Gewalt mit Messern in Berlin - "Ein Stich kann potenziell ein Leben beenden"
Die Zahl der Straftaten mit Messern in Berlin steigt. Die wenigsten davon enden mit Verletzungen, dennoch sieht die Polizei Handlungsbedarf. Dass die Täter nicht einer Gruppe zuzuordnen sind, macht es schwer, der Gewalt vorzubeugen. Von Anna Bordel
- Mehr Straftaten mit Messern in Berlin
- Die meisten davon finden auf den Straßen statt
- Täter vereinen oft viele Problemlagen: z. Bsp.: Sucht, psychische Erkrankung, Opfer von Gewalt
Ein Mann erleidet während eines Streits zweier Gruppen in Kreuzberg Stichwunden am Rücken und den Beinen. Ein 25-Jähriger kommt mit Schnittwunden ins Krankenhaus, als er mit Sicherheitsleuten vor einem Club in Charlottenburg in eine Auseinandersetzung gerät. Ein 21-Jähriger stirbt, als ein Streit zweier Männergruppen in Alt-Hohenschönhausen eskaliert und in Gewalt ausartet.
Alle drei Vorfälle ereigneten sich im März 2023, bei allen wurde als Tatwaffe ein Messer eingesetzt - und alle spielten sich auf öffentlichen Straßen in Berlin ab.
Häufig dient das Messer als Drohmittel
Die Zahl der Messerangriffe auf Berlins Straßen nimmt zu. Vor zehn Jahren gab es laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) 2.708 Straftaten, die mit dem Messer begangen wurden. 2022 waren es 3.317, also rund 24 Prozent mehr Angriffe. Wieso das so ist, dafür gibt es viele Antworten.
Die erste setzt nicht bei den Motiven der Täter an, sondern dort, um was das für Taten es sich handelt. Messerangriffe – das bedeutet in den seltensten Fällen, dass ein Täter wahllos mit einem Messer auf Unbekannte losgeht und diese schwer verletzt. Die meisten aller Messerangriffe fanden laut Berliner Polizei 2022 auf öffentlichen Straßen und in Parks statt.
6,5 Prozent aller Messerangriffe endeten demnach mit schwerer oder tödlicher Körperverletzung. Häufig bedrohen Täter mit ihrem Messer ihr Opfer, um beispielsweise einen Raub zu begehen – auch das falle in der polizeilichen Kriminalstatistik unter Messerangriff, wie Beate Ostertag, Pressesprecherin der Berliner Polizei, erläutert.
Täter und Opfer kennen sich oft
Dazu kommt, dass sich Täter und Opfer in vielen Fällen kennen - auch wenn es um Angriffe im öffentlichen Raum geht. "Gut ein Drittel der Taten im öffentlichen Raum ereignet sich im sozialen Nahraum, das heißt, Täter und Opfer kennen sich", sagt die Juristin Elena Rausch, die an der Kriminologischen Zentralstelle bundesweit zu Messergewalt forscht.
Sie betont, dass sich die allermeisten Fälle schwerer Gewalt mit Messern im Privaten abspielen und häufig Beziehungstaten sind. Deshalb stellt sie vor allem eines klar: "Messergewalt ist kein einheitliches Phänomen, sondern ein Ausdruck von Gewalt." Wer nach den Gründen dafür frage, wieso mehr Menschen Messerangriffe begehen, müsse eigentlich danach fragen, wieso mehr kriminelle Gewalttaten insgesamt begangen werden.
Messer sind leicht verfügbar
Tätermotive lassen sich demnach nur näher fassen, wenn man versucht, etwas über die Täter zu erfahren. Vor allem sind es laut der PKS Männer, ein genaue Altersgruppe anzugeben ist schwieriger. Messergewalt ist eine Gewaltform, die sich durch alle Altersklassen bewegt, so Rausch. "Das, was das Messer als Waffe ausmacht, ist seine enorme Verfügbarkeit", sagt sie. Jeder kann irgendwie an ein Messer gelangen, im Zweifelsfall an eines aus der Küche.
Was hingegen viele Täter gemeinsam hätten, ist laut Rausch, dass sie häufig von verschiedenen Problemen betroffen seien. "Täter von Messergewalt befinden sich häufig in psychischen Krisen- oder Ausnahmesituationen. Überdurchschnittlich häufig haben sie selbst Gewalt erfahren. Auch Substanzkonsum spielt eine Rolle", so die Juristin. Dass die Staatsangehörigkeit der Täter in einem relevanten Maß mit Messergewalt zusammenhängt, kann sie nicht bestätigen. Dennoch kommt die Diskussion immer wieder auf.
Staatsangehörigkeit der Täter spielt keine Rolle
Die Berliner AfD stellte in den letzten Jahren stets Anfang des Jahres eine Anfrage an den Senat zur Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen, die mit einem Messer straffällig geworden sind. Im Jahr 2021 waren es laut Berliner Polizei 1.031 deutsche und 1.101 nicht-deutsche Tatverdächtige. Im Jahr 2022 waren es 1.195 deutsche und 1.233 nicht-deutsche Tatverdächtige. Die AfD hat in ihrer Anfrage auch nach den Vornamen der deutschen Staatsangehörigen 2022 gefragt, die im Tatverdacht stehen, vermutlich um den kulturellen Hintergrund noch genauer zu beleuchten. 2022 war der am häufigsten vorkommende Vorname: Christian.
Wieso Menschen mit Messern Gewalt begehen, lässt sich höchstens ergründen, wenn man eine bestimmte Tätergruppe näher fokussiert – zum Beispiel Jugendliche. Etwa 30 Prozent der Tatverdächtigen waren laut Berliner Polizei 2022 unter 21 Jahren. Auch bei Jugendlichen seien die Gründe, wieso sie ein Messer einstecken, verschieden, aber immerhin könne man dies regelmäßig im Rahmen von polizeilichen Präventionsveranstaltungen abfragen, so Polizeisprecherin Ostertag. Manche fühlen sich demnach mit dem Messer stärker, andere finden es einfach nur cool. Manche gaben laut Ostertag an, bereit sein zu wollen, sich wehren zu können, sollte es doch mal Stress geben.
Höheres Strafmaß umstritten
Um Messergewalt von Jugendlichen etwas entgegenzusetzen, organisiert die Berliner Polizei regelmäßig Anti-Gewalt-Trainings an Schulen. "Ein einzelner Stich kann potenziell ein Leben beenden, das bewusst zu machen, auch dazu dient die Veranstaltung", sagt Ostertag.
Manche fordern ein härteres Strafmaß. So etwa Benjamin Jendro, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin. "Vor Gericht werden viele Messerangriffe als Körperverletzung gewertet, nicht als Tötungsdelikt, das hätte aber eine stärkere Signalwirkung", so Jendro. Juristin Rausch sieht eine solche Strafverschärfungen kritisch. Damit würde man nur die Täter erreichen, die rational handeln. "Diejenigen, die aus einer persönlichen Krise oder einer psychischen Erkrankung heraus oder unter Substanzkonsum handeln, die werden sicher nicht das Messer deshalb nicht mittragen, weil es da ein erhöhtes Verbot gibt", sagt sie.
Umsetzung von Waffenverbotszonen schwierig
Auch Waffenverbotszonen sind als Gegenmaßnahmen umstritten. Die Bundespolizei hatte Ende März das Mitführen von gefährlichen Gegenständen an vier Berliner Bahnhöfen verboten. Bei Kontrollen wurden laut Bundespolizei elf Messer gefunden. Das sei nicht viel, so Jendro. Angekündigte Waffenverbotszonen zu bestimmten Zeiten sind ihm zufolge nichts anderes als ein Blitzmarathon, "das soll sensibilisieren. Wen man damit erreicht, steht auf einem anderen Blatt", sagt er.
Auch Ostertag meint, dass solche Zonen schwierig umzusetzen seien, mit der Frage, wo diese sein sollen und wer diese kontrollieren könne. Entsprechende Verbote müssten auch kontrollier- beziehungsweise durchsetzbar sein.
Einfach findet sie es nicht, Messergewalt insgesamt entgegenzuwirken. Dass in Medien viel über steigende Zahlen von Messerangriffen berichtet würde, könne vielleicht auch einen negativen Kreislauf in Gang setzen, meint sie. Das könne bei manchen Ängste schüren und das Bedürfnis wecken, sich zum vermeintlichen Schutz erst recht mit einem Messer bewaffnen zu müssen, so Ostertag.
"Vor die Tat zu kommen", darum gehe es, betont Rausch. Wenn viele Täter gemein haben, dass sie an psychischen Problemen leiden, sollte man der Juristin zufolge da ansetzen und psychisch Erkrankte besser auffangen.
Am Donnerstag musste ein 17-Jähriger im Krankenhaus auf der Intensivstation behandelt werden. Er war in Moabit bei einer Prügelei durch einen Messerstich in den Oberkörper schwer verletzt worden. Nach der Tat konnten die beiden anderen beteiligten Männer unerkannt fliehen, die Polizei fahndet nach ihnen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 21.03.2023, 06:22 Uhr
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