1. Mai in Berlin-Kreuzberg - Myfest in Berlin fällt erneut aus - stilles Ende nach fünfzehn Jahren?
Über ein Jahrzehnt zählte das "Myfest" zum Standardprogramm am 1. Mai in Berlin. Anfang des Jahrtausends startete es als Gegenentwurf zu Randale. Nun aber scheint die Unterstützung im Bezirk verloren zu sein. Von Simon Wenzel
- "Myfest" findet auch in diesem Jahr nicht statt, seit 2019 gab es keins mehr
- Veranstalter beschuldigt Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, "kein Interesse" zu haben
- der sagt, es habe gar keine Pläne für ein "Myfest" in diesem Jahr gegeben
- Streit wurde bereits im Vorjahr öffentlich ausgetragen
- Bezirk stützt sich auf Anwohnerbefragung von 2018 und favorisiert anderes Konzept
Auch in diesem Jahr wird es kein "Myfest" in Kreuzberg 36 geben. Es ist bereits das fünfte Jahr in Folge, in dem die Bühnen und Essensstände im Epizentrum der Berliner Mai-Feierlichkeiten fehlen werden.
Zunächst war ab 2020 noch Corona schuld. Seit zwei Jahren aber scheint die Unterstützung im Bezirk und wohl so langsam auch das Engagement der ehemaligen Veranstalter zu fehlen. Stattdessen wird am 1. Mai wie im vergangenen Jahr auf selbstorganisierte Klein-Partys gesetzt - neben der großen Demo versteht sich. Im Görlitzer Park soll es zudem wieder ein familienfreundliches Fest geben. Die einzige Neuerung im Vergleich zum Vorjahr: ein paar Toiletten mehr.
Eine Sprecherin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg bestätigte dem rbb auf Anfrage den Ausfall des "Myfests". "Die Mai-Feierlichkeiten werden in Kreuzberg in diesem Jahr grundsätzlich so stattfinden wie im Vorjahr", teilte der Bezirk mit. Heißt: wieder ohne die große Massenfete. Bislang habe es noch keine Anmeldung der Veranstaltung gegeben, teilt der Bezirk weiter mit. Zuerst hatte die "taz" berichtet.
Von der Bezirkssprecherin heißt es, Kreuzberg 36 sei im vergangenen Jahr am 1. Mai "gut besucht, aber nicht überfüllt" gewesen. Genau das ist offenbar das Ziel des von der grünen Bürgermeisterin Clara Herrmann regierten Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.
Anwohnerbefragung von 2018 als Hauptargument
Begründet wird die Veränderung nach mehr als fünfzehn Jahren "MyFest" (von 2003 bis 2019) unter anderem mit den Ergebnissen einer Befragung unter Anwohnern, die der Bezirk selbst 2018 in Auftrag gegeben hatte. Die ergab zwar, dass sich rund 60 Prozent der Befragten für eine "Myfest"-Fortführung aussprachen, auch im Kerngebiet der Veranstaltung waren immerhin die Hälfte der Leute für eine Fortsetzung.
Allerdings wurde damals auch Kritik am Fest geäußert: So gaben beispielsweise 28 Prozent der Befragten an, dass das Straßenfest zu voll sei, ebensoviele fanden, es sei zu viel Müll entstanden. Weitere Kritikpunkte waren der Lärm und der Partytourismus, aber auch die Anwesenheit von zu viel Polizei oder die Kommerzialisierung.
Der Bezirk schloss damals aus diesen Ergebnissen, dass sich die Bewohner zwar ein Fest wünschen würden, aber nicht in der damaligen Form. Auf diese Position verwies die Bezirkssprecherin auch jetzt. Gewünscht sei nach Interpretation des Bezirks: "Weniger Massenveranstaltung, stattdessen mehr Kiezbezug, kleinere Formate und mit einer stärkeren politischen Ausrichtung." Gut möglich, dass das tatsächlich so ist, nur lässt sich das aus der damaligen Befragung nicht widerspruchsfrei herauslesen.
Die oben genannten Kritikpunkte waren nämlich allesamt Antworten auf die Frage: "Was gefällt Ihnen nicht am MyFest?" Auf die Frage: "Was gefällt Ihnen am MyFest?" antworteten ähnlich viele Menschen, zum Beispiel 17 Prozent damit, dass ihnen der multikulturelle Charakter gefiel, 18 Prozent mochten die Stimmung und 19 Prozent die Musik. Ganz so eindeutig war die Ablehnung für das alte Konzept also vielleicht doch nicht.
Streit zwischen ehemaligem Veranstalter und Bezirk im Vorjahr
Im Bericht der "taz" zum diesjährigen Ausfall wird auch der ehemalige Organisator und Mitinitiator des Straßenfestes Halis Sönmez zitiert. Er wirft dem Bezirk vor, "kein Interesse" an der Veranstaltung zu haben. Im Vorjahr, als das Fest das erste Mal nach der Corona-Pandemie ausgefallen war, hatte Sönmez noch deutlichere Vorwürfe an den Bezirk gerichtet: Damals beschuldigte er die Bezirksbürgermeisterin Herrmann, sie hätte mit "formalen und unglaubwürdigen Finessen" für ein Ende des Festes gesorgt.
Der Bezirk teilte damals in einer Pressemitteilung hingegen mit, das "Myfest" sei nicht als Veranstaltung angemeldet worden. Aus Sicht des Bezirksamtes sei das aber notwendig, weil es keine politische Demonstration oder Versammlung sei, sondern ein Fest mit Bühnen, Essensständen und vielen Menschen, für das es ein Sicherheitskonzept brauche. "Es ist aus Sicht des Bezirksamtes sehr bedauerlich, dass die Verantwortlichen des Vereins "MyFest" keine Bereitschaft hatten, das Fest entlang der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu planen und aufzusetzen." Die persönlichen Vorwürfe und Unterstellungen Sönmez' wies der Bezirk zurück, den Tonfall seines Briefs bedauere man, hieß es.
Zudem schrieb der Bezirk, dass der Verein gefordert haben soll, bis zu 200.000 Euro an Zuschüssen zu erhalten - ohne einen prüffähigen Antrag eingereicht zu haben. Das sei "nicht akzeptabel", hieß es damals in der Bezirksmitteilung.
Hat der Verein die Motivation verloren?
Möglicherweise hat der Veranstalter aber auch einfach nur fortgeführt, was vor Corona jahrelang gängige Praxis war. Ein langjähriges Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung, der FDP-Abgeordnete Michael Heihsel, sagte rbb|24, das "Myfest" wäre schon in früheren Jahren stets als Versammlung, nicht als Veranstaltung beantragt und meist recht spät genehmigt worden. "Das Prozedere war damals schon immer schwierig, weil dem Veranstalter stets Steine in den Weg gelegt wurden", so Heihsel.
Andere sehen die Verantwortung für das Scheitern des Festes noch deutlicher beim Bezirk, wie Martin Matz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus: "Der 1. Mai naht. Um den zu ordnen, auch wegen schwieriger Inhalte der 'Revolutionären 1. Mai-Demo', hätte ich mir sehr ein Myfest gewünscht. Das passt aber offenbar nicht ins grüne Kreuzberg von Frau Herrmann", sagt er.
Im Verein MyFest e.V. könnte in den vergangenen Jahren allerdings auch das Engagement nachgelassen haben. Die Webseite wird derzeit überarbeitet und bietet keine Informationen, auch kein Impressum, das Verantwortliche nennt. Zwei ehemalige Mitorganisator:innen erreichte rbb|24 zwar telefonisch, sie gaben aber an, nichts mehr mit der Veranstaltungsplanung des "Myfests" zu tun zu haben. Mitinitiator Halis Sönmez steht noch im Vereinsregister als Vorsitzender, war für den rbb aber nicht erreichbar.
So wird es in Kreuzberg in diesem Jahr am 1. Mai spürbar ruhiger. Denn auch die kleinen, offenbar von den Anwohnern gewünschten Kiezfeste wird es wohl nicht geben. "Es wurden keine Kiezfeste angemeldet", schreibt das Bezirksamt.
Und: "Das Bezirksamt selbst veranstaltet weder das 'MyFest' noch kleinere Kiezfeste."
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.2024, 13:00 Uhr