Alte Pläne neu auf dem Tisch - Wie die geplante A100-Verlängerung Bund und Senat entzweit
Am Dienstag erklärte die Bundesregierung, den Ausbau der A100 voranzutreiben. Die Opposition befürwortet ihn. Der Berliner Senat wollte ihn eigentlich aussitzen. Ob der Bund Berlin übergeht, ist nur eine der offenen Fragen. Von Sebastian Schneider
Zwischen Grenzallee und Sonnenallee kann man das hellgraue Band schon erkennen, sauber ausgeschachtet und in Beton gegossen verläuft es nach Norden, schlängelt sich vorbei an der Großbaustelle des Estrel-Hotels, entlang an Bahnschienen, Kleingärten und Parkplätzen. Fast bis zum Treptower Park haben sich die Bagger und Laster schon vorgearbeitet. Hier soll der 16. Bauabschnitt der A100 in zwei Jahren freigegeben werden, teurer als geplant, aber trotzdem nicht das Ende: Die Bundesregierung möchte den Berliner Stadtring verlängern bis zur Südspitze von Prenzlauer Berg. Seit Dienstag ist sie darin einen Schritt weiter und das hat von neuem den Streit darum entfacht, wieviel Autobahn eine Metropole wie Berlin heute vertragen kann.
Die bundeseigene Autobahn GmbH schrieb am Dienstagnachmittag den Auftrag zur konkreten Planung des 17. Bauabschnitts zwischen Treptow und Lichtenberg aus [vergabe.autobahn.de]. Damit sei klar, dass dieser nun auch gebaut werde, sagte Daniela Kluckert, die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium (FDP), der "Morgenpost" [Bezahlinhalt]. Aber so klar ist das Ganze noch nicht.
Das Interview erschien am Morgen. Glaubt man der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), erfuhr sie aus der Zeitung, dass das FDP-geführte Verkehrsministerium das riesige Bauprojekt in ihrer Stadt vorantreiben will. Sie klang nicht amüsiert. Jetzt haben Bund und Senat ein Problem. Denn bezeichnete man den Weiterbau der A100 als umstritten, wäre das untertrieben.
Bundesverkehrsministerium dafür, Senat größtenteils dagegen
Giffey selbst hat sich für einen Weiterbau ausgesprochen, genau wie die Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD. Das Teilstück sei wichtig, um den Osten und Südosten der Stadt besser anzubinden und Wohngebiete von Verkehr zu entlasten. Die Bündnispartner Grüne und Linke sowie Teile der SPD aber lehnen das Projekt strikt ab - wie auch im Bund. Eine neue Betonschneise mitten durch die Stadt bringe Luft- und Lärmbelastung, sei teuer und nicht mehr zeitgemäß.
Im Koalitionsvertrag einigte sich der Senat deshalb auf einen Kompromiss: Bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 sitzt er das Thema aus, beteiligt sich nicht an weiteren Planungen. "Diese Vereinbarung, die wir mit unseren Koalitionspartnern geschlossen haben, ist für mich auch bindend", sagte Giffey am Dienstag.
Ampel-Partner Grüne: "Alleingang des Bundesverkehrsministers"
Doch seit 2021 ist die Bundesregierung allein für Planung, Bau und Instandhaltung der Autobahnen zuständig, damit solche Großprojekte schneller ablaufen. Das heißt: Das entscheidende Planfeststellungsverfahren erledigt nicht der Berliner Senat. Der Weiterbau der A100 ist in einem Bundesgesetz festgehalten, das nur der Bundestag ändern kann. Danach sieht es momentan nicht aus. Die FDP-Staatssekretärin Kluckert, Wahlkreis Pankow, sagte der "Morgenpost", der Senat könne den Bau nicht stoppen. Auch auf Bundesebene habe man sich im Koalitionsvertrag mit den Grünen geeinigt, wichtige Verkehrsprojekte einschließlich Lückenschlüssen in Deutschland anzugehen. Dazu gehöre auch der Weiterbau der A100.
Dazu jedoch findet sich im Ampel-Koalitionsvertrag konkret nichts. Es heißt, dass der sechs Jahre alte Bundesverkehrswegeplan neu überprüft werden soll, bis dahin solle es eine gemeinsame Abstimmung über die laufenden Projekte geben. "Eine solche gemeinsame Verständigung erfolgte zur A100 nicht", widerspricht Stefan Gelbhaar, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, ebenfalls aus Pankow. Es sei ein Alleingang des Bundesverkehrsministers gewesen, daher gebe es Gesprächsbedarf. Die A100 sei weder nötig noch sinnvoll.
Es wäre ein Novum, wenn das Verkehrsministerium versuchen würde, ein Projekt dieser Dimension gegen den Willen einer Landesregierung durchzusetzen; noch dazu mit der Begründung, ein Stück Autobahn mitten durch die Stadt sei Bundesinteresse. Aber wie der Senat nun mit diesen Plänen umgehen kann, ist offen.
218.000 Euro pro Meter
Schon der Bau des 16. Abschnitts war ein derart aufgeladenes Thema, dass es 2011 eine rot-grüne Koalition verhinderte. Für das 3,2 Kilometer lange hellgraue Betonband wurden mehrere Wohnhäuser und Kleingarten-Parzellen abgerissen, Bürgerinitiativen und Naturschützer protestierten. Ende 2024 soll die Strecke fertig sein, zwei Jahre später und fast 50 Prozent teurer als geplant. Sie kostet nun umgerechnet etwa 218.000 Euro pro Meter, die teuerste Straße Deutschlands.
So wie ursprünglich geplant kann sie wohl nicht genutzt werden, es sind inzwischen schlichtweg zu viele Fahrzeuge unterwegs – diese würden sich dann am Treptower Park in die umliegenden Straßen verteilen. Für diese Mengen aber ist die bestehende Infrastruktur nicht ausgelegt. Wie der Verkehr über die Autobahn fließt, ist Sache des Bundes – wie er dorthin und von dort wegkommt, ist Sache des Landes Berlin.
Der Bund argumentiert, der 16. Bauabschnitt mache nur Sinn, wenn auch der nächste Abschnitt bis zur Storkower Straße komme. Erst dann würde sich "die angestrebte vollständige Verkehrswirkung entfalten", heißt es im bis heute gültigen Bundesverkehrswegeplan (BVWP) von 2016. Beide Teile seien aneinandergekoppelt. "Man verlagert das Problem des abfließenden Verkehrs nur, schafft sich immer weitere Engstellen mit Staus. So, dass man sich peu à peu Richtung Ringschluss der Stadtautobahn vorarbeitet", entgegnet der Verkehrsforscher Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin im Gespräch mit rbb|24.
Rauten aus Asphalt
Die Idee, die A100 in den Nordosten Berlins zu verlängern und den Ring möglicherweise ganz zu schließen, ist so alt wie die Autobahn selbst. 1958 wurde der erste Abschnitt der A100 eröffnet. Danach sollte sich ein Rautennetz aus Asphalt über Berlin legen und der Ring schließlich vollendet werden. Weitergebaut aber wurde, wegen der Teilung der Stadt, nur im Westen. Die Autobahn wurde bestenfalls ein Halbkreis statt eines Rings.
Doppelstöckiger Tunnel unter dem Ostkreuz
Nach der Wiedervereinigung kam buchstäblich neue Fahrt in die Debatte: 1999 erstellten Ingenieurbüros eine Vorplanung für den Senat, auf welcher Route die A100 weitergezogen werden sollte. Für die Fachleute war es eine verzwickte Angelegenheit: eine Autobahn durch Wohn- und Gewerbegebiete führen und dabei immer wieder Bahngleise kreuzen. Diverse Brücken bauten sie in die Pläne ein, mehrere Tunnel, davon einen sogar doppelstöckig - durch eine besonders enge Straße. Wohnhäuser, die im Weg stehen, müssten weg. Groß was geändert wurden an diesen Plänen nicht mehr.
Bleibt es dabei, würde der 17. Abschnitt vom Treptower Park über die Elsenbrücke verlaufen, die allerdings gerade grundlegend saniert wird. Ein Teil von ihr müsste wieder abgerissen werden. Danach arbeitet sich die A100 durch Wohnstraßen vor, taucht in einem zweistöckigen Tunnel unter dem Ostkreuz durch, fünf massive Betonblöcke wurden bereits als Vorleistungen unter den Bahnhof gebaut. Auf der östlichen Seite der Ringbahn kommt die Autobahn wieder ans Licht, führt auf einer Rampe über das Ring-Center hinweg, überkreuzt die Frankfurter Allee und endet nach 4,1 Kilometern nahe des S-Bahnhofs Storkower Straße.
Eine Schlange, kein Ring
Der Verkehrsforscher Canzler bezeichnet den Weiterbau des Stadtrings, der nur eine Schlange ist, als Unsinn. "Berlin vergleicht sich ja gerne mit internationalen Metropolen – und wenn man da hinschaut: Die meisten versuchen sich am Rückbau von Stadtautobahnen und schränken den motorisierten Individualverkehr ein. Zum Beispiel Seoul, Barcelona, Paris, Mailand, Stockholm, Helsinki. In Berlin dagegen nimmt man heute eine Planung aus den 1960er Jahren als Grundlage für den Verkehr von morgen", sagt Canzler.
Die Planungen stammen aus der Zeit der autogerechten Stadt. Die Bundesregierung versuchte damals, Bürgern das Autofahren so leicht wie möglich zu machen. CO2-Ausstoß war für die Verantwortlichen kein Thema. Heute schreibt das Klimaschutzgesetz jedoch genau das Gegenteil vor: Die Emission im Verkehr sollen bis 2030 halbiert werden, das Bundesverfassungsgericht zwang die Regierung hier noch zum Nachschärfen.
In der Gegenwart ist die A100 seit Jahren eine der meistbefahrenen Autobahnen in Deutschland. Die Stadt wächst schneller, als der ÖPNV ausgebaut wird. Die Zahl der zugelassenen Pkw in der Stadt steigt, im Jahr 2016 waren es 321 Autos je 1.000 Einwohner. Im Juni 2021 waren es bereits 327 Autos. Wie man damit umgeht, ist die große Frage: Den zunehmenden Auto- und Lkw-Verkehr akzeptieren und ihm mehr Raum bieten, in der Erwartung, dass es dann weniger Staus gibt? Oder es ihm schwerer machen, damit er unattraktiver wird und letztlich abnimmt?
"Verlagerung von einem Verkehrsmittel auf das andere"
Der Informatiker Kai Nagel von der TU Berlin ist Experte für die Planung von Verkehrssystemen. Er hat sich mit seinem Team das Gutachten genau angesehen, mit dem die Bundesregierung damals den Weiterbau der Autobahn begründet hat. "Induzierter Verkehr, dass also durch ein neues Angebot ganz neue Autofahrten erzeugt werden, ist bei der Verlängerung der A100 nicht einmal so ein großer Faktor. Viel entscheidender ist die Verlagerung von einem Verkehrsmittel auf das andere: In dem Fall vom öffentlichen Verkehr oder vom Fahrrad auf das Auto", sagt Nagel rbb|24.
Hier spiele der Zeitgewinn die entscheidende Rolle. Wenn es kürzer dauere, mit dem Auto über die Autobahn zu fahren, als mit dem Nahverkehr durch die Stadt, werde das Verkehrsmittel automatisch attraktiver. Dem entgegen stehe der Effekt der höheren Umweltbelastung.
Dabei müsse man unterscheiden. Die Lärmbelastung insgesamt nehme durch die Verlagerung von Verkehr auf die verlängerte Autobahn ab, weil tatsächlich weniger Verkehr durch Wohngebiete fließe und sich die Autobahn durch Maßnahmen wie modernen Lärmschutz relativ gut abschirmen lasse, sagt der TU-Professor. Die Belastung durch CO2 und Stickoxide dagegen nehme durch den Ausbau deutlich zu.
"Es gibt hier keine einfache Antwort. Schlussendlich ist es eine politische Frage: Steht der Zeitgewinn im Vordergrund? Den gibt es. Oder geht es vorrangig um Klimaschutz? Die CO2-Effekte sind eindeutig negativ", sagt Nagel.
Abschnitt 17 soll durch den "Klimacheck"
Die nächsten Jahre wird erstmal geprüft, noch kein Bagger bewegt. Dann geht es um die Untersuchung von "aktuellen städtebaulichen, verkehrlichen und umweltverträglichen Bedingungen, Verkehrsplanung/Verkehrsuntersuchung, notwendige naturschutzrechtliche Untersuchungen sowie Vermessung und Baugrunderkundungen", sagte ein Sprecher der bundeseigenen Autobahn GmbH am Dienstag dem rbb.
2025 soll zumindest die genaue Streckenführung feststehen, 2027 das Planfeststellungsverfahren beginnen, rechnet die Autobahn GmbH. Die Ampel-Koalition hat für solche Bauvorhaben einen "Klimacheck" vereinbart. Ob der neue Teil der A100 diesen Check besteht, ist offen. Auch, was das Ganze kosten wird.
Der letzte Stand ist neun Jahre alt: Damals rechnete der Bund für die 4,1 Kilometer mit 531 Millionen Euro. Diese Kosten gelten inzwischen als überholt, Verkehrsexperten schätzen sie im Gespräch mit rbb|24 auf bis zu einer Milliarde Euro - namentlich zitieren lassen will sich damit keiner, zu viele Fragen sind noch ungeklärt, zu weit liegt der Abschluss noch in der Zukunft. Bis alles fertiggebaut ist, dürfte es Ende der 2030er sein. Einen halbwegs genauen Termin kann keiner nennen.
Doch bis es in Treptow richtig losgeht, bohrt, gräbt und walzt man schon längst auf der nächsten Großbaustelle: Im Westen wird das Autobahndreieck Funkturm saniert, mindestens acht Jahre sind für die Arbeiten eingeplant. Die Schlange wird ein Stück verlegt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 30.03.2022, 19:30 Uhr