Analyse | Wagenknecht-Demo in Berlin - Die Querfront steht
Corona, Flüchtlingspolitik, russischer Angriff auf die Ukraine: Sahra Wagenknecht vereint Menschen zu einer radikalen links-rechts Allianz, die bei großen Themen gegen den Strom schwimmt. Ihr "Aufstand für den Frieden" geht weiter. Von Olaf Sundermeyer
Um es vorwegzuschicken: Dem Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zum "Aufstand für den Frieden" vor das Brandenburger Tor folgten auch viele, die während der Pandemie zu den Corona-Demonstrationen nach Berlin gekommen waren. Die sich als Montags-Spaziergänger im vergangenen, angekündigten "heißen Herbst" in der ostdeutschen Provinz versammelten. Reichsbürger, AfD-Anhänger, das organisierte Jungvolk der in Teilen rechtsextremen Partei, Reichstagsstürmer und Streamer der alternativen Medien.
Ständige Beobachter des Protest-Geschehens, von dem die Republik seit Pegida erfasst ist, trafen dort auf viele bekannte Gesichter. Aber eben nicht nur: Sie waren in der Minderheit. Aber sie waren da.
Antiamerikanismus als Verbindungsklammer
Vor allem aber waren Anhänger der Linken da, aus Berlin und Brandenburg ebenso wie aus anderen Landesverbänden. Dazu zahlreiche Russland- und Putin-Versteher. Und zahlreiche lebensältere, von je her friedenbewegte Menschen aus der westdeutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre. Deren Protest hat sich damals schon zuvorderst gegen den Westen gerichtet, gegen die USA - nicht gegen den kommunistischen Kreml. Heute ist der Antiamerikanismus die Klammer, die sie alle verbindet.
Sie alle fühlten sich eingeladen, weil eben niemand ausgeladen worden war. Dem ehernen Gesetz von Protestbewegungen folgend, die existentiell niemals von außen bedroht sind (Im Gegenteil: Druck von außen macht sie stärker). Sondern immer nur durch mangelnden Zusammenhalt. In diesem Wissen arbeiteten sich dann Wagenknecht und Schwarzer in ihren jeweiligen Redebeiträgen mehr noch an den angeblichen Kampagnen von Politik und Medien gegen sie und ihrem Aufruf, dem "Aufstand für den Frieden", ab, als an den Waffenlieferungen für die Ukraine.
Die Berichterstattung der vergangenen Tage, die enorme mediale Aufmerksamkeit für ihre zur Petition formulierten Gegenposition, für die sie mehr als 600.000 Unterzeichner hinter sich versammeln konnten, sorgten dafür, dass die Demonstration mit laut Polizei 13.000 Teilnehmern ein Erfolg werden konnte.
Regierungskritiker haben politischen Ausdruck gefunden
Dass sie im Kampf um die Deutungshoheit mit der Solidaritätskundgebung für die Ukraine vom Vortrag an selber Stelle zahlenmäßig mehr als mithalten konnten. Dass die beiden Epigonen der politischen Gegenkultur, Wagenknecht und Schwarzer, einen sichtbaren Anlass hatten, von einer "neuen Friedendbewegung" zu sprechen. Dass die veritable Zahl derjenigen, die den Ukraine-Kurs der Bundesregierung nicht teilen und weitere Waffenlieferungen ablehnen, nunmehr zu einem sichtbaren politischen Ausdruck gefunden haben.
Dieser Ausdruck wird bleiben, politisch und medial. Personifiziert durch Sahra Wagenknecht, so viel ist sicher. Sie versammelt diejenigen Menschen hinter sich, die zu den großen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit eine andere Meinung haben als die Mehrheit. Zu Corona, Flüchtlingen, der Rolle Russlands in Europa.
Sendung: rbb24 Abendschau, 25.02.2023, 19:30 Uhr