Digitale Armut - Offline wider Willen
Ein Handy mit Datenvolumen, ein funktionierender Laptop, WLAN fürs Homeschooling: Solche digitalen Standards sind für Kinder aus armen Familien nicht selbstverständlich. Doch wer online nicht mithalten kann, dem droht Ausgrenzung. Von Konrad Spremberg und Max Ulrich
- Kinder und Jugendliche machen wichtige Entwicklungsschritte heute auch digital, sagen Experten
- Das ist ein Problem für Kinder aus einkommensschwachen Familien, in denen Geld für digitale Ausstattung fehlt
- Finanzielle Hilfen decken die Kosten für Geräte und Telekommunikationsverträge oft nicht ab
- Neben der Ausstattung fehlt es auch an Anleitung der Kinder, wie sie sich sicher und gut im Netz bewegen
20 Euro für den Mobilfunkvertrag mit ein paar Gigabyte Datenvolumen, 30 Euro fürs WLAN, Kosten für ein Smartphone, einen Laptop oder das Tablet: Das sind in Deutschland übliche Preise, um zuhause und unterwegs online zu sein. Viele Kinder und Jugendliche aus Familien, die von Armut betroffen sind, können sich das aber nicht leisten. Sie können ohne ausreichend Datenvolumen kein Homeschooling verfolgen, oder sie teilen sich einen langsamen Laptop zu viert.
Wichtige Entwicklungsschritte werden inzwischen im Netz gemacht
Dabei ist moderne Technik mit schnellem Internet in der Hosentasche kein Luxus, sondern entscheidet heute über Zugehörigkeit und Teilhabe, über Bildungschancen und ein Erwachsenwerden auf Augenhöhe mit Gleichaltrigen. "Viele entwicklungspsychologische Aufgaben, die klassischerweise im Kinder- und Jugendalter stattfinden, haben wir heute nicht mehr nur im analogen, sondern auch im digitalen Raum", sagt Sozialpädagogin Silke Starke-Uekermann. Digitale Teilhabe ist in Forschung und Sozialarbeit mittlerweile ein etablierter Begriff, Starke-Uekermann spricht bei einem Mangel auch von "digitaler Armut".
Die Sozialpädagogin betreut als Projektleiterin den "Monitor Jugendarmut" [bagkjs.de] bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit. Dieser Report fasst aktuelle Studienergebnisse aus Deutschland zusammen, darunter Daten der "Initiative D21", die die Entwicklung der digitalen Gesellschaft erforscht. Ihr zufolge hängen Haushaltseinkommen und Möglichkeiten zur digitalen Teilhabe eindeutig zusammen.
Demnach besitzt nicht einmal jeder zweite Haushalt mit 2.000 Euro Nettoeinkommen einen Laptop. Bei mehr als 3.000 Euro netto pro Monat haben ihn dagegen fast 80 Prozent. Laptop oder kein Laptop - diese Frage ist für Kinder und Jugendliche vor allem beim Thema Bildung elementar: Rasant beschleunigt durch die Corona-Pandemie, ist selbständiges Lernen vor dem Bildschirm heute integraler Bestandteil des Schulalltags. Gerade in den ersten Monaten des Homeschoolings, als Unterstützungsprogramme wie der sogenannte Digitalpakt Schule noch keine Wirkung gezeigt hatten, hieß das oft in aller Härte: kein Geld, kein Laptop, keine Bildung.
Finanzielle Hilfen oft zu niedrig
Zwar gibt es beim neuen Bürgergeld einen Posten für "Post und Kommunikation" von rund 45 Euro. Davon lassen sich aber ein Handyvertrag mit ausreichend Datenvolumen und ein Festnetztelefon mit WLAN kaum bezahlen. Und: Für die Anschaffung neuer Geräte wie Handy oder Tablet ist ebenfalls zu wenig Geld vorgesehen. Paritätische Verbände fordern deshalb schon länger mehr finanzielle Mittel für digitale Teilhabe, das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz spricht sich gar für ein "Digitales Existenzminimum" aus. Auch die für 2025 geplante Kindergrundsicherung könnte mehr Geld für digitale Bedarfe bereitstellen, allerdings ist deren genaue Ausgestaltung noch offen.
Neben den Geräten ist das Netz essenziell
Heute können zwar immer mehr Schulen armutsbetroffene Schülerinnen und Schüler mit Geräten ausrüsten, diese allein sind aber nur einer von drei Bausteinen zur digitalen Teilhabe: Der Internetzugang und der richtige Umgang damit sind ähnlich wichtig wie die Geräte - und in der Gesellschaft ähnlich ungleich verteilt.
Internetzugang, den zweiten Baustein, gibt es auf unterschiedlichen Wegen - von der Festnetzflatrate mit unbegrenztem WLAN über Mobilfunkverträge mit Datenpaketen bis hin zu öffentlichen Hotspots. Letztere sind zwar temporär hilfreich, aber die U-Bahnhaltestelle dient Schüler:innen nicht als adäquater Lernort. Das Datenvolumen des Mobilvertrags ist endlich, vor allem wenn viel gestreamt wird. Und so ist die Festnetzflatrate zuhause der einzige Weg, der sorgenfreies Bildungs- und Freizeitleben inklusive Videokonferenzen und Streaming möglich macht. Aber ausgerechnet darauf verzichten viele Familien mit knappem Geld, weil das immer noch leichter gehe als ohne Mobilfunkvertrag zu leben, berichtet Annette Maurer, Leiterin des Stadtteilvereins Schöneberg. Schon mehrfach hat sie mit ihrem Team versucht, nachbarschaftlich geteiltes WLAN zu vermitteln.
Kinder brauchen auch Hilfe beim "richtigen Surfen"
Die dritte Dimension digitaler Teilhabe, nämlich die Digitalkompetenz, ist für Maurers Mitarbeiter Rushen Kartal besonders wichtig. Er ist in der Jugendarbeit tätig und sieht ein großes Problem im falschen Umgang mit Smartphones, Laptops und Onlinediensten: "Erst mal geht es vor allem darum zu verstehen: Was passiert, wenn ich irgendwo raufklicke?", so Kartal. Spiele ich ein Video ab, das mein Datenvolumen leert? Schließe ich versehentlich ein teures Abo ab? Gebe ich ungewollt zu viele Daten preis?
Kartal beschreibt eine Dynamik, auf die auch Silke Starke-Uekermann mit Blick auf die Forschungsergebnisse hinweist: Digitalkompetenz entwickeln junge Menschen am besten dann, wenn sie ein Gerät in Ruhe und spielerisch kennenlernen, die Technik erkunden und sich mit erfahreneren Menschen darüber auszutauschen können. Wenn das neue Tablet aber mit vier Geschwistern geteilt werden muss und obendrein die Flatrate fehlt, dann ist zu wenig Raum zum Kompetenzerwerb - und es können teure Fehler wie Abo-Fallen und unseriöse Verträge passieren. Das Ergebnis im schlechtesten Fall: Die Geldnot wird noch größer.
Kinder und Jugendliche schreiben aber nicht nur Schulaufgaben oder Bewerbungen am Laptop, sie haben hier auch einen sozialen und kulturellen Raum - in den längst nicht mehr jede oder jeder reinkommt: "Wenn ihnen die Geräte fehlen oder wenn Bezahlschranken davor sind und sie sich das nicht leisten können, dann ist das genauso wie das Geld zum Eis essen oder fürs Kino nicht zu haben. Den Kindern und Jugendlichen sind Chancen verschlossen, analog wie digital,“ sagt Silke Starke-Uekermann.
Digitale Armut nur ein Teil der Ungleichbehandlung
Zu jeder Tageszeit digital kommunizieren, die neuesten Serien auf Streamingportalen schauen oder Games auf Online-Plattformen mitspielen können: Es geht für Kinder und Jugendliche um all die Dinge, die darüber entscheiden, wer mitreden und mitmachen kann und wer nicht.
Digitale Armut beschreibt nur einen kleinen Teil der vielfältigen Ungleichbehandlung und Ausgrenzung, die armutsbetroffene Menschen erleben. Bildung und Spielen, Kultur und Freizeit, an diesen Dingen hat es Menschen mit sehr wenig Geld schon lange vor dem Internet gemangelt. Weil sich all das aber zu guten Teilen ins Internet verlagert hat und weiter verlagert, bedeutet digitale Armut zusätzliche Hürden. Sie können die Ausgrenzung noch größer machen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 01.02.2023, 7:00Uhr