Auswahl und Auszeichnung - Wie wird man eigentlich Ehrenbürger von Berlin?

Friede Springer ist die neueste Berliner Ehrenbürgerin. Vor ihr erhielten mehr als 100 Menschen diese Auszeichnung, die ein paar Vorteile mit sich bringt. Mehrfach wurden Namen aus der Liste gestrichen – zuletzt der Mann, der Hitler zur Macht verhalf. Von Juan F. Álvarez Moreno
Die Verlegerin und Witwe von Axel Springer, Friede Springer, ist am Mittwoch im Roten Rathaus als Berliner Ehrenbürgerin ausgezeichnet worden. Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) begründete die Entscheidung mit dem unternehmerischen und gesellschaftlichen Engagement der 82-jährigen Milliardärin. Ihre Stiftung soll ein medizinisches Zentrum an der Charité mit bis zu 70 Millionen Euro fördern.
Springer ist die achte Frau auf einer Liste von nun 124 Persönlichkeiten, die die Hauptstadt als Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürger anerkennt.
Doch wie wird man eigentlich Ehrenbürger? Der Berliner Senat kann im Einvernehmen mit dem Abgeordnetenhaus Personen, "die sich um Berlin in hervorragender Weise verdient gemacht haben", die Ehrenbürgerwürde verleihen. Die geltenden Richtlinien dazu wurden 1953 beschlossen.
Springer darf sich einen Künstler für ihr Porträt aussuchen
In den vergangenen zwei Jahrhunderten wurden vor allem Politiker, Militärangehörige, Wissenschaftler, Künstler und Unternehmer zu Ehrenbürgern ernannt. Wenig überraschend: Die Liste besteht fast nur aus Männern. Ihre häufigsten Vornamen sind Heinrich, Friedrich, Otto, Karl und Ludwig. Zu den prominentesten Ehrenbürgern gehören unter anderem Willy Brandt, Otto von Bismarck, Alexander von Humboldt, der Zar Nikolaus I., Max Liebermann und Marlene Dietrich.
Ehrenbürger erhalten einige Privilegien, auf die sie jedoch keinen Rechtsanspruch haben. Dazu zählt ein Porträtgemälde eines Künstlers ihrer Wahl, das später in einer Galerie im Abgeordnetenhaus ausgestellt wird. Dort hängen inzwischen 57 solche Porträts. Darüber hinaus werden Ehrenbürger als Ehrengäste zu Veranstaltungen des Landes wie Feierlichkeiten und Empfängen eingeladen. Falls sie bedürftig werden, erhalten sie eine "Ehrenversorgung". Wenn sie sterben, übernimmt das Land die Kosten für ihr Begräbnis und sie erhalten eine Ehrengrabstelle auf einem Berliner Friedhof.
Berlins Ehrenbürgerinnen und Bürger
1813 bekam man kein Bürgergeld, man musste es zahlen
Erster Ehrenbürger Berlins wurde 1813 der Propst Conrad Ribbeck, der sich während der französischen Besatzung Berlins für die Bevölkerung eingesetzt hatte. Damals hatte die Auszeichnung noch eine andere Bedeutung als heute: Damit erhielt man kostenfrei das Bürgerrecht, das ansonsten an Besitz, Gewerbe und die Zahlung eines "Bürgergeldes" geknüpft war. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in Berlin über 150.000 Bewohner, von denen kaum jeder Zehnte das Bürgerrecht besaß. Ab 1851 wurde erstmals ein Ehrenbürgerrecht an einen Berliner Bürger – den Bildhauer Daniel Christian Rauch – verliehen.
In der NS-Zeit wurde wenigen Menschen die Ehrenbürgerwürde verliehen. Dazu zählten Adolf Hitler und andere führende Nationalsozialisten wie Hermann Göring und Joseph Goebbels. Die Nazis entzogen dem sozialdemokratischen Politiker Hugo Heimann die Ehrenbürgerschaft, weil er Jude war. Heimann, der während der NS-Diktatur in die USA emigrierte, erhielt sie 1947 zurück. Ein Jahr später wurde sie den führenden Nazis aberkannt.
Ab 1948 gab es zwei Ehrenbürgerlisten, eine in West- und eine in Ost-Berlin. Auf die Ost-Berliner Liste schafften es führende DDR-Politiker wie Walter Ulbricht, Erich Honecker oder der ehemalige DDR-Präsident Wilhelm Pieck, aber auch zahlreiche Bürger der Sowjetunion. Dazu zählten die Unteroffiziere Michail Jegorow und Meliton Kantaria, die 1945 die Siegesflagge auf dem Reichstagsgebäude hissten. 1992 wurden beide Listen zusammengeführt. Nur acht Namen aus der Ost-Berliner Liste wurden übernommen.
Sehr wenige Frauen auf der Liste
Es dauerte ganze 144 Jahre, bis eine Frau Ehrenbürgerin Berlins wurde. Die Ehre erhielt 1957 die SPD-Politikerin Louise Schroeder, die zwischen 1947 und 1948 kommissarische Oberbürgermeisterin der Stadt war. Weitere Ehrenbürgerinnen wurden die Frauenrechtlerin und FDP-Politikerin Marie Elisabeth Lüders, die Schriftstellerinnen Nelly Sachs und Anna Seghers sowie die Schauspielerin und Sängerin Marlene Dietrich aus Schöneberg. Vor Friede Springer wurde im Jahr 2018 der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer der Ehrenbürgerschaft verliehen.
Nach der Massen-Aberkennung nach der Wende ist die Liste der Ehrenbürger stets gewachsen. Nur einmal wurde sie seitdem kleiner: Vor fünf Jahren wurde der ehemalige Reichspräsident Paul von Hindenburg gestrichen. Am 30. Januar 2020, 87 Jahre nachdem er Hitler zum Reichskanzler ernannte, wurde ihm die Ehrenbürgschaft aberkannt. Die Debatte darüber zog sich in Berlin fast 30 Jahre hin – andere Städte entschieden sich viel früher dafür.
Klar ist: Die Verleihung der Ehrenwürde ist und war eine politische Entscheidung. Vorschläge für den 125. Platz auf Berlins ehrwürdigster Liste können das Abgeordnetenhaus, Senatsmitglieder, die Bezirksämter und die Bezirksverordnetenversammlungen einreichen. Dass diese Person Heinrich, Friedrich oder Otto heißt, ist heute unwahrscheinlicher als noch 1813.
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