Interview | rbb-Hauptabteilungsleiter Jens Riehle - "Die Mehrbelastung war nach meinem Eindruck nicht der ursächliche Grund"
Der Medienbericht über eine Personalrochade beim rbb, geplant von Programmdirektor Schule-Kellinghaus, wirft Fragen auf. Entmachtet werden sollte Hauptabteilungsleiter Jens Riehle. Im Interview schildert er seine Sicht der Dinge.
In einer "Spiegel"-Veröffentlichung vom 28. Oktober 2022 unter dem Titel "RBB-Programmdirektor plante 'Top secret'-Postenumbesetzung" beschuldigte "Spiegel"-Redakteur Anton Rainer den heutigen stellvertretenden rbb-Intendanten und rbb-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus, dieser wollte "offenbar einen Kollegen kaltstellen und den Ehemann der Berliner Umweltsenatorin Bettina Jarasch befördern". Eine vom Twitter-Account Anton Rainers zusätzlich veröffentlichte private E-Mail Schulte-Kellinghaus vom 2. Juli 2022 sollte diesen Eindruck verstärken (siehe eingebetteter Tweet).
Der betroffene Kollege, der nun in der Öffentlichkeit steht, ist Jens Riehle. Er leitet die rbb-Hauptabteilung Programm-Management und ist zudem der Programmchef des rbb-Fernsehens. In Kooperation mit der rbb24-Recherchegruppe ging Jörg Wagner (rbb-Medienmagazin) auf Riehle zu, um die Abläufe und Zusammenhänge dieser geleakten E-Mail mit seiner Hilfe und aus seiner Sicht zu rekonstruieren.
rbb|24-Recherchteam & Jörg Wagner: Herr Riehle, was ging der privaten E-Mail von Jan Schulte-Kellinghaus an den privaten E-Mail-Account der damaligen rbb-Intendantin Patricia Schlesinger voraus?
Jens Riehle: Ich hatte am 16. Juni 2022 für mich sehr überraschend erfahren, dass der Programmdirektor mit mir als Programmchef nicht mehr zusammenarbeiten will. Mit der Begründung, dass meine und seine Vorstellungen über die Ausrichtung des rbb-Fernsehens nicht zusammenpassen. Dass das so ist, dass wir Differenzen hatten, das war mir schon lange klar. Das ist objektiv so gewesen. Aber die Konsequenz daraus war mir nicht bewusst. Die hat mich an diesem Tag ereilt.
In der E-Mail heißt es, Sie seien "aus allen Wolken" gefallen. War es für Sie tatsächlich so überraschend?
Ja.
Was war genau das Überraschende, wenn es doch Spannungen gab? War es das Gefühl der Entmachtung?
Wir hatten bereits davor ein Gespräch, in dem deutlich wurde, dass der Druck wegen des Nicht-Erfolgs des rbb-Fernsehens immer größer geworden ist. Trotzdem kam die Entscheidung dann für mich recht unvermittelt. Insbesondere der Vorwurf, ich würde mich mehr für meine ARD-Aufgaben als für das rbb-Fernsehen engagieren, war aus meiner Sicht unzutreffend. Der Misserfolg des Fernsehprogramms, der nach drei recht erfolgreichen Jahren mit Jahresbeginn 2022 einsetzte, hatte aus meiner Perspektive weniger mit meinem fehlenden Engagement, sondern vielmehr mit den Entscheidungen zum [Programm am] Vorabend zu tun. Genau da lag ja ein wesentlicher Streitpunkt zwischen dem Direktor und mir. Nur war dieser - in meiner Wahrnehmung - zum Zeitpunkt des Gesprächs längst geklärt, nachdem Jan Schulte-Kellinghaus schon im Frühjahr Fehleinschätzungen eingeräumt hatte.
Worin bestanden denn die Differenzen?
Die lagen vor allem in der Ausrichtung des rbb-Fernsehens. Zum einen in der Frage, wie dieses Programm präsentiert und verkauft wird, aber vor allem in der Frage, wie wir die Prioritäten setzen, auch wenn es darum geht, Programm zu entwickeln und Geld auszugeben. Also geht es mehr um Image- und Leuchtturm-Projekte - oder geht es mehr um die regionale Berichterstattung? Letzteres wollte ich stärker betont wissen, und genau das war aber durch die Abschaffung von zibb und mit den finanziellen Kürzungen für den neuen Vorabend ins Hintertreffen geraten.
Sie sind Programmchef rbb-Fernsehen und Leiter Programm-Management. Was ist Ihre Arbeit in dieser Doppelrolle konkret?
Die Hauptabteilung Programm-Management umfasst u.a. die Bereiche Programm-Planung, Programm-Redaktion, Programm-Koordination, das Design, die On-Air-Promotion, die Sendeleitung, die Mediathek, die Social-Media-Dachkanäle, die programmbegleitenden Dienste und die Service-Redaktion, die zuständig ist für die Kontakte mit den Hörern, Zuschauern und Nutzern. Zusätzlich bin ich Programmchef rbb-Fernsehen, eine Funktion, die es bis 2018, als ich meinen jetzigen Job antrat, so im rbb nicht gab. Aber so wie es Wellenchefs beim Radio gibt, sollte es nach Auffassung des Programmdirektors so eine Rolle auch fürs Fernsehen geben. Darüber hinaus bin ich der Vertreter des rbb in der ARD-Beauftragtenkonferenz, die ein Teil der Video-Programm-Konferenz (VPK) ist. Dort werden für die Programmdirektorinnen und Programmdirektoren alle finanzrelevanten Entscheidungen vorbereitet, Programmvorhaben abgestimmt und die Zusammenarbeit im Rahmen der Mediathek und des Ersten koordiniert.
Welche neuen Aufgaben brachte der ARD-Vorsitz mit sich, den der rbb seit 1. Januar 2022 innehatte bis zum Rücktritt von Patricia Schlesinger als ARD-Vorsitzende im Sommer?
Es ist immer so, dass die Vorsitz-Anstalt gleichzeitig in ganz vielen Gremien und Runden der ARD den Vorsitz übernimmt. Das bedeutete konkret für mich, dass ich nicht nur der rbb-Beauftragte in der ARD war, sondern gleichzeitig der Vorsitzende eben dieser Beauftragten-Konferenz, einer turnusmäßig arbeitenden Runde der jeweiligen Beauftragten aller Landesrundfunkanstalten. Diese wird vom Vorsitzenden organisiert. Man setzt bis zu einem gewissen Maß Themen und Inhalte, platziert eigene Ideen und Projekte, stärker, als man das auch jenseits der Vorsitz-Rolle tut. Als Programmchef war ich zudem Vorsitzender der Kommission der Dritten Programme – das ist die ARD-Runde aller Programmchefs der Dritten. Das war natürlich eine enorme Mehrarbeit, weil das alles zusätzlich passierte. Vor allem organisatorische und auch sehr viel inhaltliche Arbeit.
Nach Darstellung des rbb-Programmdirektors, Jan Schulte-Kellinghaus kam es durch einen Akzeptanzverlust im rbb-Fernsehen und die neuen Aufgaben während des ARD-Vorsitzes zu einer Doppelbelastung. Seine Idee war es, diese Doppelbelastung "auf mehreren Schultern zu verteilen", wie er im rbb-Medienmagazin am 29. Oktober 2022 sagte. Wie haben Sie diese Doppelbelastung empfunden?
Die Doppelbelastung gab es objektiv. Ohne Zweifel. Aber die traf ja nicht nur mich. Die traf alle, die im Zusammenhang mit dem ARD-Vorsitz Rollen und Aufgaben übernommen hatten. Zur Wahrheit gehört auch dazu: Wir hatten uns ja für den ARD-Vorsitz vorbereitet und aufgestellt. Ich hatte extra dafür Kolleginnen und Kollegen in die Hauptabteilung geholt, die das mit mir zusammen gestemmt haben. Das ist alles Teamarbeit. Insofern: Die Mehrbelastung gab es. Dennoch war sie nach meinem Eindruck nicht der ursächliche Grund, mich von meiner Funktion zu entbinden.
Sondern?
Aus meiner Sicht waren die inhaltlichen Differenzen der Grund für die beabsichtigte Ablösung.
Wie sind Sie denn aus diesem Gespräch herausgegangen?
Zum einen natürlich mit Enttäuschung. Zum anderen aber auch mit dem Gefühl, dass solche Entscheidungen natürlich zum Geschäft mit dazugehören, dass man bei unterschiedlichen, inhaltlichen Auffassungen mitunter auch Konsequenzen ertragen muss. Ich habe das Gefühl gehabt, dass es dem Direktor darum ging, personelle Veränderungen herbeizuführen, aber mir gleichzeitig eine gewisse Form von Gesichtswahrung zu ermöglichen, damit ich den Job in der ARD, also die Rolle des Beauftragten und des Vorsitzenden der Beauftragten-Konferenz möglichst unbeschadet weiter ausüben kann. Ob das in der Praxis funktioniert hätte, weiß ich nicht, aber diese Absicht war klar erkennbar und ausgesprochen.
Hatte denn der Programmdirektor zu dieser Zeit überhaupt noch die nötige Autorität für diese Personalentscheidung, nachdem sein Umbau des Vorabends gefloppt war?
In meiner Wahrnehmung hatte er durchaus genügend Autorität. Ich hatte jedenfalls nicht den Eindruck, dass das Eingeständnis eines Fehlers seine Autorität untergraben hat. Eher im Gegenteil. Aber natürlich stand er bei Teilen der Belegschaft heftig in der Kritik und natürlich auch unter Zugzwang, erkennbare Korrekturen einzuleiten.
Nun behauptet der "Spiegel" in seinem Bericht, dass die geplante Personalrochade "Top secret“ gewesen sein soll, vorbei an öffentlichen Ausschreibungen. Das hat Jan Schulte-Kellinghaus dementiert. Wie haben Sie es erlebt?
Mit mir wurde nur besprochen, was meine Person betrifft. Und da war klar, dass ich einen Teil meiner Aufgaben verliere bzw. abgeben muss.
Folgen Sie der Sichtweise des Programmdirektors im Interview mit dem rbb-Medienmagazin vom 29. Oktober 2022, dass Sie eigentlich kein direktes Programm verantworten und auch keine journalistischen Entscheidungen treffen?
Im Programm-Management werden keine programm-inhaltlichen Entscheidungen getroffen. Wir produzieren - zumindest bezogen auf Fernsehen und Radio - nicht selbst journalistische Inhalte, sondern kuratieren, planen und verpacken. Dennoch ist es in der Praxis so, dass der Programm-Koordinator und ich selbst in alle Entscheidungen zu Sondersendungen eingebunden sind. Das passiert immer in direkter Abstimmung zwischen der Chefredaktion und uns. Das könnte man in einer anderen personellen Konstellation aber theoretisch auch anders verabreden. Aber wie gesagt, in der gegenwärtigen Praxis ist es so, dass alle Entscheidungen zu Sondersendungen und jegliche Platzierung von Programmen im rbb-Fernsehen von mir mitentschieden werden.
Können Sie da Beispiele nennen?
Jedes Corona-Spezial, jede Pressekonferenz, die wir ins Programm nehmen, geht auch über meinen Tisch. Wenn wir jetzt zum Beispiel darüber nachdenken, dass und wie wir im Zusammenhang mit der voraussichtlichen Neuwahl in Berlin programmlich reagieren müssen, dann bin ich natürlich in alle Überlegungen eingebunden und entscheide da auch mit.
In der geleakten E-Mail wird von der Personalie Oliver Jarasch gesprochen, dem Ehepartner der Berliner Grünen-Politikerin Bettina Jarasch. Wäre Ihre Ersetzung durch Oliver Jarasch nicht riskant gewesen?
Dazu möchte ich mich nicht äußern.
Nun ist der rbb durch investigative Enthüllungen geradezu implodiert. Teile der rbb-Geschäftsleitung sind nicht mehr aktiv tätig. Wie erleben Sie die gegenwärtige Situation in der Zusammenarbeit mit dem Programmdirektor? Sind die Unterschiede in den Auffassungen verschwunden?
Die Unterschiede sind nicht weg. Es gibt aber inzwischen in der Programmdirektion ein gemeinsames Verständnis darüber, dass wir deutliche Korrekturen im Programm vornehmen müssen. Das bedeutet nach meinem Verständnis auch, nüchtern Bilanz ziehen, Erfolgreiches stärken, Bewährtes wiederentdecken und Erfolgloses lassen. Gerade und auch im Vorabend. Diese Prozesse sind im Werden und mit den Redaktionen und Mitarbeitenden auch kommuniziert. Insofern wird es Korrekturen geben, allerdings im Rahmen von Prozessen, in denen die Macherinnen und Macher auch wirklich einbezogen werden.
Darüber hinaus stellt sich natürlich vor allem die Frage, wie mit deutlich weniger Geld überhaupt künftig bestimmte Programmvorstellungen umsetzbar sind. Dieses Thema beherrscht im Moment die Diskussion, und das macht die Arbeit nicht unbedingt einfacher. Aber es ist auch nicht so, dass ich mit Jan Schulte-Kellinghaus jetzt jeden Tag darüber streite, wie wir Programm machen, sondern es ist Teil der Wahrheit, dass wir unterschiedliche Auffassungen hatten und haben und sich mal seine und mal meine durchsetzen. Damit komme ich klar.
Die rbb-Intendantin Katrin Vernau hatte am 28. Oktober 2022 nach einem ersten Kassensturz angekündigt, dass man im rbb um "deutliche Einsparungen" nicht herumkäme. Es fehlten 70 Millionen Euro für Rücklagen. Wissen Sie schon genau, was das für Sie bedeutet?
Nein, die Übersetzung fürs Programm soll in den nächsten Tagen erarbeitet werden. Das ist genau das Thema, das die Intendantin als Auftrag an den Programmdirektor gestellt hat. Und damit an alle, die in der Programmdirektion Verantwortung tragen. Die fehlenden Rücklagen sollen möglichst weitgehend in den Jahren 2023 und 2024 kompensiert werden. Das heißt, allen ist klar, dass es zusätzlich zu den ohnehin schon steigenden Kosten durch Inflation und Energiepreisentwicklung, zu größeren Einsparungen kommen wird. Wo und wie gespart werden kann, ist noch nicht entschieden.
Natürlich gibt es dabei zunächst unterschiedliche Interessen und Prioritätensetzungen. Ich denke aber auch, dass das ein Prozess ist, der mit allen Beteiligten, also auch mit den Redaktionen, mit den Festen und Freien diskutiert werden muss. Wo wollen wir hin und wo setzen wir künftig programmliche Prioritäten?
Herr Riehle, vielen Dank für das Gespräch.
Sendung: 29.10.2022, rbb-Medienmagazin