Trotz Gerichtsurteil - Ausbildungsweg für Quereinsteiger in Berlin besteht vorerst weiter

Di 17.01.23 | 16:48 Uhr
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Symbolbild: Eine Lehrerin im Klassenzimmer mit Schülern (Quelle: IMAGO/Westend61)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 17.01.2023 | Daniel Gäsche | Bild: IMAGO/Westend61

Berlins Schulen sind seit Jahren dringend auf Quereinsteiger angewiesen. Jetzt stellt ein Gericht fest, dass deren Ausbildung ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Die Bildungsverwaltung betont derweil, dass trotzdem erstmal alles so bleibt wie gehabt.

  • Berliner Verwaltungsgericht: Für Quereinsteiger-Ausbildung fehlt Rechtsgrundlage
  • Bildungsverwaltung: Regelung wird vorerst fortgeführt
  • Geklagt hatte Biologin wegen schlechter Note in Mathematik-Prüfung

Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung hält trotz eines Verwaltungsgerichtsurteils an der bislang praktizierten Quereinsteiger-Ausbildung fest. Die Behörde sehe in dem Urteil zunächst eine Einzelfallentscheidung, hieß es am Dienstag.

Laut dem Berliner Verwaltungsgericht hat das berufsbegleitende Studium von Lehrkräften im Quereinstieg keine Rechtsgrundlage. Da mit den berufsbegleitenden Studien ein weiterer Zugang zum Lehrerberuf eröffnet werde, sei laut Grundgesetz eine Regelung per Gesetz oder Rechtsverordnung erforderlich. Darin müssten insbesondere der Zugang zum Studium sowie das Prüfungsverfahren und die dabei geforderten Leistungen festgelegt sein, so das Gericht. An solchen Regelungen für die berufsbegleitenden Studien fehle es im Land Berlin vollständig.

Für die Schulen braucht Berlin seit Jahren Quereinsteiger. Denn nur noch für einen Teil der offenen Stellen finden sich Laufbahnbewerber. Momentan sind wegen des Lehrkräftemangels rund 970 Lehrerstellen an Berliner Schulen unbesetzt.

Verwaltung: Vorerst läuft alles weiter wie gewohnt

Die Bildungsverwaltung sieht durch das Urteil keine unmittelbaren negativen Auswirkungen auf andere Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die sich derzeit in den Studien befinden oder diese erfolgreich abgeschlossen haben. Eine nach den berufsbegleitenden Studien und dem Vorbereitungsdienst abgelegte Staatsprüfung sei gültig, teilte ein Behördensprecher mit.

Ihm zufolge arbeitet die Bildungsverwaltung bereits seit geraumer Zeit an einer Rechtsgrundlage für die berufsbegleitenden Studien von Lehrkräften im Quereinstieg. Diese Rechtsgrundlage werde zeitnah als Teil des ohnehin geplanten Lehrkräfteänderungsgesetzes ins Beteiligungsverfahren gegeben.

Bis es eine Rechtsgrundlage gibt, können nach Auffassung der Bildungsverwaltung die berufsbegleitenden Studien weiter angeboten und diejenigen, die diese erfolgreich absolviert haben, zum Vorbereitungsdienst zugelassen werden. Auch wegen des derzeitigen Lehrkräftemangels würden die laufenden berufsbegleitenden Studien nicht eingestellt, so die Bildungsverwaltung, sondern bis zum Erlass der Rechtsgrundlage aufgrund der bisherigen Regelungen und unter Beachtung des allgemeinen Prüfungsrechts fortgeführt.

CDU attackiert SPD

Die parlamentarischen Reaktionen auf das Urteil des Verwaltungsgerichts fallen unterschiedlich aus. Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Katharina Günther-Wünsch, sieht durch das Urteil Auswirkungen weit über Einzelfälle hinaus, bis hinein in den Schulalltag: "Ohne eine rechtlich anerkannte Ausbildung dürfen Quereinsteiger keine Noten erteilen und keine Prüfungen abnehmen." Bei einer Quereinsteiger-Quote von mittlerweile rund 40 Prozent wäre das eine Katastrophe für die Schulen und die Bildungsqualität in Berlin, argumentiert die CDU-Abgeordnete. Sie wertet daher das Urteil als "weitere Bankrotterklärung" für die SPD-geführte Bildungsverwaltung.

Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Franziska Brychcy, dagegen sieht die Notengebung nicht in Gefahr. Sie betont: "Die Quereinsteigenden haben in den Schulen Mentoren an ihrer Seite." Allerdings könnten auch andere Quereinsteiger, die durch Prüfungen gefallen seien, klagen.

Biologin hatte geklagt - Berufung ist zulässig

Vor dem Verwaltungsgericht geklagt hatte eine Diplombiologin, die Lehrerin an Grundschulen werden will und im Jahr 2013 in das Quereinsteigerprogramm aufgenommen wurde. Als Biologin war sie für das Fach Sachkunde/Naturwissenschaften bereits qualifiziert, es fehlten aber die Fächer Deutsch und Mathematik, die Voraussetzung für alle Grundschullehrer in Berlin sind. In Mathematik bestand die Klägerin die Prüfungen nicht. Mit ihrer Klage wollte sie erreichen, dass sie die berufsbegleitenden Studien fortsetzen kann, um die Prüfung doch noch zu schaffen.

Das Verwaltungsgericht Berlin stellte nun fest, dass dem gesamten Quereinstieg die Grundlage fehlt. Als Konsequenz hob das Verwaltungsgericht zwar den der Klägerin erteilten "negativen Prüfungsbescheid" auf. Denn ohne wirksame Regeln für die Prüfung könne es auch kein wirksames Scheitern in der Prüfung geben. Die Fortsetzung ihres berufsbegleitenden Studiums könne die Biologin aber dennoch nicht beanspruchen. Denn auch dafür fehle die Rechtsgrundlage.

Das Urteil, das bereits am 20. Dezember gesprochen wurde, hat laut Gericht grundsätzliche Bedeutung. Die Richter ließen deshalb eine Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu.

Sendung: rbb24 Abendschau, 17. Januar 2023, 19:30 Uhr

11 Kommentare

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  1. 11.

    An meiner Grundschule (Brandenburg) arbeiten Lehrer als Seiteneinsteiger, die noch nicht einmal ein Abitur geschweige denn einen Studienabschluss vorweisen können. Da regt sich niemand auf, ob sie Noten geben dürfen oder nicht. Klassentür auf, Lehrer rein, Tür zu. Es wird nicht gefragt... es sind halt billige Arbeitskräfte - das nenne ich erbärmlich.

  2. 10.

    Es ist einfach nur erbärmlich und beschämend, wie mit dem einzigen Rohstoff - Bildung - in Deutschland umgegangen wird.

  3. 8.

    Ich kann Ihnen da nur beipflichten. Wenn es diese Frau schafft, s.täglich zu bewähren, denn Biologie zu beherrschen & anzuwenden, ist eben 'was anderes als diese Wissenschaft Kindern & Jugendlichen zu vermitteln & dabei noch den gesamten Komplex Bildung in der Schule(Zusammenarbeit m. Eltern, Ausgestaltung des FU, Förderung der Lernschwachen etc.)offensicht. zur vollst. Zufriedenheit zu bewältigen, dann muss alles getan werden, diese Person sicherzustellen. Oft sind es formale Vorauss., die eben bis leider nachzuholen sind, weil es auf das "richtige Papier" ankommt. Ich mag mir gar vorstellen, welche Enttäuschungen sich bei Kindern/Schülern u. der Betreff. Bahn brechen, nur weil die Regel"wut" nicht hinterherkam. Sie wird ja nicht die Einzigste sein, die erfolgreich arbeitet! Gute Nerven & Gesundheit f. alle.

  4. 7.

    So ist es! Realitätsferne kennen wir ja aber nun von den zuständigen Theoretikern. Einfach nur noch peinlich. Wieso sitzen im Bildungsressort eigentlich keine Fachkräfte? Ich denke, dass das mal ein ganz wichtiger Schritt wäre. Aber das wäre in allen Ressorts angebracht. Stattdessen vetternwirtschaftliche Besetzungen mit Schwätzern und Nichtskönnern.

  5. 6.

    Das Fach Sachkunde gibt es an Berliner Schulen gar nicht.

  6. 5.

    Was macht der Senat? Erneut fehlt die Rechtsgrundlage. Schlafen die in der Senatsverwaltung oder wer handelt an den Gesetzen vorbei? Bekommt Berlin nichts mehr auf die Reihe?

  7. 4.

    Und diese Biologin ist (wenn ich richtig liege) eine verdammt gute Lehrerin, die besonders gut mit Kindern aus sozial-schwachen Verhältnisse kann.
    Unmöglich und beschämend, dass man so jemanden nicht weiter machen lässt!
    Armes Berlin!

  8. 3.

    "Die Quereinsteiger haben Mentoren an ihrer Seite".

    Ich lach mich tot. Bitte in die Schulen kommen und endlich mal über die Realität des Bildungssystem berichten. Nach x Jahren SPD ist das System kaputt.

  9. 2.

    Lehrer kann jeder. Das ist der Ansatz unserer Bildungspolitiker. Das Ergebnis ist zwar katastrophal, aber das ist nicht so wichtig. Hauptsache auf dem Papier können Lehrerstellen besetzt werden und "Unterricht " findet statt. Die Statistik stimmt und alles ist gut. Die Realität spricht jedoch eine ganz andere Sprache. Die interessiert aber bekanntlich weder Bildungspolitik noch Bildungsverwaltung, genau, wie in vielen anderen Bereichen.

  10. 1.

    "Auch wegen des derzeitigen Lehrkräftemangels würden die laufenden berufsbegleitenden Studien nicht eingestellt, so die Bildungsverwaltung, sondern bis zum Erlass der Rechtsgrundlage aufgrund der bisherigen Regelungen und unter Beachtung des allgemeinen Prüfungsrechts fortgeführt." Das "allgemeine Prüfungsrecht" in Zweiten Staatsprüfungen in Berlin wurde bisher auch abseits des Quereinstiegs bisweilen nicht beachtet. So war (oder ist) es möglich, dass es ein Prüfungsergebnis gibt, ohne dass die in der Prüfungsordnung vorgeschriebenen Prüfungsteile überhaupt durchgeführt wurden. Damit hatte das Verwaltungsgericht auch überhaupt kein Problem. Insofern lässt mich die Ankündigung der Senatsverwaltung schmunzeln.

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