Überlegung von Bundesjustizministerium - Fahrerflucht bei Unfall ohne Personenschaden nur noch Ordnungswidrigkeit?

Mi 26.04.23 | 17:14 Uhr
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Unfallfahrzeug auf einem Abschleppfahrzeug des ADAC (Quelle: dpa/Winfried Rothermel)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.04.2023 | Eva Huber | Bild: dpa/Winfried Rothermel

Mit großem Reformeifer durchkämmt Justizminister Marco Buschmann derzeit das Strafgesetzbuch. Der FDP-Politiker erwägt, Unfallflucht - sofern niemand verletzt wurde - zu entkriminalisieren. Entschieden ist aber noch nichts.

Wer sich frühzeitig von einer Unfallstelle entfernt, begeht nach geltendem Recht eine Straftat - auch wenn nur ein Bagatellschaden entstanden ist. Gemäß Paragraf 142 des Strafgesetzbuchs muss eine "angemessene Zeit" gewartet werden. Da hilft auch ein Zettel mit der eigenen Handynummer unter dem Scheibenwischer des Unfallgegners nichts.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) überlegt, dies in eine Ordnungswidrigkeit umzuwandeln - allerdings nur, wenn keine Menschen zu Schaden gekommen sind.

In einem Brief, den eine Mitarbeiterin seines Ministeriums nach Ostern an Verbände und die Justizministerien der Länder verschickt hat, wird im Zusammenhang mit dem Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort die Frage aufgeworfen, "ob der Gesetzgeber es immer noch für angemessen hält, dass ein Kriminalstrafverfahren bei Vorgängen mit reinen und unbeabsichtigten Sachschäden einzuleiten ist". Oder ob Fälle, bei denen kein Mensch zu Schaden gekommen ist, womöglich in Zukunft herabgestuft und damit entkriminalisiert werden sollten.

Konsequenzen würden deutlich milder ausfallen

Die Konsequenzen für Autofahrerinnen und Autofahrer würden dadurch deutlich milder ausfallen: Gemäß Paragraf 142 des Strafgesetzbuchs [gesetze-im-internet.de] kann das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Dieses Extrem tritt aber nur selten ein. Realistischer sind Geldstrafen. Die Staatsanwaltschaft kann auch die Entziehung des Führerscheins beantragen. Ordnungswidrigkeiten enden dagegen glimpflicher - meist mit einer deutlich geringeren Geldstrafe, gelegentlich auch mit einem Fahrverbot, aber selten länger als drei Monate.

Anstatt am Unfallort eine "angemessene Zeit" zu warten, bringt das Bundesjustizministerium als Alternative die Einrichtung einer Meldepflicht und Meldestelle ins Spiel. "Denkbar wäre etwa eine Meldung über eine standardisierte Online-Maske, gegebenenfalls auch mit hochzuladenden Bildern vom Unfallort und Schaden", heißt es in dem Schreiben des Ministeriums.

Überlegungen noch in frühem Stadium

Eine Entscheidung, ob und wie eine mögliche Anpassung des Unfallflucht-Paragraf erfolge, sei noch nicht getroffen worden, erklärte die Sprecherin des Ministeriums weiter. Ziel des Schreibens aus dem Bundesjustizministerium ist es offensichtlich, mit Experten und Verantwortlichen zu möglichen Reformvorschlägen frühzeitig ins Gespräch zu kommen. Die Angeschriebenen wurden bis zum 23. Mai um Stellungnahme gebeten. Die Überlegungen seien aber noch in einem frühen Stadium, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Es sei wichtig, auch Argumente relevanter Verbände in die Erwägungen mit einzubeziehen, hieß es weiter.

Der ADAC hat die Pläne begrüßt: "Jemand, der beim Einparken ein anderes Auto beschädigt, keine angemessene Zeit wartet, sondern nur seine Daten hinterlässt und dann den Unfallort verlässt, wird als Straftäter eingestuft - das geht für uns an der Realität vorbei", sagte Claudia Löffler vom ADAC Berlin-Brandenburg dem rbb auf Nachfrage. Sie kritisierte auch, dass die Formulierung im Gesetz aktuell "schwammig" sei. Es gebe keine Einstufung, was eine "angemessene Wartezeit" sei.

Unfallflucht bloß ein Kavaliersdelikt?

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich derweil kritisch geäußert. "Ich sehe die Gefahr, dass nun der Eindruck erweckt wird, die Unfallflucht sei bloß ein Kavaliersdelikt", sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens dem Redaktionsnetzwerk Deutschland [rnd.de]. Die Auswirkungen für Geschädigte könnten gravierend sein - "gerade für Autobesitzer ohne Vollkaskoversicherung".

Die Überlegungen von Buschmann stoßen auch bei Vertretern der Justiz auf Skepsis: "Aus Sicht der Justizpraxis besteht kein Anlass, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in Fällen ohne Personenschaden zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen", urteilt der Deutsche Richterbund (DRB). Die Strafvorschrift habe sich bewährt und biete den Gerichten ausreichend Spielräume, um Rechtsverstöße jeweils tat- und schuldangemessen zu bestrafen, meint DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.

Den Versicherern ist es vor allem wichtig, die Möglichkeiten der Beweissicherung nicht einzuschränken. Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) warnte davor, durch eine Neuregelung Möglichkeiten der Beweissicherung einzuschränken. Das gelte beispielsweise für die Frage, ob Alkohol oder Drogen mit im Spiel waren, erklärte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Fahrerflucht dürfe "nicht dazu führen, dass Unfallopfer auf ihren Sachschäden sitzen bleiben".

Vorrangig Unfälle mit Sachschaden

Die Zahlen unterstreichen, dass es in der Region vorrangig Verkehrsunfälle mit Sachschaden gibt: In Brandenburg gab es im Jahr 2022 insgesamt 71.396 Unfälle - der Verursacher bzw. die Verursacherin flüchtete in 16.054 Fällen. Das teilte die Polizei dem rbb auf Nachfrage mit. Demnach kam es in 15.162 dieser Fälle lediglich zu Sachschäden. 892 Mal seien auch Personen verletzt oder gar getötet worden.

Laut Unfallstatistik der Berliner Polizei [berlin.de] gab es auf den Straßen der Hauptstadt im Vorjahr 130.160 Unfälle - 116.263 davon mit Sach- und 13.897 mit Personenschaden. In insgesamt 32.061 Fällen flüchtete der Verursacher bzw. die Verursacherin. Genauer wurden die Fluchtzahlen in der Berliner Statistik nicht untergliedert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2023, 16:30 Uhr

37 Kommentare

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  1. 37.

    Zum Autofahren wird auch niemand gezwungen oder? Aber typisch FDP, Schwarzfahrer kriminalisieren, Unfallfahrer mit einer OrWi davonkommen lassen.

  2. 36.

    EINFACH NUR UNMÖGLICH !!! Mehr fällt mir dazu nicht ein.

  3. 35.

    Bei solchen Kommentaren frage ich mich immer was größer ist, die Arroganz oder der Realitätsverlust.

  4. 34.

    Also wer unter Drogen-Alkohol zum Beispiel einen Unfall baut ,Blechschaden , Fahrerflucht, nennen sie Entkriminalisierung.
    Wat sind sie denn für ein Typ.

  5. 32.

    Ich persönlich habe aufgegeben kleine Beulen,von anderen verursacht,meiner Versicherung zu melden.Anzige bringt auch nichts.Also entweder auf einen grossen Bums warten.Die kleinen Beulen mindern aber den Wert des Autos, schützen aber vor Diebstahl.An meinem Auto gibt es keinen Rost ,aber jede Menge Dellen und Macken ,nur keine ist von mir.

  6. 31.

    "Dann hat ja keiner mehr rinen Grund zu warten oder den Schaden zu melden, da man keine Angst mehr vor Strafverfolgung haben muss." Ich finde, SOLCHE Gründe braucht es nicht; als erwachsener Mensch steht man für seine Fehler grade, dazu ist man versichert. Letzten Endes ist es eine Rechenaufgabe, ob man den Schaden über die Versicherung laufen lässt oder weniger finanzielle Nachteile hat, wenn man ihn selbst bezahlt.

  7. 30.

    "Eine Beule im Blech schadet doch keinem etwas und die Reparaturrechnung wird unverschämt hoch ausfallen. Nach der 1. Beule tut die 2. Beule nicht mehr weh. Kann ja jeder eine Voll-Kasko abschließen. Das ist aber nur meine Meinung. "
    Dieser Kommentar sagt sehr viel über Sie aus. Wie oft sind Sie schon abgehauen?
    Im übrigen kann nicht jeder eine Vollkasko abschließen. Meinen 20 Jahre alter BMW kann ich nicht mehr Vollkasko versichern. Bitte vor dem Kommentieren nachdenken.

  8. 29.

    Diese Idee erscheint mir typisch: Wird man einer Kategorie Straftaten nichtmehr Herr, schafft man den Straftatbestand einfach ab (Schwarzfahren, Drogenkonsum z.B.)
    Wenn wir in einer ehrlichen und rücksichtsvollen Gesellschaft leben würden, wäre diese Idee in Ordnung. Aber leider gibt es schon zu viele Möglichkeiten, Egoismus und Respektlosigkeit auszuleben.

  9. 28.

    Oh, mal wieder die Legende der zum Schwarzfahren Gezwungenen. Niemand ist zum Schwarzfahren gezwungen. Wer keine finanziellen Mittel hat, bekommt das Sozialticket. Wer selbst das nicht erhält, ist auch nicht auf die Nutzung des ÖPNV angewiesen sondern tut das freiwillig, um irgendwo hinzukommen. Niemand sitzt im Knast, weil er keine andere Wahl hatte und auch nicht wegen einmaligen Schwarzfahrens. Das sind Wiederholungstäter.

  10. 27.

    Dann hat ja keiner mehr rinen Grund zu warten oder den Schaden zu melden, da man keine Angst mehr vor Strafverfolgung haben muss. So kann man schön seinen Schadensfreiheirsrabatt behalten und wird noch nicht mal bestraft. Somit bleibt es weiterhin Volkssport Nr. 1 im Straßenverkehr. Es sei denn man gleicht die Strafen im Ordnungswidrigkeiten Verfahren drastisch an. 4 oder 5stellige Bußgelder.

  11. 26.

    Bin ich bei Ihnen. Die Anwendung der jetzigen strafrechtlichen Regelung ist lediglich zu scharf, aber kein Grund, sie deswegen zu beseitigen. Wenn sich der Verursacher zu erkennen gibt, sollte eine strafrechtliche Verfolögung einfach eingestellt werden. Dies liegt ohnehin schon im Ermessen der Staatsanwaltschaften, wird aber sehr unterschiedlich ausgelegt. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, mitten in der Nacht auf jemanden warten zu müssen, der mit Sicherheit nicht erscheinen wird. Das mag tagsüber auf einem Supermarktparkplatz noch Sinn ergeben, in anderen Situationen dagegen nicht. Dann muss auch eine nachträgliche vollständig Selbstanzeige entlastend sein können. Ein Schaden entsteht dem Geschädigten ja auch erst, wenn dieser auf dem Schaden sitzen bleibt. Eine entsprechende Anpassung im Straftatbestand wäre daher ausreichend, eine Herabstufung ist dagegen genau das falsche Signal.

  12. 25.

    Hauptsache beim Schwarzfahren zeigt sich der Minister gnadenlos. Und so sitzen die Ärmsten von uns deswegen im Knast. Es sind größtenteils Menschen die sind noch nicht einmal dieses Fahrgeld zum Preis von 1,5 Liter Benzin leisten können.

  13. 24.

    Schön. Dann muss man ja auch nicht mit großen Konsequenzen rechnen, wenn man mit dem Fahrrad zu nahe an einem Falschparker vorbei muss und aus Versehen das Auto zerkratzt. Bzw. mit gar keinen Konsequenzen, solange man nicht direkt erwischt wird. Danke FDP, das ist eine völlig neue Version der Freiheit

  14. 23.

    "Anstatt am Unfallort eine "angemessene Zeit" zu warten...." was ist denn "angemessen"?? Mir ist das um 21 Uhr passiert, wie lange sollte ich warten? Zum Glück haben sich die Besitzer auf meine Nachricht am Auto gemeldet und wir konnten die Angelegenheit wie erwachsene Menschen klären.
    Meinem Auto wurde ein Schaden von 700€ zugefügt, ohne Nachricht und da ich ihn erst Tage später entdeckt habe, hatte mir auch keine Polizei helfen können.

  15. 22.

    Gerade in Großstädten gibt es viel "Versicherungsbetrug" durch die "Unfallbumser", die bewußt Unfälle und hohe Sachschäden verursachen, um die gegnerische Haftpflicht ordentlich abzukassieren. Und was ist mit den Unfällen unter Alkohol- und Drogeneinfluß. Diese "Entkriminalisierung" wird jede Menge an neuen Problemen bringen.

  16. 21.

    Wenn es nach den Polizeigewerkschaften ginge, hätten wir noch immer einen Polizeistaat wie im deutschen Kaiserreich. Die Hauptsorge dieser Herrschaften scheint zu sein, dass ihrer Klientel die Arbeit ausgeht, worunter offenbar in allererster Linie des Produzieren von Schriftstücken verstanden wird.

  17. 20.

    Die Entkriminalisierung entlastet die Justiz. Damit nicht noch öfter angehauen wird, müßte die Ordnungswidrigkeit aber dann so richtig im Geldbeutel weh tun. Tagessätze wären sinnvoll.

  18. 19.

    Wieder ein falscher Denkansatz. Wer nicht warten muss wird auch nicht warten Wird zu mehr Anzeigen führen wegen Fahrerflucht und zu mehr Gerichtsverfahren weil sich die Parteien streiten ob es eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat war.

    Nur mal so zur BZ Nachricht in der U- Bahn. Autofahrer fahren über den Grünstreifen um Klimablockade zu umfahren

    Wurde von der BZ geil gefunden , kreativ nennen die das
    Ich sage das war ein Verkehrsdelikt das genauso bestraft werden müsste wie die Blockade selbst.

    Unrechtsbewusstsein fehlt!

    Wird genauso sein wrnn Fahrerflucht teilweise nur noch als Ordnungswidrigkeit geander wird.

  19. 18.

    >"Kann ja jeder eine Voll-Kasko abschließen."
    Ja schon, aber:
    1. Ist da meist eine Selbstbeteiligung
    2. Werden mit häufigerer Inanspruchnahme da auch die Beiträge teurer
    Warum ich dies bei fremdverschuldeten Schaden immer selber tragen soll, ist wenig plausibel.

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