Linken-Politiker veranstalten konkurrierende Ostermärsche - Zerstrittene Friedensfreunde in Brandenburg
Alle sind sie für den Frieden - aber auf eine gemeinsame Kundgebung einigen können sich Linke im Land Brandenburg nicht. Die Ostermärsche veranschaulichen, wie uneins die Partei beim Thema Russland und Ukraine ist. Von Lisa Steger
Wer am Karsamstag im Land Brandenburg mit Linken-Politikern für den Frieden demonstrieren will, hat die Wahl: In Brandenburg an der Havel gehen ab 10 Uhr die Anhänger des "Bündnisses für den Frieden" auf die Straße. Redner ist der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko, der als Vertrauter Sahra Wagenknechts gilt.
Der Linken-Kreisvorstand Potsdam-Mittelmark ruft nicht zu dieser Demo auf. Stattdessen will er zusammen mit dem Linken-Landesvorstand für einen anderen Ostermarsch mobilisieren: Der beginnt um 14 Uhr am Brandenburger Tor in Potsdam. Hauptredner ist Sebastian Walter, Fraktions- und Landeschef der Brandenburger Linken.
Man könnte auch nacheinander an beiden Demonstrationen teilnehmen. Doch das werden vermutlich wenige tun – denn die Organisatoren sind zerstritten. Es geht um den Krieg in der Ukraine.
Fragwürdige Freunde
"Für Frieden und weltweite Abrüstung" lautet das Motto der Bündnis-Demonstration in Brandenburg an der Havel. Die Gruppierung ist aus der von Sahra Wagenknecht angeführten Sammlungsbewegung "Aufstehen" entstanden, sagt Bündnis-Sprecher Dominik Mikhalkevich, 24 Jahre alt, Politik- und Wirtschaftsstudent sowie Mitarbeiter Andrej Hunkos.
"Wir sind gegen einen russischen Diktatfrieden, wir sind für einen Verhandlungsfrieden", sagt Mikhalkevich im rbb-Interview, stellt aber fest: "Es wird auf schmerzhafte Kompromisse hinauslaufen für beide Seiten", also auch für die Ukraine. Genauer führt er das nicht aus.
"Die Alternative ist aber ein jahrelanger Krieg mit einer möglichen atomaren Eskalation", ist der Student überzeugt. Das Bündnis fordere: "Erstmal Waffenstillstand, dann sollen sich alle an einen Tisch setzen."
Existenzangst als Motiv
Im Herbst rief die Gruppe mehrfach zu Demonstrationen auf, die sich gegen den Krieg wandten, aber auch gegen Inflation und soziale Härten. Rund tausend Menschen kamen etwa zu einer Kundgebung im Oktober. Der rbb berichtete. Viele Demonstranten äußerten ihre Angst, Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können, ihre Arbeit zu verlieren.
"Die Regierung ist gefordert, einen für alle Bevölkerungsschichten bezahlbaren Lebensstandard wiederherzustellen", so Demo-Anmelder Bernd Lachmann, langjähriges Mitglied im Kreisvorstand Potsdam-Mittelmark – unter anderem saß er für die Partei im Kreistag. Er forderte in seiner Rede im Oktober unter anderem einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine.
Vor allem bei der ersten Demo im September liefen auch einige Rechtsextreme mit, räumt Bündnis-Sprecher Mikhalkevich ein. "Sie waren eine klare Minderheit", sagt der Student, "wir haben nachgefragt, wie es rechtlich ist, und wir können diese Leute nicht ausschließen, man kann nichts machen." Bei der Demonstration am Karsamstag seien aber National- und Parteifahnen sind nicht erwünscht.
Linke könnte sich spalten
Demo-Redner Andrej Hunko, dem Mikhalkevich im Bundestag zuarbeitet, ist auch in der Linken umstritten. Der Bundestagsabgeordnete aus Aachen hielt dort im Mai und Juni 2020 zwei Reden auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, zog sich dabei den Unmut der Parteispitze zu.
Im Februar 2022 unterzeichnete Hunko gemeinsam mit sechs anderen Linken-Politikern, unter ihnen Sahra Wagenknecht, eine Resolution, die den USA eine "maßgebliche Mitverantwortung" für den Krieg in der Ukraine zuweist. Die Verfasser verurteilten zwar den Angriff Russlands auf die Ukraine als völkerrechtswidrig, erwähnen die Opfer aber mit keinem Wort, was ihnen auch Gregor Gysi, ehemaliger Chef der Linken-Bundestagsfraktion, vorhielt.
Hunko ist innerhalb der Linken dem Sahra Wagenknecht-Lager zuzurechnen. Die Bundestagsabgeordnete will bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für die Linke antreten, liebäugelt sogar damit, eine eigene Partei zu gründen. "Ich hoffe, dass die Spaltung verhindert werden kann", erklärt Mikhalkevich dazu. "Aber Deutschland braucht eine Friedenspartei und wenn die Linke diese Rolle nicht mehr spielen kann, muss es eine neue Partei geben", ist der 24-Jährige sicher.
Zwei linke Parteien – das allerdings könnte bedeuten, dass es keine von ihnen in den Bundestag schafft. In diesem Fall hätte eine "Liste Wagenknecht" sogar bessere Chancen als die Linke, zeigt sich der Student überzeugt.
Landesverband gibt sich gelassen
Sebastian Walter, Chef der Linken-Fraktion und des Landesverbandes, sieht keine Gefahr einer Spaltung. "Die Friedensdebatte läuft zurzeit in allen Parteien", sagt er im rbb-Interview. "Wir sind und bleiben die Friedenspartei in Deutschland."
Auch eine mögliche Parteigründung durch Wagenknecht werde für die Linke nicht gefährlich sein, glaubt er. "Sie kann alles tun. Aber wer offen über eine Parteigründung spricht, muss sich auch entscheiden", so Walter. "Sie sollte sich nicht auf Kosten ihrer Partei engagieren."
Was die Forderungen angeht, so liegen beide Gruppen – der Linken-Landesverband und das Bündnis – auseinander. In dem Aufruf zum Ostermarsch in Potsdam ist, anders als beim Bündnis, nicht von Kompromissen seitens der Ukraine die Rede. Die Demo-Veranstalter in Potsdam fordern Russland auf, alle Truppen aus der Ukraine abzuziehen und sprechen sich auch für Russland-Sanktionen aus, sofern sie "zielgenau" den "militärisch-industriellen Komplex Russlands und die Vermögen der russischen Oligarchie" treffen.
Und: Auch der Brandenburger Landesverband der Linken ist für Verhandlungen, und zwar "unter Hinzuziehung der EU, Indiens, Chinas und Brasiliens", wie es heißt. Walter hält das auch für realistisch. "Es sollte nicht jeder, der über Frieden spricht, in die Putinversteher-Ecke geschoben oder als Lumpenpazifist bezeichnet werden", so der Fraktionschef.
Ungewisse Perspektiven
Klar scheint jedoch: Eine Spaltung könnte die Linke vor allem in Brandenburg existentiell gefährden. Bei der letzten Landtagswahl erhielt die Partei nur noch 10,7 Prozent, ein Minus von 7,9 Punkten.
Viel hat sich seither nicht geändert für die Linke in Brandenburg: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "INSA" für den "Nordkurier" gaben zwischen dem 27. März und dem 4. April zehn Prozent der Befragten an, sie wählen zu wollen.
Nach einer Spaltung könnte die Fünfprozenthürde gefährlich naherücken. Wie viele Brandenburger Linken-Anhänger eine mögliche neue Wagenknecht-Partei wählen würden, dazu gibt es bisher keine Erkenntnisse.
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