Fall eines abgeschobenen Pakistaners - Eine Abschiebung und drei Ansichten
Aus Krisenregionen kommen erneut mehr Menschen nach Deutschland. Die Kommunen haben Mühe, sie zu integrieren - und der Ruf nach mehr Abschiebungen wird lauter. Ein Fall aus dem Havelland weckt jedoch Zweifel, ob genau genug hingeschaut wird, wer abgeschoben wird. Von Hanno Christ
Die Arbeitgeberin
Den 15. Februar 2023 wird Christiane Schwobeda wohl so schnell nicht vergessen: An diesem Tag bekommt sie einen Anruf, dass ihr Mitarbeiter Adnan Wahid abgeholt werde. Die Inhaberin eines Falkenseer Hausmeister-Services eilt daraufhin zur Gemeinschaftsunterkunft - und kann dort miterleben, wie in Deutschland Ausländerrecht unmittelbar von der Theorie in die Praxis umgesetzt wird. "Er [ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde, Anm.d.Red.] sagte: 'Es wurde eine Duldung ausgestellt und heute nehme ich sie weg'", erzählt die Unternehmerin.
Der Pakistaner wird abgeführt und zum Flughafen BER gebracht. "Ich war schockiert", sagt Christiane Schwobeda. "So geht man nicht mit Menschen um. Er hatte ja keinem was getan, außer probiert, sich hier ein Leben aufzubauen." Für sie wurde Wahid "aus dem Leben gerissen".
Den behördlichen Akt kann Schwobeda bis heute nicht nachvollziehen. Es gäbe doch ganz andere Leute, denen man vielleicht die Duldung wegnehmen könnte, sagt sie. "Herr Wahid" sei integriert gewesen, zuverlässig, nicht vorbestraft, immer anständig und zuvorkommend. Ein "wertvoller Mitarbeiter" nennt sie ihn - vor allem, weil es für sie schwer ist, überhaupt Angestellte zu finden. Sie hatte ihm den Führerschein finanziert, obwohl er sechs Mal durch die Prüfung fiel. Ohne Führerschein aber hätte er bei ihr kein Firmenfahrzeug fahren können.
Nach seiner Abschiebung muss Schwobeda zunächst Aufträge absagen - wegen Mitarbeitermangels. Ihre Hoffnung heute: "Ich würde mir wünschen, dass die Leute sehen, dass sie einen Fehler gemacht haben und den Herrn Wahid zurückholen.“ Doch bislang sind alle Versuche, etwa ein Arbeitsvisum zu erhalten, ins Leere gelaufen. Die Ausländerbehörde signalisiert keine Bereitschaft, ihre Entscheidung zu überdenken. Im Gegenteil: Auf ein Beschwerdeschreiben an die Ausländerbehörde erhält Schwobeda keine Antwort, telefonisch wird sie schon nicht mehr durchgestellt. Dennoch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Die grüne Arbeitskleidung von Adnan Wahid hat sie gewaschen und zusammengelegt, für den Fall, dass er es wieder zurück nach Deutschland schafft. Wahid hat sie vorerst unbezahlten Urlaub gegeben. Arbeit genug hätte sie für ihn.
Der Abgeschobene
Mit dem 15. Februar – dem Tag seiner Abschiebung - endete für Adnan Wahid ein rund dreijähriger Aufenthalt in Deutschland und gleichzeitig sein Glaube daran, dass man in Deutschland eine Chance bekommt, auch wenn es keine Asylgründe geben mag. "Ich fühlte mich behandelt, als wäre ich ein Krimineller", berichtet Wahid im Video-Interview auf Englisch. Deutsch spricht der 29-Jährige nur bruchstückhaft.
Den Führerschein Klasse-B, den ihm seine Arbeitgeberin in Falkensee finanziert hatte, zeigt Wahid dabei stolz in die Kamera. Es ist eines der wenigen Souvenirs aus Deutschland. Vor drei Jahren ist Wahid aus Pakistan nach Brandenburg gekommen. Er ist Angehöriger der muslimischen Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft. Deren Anhänger werden in Pakistan verfolgt. Wahid stellt einen Antrag auf Asyl, der aber abgelehnt werden wird. Was ihm fortan bleibt, ist ein Status als Geduldeter. Wahid weiß, dass ihm damit jederzeit die Abschiebung droht; einen sogenannten Spurwechsel [tagesschau.de] in einen anderen Status sieht das deutsche Ausländerrecht damals nicht vor.
Zur Zeit seiner Ankunft beginnt die Corona-Pandemie in Deutschland. Das Land ist mit der Bekämpfung der Pandemie beschäftigt, nicht mit der Integration von Zugewanderten. Deutsch zu lernen ist schwierig, viele Sprachkurse finden gar nicht erst statt. Wahid beißt sich durch, heuert im Hausmeister-Service von Christiane Schwobeda an. Zuletzt hat er dort einen unbefristeten Arbeitsvertrag und genug Geld, um davon in Deutschland zu leben. Sein Plan: Endlich aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen, seine Frau aus Pakistan holen und eine Familie gründen.
Doch mit der Abschiebung stellt sich vieles wieder auf Null. Im Gespräch wirkt Wahid freundlich und gelassen, doch der Frust über seine Erfahrung in Deutschland ist deutlich. Integrationsbemühungen würden nicht belohnt, im Vorteil hingegen sei, wer schummele, so seine Auffassung. "Ich habe den Eindruck, dass deutsche Behörden mit zweierlei Maß messen: Zum einen die Leute, die versuchen, korrekt zu leben, und eben solche, die Gesetze brechen. Da gelten offenbar unterschiedliche Standards bei Behörden und Politikern in Deutschland." Er habe sich bemüht, ein redliches Leben zu führen, sich an Recht und Gesetz zu halten und sich zu integrieren. Eine Leistung, die Behörden und Politiker nicht honorieren. Über einen Anwalt in Falkensee hofft er nun, dass er vielleicht doch noch ein Arbeitsvisum für Deutschland bekommen kann.
Die Ausländerbehörde
Die Abschiebung am 15. Februar hätte aus Sicht der Behörden kaum reibungsloser laufen können: Die Mitarbeitenden der Ausländerbehörde des Landkreises Havelland wissen, wo sie Adnan Wahid antreffen können. Er geht zuverlässig einem Arbeitsleben in Deutschland nach, kommt und geht regelmäßig. Die Zeit der Duldung in Deutschland ist aus Sicht der Behörden abgelaufen, seit Februar 2022 sei Wahid vollziehbar ausreisepflichtig, habe also keinen Rechtsweg mehr, in Deutschland zu bleiben. Er ist damit einer von derzeit etwa 4.600 Menschen in Brandenburg, die Deutschland der Rechtslage nach eher heute als morgen verlassen müssten.
Warum die Entscheidung der Abschiebung ausgerechnet Mitte Februar fällt und warum es Adnan Wahid trifft, ist offen. Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt erneut Ziel für viele Geflüchtete aus Konflikt- und Krisenregionen. Die Länder, Städte- und Gemeinden, sehen sich am Limit ihrer Integrationsmöglichkeiten. Es gebe zu wenig Wohnungen, Plätze in Heimen, Schulen und Kitas, heißt es aus den Kommunen. Auch deshalb werden Rufe nach konsequenteren Abschiebungen lauter.
Allerdings können viele Menschen nicht abgeschoben werden, weil für Länder wie Irak, Syrien, die Russische Föderation oder Afghanistan de facto ein Abschiebestopp gilt. Nicht so für Pakistan: Wenige Stunden nachdem Behörden-Mitarbeitende Adnan Wahid aufgesucht haben, ist er wieder in Pakistan.
Auf Anfrage teilt die Ausländerbehörde des Landkreises Havelland dem rbb mit, die materielle Prüfung habe "keine Bleibeoption" für ihn ergeben. Die Tatsache, dass er in einem Beschäftigungsverhältnis steht, vermittele nach den gesetzlichen Bestimmungen kein Aufenthaltsrecht. Auch die Härtefallkommission wurde nicht eingeschaltet.
Die Integrationsbeauftragte des Landes, Doris Lemmermeier kritisiert, dass die Behörden ihren Ermessenspielraum nicht genutzt hätten, um etwa Duldungen zu verlängern. Lemmermeier fordert: "Der Stand der Integration eines Menschen hier im Land Brandenburg muss eine Rolle spielen bei der Entscheidung zur Abschiebung." Dabei sei es gleich, aus welchem Land jemand komme. "Wenn er aus Pakistan kommt und hier arbeitet und gut integriert ist, wenn er aus Nigeria kommt und hier einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat, dann: Wunderbar! Danke! Überall wird nach Menschen gesucht."
Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht will die Bundesregierung auch Menschen eine Möglichkeit bieten, die hier jahrelang einen ungesicherten Bleibestatus hatten. Wenn sie sich gut integrieren, können Geduldete länger in Deutschland bleiben - dafür aber müssen sie mindestens fünf Jahre hier geduldet sein. Ein Raster, durch das Menschen wie Adnan Wahid durchfallen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 02.04.2023, 19.30 Uhr
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