben, nur um dann im nächsten Jahr die Fläche in Flammen aufgehen zu sehen. Das ist nur mit sehr viel Energie auszuhalten und macht äußerst betroffen. Aufgeben ist aber keiner Lösung", so Meißner.

Experten gehen von Brandstiftung aus

Trotz der vielen Munition im Boden gehen fast alle Experten von Brandstiftung aus - auch Meißner. Es wurden zuletzt aber auch immer wieder Gerüchte laut, dass die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg selbst Interesse an den Bränden haben könnte, um die Kiefernplantagen loszuwerden.

Der Wildnischef dementierte diesen Gedanken im Gespräch mit dem rbb deutlich: "Wildnis bedeutet, dass sich möglichst große Flächen, mindestens 1.000 Hektar, vom Menschen ungesteuert entwickeln können. Und jetzt zwingen uns die vielen Brände dazu, riesige Waldbrandschutzsteifen durch die Landschaft zu ziehen. Einmal im Jahr fahren wir hier mit dem Trecker durch, um wieder offenen Sand herzustellen."

50 Meter breite Schneisen durchziehen auf über 30 Kilometern Länge die Wildnis, die eigentlich völlig unberührt bleiben soll. "Das sind schmerzhafte Kompromisse, weil der Waldbrandschutz so eine Priorität bekommen hat", erläuterte Meißner. Das sei ein absoluter Widerspruch zum Wildniskonzept. Die Flächen würden durch die Feuer jeweils "massiv zurückgesetzt".

Nach dem Brand in Jüterbog.(Quelle:rbb/A.Golikowsk)Waldbrandschutzsteifen durchlaufen das Wildnisgebiet

Wildnisprojekt nicht in Gefahr

Zudem bindet jeder Brand auch Mitarbeiter: "Wir sind verantwortlich für die Waldbrandwache und die geht über Tage, über Wochen und im Falle von Moorbränden sogar über Monate. Das bringt uns als Team an unsere personelle Leistungskante", so Meißner.

Das Wildnisprojekt sei durch die Brände aber nicht gefährdet, erklärte Meißner: "Es ist nur eine temporäre Gefährdung. Wir denken hier in Jahrhunderten und Wildnis bedeutet auch nicht, dass alles Urwald wird. Das kann auch eine unberührte Heidelandschaft sein."

Zuletzt loderten Flammen im August. Es war ein mittelschweres Bodenfeuer. Rund 180 Hektar waren von dem Waldbrand betroffen. Bis an einen Schutzstreifen war das Feuer herangerückt - das Brandschutzkonzept hat aber Wirkung gezeigt. 2019 hatte es an genau der Stelle schon einmal gebrannt. Einige Birken haben nun überlebt, auch Heidekraut. Dennoch ist die Natur abermals um Jahrzehnte zurückgeworfen worden.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 15.9.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Alexander Goligowski und Philipp Rother

12 Kommentare

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  1. 12.

    Gute Frage, vielleicht geht es weniger um Bäume als um Tiere. Nicht die, die im Uhrkasten Schutz suchen, sondern die, die Kreide fressen.

  2. 11.

    Einfach den Wald sich selbst überlassen und das Tiere abknallen einstellen. https://forsterklaert.de/prozessschutz
    Der Mensch kann es nicht.

  3. 10.

    Gehört Australien zu unseren Breitengraden und handelt es sich beim "Busch" etwa um einen Wald?
    "Nach ihren Gesetzmäßigkeiten entwickeln lassen", genau das wird ja versucht!! Nur haben sich die Gesetzmäßigkeiten aufgrund inzwischen jährlicher Waldbrände so verändert, dass ein weiterso, keine typisch mitteldeutschen Habitate mehr zulässt. Wobei im Vordergrund zuallererst die (vorsätzlich oder fahrlässig menschengemachten) Brandstiftungen stehen.

  4. 9.

    Ja aber auch unter diesen Umständen könnte man die Fläche "nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln" lassen.
    Wäre doch auch schon mal ein tolles deutschlandweites Experiment.
    Oder will man das einzig vom Menschen Erwartete beobachten?
    Und die Kohle wird als Nährstoff gebraucht.
    Auch komisch wie das nahezu jährliche Feuer dem australischen Busch Nahrung bringt, in zweierlei Hinsicht.

  5. 8.

    Ich antworte mal zynisch mit:

    Die Brandstifter wollen einfach den Konsens der Menschheit, "dem Planeten den gar aus zu machen" beschleunigen.
    - Nach dem Motto, lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende!

    Warum die Mehrheit die eigenen Lebensgrundlagen unbedingt zerstören will, nur um vorm Nachbarn mit einem SUV, oder letzten Flugreise zu protzen, erschließt sich logisch nicht zwangsläufig, aber dagegen zu sein, und sich z.B. auf die Straße zu kleben wird einem jedenfalls nicht gedankt!

    Alternativ (ohne Zynismus):
    Es könnte ein Geisteskranker mit einer Waldphobie sein, der glaubt dort würden Geister wohnen, oder sein Gott fordert das von Ihm, es könnten Wolfshasser sein, die diesem die Lebensgrundlage entziehen wollen, es könnten Grundstücksspekulanten sein, oder russische Agenten, die dem DE-Staat schaden wollen, oder IS-Anhänger die DE zur Wüste machen wollen, oder ein Anlieger hat einfach eine Allergie, gegen dort vorkommende Pflanzen, usw!

  6. 7.

    Das mag ja sein, aber Brandstiftung gehört mit Sicherheit nicht zu den Gesetzmäßigkeiten.
    Und der Widerspruch der Brandschutzschneisen zum Konzept der Wildnis wird ja gesehen, nur was wäre die Alternative? Einfach brennen lassen? Dann bliebe wohl nicht mehr viel übrig.

    Was wohl die Brandstifter bezwecken wollen?

  7. 6.

    Oh man, es ist völlig wurscht ob Kiefernwald, Mischwald oder sonstwas für ein Wald. Hier gehts um die Waldbrandzyklen.
    Wenn die Frequenz der Waldbrände zu hoch wird, kann sich das Habitat nicht mehr erholen. Und ein Erholungszyklus dauert für sich schon Jahrzehnte! Daran sieht man schon, dass große Waldbrände in unseren Breiten eher mehrere Jahrzeht bis Jahrhundertereignisse als Jahresereignisse sein sollten.
    Und beim Waldumbau im Forst (also vom Menschen bewirtschafteter Wald) wird der bestehende Wald auch nicht komplett abgefackelt oder gerodet, sondern mit Laubbäumen geplentert (bestimmte Kiefern gefällt und mit Laubbaumsetzlingen unterfüttert). Auch bestehende Kiefernwälder sind natürlich ökologisch viel wertvoller als Sandwüsten.

  8. 4.

    Nun, das Gebiet besteht doch überwiegend aus Sand/sandigen Boden, wie sollen sich da Landflächen "nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln".
    Und Brände gehören in einigen Regionen der Welt zu den "eigenen Gesetzmäßigkeiten".
    Nur weil man es in diesen Fall anders will, darf das nicht sein.
    Waldbrandschutzsteifen - "Einmal im Jahr fahren wir hier mit dem Trecker durch, um wieder offenen Sand herzustellen."
    Und schon ist es vorbei mit dem Unberührt und sich selbst überlassen.
    So macht man Logik!

  9. 3.

    Abgestorbenes auf dem Waldboden von Kieferbeständen brennen eher und mehr, als von Buchen. Wo bleibt der Mischwald?

  10. 2.

    Wir müssen versuchen, nicht in unseren Lebensspannen zu denken :-) ich habe vielleicht (!) noch 20 Jahre, who knows, Herr Meißner auch wohl mehr, aber nach uns, die wir dieses Gebiet so sehr lieben, werden andere diesen Job übernehmen. Sehen, wie Pionierbewuchs sich wieder ausbreitet. Und selbst Brandstifter werden älter(vage Hoffnung...)!

    Exkurs Geschichte: seit 1571 gab es "professionelle" Glashütten in Brandenburg, schon vorher wurde Glas hergestellt, Holzkohle wurde gebraucht, überall standen dampfende Meiler. Aber die Glas- bzw. die Holzkohle-Herstellung hat unser einst dicht bewaldetes Brandenburg zu einer Streusandbüchse gemacht, lang bevor lange Kerls auf der Düne Krieg übten.

    Wir versuchen immer noch, das wieder zu flicken. Fortschritt und "Industrie" haben lange vor Tesla den Wald dezimiert, aber wir müssen langfristig denken. Und im nächsten Leben werde ich Ranger ;-)versprochen!

  11. 1.

    Dann sollte man die Brandstifter mal ordentlich zur Kasse bitten bzw überhaupt erstmal verfolgen, da leider 99% aller Waldbrände von Menschen mit Absicht verursacht sind.

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