Artenschutz und Bauprojekte - Wenn gebaut werden soll - und da wohnt schon jemand

Di 05.11.24 | 17:52 Uhr
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Zauneidechse in der Döberitzer Heide 2023, Moorfrosch im Teich des Schlossparkes Neuhardenberg 2007 und Spatz in Berlin 2021 (Quelle: Picture Alliance/Steinberg/Kästner/Gärtner)
Bild: Picture Alliance/Steinberg/Kästner/Gärtner

Zauneidechse, Moorfrosch, Spatz: Ihr Lebensraum ist durch zahlreiche Gesetze geschützt. Doch wenn Investoren dort bauen möchten, kommt immer wieder die Frage auf: Was geht vor - Artenschutz oder Bauinteresse?

Zauneidechse, Kreuzkröte, Feldhamster oder Haselmaus: Um den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zu erhalten, gibt es in Deutschland verschiedene gesetzliche Bestimmungen. Ziel ist es, die Tiere selbst zu schützen, aber auch die Erhaltung der Art - und seltene Arten genießen dabei einen besonderen Schutz. Aber letztlich unterliegen fast alle heimischen Säugetiere, Vögel, Kriechtiere, Lurche oder Insekten einem Schutz.

Allerdings kommt es immer vor, dass der Mensch gerade da bauen will, wo das Tier lebt. Auch für diese Fälle gibt es gesetzliche Vorgaben.

So muss ein Bauherr vor Baubeginn eine Artenschutzprüfung durchführen. Werden geschützte Tierarten (und Pflanzenarten) gefunden, darf so lange nicht gebaut werden, bis eine Lösung gefunden ist: zum Beispiel der Umzug der Tiere oder die Umplanung des Bauvorhabens. So soll sichergestellt werden, dass geschützte Tiere durch das Bauvorhaben nicht verletzt oder getötet werden und dass die Fortpflanzungs- und Ruhestätten nicht zerstört werden.

Dabei sind nicht nur die Tiere selbst, sondern auch deren Lebensräume geschützt, wie zum Beispiel Bruthöhlen.

Wenn der Artenschutz ignoriert wird, drohen Strafen. Das gilt nicht nur für neue Bauvorhaben. Auch wer beispielsweise bei einer Fassadensanierung Tiere tötet oder Brutplätze entfernt und keinen Ersatz schafft, kann bestraft werden.

Es gibt eine Reihe von Bauprojekten, in denen der Schutz von Tieren und ihrem Lebenraum eine Verzögerung, Umplanungen oder Stopps nach sich zog.

Beispiele aus Berlin:

Haussperling (Spatz):
Im November 2024 wird der bereits begonnene Abriss des Jahn-Sportparks zumindest teilweise vorerst gestoppt worden. Das gab das Berliner Verwaltungsgericht nach Klage eines Naturschutzvereins bekannt. Demnach hat das Gericht dem Land Berlin vorläufig untersagt, Abrissarbeiten an bestimmten Bestandsgebäuden des Stadiongeländes im Jahn-Sportpark vorzunehmen, an denen sich Brutstätten des Haussperlings (Passer domesticus) befinden. Laut Gericht gibt es "erhebliche Zweifel" daran, dass der Verlust von fast 100 Brutstätten nach den bisherigen Plänen "ausreichend kompensiert werden" kann.

Kreuzkröten und Zauneidechsen:
Die Kreuzkröte (Buffo calamita) ist ein mittelgroßer Froschlurch, der in Deutschland kaum noch vorkommt. In Berlin-Pankow auf dem alten Bahngelände namens Pankower Tor scheint sie sich wohlzufühlen. Hier will ein Investor aber Wohnungen, Schule und Shopping realisieren. Doch zuerst müssen die Kreuzkröten – und die dort ebenfalls gefundenen Zauneidechsen (Lacerta agilis) - umgesiedelt werden. Hierfür soll eine Kleingartenanlage in der Nähe aufgelöst und genutzt werden. Die Fläche soll allerdings zu klein sein – nach Ausweichquartieren wird noch gesucht. Der Investor wartet seit mehr als 14 Jahren auf eine Baugenehmigung.

Zauneidechse:
Wird gebaut, wo Zauneidechsen leben, müssen sie umgesiedelt werden, so wie im "Metropolitan Park" in Berlin-Staaken. Auf dem rund zwölf Hektar großen Areal der einstigen Kreisklinik Nauen, das früher zum Flugplatz Staaken gehörte, entsteht eine Wohnanlage. Weil auf dem Areal Zauneidechsen lebten, musste sich der Bauherr vorab um deren Umsiedlung in ein Ersatzbiotop kümmern. Einen Baustopp gab es aber nicht.

Wechselkröte (Hausunke):
Ein Berliner Unternehmen wollte im Cleantech-Business-Park in Berlin Marzahn ein Batterie-Testzentrum errichten und dafür 18 Millionen Euro investieren. Das Grundstück war bereits erworben, als die "Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V." gegen die Bebauung klagte. Es gefährde die streng geschützten Wechselkröten (Bufotes viridis), die auf dem Gelände leben. Die Angelegenheit ging bis vor das Oberverwaltungsgericht, das den Naturschützern recht gab und einen Baustopp verhängte. Das Testzentrum wurde damit nicht in Marzahn gebaut.

Beispiele deutschlandweit

Haselmaus:
Im Sauerland verzögerte die Anwesenheit von Haselmäusen (Muscardinus avellanarius) den Bau eines Ausflugslokals, in Hamburg wurde wegen zum Schutz ihres Lebensraums übergangsweise ein Baustopp für ein Gewerbegebiet verhängt. Als 2018 in Bayern eine Umgehungsstraße gebaut wurde, bekam die Haselmaus eigens eine Brücke zum Überqueren dieser. Für den Weiterbau der A20 im Süden des Landes Schleswig-Holstein mussten Haselmäuse umziehen [ndr.de].

Hirschkäfer:
Bevor für den Frankfurter Flughafen eine neue, 150 Millionen Euro teure Wartungshalle gebaut werden konnte, mussten dort 2019 zig Baumstümpfe umgesetzt werden. Der Grund: in ihnen warteten Hirschkäfer-Larven (Lucanus cervus) aufs Schlüpfen.

Hufeisennase:
Beim Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke dreht sich viel um eine kleine Fledermaus: die Hufeisennase (Rhinolophidae). Die Tiere sind sehr selten, Population und Standorte gefährdet. 2007 gab es daher nach einigem Hin und Her einen mehrmonatigen Baustopp für die Brücke - letztlich wurde die Waldschlösschenbrücke aber gebaut. Für den Schutz der Kleinen Hufeisennase wurden unter anderem Strauchkorridore angelegt. Außerdem gilt auf der Brücke zugunsten der Hufeisennase im Sommer nachts Tempo 30 [mdr.de].

Wachtelkönig:
Der Schutz des stark gefährdeten, seltenen Vogels Wachtelkönig (Crex crex) sorgte 1997 für Streit zwischen Naturschützern und einem Investoren, der 3.000 Wohnungen im Hamburger Stadtteil Neugraben-Fischbek bauen wollte. 2006 entschied der Hamburger Senat, dass die Flächen bebaut werden können – allerdings nicht so umfangreich wie geplant.

Kammmolch (Wasserdrache):
Der Kammmolch (Triturus cristatus) kann bis zu 18 Zentimeter lang werden und ist die größte einheimische Molchart. Er gilt laut Roter Liste als stark gefährdet. Bei den Planungen eines sechs Kilometer langen Teilstücks der Autobahn A44 in Hessen stieß man auf eine der größten Kammmolch-Kolonien Hessens. Deswegen wurde 2010 ein vier Kilometer langer Tunnel gebaut, um den Lebensraum der Kammmolche zu erhalten.

Eremit (Juchtenkäfer):
Beim umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kam auch der Juchtenkäfer (Osmoderma eremita) ins Spiel. Der Käfer, der auf der Roten Liste der in Deutschland gefährdeten Tiere steht, lebte in Bäumen, die für das ohnehin umstrittene Bahnhofsprojekt gefällt wurden. Im Dezember 2011 kam es daher in Stuttgart zum Baustopp. Die Baumfällungen wurden vorübergehend eingestellt Als die Bahn alle Artenschutzauflagen erfüllt hatte und die Käfer umgesiedelt waren [swr.de], wurden das Verbot (Ende Januar 2012) wieder aufgehoben.

Feldhamster:
Feldhamster (Cricetus cricetus) gelten als akut vom Aussterben bedroht - daher kommt es hier öfter zu größeren Konflikten, beispielsweise in Mainz, wo auf Feldhamster-Areal ein Gewerbepark gebaut werden sollte, oder an der Mannheimer Messe. In Nordrhein-Westfalen scheiterte der Energiekonzern RWE, der ein Kohlekraftwerk bauen wollte, an der Anwesenheit des niedlich aussehenden Tierchens. In Erfurt werden Feldhamster für einen Schulneubau auf einem Acker umgesiedelt [mdr.de].

Schwarzstorch:
In der Eifel verzögerte sich 2018 der Bau eines Windparks um drei Jahre, weil Schwarzstörche (Ciconia nigra) in unmittelbarer Nähe brüteten. Am Ende wurden die fünf gut 200 Meter hohen Windräder aber doch errichtet.

Ziegenmelker:
In Tübingen verzögerte ein gefährdeter Vogel den Ausbau der Uniklinik: ein Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus) lebte auf dem Klinikdach. Aber: Weil Vogel-Experten das Tier schon länger nicht mehr gesehen, musste ein Gutachten her. Das bestätigte: Der Ziegenmelker ist weg, der Anbau kann kommen [swr.de].

Sendung:

Infobox

Rechtsgrundlage § 44 des Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)

Es ist es verboten:

1. wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (§ 44 Absatz 1 Ziffer 1 BNatSchG)

2. wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören (§ 44 Absatz 1 Ziffer 2 BNatSchG)

3. Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (§ 44 Absatz 1 Ziffer 3 BNatSchG)

4. wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören

Mehr zum Freilandartenschutz in Berlin beim Senat für Klimaschutz und Umwelt [berlin.de]

     

14 Kommentare

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  1. 14.

    Es ist, wie immer, ein zweischneidiges Schwert. Artenschutz und auch Denkmalschutz sind wichtig, beides wird oft ad absurdum geführt. Der gesunde Menschenverstand scheint auf der Strecke zu bleiben und für Kompromisse müssten alle beteiligten Partner aufeinander zugehen. Das ist dann manchmal schon schwer, wenn nur schwarz-weiß gedacht wird. Wie so oft im Leben.

  2. 13.

    Der Bericht ist gut. Wäre noch erwähnt worden, das Artenschutz auch als politisches Mittel eingesetzt wurde (wird?) wäre er super. Der Juchtenkäfer wurde bspw. bei Stuttgart 21 als "Die ultimative biologische Geheimwaffe gegen S21 - Juchtenkäfer!" bezeichnet und recht erfolgreich eingesetzt (Bilder hierzu verfügbar, Suche über "...Zitat...").
    Auch dies ist eine Folge des Artenschutzes. Letztlich wird damit u.U. die Glaubwürdigkeit untergraben weil Interessengruppen diesen für ihre Zwecke einsetzen. Die dunkle Seite der Macht sozusagen.

  3. 12.

    Danke für den tollen Artikel!
    Sehr interessant.
    Was ich mich als Laie frage, ist, wie toll diese Umsiedlungen sind?
    Die Tiere suchen sich ja nicht zufällig die Orte aus, wo sie dann stören, sondern, weil sie GENAU DA optimale Bedingungen finden. Das kann ja schon 20 m weiter völlig anders sein.
    Mich würde also interessieren, inwiefern solche Umsiedlungen auch erfolgreich sind.

  4. 11.

    Ich wollte keineswegs moralisierend daherkommen! Es wird nur für meinen Geschmack sehr unterschiedlich geurteilt.
    Und ja, letztlich sollte man sich schon immer mal wieder klarmachen, was das eigene Tun oder Lassen so alles bewirken kann.

  5. 10.

    Das Pankower Tor schießt wirklich den Vogel ab ...
    Kleingartenanlage soll aufgelöst werden, um Kröte und Eidechse umzusiedeln.
    Der Investor wartet seit 14 Jahren.

    Wer in Berlin bzw. in Deutschland investieren will, sollte mindestens zehn Mal überlegen oder besser gleich sein Geld in einem anderen Land arbeiten lassen.

  6. 9.

    Da solltest Du mal in meinen Garten oder den der anderer Gartenbesitzer in unserem Gartenverein kommen.
    Bei mir vergeht kein Jahr ohne die Eidechsen.
    Ich habe für die auf ein Beet verzichtet und dafür ein Steinrondel mit Steinen und verschiedenen Hölzern und Pflanzgefäßen errichtet die ich mit verschiedenen Kräutern und Blumen gefüllt habe.
    Man muss nur wollen und auch mal machen.

  7. 8.


    Wenn ich mich, laut Ihrer erwähnten Moral, selbst hinterfragen müsste, ich wäre nackig, hungrig und ohne Handy oder Fahrzeug. Alles was ich habe und bin, beruht auf Ausbeutung von Kindern, Menschen allgemein, Umwelt und Natur. Nicht eine Kartoffel dürfte man essen, die gedüngt und mit Fungiziden und Pestiziden verseucht wird. Denn es sterben Tiere und Insekten und auch Menschen erkranken schwer durch chemische Keulen. Wo fangen wir also persönlich mit der Moral an? Leben wir etwas vor, oder tun wir nur so?

  8. 7.

    Es wird doch wohl nicht das Geld sein, dass sich das verdienen lässt? Auch noch in grünem Gewande??
    Aber Sie wissen es sicher genauer!

  9. 5.

    Wie ist dann bitte zu rechtfertigen, dass mitten in Waldgebieten Windräder errichtet werden?
    Es wird Wald gerodet, breite Zuwegungen müssen her, Leitungen verlegt werden - da werden ganz sicher etliche Tiere in ihren Lebensräumen gestört, ggf. gefährdet. Und später werden die vorbeikommenden Vögel und Insekten dann auch noch geshreddert...

  10. 4.

    Also eine Zauneidechse habe ich zum Letzten Mal in meiner Kindheit gesehen! Sehr lange her! Also außer den Schutz für Wölfe, dann eben auch für die Zauneidechsen, diese wunderbaren Tiere, ach, und die Spatzen natürlich!

  11. 3.

    Es gibt auch invasive Arten die recht gefährlich sind, als Beispiel:
    Die Steinlaus-
    Erstesmal 1976 von Loriot nachgewiesen.
    Könnte, meiner Meinung nach, auch für den Einsturz der Carolabrücke in Dresden verantwortlich sein.
    Einfach mal googeln.

  12. 2.

    ... kann man sich nicht ausdenken...!

  13. 1.

    Danke für diese gute Übersicht!
    Naturschutzthemen gehören bei der Planung von Wohnen, Industrie und Verkehr einfach dazu, und das mit gutem Recht und wichtigen Gründen! Und beinahe alle Artenschutzaspekte lassen sich durch vorgezogene Kompensationsmaßnahmen oder angepasste Bauvorhaben und -zeitpläne ausräumen. Wenn ein Bauherr "plötzlich überrascht tut", dann haben seine Planer im Vorfeld nicht ihre Hausaufgaben gemacht.
    Und es ist wichtig, dass diese Gesetzgebung auch so aufrechterhalten bleibt, denn Fläche ist nicht unendlich verfügbar und damit auch die Lebensräume vieler gefährdeter Arten!

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