Profiteur vom Sklavenhandel gewidmet - Umbenennung des Nettelbeckplatzes in Wedding rückt näher

Do 15.02.24 | 19:22 Uhr | Von Oliver Noffke
  58
Archivbild: Berlin Wedding, Nettelbeckplatz im März 2023. (Quelle: imago images/Ritter)
imago images/Ritter
Video: rbb|24 | 15.02.2024 | Grit Lieder | Bild: imago images/Ritter

Der Nettelbeckplatz in Berlin-Wedding soll umbenannt werden. Sein Namensgeber war in den Sklavenhandel verwickelt. Mehr als 500 Vorschläge aus der Bevölkerung gingen dazu ein. Nun soll ein Gremium drei geeignete heraussieben. Von Oliver Noffke

Die Umbenennung des Nettelbeckplatzes in Berlin-Wedding rückt ein Stück näher. Am Donnerstag hat ein Gremium Beratungen aufgenommen, das aus den mehr als 500 eingegangenen Vorschlägen drei geeignete raussuchen soll. "Dieses Gremium wird sich jetzt dreimal treffen, die eingegangenen Vorschläge begutachten und daraus eine Top-Drei-Liste machen", sagt Maren Goll vom Büro für Bürger*innenbeteiligung am Bezirksamt Mitte. Diese Liste werde am Ende der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zur Abstimmung vorgelegt.

Die BVV hatte im Juni 2021 die Umbenennung beschlossen, denn der Namensgeber war am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt. Im vergangenen Jahr konnten Bürgerinnen und Bürger über ein Online-Portal einen neuen Namen einbringen. 532 mögliche neue Namen sind laut Bezirksamt eingegangen. Darunter ernstgemeinte, gut begründete, reaktionäre und jede Menge alberne.

Welche Menschen wollen wir denn nach wie vor ehren?

Tahir Della, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland

Vorschläge wie "Platzi McPlatzgesicht" - offenbar in Anlehnung an die spektakulär vermasselte Abstimmung zur Taufe eines britischen Forschungsschiffes vor ein paar Jahren [zeit.de, guardian.com] - haben wohl schon aus formalen Gründen keine Chance. Namen, die nicht mit den Ausführungsvorschriften des Berliner Straßengesetz [berlin.de/sen/uvk/] in Einklang stehen, wurden bereits ausgesiebt, sagt Goll auf rbb-Anfrage. "Ein Straßenname, den es in Berlin schon gibt, darf nicht erneut verwendet werden. Wenn es um Personen geht, müssen diese bereits fünf Jahre oder mehr Jahre tot sein."

Außerdem gibt es die Empfehlung, verstärkt Frauennamen zu berücksichtigen, so Goll. Insbesondere sollen Personen oder Ereignisse gewürdigt werden, die einen Bezug zum Bezirk haben oder positiven Einfluss auf Demokratie, Wissenschaft oder Menschenrechte gehabt haben.

Obersteuermann für niederländische Sklavenhändler

Der Platz liegt in der Nähe des S-Bahnhofs Wedding, direkt an der Reinickendorfer Straße und wurde nach Joachim Nettelbeck (1738 – 1824) benannt. Damit sollte dessen Rolle bei der Verteidigung der Stadt Kolberg (heute: Kołobrzeg) gegen französische Truppen im Jahr 1807 gewürdigt werden.

Nettelbeck war auch Seefahrer und aktiv am Sklavenhandel beteiligt. Unter anderem befehligte er als Obersteuermann ein Beiboot, das entführte Menschen von der Küste Afrikas auf ein holländisches Sklavenschiff übersetzte. Nach seinem Tod wurde Nettelbeck durch seine Autobiografie zu einer Art Vordenker für Kolonialisten im Deutschen Reich. Deswegen brauche der Platz einen neuen Namen, sagt Maren Goll. "Plätze und Straßen in Berlin, deren Name in Bezug zu Verbrechen der Kolonialgeschichte steht, sollen umbenannt werden."

Die Täterperspektive dominiert

Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) ist Teil des Auswahlgremiums. Orte wie der Nettelbeckplatz werfen eine Frage auf, sagt er: "Welche Menschen wollen wir denn nach wie vor ehren?" Für Della geht es um Dekolonisierung. Damit ist gemeint, dass die Erinnerung an die Kolonialzeit künftig nicht ausgeblendet werden soll. Statt an Verbrecher oder Profiteure zu erinnern, sollte der Platz hingegen künftig Personen aus dem Widerstand gewidmet sein. "Es ist ein gutes Fallbeispiel, wie wir mit Geschichte umgehen sollten."

Gerade bei Straßennamen verliefen Diskussionen über Umbenennung oftmals sehr emotional, sagt Della. Er könne das verstehen, schließlich sei die eigene Adresse für viele auch eine sehr persönliche Angelegenheit. Auf Nachbarschaft und Briefträger:innen wird die Umbenennung aber kaum Auswirkungen haben: Es gibt kein Haus mit der Adresse Nettelbeckplatz. Die umliegenden Gebäude sind der Gerichtstraße zugeordnet.

"Wir können den Leuten, die skeptisch sind, wenn Straßen umbenannt werden sollen, das nicht wirklich vorhalten", so Della im Gespräch mit rbb|24. "Denn die Geschichtsschreibung ist eben nicht so ausgelegt, dass die unterschiedlichen Geschichten gleichermaßen erzählt werden. Also sowohl der Widerstand, als auch die Täterperspektive."

Benannt zu Bismarcks Zeiten

Am 1. Mai 1884 erhielt der Platz seinen Namen. Zu dieser Zeit verklärten viele Deutsche das Leben in den Kolonien anderer Länder. Forderungen, das Reich solle auch Gebiete in Übersee besetzen, wurden laut. Lange war Reichskanzler Otto von Bismarck gegen solche Pläne - aus rein pragmatischen Gründen: Er glaubte, dass in Europa Krieg bevorstand und das Deutsche Reich schlicht nicht die militärischen Mittel besaß, um bei solchen Aussichten Kolonien aufzubauen. Doch im Herbst standen Reichstagswahlen an und so änderte Bismarck im Juni öffentlichkeitswirksam seine Meinung.

Überzeugt war er davon wohl kaum. Noch im September sagte Bismarck zu einem seiner engsten Mitarbeiter im Auswärtigen Amt: "Die ganze Kolonialgeschichte ist ja Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen." Nach der Wahl lud Bismarck Vertreter von zwölf europäischen Staaten, dem Osmanischen Reich und der USA zur sogenannten "Kongo-Konferenz" nach Berlin. Sie handelten Regeln aus, nach denen sie sich eroberte Gebiete in Afrika gegenseitig als Kolonialbesitz anerkennen würden. In einigen afrikanischen Ländern spricht man heute von der "Berlinisation" des Kontinents.

Joachim Nettelbecks Geschichte passte zu den Propaganda-Erzählungen dieser Zeit. Auch später wurde er verklärt, etwa während der NS-Zeit. Dabei verdeutlicht seine Autobiografie auch, dass sich schon lange vor Bismarck viele Deutsche aktiv am Kolonialismus bereichern wollten. Über seine Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts in der Kolonie Surinam in Südamerika berichtete Nettelbeck, auf einen Niederländer seien dort 99 Deutsche gekommen.

Neuer Name im kommenden Jahr

Zum Tag der Nachbarschaft am 30. und 31. Mai soll sich das Gremium auf drei Namen verständigt haben. Dann findet auf dem Platz eine Informationsveranstaltung statt. Bevor die Vorschläge an die BVV Mitte gehen, wird das Museum Mitte noch einmal die Namen eingehend prüfen. So soll verhindert werden, was vor einigen Jahren der BVG passiert ist.

Nachdem es im Sommer 2020 mehrere Proteste gegen den Namen der Mohrenstraße gab, verkündeten die Berliner Verkehrsbetriebe kurzerhand, man wolle die gleichnamige U-Bahnstation in Glinkastraße umtaufen. Dass der russische Komponist Michail Iwanowitsch Glinka Antisemit war, war der BVG jedoch entgangen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.02.2024, 19.30 Uhr

Beitrag von Oliver Noffke

58 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 58.

    Es ist billig, heute den reuigen Sünder zu spielen. Warum soll Berlin nicht zu seiner Geschichte stehen? Durch das Verstecken erklärt man sich mitschuldig.

  2. 57.

    Gibt eigentlich, ganz ehrlich, keinen Josephine- Baker-Platz in Berlin, oder habe ich da etwas übersehen...

  3. 56.

    Kann Ihnen nur zustimmen. Viele Straßen (z. B. Lüderitzstraße, Nettelbeckstraße,Nachtigalstraße u. s. w), haben den kalten Krieg und die DDR überlebt. Viele Menschen wissen überhaupt nicht wer das war. Da kommen so ein paar Überschlaue und wollen alles auf Kosten der Bürger ändern. Wir haben viele andere (Ampel) Probleme.

  4. 55.

    Na so ganz blöd bin ich ja auch nicht. Das die Benennung zum jeweiligen Zeitpunkt "IMMER" als Ehrung zu verstehen war ist doch klar. Was ich meine ist, dass wir denjenigen doch heute nicht mehr (ver-)ehren müssen nur weil es einst so war. Es kann uns aber die Tatsache, dass einst Strassen nach - aus heutiger Sicht - problematischen Personen benannt wurden in Erinnerung rufen wer alles Teil unserer Geschichte war und wer das Land vor vielen Jahren einmal beprägt hat, wessen Ansichten hoffähig waren.
    Wenn man die Namen ändert ist es aus meiner Sicht ein wenig so als würde man die Geschichte verleugnen nach dem Motto "Aus dem Auge aus dem Sinn".

  5. 54.

    Ich würde sagen mehr als 99 % der Menschen wissen gar nicht wer Nettelbeck war und haben sich nie Gedanken in den letzten Jahrzehnten darum gemacht. Sicherlich ist das kein Mensch, dem irgendwelche Ehrungen zuteil kommen muss.
    Aber haben wir keine anderen Sorgen als Straßennamen zu ändern mit den Kosten die daran hängen?
    Genauso bescheuert die Mohrenstraße zu ändern. Ich habe daran nie Anstoß genommen.
    Sicherlich möchte ich auch in keiner Höcker Straße wohnen.

  6. 53.

    darum geht es auch nicht, nur besteht keinerlei Grund warum diese Ehrungen beibehalten werden sollte.

  7. 52.

    Die Benennung von Straßen und Plätzen ist IMMER als Ehrung zu verstehen. Aus diesem Grund ist es wichtig(!) über Umbenennungen nachzudenken! Aber mir wären in solchen Kontroversen neutrale Namen lieber. Andere Namen einzusetzen, ehrt wieder jemanden, von dem oder der man auch nicht weiß, welche problematische Hintergründe der Name hatte. Selbst Mutter-Theresa-Platz wäre mehr als problematisch.

  8. 51.

    Wir brauchen in Berlin keine Plätze, die nach Menschenschindern benannt sind. Berlin hat andere verstorbene Bürgerinnen und Bürger, die sich positiv hervorgetan haben.

  9. 50.

    finde auch das man die Leute nicht ehren soll , aber wir können nicht die ganze Geschichte umdrehen. Es war eine andere
    Zeit...... leider !!
    Wir müssen sonst auch viele Bauwerke
    abreissen..
    Bitte lasst uns noch unser Berlin.

  10. 49.

    Ja,nicht nur zu viel Geld, sondern auch zu viel Zeit gepaart mit viel Sinn für Nebensächliches..

  11. 48.

    Da muss nichts umbenannt werden.
    Einfach die Widmung ändern.
    Nettelbeck ist ein Ortsteil der Stadt Putlitz im Landkreis Prignitz in Brandenburg.
    Benennung nach Personen ist immer abzulehnen.

  12. 47.

    Berlin soll wohl rd. 9500 Straßen haben und 'n paar mehr werdens bestimmt noch werden. Da stelle ich mir Ortsangaben wie Straße 8763 Ecke 5786 oder Wohnanschriften wie Straße 3986 Nr. 341 A, 6. OG, Hof 2, Wohnung 4 links auch irgendwie irritierend vor. ;-)

    Macht einfach "Platz des fliegenden Spaghettimonsters" draus und gut is'.

  13. 46.

    Es muss doch für Wedding ein einfacher Begriff zu finden sein, der charakteristisch für den Stadtteil ist, so dass sich ein jeder damit neutral arrangieren kann (falls die Diskussionen hierum bei den vielen Sorgen und Nöten heutzutage überhaupt auf ein gesteigertes und allgemeines Interesse stoßen).

  14. 45.

    Harald Juhnke, Paul Singer, Horst Buchholz, Walter Nipkow, Gustrav Tölde, alles schöne Namen mit einer positiven Weddinger Vita...und dann fällt dem BA nichts dazu ein? Schade!

  15. 44.

    Das neutralste wären Nummern ?
    Wieviele Straßen, Wege, Alleen, Plätze hat Berlin ?
    Vorschläge ?
    Platz 0-1 für die Reichstagswiese,
    Platz 1-0 Rotes- Rathaus,
    Platz 1-1 TelevisionTower
    Platz 2-0-1 Rathaus Lichtenberg,
    Platz 2-1-0 RH Köpenick
    Platz 2-1-1 RH Spandau
    Platz 3-0-1 Kammergericht
    Platz 3-1-0 Amtsgerichtsplatz
    Straße 3-0-1 Gericht
    010, 101, 1933, 1961, 18, 66, 88,
    1-8-Weg, 8-8-Allee, 8-7-Straße, 0-0-Platz
    oder 0-0-1, 0-1-0, 1-1, 1-1-1,
    Und Alle Ganz Werte - Neutral ?

  16. 43.

    Wenn es denn schon sein muss - hoffentlich gibt's mal einen einfachen Namen, den man aussprechen, sich merken und dauerhaft verwenden kann (sowas wie Baumplatz, Sonnenplatz oder so). Etwas was beständig und für alle verständlich ist. Personennamen bergen immer das Risiko einer späteren Umbenennung, denn ihre Taten werden je nach Zeitepoche unterschiedlich gesehen.
    PS. Die Mohrenstrasse z.B. wird für mich immer die Mohrenstrasse bleiben. Zum Einen passt der neue Name irgendwie nicht in das mir angeborene Sprachmuster, zum Anderen benennt er eine mir unbekannte Person - obwohl ich im Geschichtsunterricht sehr wohl aufgepasst habe ;-)

  17. 42.

    Ich möchte darauf hinweisen, dass in Stegltz-Zehlendorf nach wie vor die Treitschkestraße existiert. Benannt wurde sie nach jenem Herrn, der den Slogan "Die Juden sind unser Unglück" in die Welt brachte. Ich bin immer wieder fasziniert, dass dies in Berlin in Zeiten des zunehmend öffentlich zur Schau gestellten Antisemitismus niemanden interessiert. Passt scheinbar nicht zum Zeitgeist.

  18. 41.

    Es werden keine Zeugnisse "getilgt"
    Für eine redliche, ehrliche, wahrheitsgemäße, demütig-offensive Perspektive auf die eigene Geschichte muss es weder den Adolf-Hitler-Platz, noch die Horst-Wessel-Strasse geben.
    Fraglos sind die Umbenennungen von Strassen und Plätzen kein Ersatz für einen notwendigen Prozess. Schon gar nicht folgt aus ihnen eine andere Haltung und Praxis in Weltordnung, Weltwirtschaft, geostrategischen Ansprüchen - also der Kontinuität der "regelbasierten Werteordnung" und ihrer expansiv-gewalttätigen Durchsetzung durch Europa und seine überseeischen Ausgründungen seit mehr als 500 Jahren.
    In Wahrheit geht es nicht um Moral, um Schuld, um Befindlichkeiten. Es geht um einen Paradigmen- einen Perspektivwechsel in den Beziehungen, der REALpolitik gegenüber der Welt, die sich Europa seit Jahrhunderten Untertan und zur Beute macht. In dieser Kontinuität weiterhin eine andere Wette auf die Zukunft der Menschheit aktiv, menschengemacht verhindert.

Nächster Artikel