Künstliche Intelligenz im Unterricht - Mit KI Schüler:innen zu neuem Denken anregen
Aus langweiligen oder langen Texten das Wichtigste zusammenfassen - das kann KI. Für viele Schüler:innen ist das schon Standard. Einige Schulen in Berlin machen vor, wie man KI dort einsetzen kann. Doch sie sind bisher die Ausnahme. Von Christina Rubarth
Die angehenden Erzieher:innen der Marie-Elisabeth-Lüders-Oberschule (MELO) in Berlin-Schöneberg sollen beobachten, was in dem Video vor ihnen auf dem Smartboard passiert: Ein etwa vierjähriges Kitakind namens Paulina schiebt Stühle zusammen und baut daraus einen Zug. Mit ChatGPT soll aus den Beobachtungen der Schüler:innen ein Brief in kindgerechter Sprache über die Entwicklungsschritte an das Kitakind verfasst werden - mit möglichst präzisen Befehlen aus wenigen Wörtern. "Welche Fragen braucht die KI dafür?", fragt Lehrer Maximilian Haas.
150-Wörter-langer Text in Sekundenschnelle
"Schreib mir eine Lerngeschichte zu Paulina und dass sie gerne mit Zügen spielt", tippt Bianca Constantin als Befehle in die Suchmaske und drückt auf Senden. Nahezu zeitgleich erscheint ein 150-Wörter-langer Text auf dem Bildschirm. Zufrieden ist Bianca damit nicht. Der Text sei ihr nicht liebevoll genug, sagt sie. "Du hast oft mit einem 'achso ok' genickt", lautet ein Satz. Auch fehle ihr am Ende "Mit Liebe, Deine Erzieherin Bianca".
Die 19-Jährige hat auch schon erlebt, wenn die Künstliche Intelligenz (KI) zwar etwas auf den ersten Blick Verständliches ausspuckt, dass dies aber frei erfunden sei. "Manchmal fragt man irgendwas und dann kommt genau das Gegenteil raus. Das nervt mich wirklich, weil ich mich frage, wie ich es formulieren soll, damit die KI es versteht", sagt sie. Ohne Kontrolle geht nichts.
Unterstützung im Arbeitsalltag
Genau das sollen die Schüler:innen hier lernen: Verstehen, dass Künstliche Intelligenz nicht alle Probleme lösen, aber ein Instrument sein kann, das im Arbeitsalltag hilft. "Es ersetzt nicht das Wissen oder das Denken", sagt Maximilian Haas. "Denn ich muss genau wissen, was ich am Schluss haben will und was dafür die konkreten Fragestellungen sind. Das grobe Schnitzen übernimmt die KI, den Feinschliff muss man selber machen."
Das Team an der MELO um Maximilian Haas und seine Kollegin Ilona Gonzalez baut seit rund anderthalb Jahren KI in den Unterricht ein. Damit erfüllen sie schon länger die "Empfehlungen für den Umgang mit KI-Anwendungen am Beispiel von ChatGPT" [berlin.de] des Landes Berlin, die seit April in einer zweiten Fassung vorliegen. Die Schüler:innen sollen einen kritischen Umgang mit Künstlicher Intelligenz lernen.
In der achtseitigen Empfehlung heißt es zum Beispiel: "Es ist wichtig, Schülerinnen und Schülern die Nützlichkeit von KI als Werkzeug zu vermitteln. Gleichzeitig müssen sie über deren Grenzen und Risiken aufgeklärt werden." Weiter heißt es als Empfehlung an die Lernenden: "Auch die Nutzung von KI erfordert Kompetenzen und Übung: Unterschätzen Sie nicht den Zeitaufwand, der notwendig ist, um mit einer KI-Anwendung zu guten Ergebnissen zu kommen."
An der Oberschule wollten sie einen Wissensvorsprung vor ihren Schüler:innen haben und gestalteten mit dem Auftauchen von ChatGPT im November 2022 ihren Unterricht neu, sagt Ilona Gonzalez, Fachleitung Bildungsangebote Planung und Durchführung. "Wir müssen Arbeitsaufträge anders formulieren, die die Schüler:innen zu neuem Denken anregen."
Unterstützung für Lehrkräfte
Dass KI längst in alle Lebensbereiche von Jugendlichen eingedrungen ist, zeigt die von der Vodafone-Stiftung veröffentlichten Umfrage des Instituts Infratest dimap aus März 2024 [vodafone-striftung.de]. Laut der Studie erwarten 80 Prozent der 14- bis 20-Jährigen, dass der Einsatz von KI in den Unterricht in den kommenden Jahren verstärkt wird. 76 Prozent geben an, dass KI an ihrer Schule gar kein Thema ist oder es keine einheitliche Regelung dazu gibt. Sie selbst nutzen für private und schulische Zwecke am häufigsten ChatGPT, gefolgt von Google Lens und DeepL.
Lehrer:innen kann KI auch bei Unterrichtsmaterialien helfen, die auf unterschiedliche Wissensniveaus einer Klasse eingehen, und eine individuelle Förderung erleichtern. Die MELO-Schule ist technisch und personell gut ausgestattet. Es gibt Lernlounges, Tabletts und Lehrende, die Lust hatten, sich früh mit dem Thema Künstliche Intelligenz im Unterricht auseinanderzusetzen. Doch darauf können längst nicht alle Schulen bauen.
Unterricht umgestalten braucht Zeit und Personal
Bis 2026, so die Senatsbildungsverwaltung, sollen alle Schulen durch das Landesprogramm BWAS (Breitband- und Wlan-Ausbau der Berliner Schulen) mit schnellem Internet ausgestattet sein.
Der Breitbandanschluss sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie viele Schulen funktionierendes Wlan in den Klassenzimmern haben. Akut bleibt der Mangel an Lehrkräften. In diesem Schuljahr konnten 749 Stellen an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen nicht besetzt werden. Und selbst wenn eine Schule genügend Lehrer:innen beschäftigt: Den Unterricht umzugestalten, braucht Zeit, Wissen und im Zweifel Fortbildungen für die Lehrenden.
Nutzung von KI kostet
Auch in Brandenburg gibt es 1.012 freie Lehrer:innenstellen. Grundsätzlich sind alle Schulen verpflichtet, nur KI-Tools zu nutzen, die den Datenschutzrichtlinien der DSGVO entsprechen. Das geht bei ChatGPT zum Beispiel nur mit einer Bezahlversion. Bundesweit gibt es viele kommerzielle Anbieter:innen, die sich auf KI in Schulen spezialisiert haben und vom Bewerbungstraining bis zum Chat mir einer historischen Person im Geschichtsunterreicht Angebote haben. Aber ihre Nutzung kostet.
Brandenburg plant in Kooperation mit Sachsen-Anhalt ab dem neuen Schuljahr die Nutzung einer selbstprogrammierten Schnittstelle für einen datenschutzsicheren KI-Einsatz an Schulen (emuKI). Berlin plant keine Landeslizenzen. Berliner Schulen könnten stattdessen selbst entscheiden, welche Anbieter:innen sie wählen, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung.
Der Vorteil von Landeslizenzen wäre: Das Thema Datenschutz liege dann nicht in der Verantwortung der einzelnen Schulen. Und: Die Beschäftigung mit KI hinge nicht von der Motivation einzelner engagierter Lehrkräfte ab. Alle Schüler:innen haben so die Chance, zu lernen, verantwortungsvoll mit Künstlicher Intelligenz umzugehen und ihr Nutzungsverhalten zu hinterfragen.
Vorteile überwiegen
"Es nervt mich, dass ich nicht mehr so gründlich lese, sondern einfach alles zusammenfasse", sagt Bianca aus der Klasse für angehende Erzieher:innen. Sie merke, dass sie sich nicht mehr so viel Zeit nehme.
Unterm Strich überwiegen für sie die Vorteile. Und ihr ist bewusst, dass sie und ihre Mitschüler:innen in der MELO-Schule Glück haben. Immer zwei Lehrende können sich um eine Gruppe kümmern, wenn sie mit KI den Unterricht gestalten. Sie hat vergleichsweise viele jüngere Lehrer:innen, die sich mit viel Engagement in ChatGPT und Co. einfuchsen. "So können sie uns auch weiterhelfen", sagt sie, "Ich glaube, das ist ein Geschenk."
In Zusammenarbeit mit Julian von Bülow, Ute Zauft und Hanna Echle
Sendung: rbb24 Abendschau, 03.06.2024, 19:30 Uhr