Volksentscheid in Berlin - Warum jetzt beim Tempelhofer Feld eine neue Abstimmung zur Debatte steht
2014 wurde per Volksentscheid gesetzlich festgelegt: Das Tempelhofer Feld in Berlin darf nicht bebaut werden. Doch seitdem wurde immer wieder an dem Beschluss gerüttelt. Nun macht die CDU - möglicherweise bald Regierungspartei - einen neuen Vorstoß.
- Beim Volksentscheid 2014 hatte sich große Mehrheit der Abstimmenden gegen eine Bebauung des Tempelhofer Felds ausgesprochen
- Eine neue Abstimmung stand seitdem immer wieder zur Debatte
- Die CDU schlägt jetzt eine zweite Abstimmung über die Nutzung des Tempelhofer Felds vor
- Grüne und Linke wollen nicht an dem Gesetz von 2014 rütteln
Die Idee, die Berliner Bevölkerung ein zweites Mal über die (Rand-)Bebauung des Tempelhofer Feldes abstimmen zu lassen, ist fast so alt wie der erfolgreiche erste Volksentscheid 2014.
Beim Volksentscheid der Initiative "100% Tempelhofer Feld" stimmten damals mehr als 64 Prozent dafür, dass das ehemalige Flughafen-Areal, so wie es ist, quasi nicht angetastet werden darf - in jedem Fall nicht für den Bau von Immobilien. Es war nicht nur für sich genommen ein klares Ergebnis, sondern wurde auch noch dadurch verstärkt, dass gleichzeitig fast 60 Prozent Nein sagten zu einem alternativen Gesetzentwurf, den die damalige rot-schwarze Koalition parallel zur Abstimmung stellte: Dieser Entwurf sah eine begrenzte Möglichkeit vor, am Rand des Feldes zu bauen. In allen Bezirken wurde aber jeglichen Bebauungsideen mehrheitlich eine Absage erteilt. Die Beteiligung lag bei 46,1 Prozent der Wahlberechtigten.
Rückschauend wurde dieses deutliche Ergebnis auch als Denkzettel für den damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) interpretiert. Er hatte neben dem Bau neuer Wohnungen auch die Ansiedlung der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Gelände favorisiert, die er gegen viele Widerstände dort durchsetzen wollte.
Schon bald wurde auf der politischen Bühne darüber spekuliert, ob man wohl in einigen Jahren einen zweiten Volksentscheid initiieren sollte, wenn man doch noch einmal am Feld bauen wollte. Rein rechtlich wäre dies nicht nötig: Ein Gesetz, das per Volksentscheid beschlossen wurde, kann vom Abgeordnetenhaus genauso wie jedes andere Gesetz mit einfacher Mehrheit wieder geändert werden. Allerdings herrscht große Einigkeit, Gesetzen, die per Volksentscheid zustande gekommen sind, mehr Gewicht zuzubilligen als solchen, die vom Parlament beschlossen werden.
Vier Jahre nach dem erfolgreichen Tempelhof-Volksentscheid, 2018, sprach sich Wowereits Amtsnachfolger Michael Müller (SPD) dafür aus, über Sozialwohnungsbau am Rand des Tempelhofer Feldes neu nachzudenken. Nicht nur für Wowereit, sondern auch für Müller war der Volksentscheid 2014 eine Niederlage gewesen, da Müller zum damaligen Zeitpunkt Stadtentwicklungssenator war und er sich mit viel Engagement für eine Randbebauung eingesetzt hatte. Als er 2018 den erneuten Impuls setzte, war seinerseits von einem neuen Volksentscheid zunächst keine Rede.
CDU und FDP zeigten sich damals über den SPD-Vorstoß verärgert und mahnten, bevor das Tempelhofer-Feld-Gesetz angetastet würde, sollte es einen erneuten Volksentscheid geben. Der damalige stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion und heutige Generalsekretär der Partei, Stefan Evers, schlug bereits damals vor, das Abstimmungsgesetz zu ändern. Das Abgeordnetenhaus sollte Gesetze, die durch Volksentscheid zustande gekommen waren, nicht einfach ändern dürfen, wohl aber nach einer Frist von fünf Jahren - also einer Wahlperiode - die Gelegenheit haben, es durch erneute Volksbefragung zu ändern. Bei einer solchen erneuten Volksbefragung sollte es nach seiner Vorstellung einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, um das einst beschlossene Volksgesetz zu ändern.
Dieser Gedanke verfestigte sich in den Folgejahren weiter – nicht zuletzt angesichts der weiter angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Immer wieder gab es seitdem auch Umfragen von Meinungsforschungsinstituten, bei denen sich jeweils eine Mehrheit für eine Randbebauung des Feldes fand.
Im Oktober 2020 startete die Berliner FDP damit, Unterschriften für ein erneutes Volksbegehren zu sammeln. Aufgrund der Pandemieentwicklung stellte sie ihre Sammlung jedoch Anfang 2021 wieder ein. Es fand jedoch Eingang ins Programm der Liberalen für die Abgeordnetenhauswahl 2021. Und auch bei CDU und FDP fanden sich in den Wahlprogrammen für 2021 und 2023 entsprechende Forderungen. Die AfD notierte dazu zwar nichts in ihrem Wahlprogramm. Aber auch für sie steht fest: Eine Änderung des Tempelhofer-Feld-Gesetzes wäre nur über einen neuen Volksentscheid machbar.
Bei der SPD hieß es im Wahlprogramm: "Wir wollen das Tempelhofer Feld als grüne Lunge in der Stadt erhalten. Die SPD steht dem Wohnungsbau auf ausgewählten Randflächen des Tempelhofer Feldes offen gegenüber. Dabei wollen wir den Erhalt von Freiflächen zur Erholung und Bewegung sicherstellen. Der Bau von bezahlbarem Wohnraum und der Erhalt von öffentlichen Grünflächen müssen sorgfältig miteinander abgewogen werden. Die Entscheidung darüber obliegt jedoch letztlich den Berliner:innen. Wir werden deshalb eine Diskussion mit der Stadtgesellschaft darüber führen und sind für einen zweiten Volksentscheid offen. Sollte es eine Mehrheit für eine Randbebauung mit Wohnungen und sozialer Infrastruktur geben, ist es für uns zwingend, dass die Flächen nur für Wohnungsbau durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften oder gemeinwohlorientierte Dritte in einem sehr geringen Umfang der Fläche des Feldes bebaut werden."
Bei der künftig voraussichtlich führenden Regierungskraft CDU ist im Wahlprogramm für 2021 und 2023 zu lesen: "Es bedarf einer neuen Stadtdebatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes. Wir werden das ungenutzte Potenzial dieses einmaligen Ortes durch einen städtebaulichen Wettbewerb sichtbar machen. Unser Vorschlag ist ein Tempelhofer Wald als neue grüne Lunge der Stadt, ergänzt um nachhaltige Wohnquartiere am Rand des Feldes. Sport, Freizeit, Kultur und Erholung sollen auch zukünftig ausreichend Raum auf dem ehemaligen Flughafengelände erhalten. Die letzte Entscheidung sollen die Berlinerinnen und Berliner im Rahmen einer Volksbefragung haben."
Da sich CDU und SPD in dieser Frage also sehr einig zeigen, dürfte es bei diesem Thema in den Koalitionsverhandlungen keine großen Konflikte geben.
Dass das Abgeordnetenhaus selbst das Volk befragt beziehungsweise Volksentscheide initiiert, ist im gesetzlich derzeit nicht vorgesehen. Hierfür wäre allerdings nur die Änderung des Abstimmungsgesetzes notwendig. Die Verfassung müsste nicht angetastet werden. Andernfalls wäre auch kaum mit einer dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit im Parlament zu rechnen, da Grüne und Linke es im konkreten Fall strikt ablehnen, das Tempelhofer Feld anzutasten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.03.23, 15:05 Uhr