Renaturierungsprojekt in Berlin - Wie "vertikale Feuchtgebiete" mehr Vielfalt in Gewässer bringen können

Mo 20.05.24 | 13:21 Uhr | Von Andreas Heins
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Pflanzmodule Gold-Meir-Steg. (Quelle: Ralf Steeg/WITE)
Bild: Ralf Steeg/WITE

Kanal oder Fluss? Auf den ersten Blick kann in Berlin kaum unterschieden werden, um welches Gewässer es sich handelt. "Vertikale Feuchtgebiete" sollen Abwechselung in die Ufer-Monotonie bringen. Das nützt der Biodiversität - und auch den Menschen. Von Andreas Heins

Berlin ist eine gewässerreiche Stadt, täglich überqueren Tausende Menschen die über 900 Brücken, auch zu Fuß. Viele davon würdigen das, was darunter liegt, keines Blickes. Vielleicht liegt es daran, dass wir dort nichts Spannendes oder Neues erwarten.

Eingezwängt in kilometerlange Mauern aus Stahl, Beton oder Mauersteinen sind Flussläufe und künstliche Kanäle kaum voneinander zu unterscheiden. Neben Plastikflaschen finden sich dort, wo sie etwas vom Menschen ergattern können, Enten und Schwäne und vielleicht ein Blässhuhn. Ähnlich monoton sieht es aus, wenn man unter Wasser schaut. Nur wenige Arten können es hier lange aushalten.

In der Uferzone spielt sich Entscheidendes ab

Gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Wite haben Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) Berlin die "vertikalen Feuchtgebiete" entwickelt. Sie sollen mehr Vielfalt in städtische Gewässer bringen. So wie Balkonkästen an Häusern, soll durch bepflanzte Module mehr Natur an die Ufer der Fließgewässer gebracht werden. Denn genau da, in der flachen Uferzone natürlicher Gewässer, spielt sich Entscheidendes für die Vielfalt des Lebens im Wasser ab.

Die Pflanzen im Übergang von Land zu Wasser bieten Brutplätze für Fische, Lebensraum für Insekten und andere Wirbellose, Nahrung und Unterstände für Larven und Jungfische. Die Rolle dieser Flachwasserzonen für die Biodiversität ist schon lange bekannt. Außerhalb der Städte werden Flüsse und Bäche renaturiert, um wieder Platz für biologische Vielfalt zu schaffen. In Städten wie Berlin ist dies kaum möglich. Bedenken wegen der Sicherheit des Schiffsverkehrs oder der Standfestigkeit von Uferböschungen stehen der Renaturierung entgegen. Aber in den meisten Fällen sind die Ufer einfach so stark bebaut, dass kein Platz für die Natur da ist.

Montage der Pflanzenmodule. (Quelle: Ralf Steeg/WITE)In einem Uferbereich werden sogenannte vertikale Feuchtgebiete montiert

Nur einheimische Pflanzen werden angebracht

Aufgehängt sind diese "Balkonkästen" an Schienen, die an den Uferwänden der Kanäle und Flüsse angebracht werden. Aber mit diesem Prinzip endet die Ähnlichkeit auch. Große Käfige aus einheimischem Holz und unbehandeltem Stahl werden mit Pflanzsubstrat gefüllt, mit einem biologisch abbaubaren Vlies bedeckt und mit einheimischen Pflanzen bestückt.

Gehölze aus Fluss-Auen, wie Weiden, auch Schilf und Binsen und andere Pflanzen aus Flachwasserzonen wie zum Beispiel Schwertlilien und Sumpfdotterblumen sind möglich. Alle verwendeten Materialien sind unschädlich für die Gewässer und werden nach einiger Zeit abgebaut. Der Stahl braucht 40 bis 60 Jahre, das Vlies ist schon nach einem Jahr verrottet. In dieser Zeit haben die Pflanzen das Substrat bereits durchwurzelt und gefestigt.

Viele Tiere siedeln sich an

Erfolgreich wurde dies am Berlin-Spandauer-Schiff-Fahrtskanal, am Golda-Meir-Steg, erprobt. Die Module wurden, von einer schwimmenden Plattform aus, an einer an der Spundwand angebrachten Schiene angehängt. "Bereits nach einigen Tagen fand sich Fischlaich an den Modulen und nach wenigen Wochen unternahmen Blässhühner erste Brutversuche", erklärt der Fischökologe Cristian Wolter vom IGB.

Die meterlangen, im Wasser hängenden Wurzeln wurden zum Versteck für Fische und Libellen. Auch Käfer, Wespen, Spinnen und Wasserschnecken siedelten sich an. Biber und Nutrias interessierten sich für die Anpflanzungen und Bisame knacken Muscheln auf den Modulen. Auch Muschelschalen, die nicht zerbissen waren, fanden sich - ein möglicher Hinweis auf Otter. "Gesehen haben wir sie nicht, aber gänzlich unwahrscheinlich, dass sie da sind, ist es auch nicht", so Wolter. "Da schwimmt mehr im Wasser als Bisamratten." Auch die Wasserqualität und das lokale Kleinklima profitieren, nackte Uferwände erreichen im Sommer schnell hohe Temperaturen und erwärmen so das Wasser und damit die ganze Stadt.

Doch nicht nur die Stadt profitiert von den neuen Feuchtgebieten. Für viele Wanderfische und andere Wasserbewohner sind die kanalisierten Stadtgewässer ein kaum überwindbares Hindernis. Sie wandern im Schutz der flachen Uferregionen. "Einige Arten, wie Steinbeißer oder Gründlinge drehen nach einigen Kilometern langweiliger Uferbereiche um", erklärt Wolter. "Das führt dazu, dass diese Fische geeignete Gewässer, wie die Nebengewässer oder den Oberlauf der Spree erst gar nicht erreichen." Die vertikalen Feuchtgebiete könnten als Trittsteine und Zwischenstationen dienen, um die Durchwanderung wieder zu fördern.

Pflanzmodule montiert. (Quelle: Ralf Steeg/WITE)Die ins Wasser hängenden Wurzeln bieten Lebensraum für beispielsweise Fische

Potenzielle Orte gibt es genug

Bis es so weit war, waren aber noch einige Hindernisse zu überwinden. Das Wasserstraßen- und Schiff-Fahrtsamt Spree-Havel, aber auch die zuständigen Senatsverwaltungen mussten überzeugt werden. Bedenken gab es auch wegen der Standsicherheit, was passiert, wenn ein Schiff dagegen fährt? Dann gab es Bedenken wegen der Eisfreiheit und möglichem erhöhten Reinigungsbedarf. Auch das Einbringen von fremden Stoffen in Gewässer ist genehmigungspflichtig.

Deshalb wurden auch nur Materialien benutzt, die sich zu unbedenklichen Stoffen abbauen, so Wolter. Einige Bedenken konnten schon vor dem Feldversuch ausgeräumt werden, zum Beispiel durch eine Berechnung der Statik. Andere haben sich im Versuch als unbegründet erwiesen, wie zum Beispiel die Vermüllung. Der meiste angespülte Müll wurde auch wieder weggespült. Als positiv hat sich beim Genehmigungsverfahren erwiesen, dass die Module auch wieder leicht entfernt werden können.

Christian Wolter hofft, dass der erfolgreiche Versuch von den Berliner Behörden weitergeführt wird und das auch andere Uferbereiche damit ausgestattet werden. Nicht überall ist dies möglich, beispielsweise an Engstellen, an denen sich Eis im Winter stauen könnte. Aber andere potenzielle Orte für vertikale Feuchtgebiete gibt es genug. Der Berliner Senat, die Wasserbehörden, aber auch Privatbesitzer von Uferwänden haben bereits ihr Interesse bekundet. Das IGB hat eine Anleitung zum Bau solcher Feuchtgebiete herausgebracht und auch in der Schweiz besteht Interesse. Das am Projekt beteiligte Ingenieurbüro hat gerade einen Wettbewerb zur Gestaltung von Uferwänden am Genfer See gewonnen.

Und einen weiteren positiven Effekt haben die vertikalen Feuchtgebiete. Es ist sicher angenehmer auf begrünte Ufer als auf nackte Spundwände zu schauen. Vielleicht werfen wir dann öfters einen Blick von der Brücke.

Beitrag von Andreas Heins

12 Kommentare

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  1. 11.

    Damit dann die beiden Fischer in Berlin noch mehr Fisch mit Netzen rausholen können um diese dann auch wieder in die Biogasanlage zu stecken?
    Der Fischbestand in Berlin wird doch schon Jahre mutwillig dezimiert.

  2. 10.

    Könnten diese Anpflanzungen nicht auch die Wasserqualität selbst positiv beeinflussen?
    Ein vielversprechendes Projekt.

  3. 9.

    Ja, kenne ich. Wir haben die Stahlkonstruktion gefertigt und montiert. Schön, dass der Plan offenbar funktioniert.

  4. 8.

    Das ist ja irre! Seit wann gibts denn sowas? hab ich noch nie gesehen. Und kann man das überall machen? Wie geil ist das denn?

  5. 7.

    Das ist ja richtig spannend und wäre ideal für unser Betonuferwände und das Klima. Was mich da interessiert, wie hält man die Wanderratte von einer Ansiedlung ab. Da sie ja super Schwimmer sind, ist das doch ein idealer Aufenthaltsort (nicht nur unsere Kanalisation). Für eine fundierte Antwort habe ich ein offenes Ohr.

  6. 6.

    Artikel hat gefallen und neugierig gemacht. Möge es schnell, zeitnah losgehen, so versteht sich Naturschutz von selbst. Danke für die vielen Fakten im Artikel.

  7. 5.

    Das ist mal eine sinnvolle Ergänzung für die Stadt sollte oft in jedem Bezirk umgesetzt werden.

  8. 4.

    Da bleibt nur zu hoffen, dass dieses vorbildliche Beispiel Schule macht und sich in Berlin schnell verbreitet. Einfach genial!

  9. 3.

    Da kann ich Ihnen nur zustimmen und hoffentlich passiert in diese Richtung auch mal etwas "Zeitnah".

  10. 2.

    Sehr schön und effektiv, und so einfach.

  11. 1.

    Klasse Idee!
    Hoffen wir, dass sie noch an vielen Stellen in der Stadt umgesetzt wird...

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