Amtsposse in Berlin-Kreuzberg - Die chaotische Umbenennung eines Straßenabschnitts

Di 02.07.24 | 06:10 Uhr | Von Andre Kartschall
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Manteuffelstraße in Kreuzberg heißt ab Freitag Audre-Lorde-Straße (Quelle: dpa)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.06.2024 | Moritz Hohmann | Bild: dpa

Die Audre-Lorde-Straße gibt es offiziell seit September vergangenen Jahres. Doch so gut wie niemand wusste davon - nicht die Post oder Lieferdienste und auch nicht die Anwohner. Nun wurde sie eingeweiht. Doch die Verwirrung geht weiter. Von Andre Kartschall

Es ist ein wunderschöner Freitagnachmittag in Berlin-Kreuzberg und in einer abgesperrten Nebenstraße wird es gleich um die ganz großen Fragen von Politik und Gesellschaft gehen. Rund 200 Menschen sind gekommen, um die "Audre-Lorde-Straße" feierlich einzuweihen.

Die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (B90/Grüne) betritt die Bühne und entschuldigt sich als erstes. Dafür, dass es "länger gedauert hat" mit der Straßenumbenennung eines ehemaligen Teils der Manteuffelstraße. Das Stück, das nun den Namen Audre-Lorde-Straße trägt, heißt offiziell bereits seit September 2023 so. Es hatte zunächst nur niemand mitbekommen. Doch dazu später mehr.

"Es ist so ziemlich alles schief gelaufen, was schief gehen kann", sagt Herrmann. Dann spricht sie darüber, dass die Straßennamen in Berlin "mehr Diversität" vertragen könnten, "weil das auch Machtverhältnisse ausmacht". Diese Idee stand auch am Anfang der Umbenennung.

Afroamerikanische Feministin statt preußischer Royalist

Die Bezirksverordnetenversammlung des links-grün-geprägten Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich entschlossen, einen Teil der Manteuffelstraße nach einer Feministin - Audre Lorde - zu benennen. Otto Theodor Manteuffel, der Namensgeber der alten Straße, war im 19. Jahrhundert preußischer Ministerpräsident und galt als glühender Royalist.

Audre Lorde war eine afroamerikanische Feministin, die in den 1980er und 1990er Jahren an der FU Berlin lehrte. Sie selbst nannte sich "a black feminist lesbian woman" - "eine Schwarze feministische lesbische Frau".

Da der Bezirk bereits vor fast 20 Jahren beschlossen hatte, Straßen und Plätze möglichst nur noch nach Frauen zu benennen, passte die Idee also fast schon ideal zu Vorgaben und Zeitgeist. Im September wurde die Namensänderung vollzogen. Damit begannen die Probleme. Denn bis auf Liebhaber öffentlicher Bekanntmachungen fiel das niemandem auf.

Unbekannte Adressen entstehen

Erst nach Monaten wurde einigen Bewohnern der Manteuffelstraße plötzlich klar, dass sie zu Bewohnern der Audre-Lorde-Straße geworden waren. Einige Krankenkassen hatten die Namensänderung offenbar intern schon in ihren Datensätzen nachvollzogen - was irgendwann auch einzelnen Versicherten auffiel. Die Geschichte von der unbemerkten Umbenennung machte schnell die Runde. Kurz darauf offenbarte sich das Chaos, das die Entscheidung ausgelöst hatte.

Zwar trug der betroffene Straßenabschnitt nun offiziell den neuen Namen - schließlich war die Änderung im Amtsblatt veröffentlicht worden. Doch überall prangten noch die alten Straßenschilder mit der Aufschrift "Manteuffelstraße". Die knapp 1.600 betroffenen Anwohner und Anwohnerinnen waren überrascht, die Presse wurde wach, das rbb-Fernsehen kam vorbei und sammelte Zitate verwunderter Bewohner: "Ich verstehe nicht, warum ...", "nicht mal unsere Hausverwaltung wusste, dass wir eine neue Adresse haben" und "ich find's nicht gut" hatten die Nachbarn zu berichten.

Zur Verwirrung trug auch bei, dass einzelne Postsendungen und Pakete bereits an die neuen Adressen versandt wurden - von denen die Adressaten aber gar nicht wussten, dass sie mittlerweile dort wohnten. Die Folge: Pakete stapelten sich bei örtlichen Annahmestellen und wurden nicht abgeholt. Der Bezirk riet Betroffenen, sich mit den Dienstleistungsunternehmen ins Benehmen zu setzen und die Probleme selbst zu klären.

Hausnummern müssen neu vergeben werden

Als Grund, warum über Monate keine neuen Straßenschilder montiert wurden, führte die Verwaltung an, dass der Vorgang der Umbenennung unvorhersehbare Probleme verursacht habe. Es handele sich in diesem Fall lediglich um eine Teilumbenennung, weil das südliche Ende der Manteuffelstraße ja den alten Namen behalte. Eine Komplettumbenennung wäre wohl einfacher gewesen.

So aber ergebe sich ein ganz spezielles Problem: die alten Hausnummern könnten so nicht bleiben. Im Grunde müssten beide Straßen nun neu durchnummeriert werden, denn eine Unterbrechung in der Ziffernfolge sehe die Rechtslage nicht vor.

Zudem habe es noch eine weitere Panne gegeben. Offenbar hatte niemand bedacht, dass kurz vor Wahlen Straßen nicht umbenannt werden sollen. Damit sollen Missverständnisse im Wählerverzeichnis vermieden werden. Die Wiederholungswahl für den Bundestag sowie die Europawahl am 9. Juni fanden nun aber mitten im Namenswirrwarr statt. Warum all das nicht absehbar gewesen sein soll, hat bislang niemand genau erklärt.

Neue Hausnummern im August

Am Freitagnachmittag aber ist die Stimmung bei den Anwesenden prächtig. Es gibt Musik sowie Reden von Wegbegleiterinnen von Audre Lorde (1934-1992). Oft geht es um Selbstbestimmung und Emanzipation und wie schwierig es zu Lebzeiten Lordes war, lesbisch, Schwarz und feministische Aktivistin zu sein.

Bürgermeisterin Herrmann sagt, dass sie sich - na klar - sehr freue, dass sie die Straße nun endlich einweihen dürfe. Nur die Neunummerierung der nunmehr zwei Straßen - Manteuffel- und Audre-Lorde-Straße - steht noch aus.

Auf die Frage, wann das erledigt werde, antwortet sie mit "Richtung August". Genaueres könne das Bezirksamt sagen.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.2024, 10:10 Uhr

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Beitrag von Andre Kartschall

82 Kommentare

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  1. 82.

    >"Dass der rbb daraus eine "Posse" macht, unterstreicht seine reaktionäre Haltung"
    Mein Gott... lesen Sie doch mal richtig! Dieser Artikel ist nicht Glosse oder satirischer Kommentar eines Redakteurs gekennzeichnet und ist damit journalistische keine Posse! In diesem Artikel werden die verwaltungstechnischen Vorgänge und das Wirrwar für die Anwohner dargestellt auch mit Äußerungen beteiligter Personen, was nach außen hin schon an eine Posse erinnert.
    Wenn Sie in ihrer eigenen Wahrnehmung klare Fakten nicht mehr deuten können, dann lassen das mit solchen Äußerungen wie... der rbb sein reaktionär. Dass Sie diesen Artikel als jounalistisch reaktionär deuten, das ist wahrhaftig eine Posse!

  2. 81.

    Jetzt nur noch neue Straßen mit Frauennamen zu benennen ist genauso falsch, wie nur männliche Namen zu nehmen. Jetzt könnte man ja argumentieren, dass ein Ausgleich geschaffen werden soll. Aber muss man nun mit aller Gewalt geeignete Frauen finden, nach denen dann die Straßen benannt werden? Wenn ich mir ansehe, was in unserer Stadt und unserem Land gerade alles schief läuft, so glaube ich, dass wir weitaus größere Probleme haben als gendern und Frauenquote.

  3. 79.

    Holla die Waldfee. Klingt wie der Sprech von den Leuten die in der Uni rumbesetzt haben. Der rbb hat die Sache nicht zur Posse gemacht sondern über die Superleistung der Grünen berichtet. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, auch wenn einzelne das durch ihre politischen Scheuklappen nicht wahrnehmen können.

  4. 77.

    Bitte künftig das Wiehern aller Amtsschimmel im neu zu schaffenden Digital-Amtsblatt veröffentlichen

  5. 76.

    Das ist in der Tat ein Zeitpfeil in der umgekehrten Richtung: dass die mühsam und in Kämpfen errungene Demokratie quasi rückwärts auf die Zeit davor auszudehnen wäre. Allenfalls ließe sich m. E. unterscheiden, wer eine wirkliche Inspiration / Erfindung / tech. Entwicklung eingebracht hat und sich das dann mit einer vordemokratischen Einstellung paarte oder ob die Ehrung zentral darin bestand und weiter gilt, Aufklärung dezidiert und mit allen Kräften verhindert zu haben.

  6. 75.

    Mit Verlaub, Euer Ehren - der RBB bezeichnet ja nicht die Umbenennung als solche als "Posse", sondern die unzweifelhaft schlechte Umsetzung des Ganzen. Dem RBB nun eine reaktionäre Haltung vorzuwerfen ist völlig daneben.
    Aus meiner Sicht werden hier zurecht nur die Meinungen der Anwohner wiedergegeben und in einem verständlich kritischen Ton die Zustände beschrieben. Dass das Ganze einem Schildbürgerstreich ähnelt, ist leider nicht zu leugnen...

  7. 74.

    Für einen Stau verantwortlich ist der, der ihn mit HIlfe seines Fahrzeuges - wider besseren Wissens - "produziert". Es ist genau dieses Überhelfen der Verantwortung auf andere und dass sich diese anderen ggf. noch den Schuh dafür anziehen, was eine Kontroverse darüber so absurd macht.

  8. 73.

    "die entgegen Manteuffel und Co. auf dem Boden unseres Grundgesetzes standen" Da galt das GG noch gar nicht.

  9. 72.

    Straßennamen dienten nach meinem Verständnis ja dazu, dass eine Straße eben einen Namen hat und man sie finden kann. In den allermeisten Fällen weiß ja auch gar keiner, nach wem diese oder jene Straße benannt ist. Oder wer hat sich über besagten Manteuffel jemals Gedanken gemacht?
    Nun lese ich hier aber, dass es manche darin einen Kampf um Machtverhältnisse geht - genau das, was diese Gesellschaft noch gebraucht hat...

  10. 71.

    Vielleicht sind Sie zum Glück einer der wenigen, der weiß wer Manteuffel war. Zum Zeitgeist passt jetzt auch wieder die Haltung " wir haben von nichts gewusst". Ob das die Umbenennung einer Straße ist, oder der allgegenwärtige Rassismus oder der Rechtsextremismus größer werdender Bevölkerungsgruppen etc.
    Wenn es da ist, hat es wieder keiner gewusst trotz so vieler Informationsmöglichkeiten.
    Dass die Berliner Verwaltung ein schwieriges Thema ist, ist auch bekannt und auch da hat es in Bezirk und Land auch wieder keiner gewusst.
    Und zu guterletzt @62 dass Xhain Neusprech von Nichtberlinern ist, (Zeitgeist) wissen noch einige Kreuzberger und Friedrichshainer.

  11. 70.

    Die Grünen in Berlin sind definitiv nicht mehr wählbar. Nicht nur, dass sie mit Kiezen etc. unnötige Staus in der Stadt sorgen, sie sorgen in den Bezirken auch für Chaos und unnötigen Stress…

  12. 69.

    "Aber auch als Travestiekünstler steht er mit für die queere Gesellschaft hier im Land."

    Ein Travestiekünstler steht erst einmal für Travestie. Das ist eine Kunstform und keine sexuelle Identität oder ähnliches.

  13. 68.

    Es ist also "oberflächlich", wie Sie sagen, wenn man aus gutem Grund Kolonialherrschaften nicht den sprichwörtlichen roten Teppich ausrollt und sie nicht mit Würden wie Straßenbenennungen ausstattet und stattdessen lieber Personen für Straßennamen auswählt, die entgegen Manteuffel und Co. auf dem Boden unseres Grundgesetzes standen und immer noch stünden? Nein, es ist noch nicht einmal sonderlich antirassistisch oder betont postkolonial kritisch, sondern schlichtweg demokratisch. Etwas, das auch der gesamte Bericht vermissen lässt: Es ist keine willkürliche Entscheidung nebulöser Politiker*innen, die Umbenennung geht auf eine Umfrage und Abstimmung zurück. Dass der rbb daraus eine "Posse" macht, unterstreicht seine reaktionäre Haltung, weil man entweder unsensibilisiert oder aus Intention boulevardesken Empörungseifer bedient. Wenn man geduldig über den klerikalfaschistischen Neubau eines Stadtschlosses blicken kann, ist das natürlich nicht möglich bei irriger Bürokratie.

  14. 66.

    Aber der Personalausweis und der Fahrzeugschein muss geändert werden. Und bekomme mal einen Termin beim Bürgeramt. Grüner Chaos.

  15. 65.

    Natürlich dürfen sie kommentieren. Nur steigern sich hier wieder alle so rein, als ob dort alle leben.

  16. 64.

    Typischer grüner Linker Chaos in xberg. Ist der damaliger Beschluss bei Strassenumbenennung nur noch Frauen Namen zu verwenden auch noch Zeitgemäß? Aber bei der nächsten Wahl in Berlin werden die Grünen ja sehen wo sie stehen. Und sage nicht, der Wähler hat uns nicht verstanden. Doch der Wähler hat verstanden.

  17. 63.

    Frei nach Hrn Habeck:"War doch nur ein Test an den Berlinern". Das wird doch bald alles besser mit der, gerade in Berlin, zügig fortschreitenden Digitalisierung und KI. Sagt Herr Wegner! Also nie. Es bleibt bei Karteikarten und Adresskalender in den Behörden.

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