Interview | Lebensgefährte getöteter Afghanin - "Ihre Brüder waren kontrollsüchtig"
Im Juli 2021 kommt Maryam H. gewaltsam zu Tode. Ihre beiden Brüder müssen nun wegen Mordes an ihrer Schwester lebenslang in Haft. Bereits vor Prozessende hat der damalige Freund von Maryam H. erstmals über ihr Leben gesprochen.
rbb|24: Was war Maryam H. für ein Mensch, wie haben Sie sie erlebt?
Maryam war sehr sympathisch, sie ging sehr freundlich mit ihren Kindern um. Und sie hatte ein großes Herz. Sie war sehr hilfsbereit. Sie war eine große Bereicherung für alle Menschen in ihrer Umgebung.
Wie ist sie mit ihren Brüdern umgegangen?
Sie hat auf Afghanisch, also auf Dari, immer "gol agha" oder "lala jan" gesagt, also "Herr Blume" oder "Burderherz". So hat sie ihre Brüder genannt. Sie war freundlich zu ihnen, hat immer für sie gekocht, ihre Wäsche gewaschen, gebügelt, war immer da für sie, wenn sie sie gebraucht haben. Sie hat sehr großen Respekt vor ihnen gehabt und hat immer sehr gut über die Brüder gesprochen. Sie war so ein richtiger Familienmensch.
Waren die Brüder auch freundlich zu ihr?
Nein. Sie waren sehr kontrollsüchtig, vor allem der ältere Bruder Yousuf. Sie hatte ja drei Brüder hier in Deutschland und die waren oft alle sehr unfreundlich ihr gegenüber. Aber sie konnten auch nett sein. Maryam dachte immer, dass ihre Brüder sie lieben.
Sie sagen, die Brüder waren kontrollsüchtig. Wie hat sich das geäußert?
Der Bruder Yousuf, der hat in Bayern gelebt, und ist so gut wie jedes Wochenende nach Berlin gekommen, um Maryam zu kontrollieren. Er war dann immer von Freitag bis Sonntag hier. Sie durfte während dieser Zeit nicht rausgehen. Sie musste dann zu Hause sein, hat für Yousuf gekocht und auch für ihre anderen Brüder, die dann auch gekommen sind. Er hat sie auch immer angerufen, auch abends, hat kontrolliert, ob sie zu Hause ist. Wenn sie nicht zu Hause war oder wenn sie nicht abgenommen hat, wurde ihr Sohn angerufen.
Haben die Brüder Maryam H. in Ihrer Wahrnehmung auch auf andere Weise kontrolliert?
Yousuf hat auch Maryams Handy regelmäßig kontrolliert. Ich konnte ihr kein Geld überweisen und sie mir auch nicht, weil er auch ihre Sparkassen-App kontrolliert hat. Wenn wir uns gegenseitig Geld geben wollten, haben wir das immer bar gemacht. Und auch meine Anrufe hat sie immer gelöscht in ihrer Anrufliste. Und in der Zeit, wenn ihr Bruder bei ihr war, hat sie mich geblockt, so dass ich sie nicht erreichen konnte. Meine Nummer kannte sie auswendig, die hatte sie wegen ihrer Brüder auch nicht gespeichert.
Sie beide hatten ja eine Beziehung?
Sie durfte keine solche Beziehung haben, sie wollte das eigentlich auch nicht. Sie wollte heiraten und mit mir eine Familie gründen, wollte, dass wir für immer zusammen sind. Sie hat noch gewartet, bevor sie ihren Brüdern davon berichtet, weil die Brüder so streng waren. Also haben wir das geheim gehalten. Wenn wir rausgegangen sind, haben wir Abstand gehalten, haben nicht Händchen gehalten oder so. Und wir haben auch versucht, Orte zu meiden, an denen viele Leute sind.
Warum sollten die Brüder von der Beziehung nichts wissen?
Maryam hatte vor, den Brüdern von unserer Beziehung zu berichten. Aber erst, wenn wir heiraten. Vorher sollte das nicht rauskommen, weil die Brüder das nicht erlaubt hätten.
Hatten Sie denn schon konkrete Pläne? Wann wollten Sie heiraten?
So ein, zwei Wochen bevor sie starb, haben wir konkret darüber gesprochen. Da haben wir uns auch überlegt, wie wir das machen würden. Sie hatte vor, es den Brüdern zu sagen und wollte eigentlich, dass ich dabei bin, mich den Brüdern vorstelle und um ihre Hand anhalte.
Und dazu kam es nicht?
Nein, bevor das konkreter wurde, ist sie verschwunden. Und dann kam raus, dass sie tot ist.
Wer wusste von Ihrer Beziehung?
Davon wussten ihre Freundin, meine Familie und ihre Kinder. Die Kinder haben unsere Beziehung vor den Brüdern geheim gehalten. Wenn Maryam bei mir war, wurde ja oft ihr Sohn angerufen und er hat dann immer gesagt, dass seine Mutter gerade einkaufen ist.
Die Kinder haben nicht nur von uns gewusst, die haben auch aktiv versucht, die Beziehung geheim zu halten. Dabei haben die Brüder sehr viel Druck auf ihren Sohn ausgeübt. Ihm wurde gesagt: 'Du musst uns sagen, wo deine Mutter ist. Du musst deine Mutter ermahnen, schlag deine Mutter, wenn es sein muss. Und erlaube ihr nicht, dass sie allein rausgeht, geh immer mit.' Darüber haben Maryam und ich immer wieder miteinander gesprochen. Sie machen Druck auf meinen Sohn, sagte sie zu mir. Und auch der Sohn hat mir davon erzählt.
War Maryam auf einem Weg, sich der Kontrolle zu entziehen?
Ich denke, wenn sie mich geheiratet hätte, dann wüssten die Brüder, dass sie nicht mehr den Einfluss haben, den sie vorher hatten. Wobei ich denke, das war keine reelle Gefahr. Maryam hat immer auf ihre Brüder gehört und immer gemacht, was die gesagt haben. Und sie hätte das auch weiterhin gemacht, auch nachdem sie mich geheiratet hätte.
Vor Gericht erklärte der Bruder Yousuf, dass es zu einem Streit gekommen sei, weil Maryam H. der Familie kein Geld mehr schicken wollte, und weil sie schlecht über die Familie geredet habe. In der Wut habe der Bruder seiner Schwester Mund und Hals zugedrückt, bis sie zu Boden ging. Er habe sie nicht töten wollen. Halten Sie das für glaubwürdig? Können Sie sich diesen Grund vorstellen, was war Ihre Erfahrung?
Maryam hat immer regelmäßig Geld an die Familie in Afghanistan geschickt. Sie hat hier sehr hart gearbeitet, einen großen Teil davon auch immer ihren Geschwistern gegeben und nach Afghanistan geschickt. Sie hat auch nie gesagt, dass sie damit komplett aufhören möchte. Ich glaube, dass das an den Haaren herbeigezogen ist. Es ging nicht um die Eltern. Es ging darum, dass Maryam ein Leben geführt hat und Yousuf dieses Leben nicht akzeptiert hat und sie sich aus seiner Kontrolle rausgezogen hat.
Wie geht es ihnen jetzt?
Ich denke immer noch täglich an Maryam. Der Gedanke an sie ist allgegenwärtig. Anfangs war es nicht zu ertragen. Auch weil ich verdächtigt wurde. Mir wurde vorgeworfen, meine Freundin ermordet zu haben, ich wurde gefragt, was ich mit der Leiche gemacht habe. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Und ich dachte wirklich lange, dass ich nie wieder wirklich glücklich werden kann in meinem Leben.
Mittlerweile hab mich wieder gefangen, mein Leben zu leben. Ich führe jetzt eine neue Beziehung und arbeite. Aber die Sache wird immer bleiben.
Finden Sie es richtig, dass solche Fälle so ausführlich vor Gericht behandelt werden, so dass am Ende alles rauskommt?
Ich finde das sehr wichtig. Ich möchte, dass so etwas nie wieder passiert in Deutschland. So etwas spricht sich rum. Leute aus der Community wissen davon. Je mehr sowas rauskommt, desto weniger werden Menschen sich trauen, so etwas zu tun. Nur es ist mir sehr wichtig, dass man jetzt nicht pauschal sagt, dass alle Afghanen so sind, oder dass Muslime so sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jana Göbel.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.02.2023, 19:30 Uhr