Was wurde aus ...? | Frauenhäuser in Berlin - "Es ist wichtig, dass wir auch die Täter in die Verantwortung nehmen"
Die Sozialarbeiterin Kristin Fischer erlebte im Frauenhaus aus nächster Nähe, was häusliche Gewalt bei Frauen und Kindern anrichtet. Zweieinhalb Jahre nach dem letzten Interview erzählt sie, wie sich die Corona-Krise auf Schutzsuchende ausgewirkt hat.
In der Interview-Serie "Was wurde aus ...?" fragen wir nach bei Menschen, deren Geschichten uns besonders bewegt haben. Anfang 2020 sprachen wir mit der Sozialarbeiterin Kristin Fischer über ihre Arbeit im 2. Autonomen Frauenhaus Berlin. Sie erzählte von der großen Not der Frauen, für die das Haus die letzte Zuflucht war - und forderte doppelt soviele Schutzplätze.
rbb|24: Frau Fischer, als wir das letzte Mal gesprochen haben, war Lockdown. Viele Familien mussten zuhause bleiben, vorher unterdrückte Spannungen brachen aus und es gab mehr häusliche Gewalt. Wie haben Sie die Zeit damals im Frauenhaus erlebt?
Kristin Fischer: Ich habe damals sozusagen parallel meinen Arbeitsplatz gewechselt: Zum April 2020 habe ich im Frauenhaus aufgehört und bei der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) in der Koordinierung angefangen. In den Wochen davor war ich ins Ausland verreist, und mein Arbeitsbeginn war dann direkt im Homeoffice. Das war schon irgendwie seltsam.
Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Arbeitsplatz zu wechseln?
Ich wollte mich nach fast 19 Jahren im Frauenhaus einfach nochmal weiterentwickeln. Ich hatte die Hoffnung, dass ich mit der Stelle bei der BIG-Koordinierung die Chance habe, die Sachen, die ich in der Frauenhausarbeit eher so nebenbei gemacht habe, jetzt mit mehr Zeit und mehr Ressourcen machen zu können. Die Beratung von Frauen bei meiner damaligen Arbeit im Frauenhaus fehlt mir heute aber tatsächlich manchmal.
Was machen Sie jetzt bei BIG?
Öffentlichkeitsarbeit, Konzepte entwickeln, Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen anbieten, beispielsweise für Mitarbeitende der Polizei, Jobcenter, Jugendämter oder auch soziale Projekte, zum Beispiel in der Suchthilfe – um nur einige zu nennen. Da kam mir die Corona-Pandemie aber in die Quere, weil ich vieles nicht ganz so umsetzen konnte wie erhofft. Es musste halt vieles digital stattfinden.
Woran haben Sie da zum Beispiel gearbeitet?
In der Arbeitsgruppe "Schutzmaßnahmen für Frauen mit Behinderung" hatten wir die Idee für eine Koordinierungsstelle für den Übergang zwischen Frauenunterstützungseinrichtungen und der Eingliederungshilfe. Frauen mit Behinderung sind noch häufiger von Gewalt betroffen, gleichzeitig erreichen wir aber weniger von ihnen mit unseren Angeboten. Wir arbeiten gerade daran, das zu verbessern.
Aktuell arbeiten wir außerdem mit dem Verein "Gewaltfrei in die Zukunft" zusammen, der eine App zur Unterstützung von Gewalt betroffener Frauen entwickelt hat und damit bundesweit an den Start gehen möchte. Mit der App sollen Frauen erreicht werden, die noch nicht im Hilfesystem angebunden sind. Es geht darum, gewaltgeprägte Situationen zu erkennen – auch Warnsignale wahrzunehmen. Betroffene Frauen sollen ermutigt werden, sich Hilfe zu holen. Es werden auch konkrete Hilfsangebote genannt.
Hat sich durch den Jobwechsel vom Frauenhaus ins Büro auch Ihre Perspektive geändert?
Mit dem gewonnenen Abstand ist mir vielleicht noch klarer geworden, wie schwer diese Arbeit ist. Nach wie vor habe ich eine große Achtung vor den Frauen, die die Gewalt überleben, die den Schritt in eine selbstbestimmte, aber zunächst ungewisse Zukunft wagen. Und gleichzeitig empfinde ich viel Wertschätzung für die Kolleginnen, die sie mit ihrer Arbeit darin unterstützen. Der Jobwechsel war zwar ein kleiner Perspektivwechsel, aber der Blick auf das Ausmaß der Gewalt und die Strukturen, die sie und ihre Folgen begünstigen, sind geblieben.
Was ich aber grundsätzlich während dieser ersten Hochphase der Pandemie beobachtet habe, ist, dass über die Themen Gewalt gegen Frauen und Kinder beziehungsweise häusliche Gewalt sehr viel mehr berichtet wurde.
Was war nun anders? Was haben Ihnen die Kolleginnen aus den Frauenhäusern über die damalige Situation der betroffenen Frauen noch erzählt?
Während der Lockdowns war es nicht nur wegen der ständigen Beobachtung zu Hause für die Betroffenen schwierig, sich Hilfe zu holen. Auch fehlte soziale Kontrolle durch Nachbar:innen, die zum Beispiel mal im Treppenhaus fragen, ob alles in Ordnung ist. Genau wie der fehlende Kontakt der Kinder in den Schulen. Das hat die Lockdown-Situation für Betroffene besonders schwierig gemacht. Die Isolation hat zugenommen. Die Pandemie hat, denke ich, bei den betroffenen Frauen nochmal andere Ängste hervorgerufen. Fragen wie: Wie ist es, wenn ich jetzt in eine Gemeinschaftsunterkunft gehe? Was gibt es für Quarantäneregelungen, kann ich mich anstecken?
Auch für die Kolleginnen war das eine große Herausforderung: Wie können sie eine Beratung sicherstellen, in der sich die Betroffenen öffnen können und dabei trotzdem genügend Abstand halten? Das war schwierig. Die Kolleginnen der BIG-Hotline berichteten, dass es während des Lockdowns tatsächlich weniger Anrufe gab.
Woran, denken Sie, liegt das?
Ein Grund könnte sein: Wenn alle zusammen zuhause in der Wohnung sind, ist es für eine betroffene Frau schwieriger, unbemerkt anzurufen und sich beraten zu lassen. Als die ersten Lockerungen kamen, sind die Anrufe dann stark nach oben gegangen.
Auch in den Beratungsstellen gab es viele Beratungsanfragen, die Frauenhäuser waren nach wie vor voll belegt. Das Land Berlin hatte schnell zusätzliche Notplätze geschaffen. Die waren auch stark ausgelastet und dass sie nun wieder weg sind, spüren die Kolleginnen, die an der Hotline beraten, jetzt. Zwar hat Berlin die Frauenhausplätze aufgestockt,aber es ist immer noch nicht ausreichend - weder für das, was die Istanbul-Konvention empfiehlt [rm.coe.int] - noch für den Bedarf.
Sie hatten damals gesagt, mindestens doppelt so viele Plätze wäre eigentlich das Mindeste, was notwendig wäre. Wieviel ist notwendig, kann man das überhaupt sagen?
Die Empfehlungen der Istanbul-Konvention sind hier ein guter Maßstab, daran orientieren sich auch alle Bundesländer und EU-Staaten. Wir haben aktuell in Berlin 422 Schutzplätze in Frauenhäusern, da sind knapp 100 dazugekommen, und wir haben noch dazu Schutzplätze in Zufluchtswohnungen.
Aber es geht nicht allein um Schutzplätze. Es müssen auch die Beratungsangebote ausgebaut werden. Es braucht Angebote, die die Situation besonders gefährdeter Gruppen, wie Frauen mit Behinderung, mehr berücksichtigen.
Was wünschen Sie sich?
Ich denke es ist wichtig, dass wir auch die Täter in die Verantwortung nehmen und hierbei den Blick auf Prävention richten. Denn ich denke, wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur die Folgen der Gewalt im Blick haben. Und da gibt es noch viel zu wenige Angebote.
Was ich noch viel schwieriger finde, ist darauf hinzuwirken, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Gewalt gegen Frauen und Kinder nicht toleriert. Das eine ist, dass wir Kampagnen machen, um Frauen zu ermutigen, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Aber das andere muss sein, darauf aufmerksam zu machen, dass wir alle solche Gewalt nicht tolerieren.
Sie haben die Istanbul-Konvention angesprochen [frauenhauskoordinierung.de]. Die Türkei ist in diesem Jahr ausgetreten, die polnische Regierung hat das zumindest vor. Gleichzeitig sehen wir in Staaten wie den USA die massive Einschränkung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch. Hätten Sie eine solche Entwicklung vor ein paar Jahren für möglich gehalten?
Ich glaube, wir haben gedacht, dass wir viel weiter sind, als wir tatsächlich sind - und unterschätzt, wie schnell diese Fortschritte wieder weggenommen werden können. Die Überraschung war vielleicht, dass uns nun wieder vor Augen geführt wurde, dass man dranbleiben und weiter für diese Rechte kämpfen muss, dass man es nicht eben so laufen lassen kann.
Wir haben eben parallel dazu eine sehr konservative Entwicklung, das hat auch die Pandemie gezeigt - da muss man nicht nur in andere Länder schauen. Beispiel: Wer ist denn zuhause geblieben oder hat das Homeschooling noch parallel zur Arbeitsbelastung übernommen? Das waren größtenteils wieder die Frauen. Das hat gezeigt, dass wir schnell in alte Muster zurückfallen können.
Was bräuchte es denn, um Ihre Arbeit und die Ihrer Kolleginnen in den Frauenhäusern entscheidend zu verbessern?
Wir kommen nicht herum, übers Geld zu sprechen. Damit meine ich aber gar nicht so sehr nur die Anzahl der Schutzplätze sondern auch, wie die Projekte ausgestattet sind. Wenn man auf die Studien schaut, wie viele Anläufe eine Frau braucht, um sich aus der Gewaltsituation zu lösen, dann ist es wichtig, sie auch entsprechend zu begleiten. Dafür braucht man Ressourcen in den Beratungsstellen und Frauenhäusern - damit die Frauen ihre Gewalterlebnisse auch thematisieren können und nicht nur ihre finanzielle Existenzsicherung und Sorgerechtsgeschichten abgedeckt werden können. Dazu fehlt viel zu häufig die Zeit – denn es fehlt an Personal und das bedeutet am Ende eben, dass Geld fehlt.
Sie sprachen im Interview damals von zehn Frauen, für die Sie gleichzeitig Ansprechpartnerin waren. Haben Sie noch Kontakt zu einer der Frauen, die Sie damals betreut haben? Wissen Sie, was aus ihr geworden ist?
Als ich meine Sachen im Frauenhaus gepackt habe, ist mir ein Brief einer Frau in die Hand gefallen, die ich beraten hatte. Sie bedankte sich für die Hilfe und die Zeit im Frauenhaus. Sie war mit ihrer Tochter in ein anderes Bundesland gezogen. Beide haben eine neue Ausbildung angefangen und es geht Ihnen jetzt richtig gut.
Bei der Jubiläumsveranstaltung des Frauenhauses, in dem ich vorher gerarbeitet habe, waren auch ehemalige Bewohnerinnen anwesend. Das war richtig schön zu sehen, dass sie ihren Weg gefunden haben. Auch für die aktuellen Bewohnerinnen war es gut, zu sehen, dass es weiter geht und auch ein Leben nach dem Frauenhaus und ohne Gewalt gibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sebastian Schneider, rbb|24