Geschichte der Subkultur - Techno is stronger: Wie Berlins Raveszene ihre Freiheit verteidigt
"Love is stronger" - das Motto des diesjährigen "Rave the Planet" schreit nach Liebe und Freiheit. Berlin ist Techno-Hauptstadt. Doch ihre Rave-Kultur durchtanzt einen stetigen Wandel: Von Partys hinter alten Mauern bis zum Kampf gegen das Clubsterben. Von Jule Lippick
Zwei große Lautsprecher beschallen die vertrocknete Wiese in Neukölln. Zur Rechten die Autobahn, zur Linken der Teltowkanal. Fernab von den Ohren der ruheliebenden Anwohner tanzen hier seit knapp drei Stunden etwa dreißig junge Menschen vor einem provisorischen Mischpult. Kleidungsstil schwarz, hier und da Glitzer.
Die Berliner Technoszene und Clubkultur ist ein pulsierendes Phänomen, das tief mit der kulturellen Identität der Stadt verwoben ist. Nicht zuletzt durch die Aufnahme der "Technokultur in Berlin" in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission. Doch Clubs sind nicht der einzige Rückzugsort für Fans der elektronischen Tanzmusik.
Eigenorganisierte, meist illegale Veranstaltungen beleben die Kultur schon seit den Anfängen der Technoszene. Ein Campingtisch, ein DJ-Pult und drei Kisten Sternburg Export. Mehr braucht der Rave nicht.
Die Geburt einer Subkultur
Die elektronische Musikrichtung Techno hat ihre beatgeladenen Beginne in den 80er- und 90er-Jahren in Detroit. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 wurde Techno auch hier zum mitreißenden Zündstoff für eine neue Generation kreativer Individualisten. Die leerstehenden Gebäude im Osten der Stadt boten einen idealen Klangkörper für temporäre Clubs.
Leerstehende Fabrikhallen, Kraftwerke oder Bunker wurden zur Spielwiese für musikalische Experimente. Graue Betonwände reflektierten die turbulenten Jahre nach der Wende. Eine neue Subkultur war geboren: aus Liebe zur elektronischen Musik mit klarer Haltung zu Freiheit, Toleranz und Selbstbestimmung.
1991 wurde die gewaltige Halle des Motorwerks in Berlin-Weißensee Schauplatz des ersten Mayday-Rave. Im blauen Strobolicht setzte das tanzende Feiervolk den inoffiziellen Startschuss für eine schillernde Ravekultur. Aus dieser explosiven Veränderung des Nachtlebens wuchsen die symbolträchtigen Clubs namens "Tresor", "Der Bunker" und "E-Werk", angesiedelt nah der ehemaligen Berliner Mauer.
Der "Tresor", einziger Überlebender der genannten Locations, veranschaulicht die faszinierenden Anfänge der Entwicklung einer vielschichtigen Clubszene. Einst als Club" Ufo" gestartet, veranstaltete der erste Acid-House-Club Berlins anfangs teils illegale Partys, bis er unter neuem Namen in die Leipziger Straße zog. 1991 öffnete der "Tresor" in Berlin als erster legaler Techno-Club seine Türen und gilt bis heute als Ikone der Berliner Clubkultur. Die bisher illegalen Spielplätze der elektronischen Tanzmusik erzielten nun kommerzielle Gewinne als etablierte Clubs.
Rave the Planet!
"Friede, Freude, Eierkuchen" - unter diesem Motto setzte die erste Loveparade am 1. Juli 1989 in Berlin einen Meilenstein für die Technoszene. Damals noch im zaghaften Rhythmus, umtanzt von 150 Rave-Fans. Zehn Jahre später waren es laut Veranstalter bereits 1,5 Millionen. Ab 2006 zog die Parade durch verschiedene Städte im Ruhrgebiet und wurde nach einer Massenpanik 2010, bei der mehrere Menschen starben, eingestellt.
Initiator der ersten Loveparade war unter anderem Techno-DJ Dr. Motte, eine Legende der elektronischen Musikszene. Mit Gleichgesinnten gründete er 2019 die gemeinnützige Organisation, die hinter der "Rave The Planet" steht. Auch an diesem Samstag zieht die Parade wieder durch die Berliner Innenstadt. Die Veranstalter betonen, dass Rave-Kultur die Menschen zusammenbringen und zu positiven Veränderungen inspirieren kann. Das harmonische Motto in diesem Jahr lautet "Love is stronger" - ein Appell an Liebe und Frieden. 300.000 Teilnehmende werden erwartet.
Zwischen Rave und Realität
Doch jenseits von solchen Großereignissen gibt es nach wie vor die kleinen – oft illegalen – Raves. Das Techno-Kollektiv Mitmischen Berlin ist bekannt für seinen progressiven, treibenden Sound und ausgelassene Trance-Partys. Ihre Anfänge hatten diese Partys jedoch nicht in dunklen Berliner Clubs, sondern auf den Grünflächen der Stadt - illegal.
"Eine gute Vorbereitung ist hier die halbe Miete" sagt ein Mitglied des Kollektivs. Am allerwichtigsten sei eine gute Location und ein koordiniertes Team mit Menschen, die im Falle auch mit der Polizei kommunizieren können. Die stellt nämlich oft die größte Hürde dar, denn Raves sind in Berliner Grünanlagen nicht gestattet. Aber das hindert das Mitmischen-Kollektiv nicht. Trotz großem Aufwand sind ihnen die Raves unter freiem Himmel wichtig: "Durch diese illegalen Veranstaltungen ist die Techno- und Musikszene groß geworden. Die Rave-Kultur ist was Besonderes und sollte auf jeden Fall beibehalten werden, auch wenn es uns manchmal nicht leicht gemacht wird."
Clubsterben und steigende Eintrittspreise
Doch nicht nur Open-Air-Raver müssen um ihre Tanz-Freiheit kämpfen. Auch die harmonische Fassade der Berliner Clubszene ist brüchig. Geschlossene Clubs als klanglose Mahnmale einer sich kontinuierlich verändernden Stadt dokumentieren den Verlust alternativer Freiräume an eine immer dichter werdende Gesellschaft. Seit den 2000ern zeigt sich das "Clubsterben" immer deutlicher - Gentrifizierung und Wohnbauprojekte bedrohen die lebendige Clubkultur, besonders in zentralen Bezirken. Zahlreiche Locations sind von Schließungen bedroht oder bereits geschlossen. Ende kommenden Jahres wird es wohl auch die "Renate" in Friedrichshain treffen. Grund für das Ende der legendären Venue ist das Auslaufen des Mietvertrags.
Auch der Ausbau der Stadtautobahn A100 gefährdet weitere, der "Renate" nahgelegenen Clubs, wie das "://about blank", die "Else" oder den "Club Ost". Das Umlagern der Standorte ist durch die steigenden Mietpreise oft ein Problem.
Dazu kommen hohe Gagen für Künstler, die sich dann in den preisintensiven Eintrittsgeldern niederschlagen, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter der "Renate". Die Clubkultur habe sich dadurch verändert: Feiern ist zu einem Privileg geworden, welches sich nicht mehr jeder leisten kann. Auch der Berliner Techno-DJ und Produzent Lukas Meunier berichtet vom Wandel in der Technoszene: "Musik ist zwar schon immer ein Karrieretool gewesen, aber leider spielt der wirtschaftliche Nutzen heute eine deutliche größere Rolle als damals", sagt er. Techno als emotionales Ventil sei heute für viele oft zweitrangig. "Den Einfluss von Sozialen Medien merkt man auch am Sound. Der ist nun extrovertierter und schneller", so Meunier.
Aufbruch im Takt
Von illegalen Raves in verlassenen Fabrikgemäuern zum wirtschaftlichen Schwergewicht: Die Berliner Raveszene erlebt seit der Wende einen intensiven Aufschwung und verteidigt sich stetig laut gegen äußere Einflüsse. Inwiefern sich das immaterielle Kulturerbe weiterhin wandeln wird bleibt unklar. Damit Berlins Tanzkultur weiterhin in schwungvoller Ekstase bleibt, braucht es neben staatlicher Unterstützung auch den Einsatz der Rave-Liebhaber: Einstehen für Freiheit, Toleranz und Selbstbestimmung. Ob der bevorstehende "Rave The Planet" dem gerecht wird, ist abzuwarten.
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