Brandenburgs koloniale Vergangenheit in Westafrika - John Kuny übernimmt die Kontrolle

So 08.01.23 | 17:24 Uhr | Von Oliver Noffke
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Das Fort Groß Friedrichsburg an der Küste des Golfs von Guinea auf einer Zeichnung von 1688 (Quelle: AKG-Images)
Audio: Radioeins | 29.12.2022 | Max Spallek | Bild: akg-images

Anfang des 18. Jahrhunderts verkaufen die Preußen ihre Kolonie in Westafrika. Groß Friedrichsburg wirft nicht die erhofften Gewinne ab. Nur sagt niemand dem wichtigsten afrikanischen Partner Bescheid. John Kuny greift zur Muskete. Von Oliver Noffke

Von den Kriegsschiffen lässt sich John Kuny nicht einschüchtern. Er will Groß Friedrichsburg nicht räumen. Schließlich hat der König von Preußen befohlen, dass sich Kuny um die Festung kümmern soll. Die Niederländische Westindien-Kompanie möchte er nur als neue Besitzerin akzeptieren, wenn ihm der Verkauf von einem Preußen bestätigt wird. Allerdings ist der letzte Kommandant der Kolonie schon vor Jahren Richtung Berlin abgereist.

Verhandeln will Kuny auch nicht. Die Aufforderung, an Bord des größten der drei Schiffe zu gehen, schlägt er aus. Also setzen die Niederländer auf Gewalt. 50 Marinesoldaten gehen an Land. Sie sollen die Festung erstürmen. Sie kommen schnell voran. Kein Afrikaner stellt sich ihnen in den Weg. Schlafen die Bewohner etwa? Ist das Fort vielleicht verlassen?

Als den Niederländern klar wird, dass sie in einen Hinterhalt laufen, ist es zu spät. 1.800 afrikanische Kämpfer warten auf sie. Viele sind mit Musketen bewaffnet. Nur der Hauptmann des Trupps soll es zurück auf eines der Schiffe geschafft haben, aus drei Wunden blutend. So soll die Nacht geendet haben, als die Niederländer im Jahr 1720 bei Poqueso (heute Princess Town in Ghana) am wichtigsten Verbündeten von Brandenburg-Preußen in Westafrika scheiterten.

Ein Mann, viele Namen

In der Literatur sind viele Versionen seines Namens zu finden: Jan Conny, Johan Kuny, Johannes Conrad, Jean Cunny, January Konny oder Nana Konneh, um nur einige zu nennen. Die Schreibweise John Kuny kommt seiner Aussprache im heutigen Ghana besonders nah. Aber auch sie basiert wie die anderen wohl auf einer Verballhornung seines wahren, aber in Vergessenheit geratenen Namens.

Überhaupt scheint vieles, was wir heute über ihn zu wissen glauben, Legenden zu entspringen. Dass seine Privatarmee 20.000 Mann umfasste, ist wahrscheinlich eine starke Übertreibung seiner Zeitgenossen. Es zeigt aber sehr wohl, welchen Eindruck er hinterlassen hat. Er muss über erhebliche militärische Ressourcen verfügt haben. Anders hätte sein weit verzweigtes Netz aus Karawanen nicht geschützt werden können.

In dem Abkommen wurde unter anderem festgelegt, dass aus der Umgebung keine Menschen als Sklaven verkauft werden durften

Edward Adum Nyarko, University of Ghana

Als Junge soll er am Bau des Forts Groß Friedrichsburg beteiligt gewesen sein und so Deutsch gelernt haben. Später steigt er zum gewieften Großhändler auf. "John Kuny hat beide Seiten bespielt", sagt Edward Adum Nyarko von der University of Ghana in Accra. Der Archäologe hat seine Doktorarbeit über die Geschichte von Fort Groß Friedrichsburg geschrieben. "Er war ein Mittelmann auch für Händler aus dem Hinterland, die Gold oder Sklaven verkaufen wollten", sagt er. "Ich glaube, ihm hat es gefallen, dass die Europäer da waren. Für ihn hat das Geld bedeutet."

Die Erfindung des Rassismus

Sklaverei ist ein uraltes Übel. Doch mit der Ankunft der Europäer in Afrika änderte sich etwas grundlegend, schreibt der Antirassismus-Forscher Ibram X. Kendi in seinem Buch "How to be an Antiracist". Vorher hätten muslimische und christliche Sklavenfänger keinen Unterschied zwischen Afrikanern, Arabern oder Europäern gemacht. Das änderte sich Mitte des 15. Jahrhunderts unter dem Kommando von Prinz Heinrich, dem vierten Sohn des portugiesischen Königs Johann I., so Kendi. "Mit dem Beginn der modernen Welt begannen die Portugiesen ausschließlich afrikanische Körper zu handeln." Die Geschichte rassistischer Politik beginne demnach mit Heinrich dem Seefahrer.

Edward Adum Nyarko ist Archäologe von der University of Ghana in Accra. (Quelle: rbb)Edward Adum Nyarko an der University of Ghana in Accra

Ohne afrikanische Anführer wie Kuny wäre der transatlantische Sklavenhandel lange Zeit wohl nur schwer möglich gewesen. Viele Europäer waren schlicht nicht in der Lage, Menschen in großer Anzahl zu erbeuten. Stattdessen bauten sie Handelsbeziehungen zu den Völkern an der Küste auf, von denen sie Sklaven abkauften. So auch die Brandenburger, die nach ihrer Ankunft mit den Menschen aus Poqueso einen Vertrag aushandelten.

"In dem Abkommen wurde unter anderem festgelegt, dass aus der Umgebung keine Menschen als Sklaven verkauft werden durften", so Archäologe Nyarko. "Die lokale Bevölkerung war über die Ankunft der Brandenburger ziemlich erfreut", sagt er. "Sie hatten eine Reihe von Niederlagen gegen benachbarte Völker verkraften müssen." Der Vertrag mit den Brandenburgern sei für Poqueso demnach eine Art Lebensversicherung gewesen.

Neben den Niederländern und Brandenburgern, hatten insbesondere auch die Engländer und Portugiesen am Golf von Guinea Festungen errichtet, die Schweden und Dänen ebenso. Das Geschäft mit den Sklaven war für die Europäer und ihre Vertragspartner oftmals sehr einträglich. Doch Leid und Elend, die damit einher gingen, führten in der ganzen Region immer wieder zu Spannungen und Gewalt.

Kerker unter Palmen

Partner, Feind, Freund, Angreifer, Verteidiger

Bereits Otto Friedrich von der Groeben erwähnt einen "Jan Conny" in seinen Reiseaufzeichnungen. Unter seinem Kommando erreichten 1682 zwei Schiffe der kurbrandenburgischen Marine Westafrika, er gründet im Namen des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm die Kolonie Groß Friedrichsburg sowie das gleichnamige Fort.

Doch erst viel später tauche Kuny öfter in Akten und Berichten auf, schreibt der Berliner Historiker Ulrich van der Heyden in seinem Buch "Rote Adler an Afrikas Küste". 1701 wurde Kuny demnach für einen Gewaltausbruch verantwortlich gemacht, bei dem der Kommandant des Forts ertränkt wurde. Mehrere seiner Männer verloren ebenfalls ihr Leben.

Zu jener Zeit herrschten in der preußischen Kolonie desolate Zustände: Die Verwaltung war unfähig, die Führung korrupt, die Truppen fühlten sich von der Heimat nicht ausreichend unterstützt. Ob wirklich Kuny der Aggressor bei diesem Ereignis gewesen war, wie aus Berichten der Preußen hervorgeht, oder die Gewalt doch von der kolonialen Truppe ausging, ist heute schwer zu beurteilen.

Fort Großfriedrichsburg im heutigen Ghana im Oktober 2022. (Quelle: rbb/Oliver Noffke)Blick auf das Dorf Princess Town. Vor der Ankunft der Brandenburger war es als Poqueso bekannt, was so viel wie Wald bedeutet.

John Kuny macht was er will

Wenn er wollte, konnte Kuny den Europäern das Leben aber auch auf andere Weise erschweren. Aus dem Brief eines Assistenten der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie von 1711 geht hervor, wie der "eigene Makler" des Kommandanten Groß Friedrichsburg vom Handel abschneiden wollte. Kuny soll Asante-Oberhäupter aus dem Landesinneren darum gebeten haben, keine Kaufleute mehr zu den Preußen zu schicken, heißt es in dem Schreiben. Offenbar hielt Kuny den Kommandanten, ein Säufer, für unfähig.

Kuny macht was er will. Er lässt Schiffe plündern, zettelt Schlachten an. Nachdem ein Streit eskaliert, greift er das nahegelegene Fort Dix Cove an. Am Ende fliegt der dortigen Besatzung das Pulvermagazin um die Ohren. In den Dörfern kommen die Aktionen gut an. "Mit der lokalen Bevölkerung hatte er keine Probleme, das waren seine Verbündeten", sagt Edward Adum Nyarko. "In Krisensituationen konnte er sich an sie wenden und auf ihre Unterstützung zählen."

Unterdessen versiegt in Preußen das Interesse an der Kolonie im fernen Afrika endgültig. Im Jahr 1717 wird die Festung verlassen. Im September bittet "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. Kuny die Stellung zu halten, drei Monate später wird die Kolonie verkauft. Für die Afrikaner ergibt das keinen Sinn: Aus ihrer Sicht erlöscht mit dem Abzug der Preußen auch ihr Besitzanspruch. Als würde ein Pachtvertrag aufgegeben.

Fort Großfriedrichsburg im heutigen Ghana im Oktober 2022. (Quelle: rbb/Oliver Noffke)Fort Groß Friedrichsburg ist heute eine Ruine

Die Spur verschwindet in den Tiefen des Dschungels

Als das Deutsche Kaiserreich im späten 19. Jahrhundert beschließt, Land in Afrika zu besetzen, taucht der Name "Jan Conny" wieder in der Presse auf. Von einem "schwarzen Preußen" ist zu lesen, der den Besitz eines deutschen Königs verteidigt. Sein Leben wird umgedeutet und als Beweis für die eigene Überlegenheit angeführt. Eine Kolonie unter deutscher Führung sei für die indigene Bevölkerung schließlich ein Segen, ist oftmals der Tenor.

Stattdessen hinterlassen die Truppen des Kaiser im heutigen Tansania wortwörtlich verbrannte Erde, Hunderttausende verhungern; im heutigen Namibia kommt es zu einem brutalen Vernichtungskrieg gegen die Nama und Herero; in der Kolonie Togoland, die auch einen wesentlichen Teil des heutigen Ghanas umfasst, wird geplündert und geraubt.

Mehrfach versuchen die Niederländer, ihre Besitzansprüche durchzusetzen, doch erst 1724 gelingt es ihnen. Aus Groß Friedrichsburg wird Groot Frederiksborg. Es ist nicht ganz klar warum, aber Kuny hat zu diesem Zeitpunkt die Küstenregion verlassen und ist Richtung Norden gezogen. Seine Spur verschwindet in den Tiefen des Dschungels. Zurück bleibt seine Legende.

Sendung: Radioeins, 29.12.2022, 18.40 Uhr

Beitrag von Oliver Noffke

16 Kommentare

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  1. 16.

    Ich hatte mir sowas vorgestellt "Brandenburgs koloniale Vergangenheit in Westafrika und ihre Nachwirkungen". Ist aber wie gesagt, nicht der eigentliche Kritikpunkt.

  2. 15.

    Ich glaube das war nicht gemeint. Ich sah das eher als polemische Meinungsäußerung oder generelle Kritik bzw. Ablehnung von Fachliteratur.

  3. 14.

    Ich finde doch den Haupttext gut. Mein Hauptkritikpunkt sind diese überhaupt nicht notwendigen verkürzten Punkte am Schluß, die eigentlich gar nicht mehr für den Sachverhalt notwendig waren und in ihrer Form und verkürzten Darstellung die gute Arbeit darüber entwerten.

  4. 13.

    In der Tat gibt es einen Unterschied zwischen unmittelbarer Anschauung, zwischen Primär- und Sekundärliteratur. - Wer nicht selbst da sein konnte, konnte aber Quellen sammeln und auswerten und daraus Schlüsse ziehen. Und dann gibt es die Flut von Sekundärliteratur, die bloß abschrieb, was andere schrieben. War da eine Fehleinschätzung drin, wurde die dann als Wahrheit weitergetragen, auch wenn der ursprüngliche Autor sich längst revidiert hatte.

    Das lernen heute schon alle Studierenden: möglichst viele Quellenangaben zu zitieren, weil das für eine Abschlussarbeit so verlangt wird. Die können dann auch en bloc rüberkopiert werden, ohne auch nur eine Seite davon gelesen, geschweige denn verstanden zu haben.

    Die geschummelten Doktorarbeiten sind dann nur ein weiterer Strang davon - zumeist ja noch aus "vortechnischer Zeit der Handarbeit."

  5. 12.

    Nur weil Großfriedrichsburg verkauft wurde, heißt das nicht, dass dadurch ihre Geschichte neu geschrieben wurde. Die Brandenburger haben diese Kolonie gegründet und Jan Conny erst groß gemacht. Das wird für immer Brandenburgs koloniale Vergangenheit bleiben. Alles andere ist Geschichtsumschreibung. ZUmal, wie in diesem Text zu lesen ist, ja darüber debattiert werden kann, ob dieser Verkauf überhaupt rechtens war. Nach der Rechtsauffassung vor Ort, war das ja offensichtlich nicht so einfach möglich, wie die Europäer sich das ausgedacht hatten.

  6. 11.

    Sehr interessanter Artikel! Frage mich, warum ich noch nie davon gehört habe.

  7. 10.

    Ach und nur "Historiker" kennen sich aus?
    Weil JEDER Historiker zu ALLEN Dingen der Historie ein Experte ist?
    Genau dieser Unfug, diese Obrigkeitshörigkeit ist der Anfang allen Übels.
    "Super, der Mann hat einen Titel, der MUSS sich auskennen" - genau das Gegenteil ist der Fall, denn bei sehr vielen Leuten wurde Buchinhalt nur auswendig gelernt, aber nicht begriffen, was man dort "gelernt" hat.

  8. 9.

    Nur für die Schilderung der Vorgeschichte bis zum Verkauf. Das sollte deutlicher werden.

  9. 8.

    Ja. Aber trotzdem finde ich es lobenswert, daß der rbb diesen Artikel gebracht hat zur Geschichte. Und ja, es ist mir klar, daß Geschichte immer wieder auch politischen Wertungen der jeweils aktuellen Zeit unterliegt. Man sollte aber solche Bemerkungem im Text am Schluß des Artikel so nebenbei unterlassen, das entwertet die Arbeit darüber doch sehr.

  10. 6.

    "Die Geschichte rassistischer Politik beginne demnach mit Heinrich dem Seefahrer."

    Das war schon immer falsch, denn der "moderne" Rassismus wurde bereit von den Hebräern in Babylon und zur entsprechenden Zeit begründet, als erstmals "Priester" entsprechend abfällige Äußerungen zur Verbindung von Juden und Einheimischen getätigt haben.

    Nur mal ein Zitat:
    "Ester 14, 15:
    ...du weißt auch, daß ich...das Ehebett der Unbeschnittenen und aller Fremdstämmigen verabscheue."

  11. 4.

    »Sehr verkürzt dargestellt. In DSW gab es übrigens ein Abkommen mit den Engländern zur Aussiedlung der Stämme. Und auch heute gibt es weiterhin Lüderitz, dessen Umbennenung weiterhin auf lokalen starken Widerstand der Einheimischen trifft.«

    Ja, leider ist es heute in Mode, die Geschichte umzuschreiben. Tatsächlich stammt die aktuell verbreitete Darstellung der damaligen Ereignisse in Namibia von Horst Drechsler, einem marxistischen DDR-Historiker.

    Ich empfehle dazu den SPIEGEL-Artikel »Gab es wirklich einen Völkermord an den Herero?« von Bartholomäus Grill.

  12. 3.

    "heutigen Namibia kommt es zu einem brutalen Vernichtungskrieg gegen die Nama und Herero, in der Kolonie Togoland, die auch einen wesentlichen Teil des heutigen Ghanas umfasst, wird geplündert und geraubt." Sehr verkürzt dargestellt. In DSW gab es übrigens ein Abkommen mit den Engländern zur Aussiedlung der Stämme. Und auch heute gibt es weiterhin Lüderitz, dessen Umbennenung weiterhin auf lokalen starken Widerstand der Einheimischen trifft. Bitte sowas nicht en passant verkürzt darstellen, sondern lieber auch einen umfassenderen Artikel wie hier schreiben.

  13. 2.

    Danke für den interessanten Artikel.
    Aber bitte die Überschrift korrigieren, denn "Brandenburgs koloniale Vergangenheit in Westafrika" stimmt inhaltlich ja nicht, da es ja schon an die Niederländer verkauft war.

  14. 1.

    Lesestoff hierzu: Die Romane "Herero" von Gerhard Seyfried und "Morenga" von Uwe Timm

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