Zwangsräumungen in Berlin - Kreuzberger Rentner muss nach 40 Jahren seine Wohnung verlassen

Mo 11.12.23 | 08:03 Uhr | Von Anja Herr und Helena Daehler
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Reinhard S. (Quelle: rbb / Anja Herr)
Video: rbb24 | 11.12.23 | Material: rbb24 | Bild: rbb / Anja Herr

Die Zahl der Zwangsräumungen in Berlin steigt. Ein Bündnis gegen Zwangsräumung spricht von vielen Rauswürfen wegen Eigenbedarf. Nach mehr als 40 Jahren muss ein Kreuzberger Rentner seine Wohnung verlassen und findet keine neue. Von Anja Herr und Helena Daehler

Dutzende Polizeibeamte sind gekommen, um sicherzustellen, dass Reinhard S. ohne Widerstand seine Wohnung verlässt. Auf der Straße wird gegen seine Räumung protestiert und am Nachbarhaus hängt sogar ein Banner auf dem "Zwangsräumung tötet" steht.

Reinhard muss raus, weil seine Vermieterin Eigenbedarf angemeldet hatte. Sechs Jahre lang wurde er vom Bündnis "Zwangsräumung Verhindern" beraten. Gemeinsam hatten das Bündnis und Reinhard versucht, die Räumung zu verhindern - vergebens.

Nun sitzt er mit der Gerichtsvollzieherin im dritten Stock in seiner Wohnung. "Die Gerichtsvollzieherin sagte, sie tut das nicht so gerne. Ich empfand das als sehr freundlich, dass sie mir das gesagt hat." Im Oktober, am Freitag dem 13., wurde aus der Angst vor der Zwangsräumung eine Tatsache.

Die Wochen vor der Räumung waren anstrengend, sagt Reinhard: "Ich hatte unglaublichen Stress. Eine Wohnung zu verlieren, das bedeutet auch: die ganze Habe zu verlieren." Weil er nicht wusste, wohin mit seinen Sachen beschließt er, seine Bücher, CDs, Blumen, Instrumente und Möbel gar nicht erst mitzunehmen: "Ich habe mir gedacht, ich stelle alles auf die Straße und das ist gut gelaufen. Die Sachen wurden gerne mitgenommen und da haben sich viele Kreuzberger drüber gefreut." Es wirkt etwas skurril, aber man glaubt ihm, dass er das ernst meint.

Zahl der Zwangsräumungen steigt in Berlin

In Berlin ist die Zahl der Zwangsräumungen in den letzten Jahren deutlich gestiegen: von 1.668 im Jahr 2021 auf 1.931 in 2022. Im ersten Halbjahr 2023 sind es bereits 1.150 Räumungen, wie die Senatsverwaltung für Justiz auf Anfrage mitteilte. Die meisten Zwangsräumungen gab es demnach in den Gerichtsbezirken Lichtenberg (247), Wedding (163) und Kreuzberg (161). In Brandenburg wurden im vergangenen Jahr 1.085 Wohnungen geräumt, die Anzahl ist geringer als in den Jahren zuvor, liegt gemessen an der Einwohnerzahl bundesweit jedoch am höchsten.

Erst im Oktober dieses Jahres hatte Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) ein Pilotprojekt verworfen, das die Zahl der Zwangsräumungen verringern sollte. Badenbergs Vorgängerin Lena Kreck (Linke) hatte das Projekt angeschoben. Es sah vor, dass Räumungsklagen den Bewohnern persönlich übergeben werden müssen, damit diese sich zusätzlich beraten lassen können. Das sei aber "nicht zielführend" und widerspreche der Zivilprozessordnung, sagte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz dem rbb. Zwangsräumungen seien beschleunigt durchzuführen, um Mietausfälle für die Vermieter gering zu halten.

Übergangsweise in die Habersaathstraße

Das Bündnis "Zwangsräumung verhindern" berät Betroffene und war auch in Reinhards Fall aktiv, der laut René Jakubowski vom Bündnis exemplarisch für viele in Berlin steht. "Im Moment sind es fast nur noch Menschen, die sich aufgrund von Eigenbedarfskündigungen bei uns melden. Das ist schon das größte Problem auf dem Wohnungsmarkt."

Was sich laut Jakubowski nicht geändert hat: Es trifft häufig die Menschen in unserer Gesellschaft, die finanziell am schwächsten aufgestellt sind. "Betroffen sind immer Rentner:innen, Leute die prekär arbeiten, Geringverdienende, Erwerbslose, dann haben wir natürlich noch die Alleinerziehenden, das sind so die Kreise, die es immer trifft."

Reinhard S. hat erfolglos versucht, eine neue Wohnung zu finden. "Es ist frustrierend, wenn da 50 – 60 Leute sind, die alle diese Wohnung haben wollen. Vor allem wenn man die Ellenbogen nicht hat, um sich da durchzusetzen." Die Wohnungslosenhilfe hatte ihm nach der Räumung eine Unterkunft angeboten, ein Mehrbettzimmer, in dem auch andere Wohnungslose untergebracht sind. "Da habe ich gesagt, da verzichte ich drauf. Weil, das ist so nicht richtig. Das ist nicht der richtige Umgang mit dem Alter."

Übergangsweise kommt Reinhard in der Habersaathstraße unter. Dort kann er in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung bleiben. Mit den wenigen Sachen, die ihm geblieben sind. Ein paar Bücher, eine Matratze, eine Lampe und einem Akku für Strom. Denn der wurde vom Hausbesitzer schon abgestellt.

Der Eigentümer will den Wohnblock abreißen lassen und plant einen Neubau mit doppelt so viel Wohnfläche.

Sendung: rbb24, 11.12.2023, 13:00 Uhr

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Beitrag von Anja Herr und Helena Daehler

106 Kommentare

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  1. 106.

    Eigentum verpflichtet. Grundgesetz.

  2. 105.

    Kann er ja, wenn Aussicht auf Erfolg besteht ist die Klage sogar zielführend.

    Ich erkenne aber aus dem Artikel nicht wirklich einen vorgeschobenen Kündigungsgrund.

    Das ist erstmal nur linke Interpretation.

  3. 104.

    Dann besteht ein Schadenersatzanspruch, ganz einfach.

    Ist zwar keine gleichartige Wohnung, aber immer immer hin wohl die Mietdifferenz von alter zur neuen Wohnung.

  4. 103.

    Vielleicht vorher informieren um was für eine Wohnung es sich handelt!
    Niemand wird gezwungen in eine privat vermietete Wohnung zu ziehen!!!

  5. 102.

    Da sollte der ehemalige Mieter gerichtlich gegen vorgehen, denn der Eigenbedarf war offensichtlich nur vorgeschoben.

  6. 101.

    Ganz einfach, wenn man zur Miete wohnt hat man kein Eigentum, sondern ist Mieter. Warum kann dann der Eigentümer einen Mieter nicht rechtmäßig die Wohnung kündigen wenn Eigenbedarf besteht. Ich verstehe einige hier nicht. Warum muss hier zwangsgeräumt werden? Der Mieter hat doch keinen Anspruch auf die Wohnung, diese gehört ihm doch nicht. Wenn das Schule macht, dass man als Mieter erstmal die Wohnung "besetzt" und darauf wartet zwangsgeräumt zu werden, dann wird es bald noch mehr leerstehenden Wohnraum geben weil nicht mehr vermietet wird, denn welcher Vermieter tut sich das dann noch an bzw. vermietet nur noch befristet für 1-2 Jahre und das ganz legal.

  7. 100.

    "Erst im Oktober dieses Jahres hatte Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) ein Pilotprojekt verworfen, das die Zahl der Zwangsräumungen verringern sollte."

    Was versemmelt dieser unfähigste und korrupteste Senat aller Zeiten eigentlich nicht? Selbstverständlich immer zum Nachteil der Bevölkerung und nicht etwa großzügiger Schmiergeldzahler.

  8. 99.

    „Letztlich hat er aber auch mit seinen Lebensentscheidungen zu der Situation beigetragen. In dem genannten Zeitraum von 40 Jahren gab es nach Zeiten, da wurden Wohnungen in Berlin für wenige 1000 Mark verkauft. Er hat sich offenbar trotzdem dafür entschieden, 40 Jahre Miete zu zahlen.“

    Objektiv vollkommen richtig.

    Au bei geringem Einkommen waren Immobilien immer erschwinglich, gerade in „toten“ Gegenden wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg.

  9. 98.

    Leider gab es schon Fälle wo jemandem wegen angebl. „Eigenbedarf“ gekündigt wurde, die Wohnung aber kurz darauf zu erhöhter Miete als zu vermieten wieder im Angebot war. Oder, anderer Fall, zugetragen vor Jahren, da wurde einem Mieter gekündigt wegen dem „Eigenbedarf“, nur damit der Privatvermieter für sage und schreibe 2 Wochenenden im Jahr einen Schlafplatz hat wenn er seine Tochter besucht. Im Rest des Jahres ist niemand in der Wohnung. Soviel dazu.

  10. 97.

    Ach Gottchen, mir kommen die Tränen.
    Die Milliardengewinne der Immobilienkonzerne sind dann garantiert aus den Einnahmen von Grundstückvermietungen auf dem Mond entstanden.
    Wegen Mondpreise und so.

  11. 96.

    Ja, und viele andere haben verzichtet und gekauft.

    Nach dem Krieg waren viele gleicher als gleich.

    Und doch bildeten nicht wenige Eigentum.

    Berlin war übrigens zeitweise spottbillig.

    Da hätte man auch mit niedrigem Einkommen kaufen können.

    Mit Sozialleistungen Eigentum bilden ist schwer, das stimmt.

  12. 95.

    Genau, es kann nur Gewinner geben!!
    Ironie off.
    Schon mal darüber nachgedacht, dass ihre These schon wegen eines kleinen Mengenproblems nicht stimmen kann?! Und da müssen wir noch nichteinmal ein kapitalistisches Axiom herleiten; warum es bei Gewinnern immer auch Verlierer geben muss.

  13. 94.

    Daran kann man das asoziale in dieser verlogenen Politik heutigen Tages erkennen. Wer ist der Chef in diesem Land? Die Politik die sich nicht rührt die außer lippenbekenntnisse nichts in die Reihe bekommt, bei jeder Kleinigkeit entschuldigend die Arme hebt und sagt tut uns leid. Oder ist es der Bürger, auch der Rentner ist ein Bürger. Und eigentlich müsste es heißen Leben steht über Profit. Aber hier unter dieser Politik heißt es Profit steht über alles. Eigentlich müsste man den Namen und Anschrift des Besitzers öffentlich machen damit jeder weiß mit wem man es hier zu tun hat. Sowas gehört sich nicht das ist unmenschlich

  14. 93.

    Die benannte Personengruppe wird selten wegen Eigenbedarf gekündigt, es sei denn - die Wohnung ist in guter Lage.

    Welcher Eigentümer kündigt wegen Eigenbedarf im sozialen Wohnungsbau?

  15. 92.

    Warum sollen von Eigenbedarfskündigungen gerade immer diese Bürger betroffen sein? "
    Denken wir mal scharf nach-evtl. weil man nach einer Instandsetzung der Wohnung diese mit einem exorbitanten Zuschlag an gutbetuchte Menschen vermieten möchte um damit seinen Profit zu erhöhen?
    Kann man sich gar nicht vorstellen: Vermieter die an Profitmaximierung interessiert sind.

  16. 91.

    Schlimm für den Herrn, der seine Wohnung verliert.
    Letztlich hat er aber auch mit seinen Lebensentscheidungen zu der Situation beigetragen. In dem genannten Zeitraum von 40 Jahren gab es nach Zeiten, da wurden Wohnungen in Berlin für wenige 1000 Mark verkauft. Er hat sich offenbar trotzdem dafür entschieden, 40 Jahre Miete zu zahlen. Man kann nicht die Vorteile von Eigentum für sich geltend machen (gesicherter Wohnraum), ohne auch die Risiken, die sich durch Eigentum ergeben, tragen zu wollen (Kreditabzahlung, Instandhaltung etc.).
    Außerdem finde ich es falsch, dass hier in vielen Kommentaren Vermutungen aufgestellt werden und auf der Basis Menschen (Vermieter) komplett verurteilt werden. Die Eigenbedarfskündigung findet nicht immer nur aus Gewinninteressen statt, sondern auch, weil andere Menschen auch ein Problem haben, eine Wohnung für sich zu finden.

  17. 90.

    Der Vermieter wird seine Gründe haben und möchte sein Eigentum selbst nutzen. Das ist nicht verwerflich. Ein Mietverhältnis darf keiner Enteignung gleichkommen

  18. 89.

    @ Helmut Krüger :
    Ja, das ist eine ganz perfide Gesetzeslücke !
    Der Wohnungseigentümer hat das staatlich verbriefte Recht seinem Mieter aufgrund von "Eigenbedarf" die Kündigung auszusprechen.
    Weigert dieser sich darf er ihn raus prozessieren.
    Ist der Mieter irgendwann tatsächlich per "Staatsbeschluss" ausgezogen ist der Eigentümer aber NICHT verpflichtet seinen Eigenbedarf auch umzusetzen.
    Weder er noch nahe Angehörige müssen die Wohnung anschließend neu selbst beziehen.

  19. 88.

    Aber genauso ist es. Die 6 Jahre hätte der Mieter für die Wohnungssuche verwenden sollen und sich nicht von einem obskuren Bündnis für Marketingzwecke missbrauchen lassen sollen.

    Hoffentlich macht die Vermieterin alle Kosten und ggf Schadenersatz gegen Mieter und Bündnis geltend

    Ich vermiete auch nur noch befristet

  20. 87.

    Der Vermieter enteignet den Mieter nicht. An der Räumung wegen Eigenbedarf ist nichts auszusetzen.

    So ist das nun mal. Traurig für den Mieter, juristisch aber möglich uns sauber.

    Übrigens ist nicht nur Eigenbedarf ein Grund zur Kündigung. Auch wiederholt zu spät gezahlte Miete berechtigt zur fristlosen Kündigung. Es gibt auch noch die Verwertungskündigung, die immer häufiger angewandt wird.

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