Interview | Zukunft der Kaufhäuser - "Standard-Warenhäuser werden schrittweise verschwinden"
Die Ära der großen deutschen Warenhäuser begann vor über 140 Jahren mit Karstadt in Wismar. Nun werden viele schließen. Ist die Zeit der Kaufhäuser vorbei? Ein Gespräch mit dem Wirtschaftsexperten Elmar Kulke
rbb: Herr Kulke, Galeria Karstadt Kaufhof wird viele seiner Filialen schließen, auch Peek und Cloppenburg geht es nicht gut. Erleben wir die Krise des Warenhauses oder die Krise der Unternehmer, die diese Warenhäuser betreiben?
Elmar Kulke: Beides. Vor allen Dingen erleben wir die Krise des Warenhauses, weil sich diese Betriebsform ihrem Ende nähert.
Sie beschäftigen sich auch wissenschaftlich mit dem Thema Einzelhandel. Welche Rolle spielt dabei die Geografie, also die Lage des Ortes?
Distanz spielt eine erhebliche Rolle, insofern ist Einkaufen geografisch bestimmt. Gerade wenn wir uns den Lebensmittel-Einzelhandel angucken, dann sind diese sogenannten "nearest center"-Bindungen wichtig. Das heißt, weil die Supermärkte sehr ähnliche Angebote haben, geht man in den jeweils nächsten. Und die zweite räumliche Dimension ist das Zentren-System und da kommen wir schon zu den Kaufhäusern und Warenhäusern. Kaufhäuser und Warenhäuser haben sehr lange als "Magnetgeschäfte" dieses Zentren-System bestimmt. Und das ändert sich jetzt.
Galeria Karstadt Kaufhof hat seinen Jahresumsatz innerhalb weniger Jahre halbiert. Sie haben es schon gesagt, das Warenhausmodell geht zu Ende. Läutet tatsächlich die Totenglocke?
Waren- und Kaufhäuser, die ein standardisiertes Angebot haben, stehen inzwischen in einem starken Wettbewerb mit anderen Betriebsformen, die vielfältigere Sortimente anbieten und auch bessere Beratungsqualität anbieten. Es gibt sicher weiterhin eine Marktnische für besonders attraktive Warenhäuser und Kaufhäuser, wie beispielsweise das KaDeWe in Berlin. Die sprechen eine spezielle Klientel an. Aber Standard-Warenhäuser, die lange Jahre und Jahrzehnte das Einzelhandelssystem geprägt haben, werden schrittweise verschwinden.
Sie haben mal gesagt, eine unheilige Allianz aus Kaufhausbetreibern, Kommunalpolitikern, Gewerbe und Verbänden verhindert seit über 20 Jahren einen notwendigen Wandel der Warenhauslandschaft. Was genau verstehen Sie darunter?
Mehrere Akteure bilden diese Allianz. Erstens wissen Bürgermeister:innen, dass Kaufhäuser und Warenhäuser für ihre Innenstädte Magnetbetriebe sind. Die kämpfen dafür, das zu erhalten. Dann haben wir die Gewerkschaften, die für die Belegschaften der Waren- und Kaufhäuser eintreten. Und dann haben wir natürlich das Unternehmen selbst, das immer auf seine Wichtigkeit und große Marktbedeutung hinweist und versucht, darüber Zuschüsse zu bekommen und irgendwie einen Weg des Erhalts zu fahren.
Schon seit langem war absehbar, dass man dieses Modell der Warenhäuser ändern muss. Warum dauerte das so lange? War das die Angst vor der Wahrheit oder weil man keine Alternative an diesen Standorten sah?
Diese drei Akteursgruppen haben erstmal keine Alternative gesehen. Wenn man sich tatsächlich ansieht, welche Umstrukturierungsmöglichkeiten in Innenstädten gegeben sind, dann gibt es Alternativen. Mit Sicherheit ist es so, dass die Innenstädte, die sehr stark durch Einzelhandel geprägt waren, in Zukunft multifunktionaler werden. Zusätzliche Magnete kommen dazu: Gastronomie, Events, Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Gymnasien. Und selbst ein Alters- und Pflegeheim kann die Innenstadt mit Konsumenten beleben. Und darum geht es.
Mit steigenden Erwerbsquoten und damit höheren Einkommen werden mehr Güter gekauft. Und das kann man nur, indem man Besorgungen an Standorte koppelt. Das ist der starke Trend, und den sehen wir in vielen Bereichen. Wenn wir uns den Lebensmitteleinzelhandel angucken, dann ist es inzwischen üblich, dass ein Rewe und Edeka zusammen mit einem Aldi oder Lidl einen Standort wählen. Die koppeln dann ihre Sortimente, und das wird jetzt das Spannende werden für die Innenstädte, dass man Kopplungspotenziale zwischen verschiedenen Aktivitäten entwickelt: Freizeitaktivitäten, Einkaufsaktivitäten, Berufsaktivitäten. Das wird die Zukunft sein.
In Kassel ist bei Galeria Karstadt Kaufhof auch ein Bürgeramt im Kaufhaus. Man zieht die Menschen dahin, die ein Anliegen bei der Stadtverwaltung haben. Ist das auch ein möglicher Weg?
Absolut. Es sind alle Magnetbringer wichtig, die Besucherfrequenzen generieren. Und das sehen wir immer häufiger, wenn wir einkaufen gehen. Wir brauchen nicht nur Einzelhandel, sondern Gastronomie und andere Frequenzbringer, also ein Kino, eine Bowlingbahn und so weiter. Das ist das Konzept der Zukunft, was auch in den Innenstädten praktiziert werden muss.
Haben Warenhäuser eine Zukunft, wenn sie sich spezialisieren und vor allem mehr Spektakel bieten? Ist es zumindest für ein bestimmtes Segment des Warenhauses eine Zukunftsoption?
Eventlocations sind auf jeden Fall in Zukunft spannend. Warenkaufhäuser müssen sich davon verabschieden, dass man von Topfpflanzen über Besteck, Geschirr, Schuhe, Badehosen und Elektrogeräte alles anbietet. Das ist kein Zukunftskonzept mehr. Dafür haben wir zu viele attraktive, spezialisierte Ladengeschäfte, die das sehr viel tiefer anbieten können und bessere Beratungsqualität leisten können.
Kritiker:innen dieses Prozesses haben die Sorge, dass gerade in Quartieren, wo Menschen mit geringem Einkommen leben oder im Flächenland, wo das Kaufhaus bislang die einzige Einkaufsmöglichkeit war, ihre alltäglichen Einkäufe kaum noch zu bezahlbaren Preisen machen können. Teilen Sie diese Angst nicht?
Die Angst teile ich nur bedingt, weil auch die anderen Betriebsformen ihre Waren nicht teurer, sondern eher günstiger als die Waren- und Kaufhäuser anbieten. Waren- und Kaufhäuser sprechen ein bestimmtes Klientel an, Leute mit mittleren und höheren Einkommen, die auch ein wenig älter sind. Junge Leute orientieren sich viel stärker auf den Onlinehandel und auf die angesprochenen Events.
Seit vielen Jahren versprechen Kaufhauskonzerne, dass sie das Warenhausgeschäft neu erfinden wollen. Geschehen ist wenig. Ist es nicht auch die Krise der Warenhausunternehmer? Haben Sie das mit zu wenig Entschlossenheit, Fantasie und vielleicht auch mit zu wenig Mut gemacht?
Es gab Ansätze, die sind aber auch schon 20 Jahre her. Man hat versucht Kaufhäuser in Spezialeinheiten aufzugliedern, wo dann auch spezielle Markenprodukte angeboten worden sind. Ich glaube, das wäre immer noch ein interessantes Konzept. Es muss aber die Sortimentsbreite reduziert werden. Teilweise muss auch die Fläche verkleinert werden, weil beispielsweise ein drittes Obergeschoss für Kund:innen nicht mehr besonders attraktiv ist.
Wie viele der Kaufhäuser in Deutschland sind überlebensfähig? Bis zu 100 sagen einige, andere, wie der frühere Kaufhof-Chef, sagen 40 bis 50 maximal. Wo liegen sie?
In den Großstädten, also alle Städte ab 300.000 Einwohner, ist weiterhin das Potenzial gegeben, ein Kaufhaus mit Vollsortiment zu etablieren und zu erhalten. Das wären Städte wie Hannover, Hamburg oder Bremen. In allen Städten darunter sehe ich keine Chance für den Erhalt von Waren- und Kaufhäusern. Ich liege auch eher bei 40 bis 50 Häusern.
Was wird aus den Beschäftigten der Warenhäuser, die dann geschlossen werden?
Es gibt mit Sicherheit ein Übergangsproblem. Wir werden hier wahrscheinlich Vorverrentungen haben. Es gibt aber für viele Beschäftigte Chancen, im Dienstleistungsbereich in den Innenstädten weiter beschäftigt zu sein. Da ist auch außerhalb des Einzelhandels inzwischen eine extrem große Nachfrage nach Arbeitskräften, zum Beispiel in konsumentenorientierten Dienstleistungen, die in Innenstädten angesiedelt sind oder in administrativen Dienstleistungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Mit Elmar Kulke sprach Wolf Siebert für rbb24 Inforadio. Bei diesem Artikel handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Sendung: rbb24 inforadio, 26.03.2023, 15:00 Uhr