Älter als die Microsoft-Sanduhr - Ein Faxencheck
Das Fax hat ausgedient - könnte man denken. Der Bundestag will seine Fax-Geräte abschaffen. Berlin "verzichtet auf eine landesweite Vorgabe", wohl aus gutem Grund. Schließlich piept und rattert es in Berlins Amtsstuben, was das Fax hergibt. Von Stefan Ruwoldt
Dieser Text über das langsame Sterben des Fax' könnte einfach nur aus Überschriften bestehen. Aus holprigen Wortspielen. Es gibt keinen Nachrichtkern. Dieser Text hier hat nur weiter offene Fragen: Warum gibt es das Fax noch? Sind Faxgeräte überhaupt noch erlaubt? Was war zuerst da - das Faxgerät oder das Rad? Wer hier weiterlesen will, sollte wissen: Wir haben auf diese Fragen keine Antworten gefunden.
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Bevor wir aufzählen, warum das Fax noch lebt - vor allem in den Berliner Behörden -, zitieren wir noch schnell ein paar alternative Überschriften, die wir nicht genommen haben, andere Medien aber schon: "Keine Faxe(n) machen" (LinkedIn). "Faxen verboten" (www.daproserv.com). "Verwaltung hat die Faxen dicke" (Tagesspiegel) oder ganz groß: "Schluss mit den Faxen" (Frankenpost).
Was aber steht jetzt da oben in der Überschrift? - Genau: "Ein Faxencheck" - die hatte noch nie einer. Berlin will moderner und schneller werden, genauer: noch moderner und noch schneller. Die Stadt hat dafür ihre Verwaltung auf den Prüfstand gestellt. Gerätemäßig. Das war vor gut einem Jahr, also 2023. Und Berlin stellte dabei fest, dass zu viele Faxgeräte der Verwaltung einen modrigen Duft verleihen. Mehr als ein Jahr ist vergangen, wo also steht Berlin heute faxmäßig? Vorweggenommen: Es hat sich noch nicht viel verändert.
189 von 731 Verwaltungsdienstleistungen können ausschließlich (!) per Fax ergehen
Der Anlass dieses besonderen Gerätechecks des Senats - damals neu im Amt mit großem Besen in der den schwarz-roten Händen) war eine kleine Anfrage der FDP. Nach 17 Tagen Zählung veröffentlichte die Digitalisierungssenatsverwaltung, die außerdem noch für Sport und Inneres zuständig ist, ihre Bilanz.
Die Behörde hatte sich für die Antwort an die FDP auf den Weg durch ihre Büros, Flure und Kammern gemacht und auch die Bezirksgebäude gefilzt und alles zusammengezählt. Das Ergebnis trug dann die ziemlich gewollt symbolische Überschrift: "Faxe dicke!", also ohne "n" am Ende von "Faxe", wohl weil in den Berliner Verwaltungsbüros immer noch gerne viel, piepend oder geräuschlos gefaxt wird.
Die Zählung ergab, ausgewertet auf 83 DIN-A4-Seiten, dass 189 von 731 Verwaltungsdienstleistungen ausschließlich (!) per Fax ergehen können. 5.333 Faxgeräte standen 2023 noch in den Berliner Verwaltungen, 3.263 davon in den Senatsverwaltungen. Und viele der darauf verschickten Faxe werden wohl vor allem intern genutzt, wie es in der Antwort hieß.
Besonders schön: Die Behörden lieferten auch gleich Begründungen für die Nutzung des Faxes. Nachzulesen hier, ab Seite 38 und vielen, vielen folgenden [pardok.parlament-berlin.de].
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Denn abgefragt wurde dabei auch, warum und wofür die Faxe verschickt werden. Die Antwort etwa des Bezirksamts Mitte lautete, dass das Fax "Grundlage für die Kommunikation mit anderen Berliner Verwaltungen" sei. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erklärte, dass das Katastrophenschutzgesetz vorschreibe, dass mit dem Fax eine "Rückfallebene im Notfall" vorliege. Das Fax als Möglichkeit, dass da noch was Handfestes übrig ist - im Notfall.
Diese Selbstversicherung der Behörden, mit der Faxübermittlung auf einem guten und sicheren Weg zu sein, begann in den 1990er Jahren. Der Kommunikationshistoriker Frank Gnegel, Sammlungsleiter des Museums für Kommunikation Frankfurt am Main, erklärt, dass in Deutschland das Fax nur sehr sehr langsam eingeführt wurde, etwa zwischen 1974 bis 1976. Nur wenige Geräten wurden damals bundesweit gezählt. Dann 1978 seien es etwa 1.000 gewesen und Ende der 80er dann immerhin 100.000. "Hochgeschnellt ist die Zahl fünfzehn Jahre später: Zur Mitte der 90er gab es dann in Deutschland eine Million Geräte. "In den 2000ern aber wurde das Fax schon vom Computer überholt und die Faxnutzung ging zurück, wie Gnegel erklärt.
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Der Grund für die Einführung sei einfach gewesen, sagt Gnegel: "Beschleunigung. Ganz einfach. Also genau so, wie bei vielen Erfindungen. Vorher gab es da ja nur den Brief." Das Telegram war auf wenige Zeichen und Wörter reduziert, teuer und kompliziert, Fernschreiber in der Verbreitung begrenzt und teuer wegen der notwendigen eigenen Leitungen. "Das Fax aber war eine klare Weiterentwicklung des Telefons: Überall, wo eine Telefonleitung war, war nun Faxen möglich." Nach ein paar Augenblicken hatten Versender und Empfänger, wenn alles gut ging, das gleiche Dokument in den Händen - Original und Kopie. Eine hohe Ehre für das Fax. Aber halt nur damals, in den 90ern und 2000ern.
Allerdings waren Qualitätseinbußen auch ein Nachteil gegenüber dem Brief. Die Schnelligkeit hatte ihren Preis. Das Fax wurde zur Krücke für den Brief. "Bei Gerichten gilt das Fax dann - und nun schon seit Jahrzehnten - als Schriftstück und als 'fristwahrend eingegangen' mit einem gültigen Zeitaufdruck", so Gnegel. Sicher, also mit Eingangsbestätigung und mittlerweile auch verschlüsselt, geht die Kommunikation eigentlich auch bereits per Mail. "Aber weil es da in der Startphase Probleme gab, blieben manche Behörden beim Fax", so Gnegel. Bis heute.
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Schneller, papierlos und leichter abspeicherbar geht seit Jahrzehnten bereits die E-Mail-Kommuniktion, also warum dauert die Umstellung von Fax auf die E-Mail so langsam? - "Das ist keine Faxbesonderheit", sagt Gnegel. Sicherheit, Bearbeitungseffizienz und billigerer Versand seien Behördenargumente, die auch für das Fax gegenüber dem Brief vor rund 30 Jahren galten. Wichtig sei doch: Was will man mit einer Abschaffung oder der Ablösung durch etwas anderes erreichen, fragt Gnegel und liefert die Begründung der Behörden für die Faxabschaffung: "Man will keine analogen Nachrichten mehr empfangen." Doch das stimme so nicht, widerspricht Gnegel. "Brief ist auch analog, muss aufgerissen, sortiert und abgeheftet werden." Den Brief aber abzuschaffen - das traue sich niemand, so Gnegel. "Diese jetzt forcierte Faxabschaffung ist nicht inklusiv. Denn mit der Faxabschaffung werden wie beim Brief Leute von der Kommunikation ausgeschlossen."
Gnegel fragt: "Was stört am Fax? - Wer noch ein Fax-Gerät hat wie eben fast alle Behörden, kann doch die wenigen Faxe auch verarbeiten - das stört nicht mehr als etwa die Verarbeitung von Briefen. Die Geräte sind da, ein bisschen Strom und Tinte, sonst keine Kosten." Laut Gnegel gehe es hier um etwas anderes: "Die Arbeit wird auf den Versender übertragen. Die Schreiben sollen so schneller kanalisiert werden, die Angaben darin strukturiert und leichter zu verarbeiten." Behördenarbeit, die der Versender übernehmen soll, nicht mehr der Empfänger. "Effizienzgewinne hat hier nur der Empfänger, also die Behörden."
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Gnegels Rat an die Behörden und damit auch an die Faxjäger der Berliner Verwaltung lautet "Im Grunde könnte man einfach darauf vertrauen, dass das Fax ausstirbt. Auch Fernschreiber sind längst verschwunden. Das Vertrauen auf das Fax und seine Nutzung sind ein Generationenproblem. Meine jugendliche Tochter kennt kein Fax. Sie ist digital unterwegs. Die Fans des Fax sitzen überwiegend in der Generation 50 plus."
Und der Kommunikationsexperte stellt auch das Geldargument infrage: Die Kosten für Faxgeräte seien nicht so hoch. "Man kann technisch sehr leicht Faxe schon nach Eingang mit Geräten digitalisieren, ohne dass man Papier anfassen muss." Bei der Stadt Frankfurt am Main etwa hieß es, dass die Verwaltung dort ihre Faxbestückung von 2.000 auf 700 reduziert." Die Frage aber sei doch: "Wo stehen die Geräte, faxen sich die Mitarbeiter vielleicht auch einfach gegenseitig Dokumente? Für Schlagzeilen sorgte ja, dass das Robert-Koch-Institut in der Corona-Zeit für die Sammlung der Infektions-, Erkrankungs- und Hospitalisierungsstatistiken Faxe mit Zahlen bekam. Aber die Alternativen wären ähnlich aufwändig gewesen, etwa mit diversen Schnittstellen für IT-Systeme, mit der Software, die dann bei allen gleich sein muss." Das ist reichlich rhetorisch, so Gnegel über die Fax-Jäger. "Die anderen sind die rückschrittlichen, wir die modernen, digitalen. Aber hier gibt es neue Hürden und Fehlerquellen: die der IT."
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Welcher Weg für die schriftliche Kommunikation sich als der praktikabelste für alle durchsetzt, sei nur schwer zu sagen, erklärt Gnegel: "Wahrscheinlich verschwindet das Fax von allein, wenn also eine gewisse Schwelle der Nichtnutzung überschritten ist.
Der Bundestag arbeitet daran, die Bayerische Staatsregierung auch. So werden es immer weniger und am Ende gehen die übrigen Geräte kaputt, und das war es dann.
Die aktuelle Antwort auf die Anfrage beim Senat, wie weit die Entfaxung der Verwaltung läuft, lautete jetzt im Frühjahr 2024, ein Jahr nach der großen Zählung: Neue Zahlen seien nicht erhoben worden. "Diese könnten nur mit erheblichem Aufwand ermittelt werden", antwortete die Berliner Senatskanzlei und ergänzte: "Der Einsatz von Faxgeräten im Allgemeinen wird durch keine landesweite Vorgabe geregelt." Der Bundestag schafft bis 30. Juni das Fax ab. Berlin aber hat noch lange nicht ausgefaxt.
*...das Fax (all das Begründungen der Berliner Behörden für die weitere Nutzung des Fax)
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