Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg - 30 Jahre bündnisgrüne Landespolitik

Mo 19.06.23 | 19:51 Uhr | Von Stephanie Teistler
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Archivbild: Mit großer Mehrheit stimmen am 15. Mai 1992 in Berlin die Delegierten der dreitägigen Bundesversammlung der Grünen für den Zusammenschluß mit der ostdeutschen Bürgerrechtspartei Bündnis 90, die für das kommende Jahr geplant ist. (Quelle: dpa/B. Settnik)
Video: rbb|24 Brandenburg aktuell | 19.06.2023 | Nachrichten | Bild: dpa/B. Settnik

Die Bündnisgrünen in Brandenburg feiern Perlenhochzeit: Am 19. Juni 1993 hatten sich Bündnis 90 und Die Grünen vereinigt. Danach verschwand die Partei für Jahre in der Versenkung. Heute regiert sie mit. Und weiter? Von Stephanie Teistler

Am Anfang der Brandenburger Bündnisgrünen stand eine Spaltung. Denn die Fusion der Bürgerrechtspartei Bündnis 90 und der Westdeutschen Öko-Partei Die Grünen war hier keine Liebesheirat – ob sie überhaupt stattfinden würde, war lange hart umkämpft.

Dabei ließen sich das Bürgerrechtler-Bündnis des Ostens und die Umweltpartei des Westens deutlich mehr Zeit als die anderen politischen Parteien. SPD, CDU oder Liberale waren 1993 schon längst ost-west-fusioniert.

Skepsis vor einer alternativen Partei

Zwei der prominentesten Bündnis-90-Politiker, der DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke und der damalige Umweltminister Matthias Platzeck, stellten sich ab 1992 offen gegen die Vereinigung der Bürgerrechtspartei mit den Grünen. Nooke war der Meinung, Bündnis 90 habe sich bei den Verhandlungen mit den Grünen über den Tisch ziehen lassen. Ostdeutsche Interessen würden unter die Räder geraten, so eine der Befürchtungen.

Außerdem war einem Teil der Partei das linke Image der West-Grünen suspekt. Platzeck sagte damals, er könne nicht ertragen, wenn kirchlich gebundene oder heimatverbundene Wähler sich abwenden würden, weil man ihr Schicksal in die Hände einer links-alternativen Partei lege.

Alternative: Bedeutungslosigkeit?

Die andere Seite bei Bündnis 90 befürchtete hingegen die politische Bedeutungslosigkeit als Regionalpartei. Ohne den alten Gegner DDR hatte Bündnis 90 bereits an Strahlkraft verloren, im Westen waren sie nie angekommen. Ohne die Hilfe der Grünen, so hieß es, werde man nicht die Kraft haben, die 5-Prozent-Hürde zur nächsten Bundestagswahl 1994 zu überspringen.

Die DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, die bis 1992 für Bündnis 90 Brandenburger Bildungsministerin und später erste Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen war, warb deshalb für die Fusion. Themen wie zu hohe Mieten oder fehlende Arbeitsplätze könnten nicht in Brandenburg, sondern müssten bundespolitisch gelöst werden.

Am Ende setzte sich ihre Position durch: Fünf Tage nach der Fusion zu Bündnis 90/Die Grünen auf Bundesebene folgte die Brandenburger Vereinigung in Cottbus – mit großer Mehrheit beschlossen. Allerdings gelang auch das nicht ohne Verwerfungen: Rund 100 Mitglieder verließen die neue Partei, etwa 500 blieben. Auch Nooke und Platzeck traten aus, machten als neue Vereinigung "BürgerBündnis" aber weiter Regierungsarbeit in Potsdam.

Parlament zunächst ohne Bündnisgrüne

Die Wahlen von 1994 schienen dann beiden Fraktionen Recht zu geben: In den Bundestag zogen die Bündnisgrünen mit mehr als sieben Prozent ein, mehr als beide Parteien zusammen vier Jahre zuvor erreicht hatten. Im Brandenburger Landtag hingegen schafften es die fusionierten Grünen mit gerade einmal 2,9 Prozent der Wählerstimmen nicht. Die politische Bedeutungslosigkeit, die im Bund befürchtet wurde, wurde nun für den Brandenburger Ableger der Partei zur Wirklichkeit.

Der Tiefststand an Wählerzuspruch folgte zur Landtagswahl 1999 mit gerade noch 1,9 Prozent der Stimmen. Die Brandenburger Grünen konnten nicht davon profitieren, dass ihre Bundespartei seit 1998 in der ersten rot-grünen Koalition in Regierungsverantwortung war.

Friedenspartei im Krieg

Im Gegenteil: Die mehrheitliche Zustimmung der Grünen im Bund zum Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg brachte die nächste Zerreißprobe. Auf einem Bundesparteitag forderten die Brandenburger den Stopp der Nato-Luftangriffe. Der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer argumentierte dagegen: Man habe es auf dem Weg der Diplomatie versucht – vergebens gegen Slobodan Milošević. Wieder gab es Parteiaustritte in Brandenburg.

Mehr Ökolandwirtschaft, Windenergieausbau und immer wieder Kohleausstieg: Diese Themen prägten die Grünen-Agenda in den folgenden Jahren. Aus der Senke der politischen Bedeutungslosigkeit schafften sie es erst 2009, mit 5,7 Prozent der Stimmen wurden sie in den Landtag gewählt. In dem Jahr wurde auch Annalena Baerbock Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen. Für die heutige Bundesaußenministerin waren die vier Jahre an der Spitze des Brandenburger Landesverbands das Sprungbrett in den Bundestag.

Von der Oppositions- zur Regierungspartei

Über zwei Legislaturperioden waren die Bündnisgrünen Brandenburgs kleinste Oppositionspartei im Landtag, hatten dennoch Einfluss auf die rot-rote Landesregierung – etwa, so die damalige Fraktionsvorsitzende Ursula Nonnemacher, wenn SPD und Linke einen Antrag gegen Plastikmüll verabschiedeten und so Grünen-Themen aufgriffen. Auch bei den Themen braune Spree, Windenergie und ÖPNV setzten die Bündnisgrünen ihren Stempel. Mit ihren Stimmen wurde 2013 eine Antirassismus-Klausel in der Landesverfassung verankert. Vom Parité-Gesetz, das mehr Frauen den Weg ins Landesparlament ebnen sollte und das damals als größter Grünen-Erfolg gefeiert wurde, ist hingegen nichts übriggeblieben. Das Gesetz wurde vom Landesverfassungsgericht kassiert.

Seit 2019 regieren Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg nun gemeinsam mit SPD und CDU. Damals erreichten sie mit 10,8 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Landesgeschichte. Nicht zuletzt profitierten sie davon, dass Klimathemen in zwei aufeinanderfolgenden Rekord-Waldbrandjahren Konjunktur hatten. Grüne besetzen die Ministerien für Gesundheit und Soziales und für Landwirtschaft und Klimaschutz.

Aktuelle Herausforderungen

In der Kenia-Koalition haben die Grünen heute noch einige Vorhaben auf ihrer Liste – sie pochen auf einen verbindlichen Klimaplan, wollen die Verkehrswende hin zu Bus und Bahn vorantreiben. Auch ein Moorschutz-Programm, ein Wald- und ein Agrarstrukturgesetz stehen noch auf der Agenda.

Währenddessen beginnt im Land bereits der Wahlkampf mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst 2024. Dabei werden die Grünen beweisen müssen, dass sie sich in der Koalition neben SPD und CDU mit ihren Themen haben durchsetzen können. Hinzu kommt: Auch heute sind die Landesgrünen nicht ohne Verwerfungen. Gerade erst hat sich für die Partei die Aufregung um den intransparenten Rauswurf ihrer Landesvorsitzenden Julia Schmidt gelegt. Umfragen sehen die Partei derzeit nur mit leichtem Verlust gegenüber 2019. Doch auch das haben sie in 30 Jahren Landesparteigeschichte gelernt: Schon oft sind für sie Umfragen besser ausgefallen als ihre tatsächlichen Wahlergebnisse.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 19.06.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Stephanie Teistler

33 Kommentare

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  1. 33.

    Die brandenburgischen Bündnisgrünen dürften mittlerweile genauso heterogen sein wie die Bundes-Bündnisgrünen: Der eine Teil der ökologisch Bodenständigen, welche vglw. konsumkritisch daherkommen und wirtschaftskritisch eingestellt sind, der andere, m. E. tatsächlich ständig größer werdende Teil, der einen ausgesprägten, das Ego schmeichelnden Konsumismus in grün gefärbter Version bevorzugt.

  2. 31.

    Wenn neben den Grünen auch die Linke aus dem Landtag verschwinden soll, scheinen Sie von politischer Vielfalt im Parlament nicht sonderlich begeistert zu sein.

  3. 30.

    "Aber auf jeden Fall würde es das Land enorm voranbringen, wenn die offen rassistische und faschistische blaubraune Truppe auf unter 5% reduziert wird."
    In welcher Hinsicht, wo hat die AFD Entscheidungen zu Ungunsten des Landes gefällt? Sie war weder bei Corona, der Energiekrise oder dem Gebäudeenergiegesetz in Regierungsverantwortung. All dies haben SPD/CDU/Grüne zu verantworten. Warum fallen denn zZt. die % der Grünen bei jeder Umfrage?

  4. 29.

    Einfach mal zum nachdenken! Wenn die AFD sich von den bekannten Personen die einen nationalsozialistischen Staat haben wollen, sich glaubhaft trennen würden, dann würde es in unserer Parteien Landschaft ganz anders aussehen. Im Moment ist es wie beim Wäsche waschen, irgendjemand hat alles zusammen in einer Wäschetrommel gepackt, rot,grün gelb schwarz, und blaue Socken und nun ist alles verfärbt.
    Also entweder entfärben, oder neu anschaffen, ich bin für neu anschaffen! Wunschtraum??




  5. 27.

    Ich sehe den Waldumbau nicht. Weiterhin wird mit Lärchen und Douglasien in Monokultur aufgeforstet. Die Landwirtschaft wird immer extremer und zerstört mit riesigen Maisfeldern für ach so nachhaltige Biogasanlagen die Böden und Artenvielfalt. Dazu wurden allein in meiner näheren Umgebung viele Quadratkilometer wertvoller Trockenwiesen zusätzlich umgeackert. Ich vermute allerdings, dass die Grünen gar nicht mehr wissen, was Ökologie und Umweltschutz bedeuten. Das ist ein Ergebnis der Umgestaltung des Bildungssystems derer Eltern und Großeltern.

  6. 26.

    Ich war viele Jahre Wähler der Grünen und wäre über das Neue Forum bzw. Bündnis 90 beinahe Mitglied dieser Partei geworden. Vielleicht habe ich einige meiner Einstellungen in der letzten 25 Jahren geändert, aber ich sehe die gravierenden Änderungen bei den Grünen. Die erste Beteiligung Deutschlands unter Regierungsbeteiligung der Grünen an einem Krieg war der Auslöser für meine Abwendung. Heute bin ich mir sicher, dass das gut und richtig war, denn die Grünen haben längst ihre Wurzeln verloren und all ihre Werte achtlos über den Haufen geworfen. In Brandenburg wurde selbst das Volksbegehren zum Insektenschutz von den Grünen ignoriert und am Ende bewusst zerredet. In Bayern wurde es sofort von einer konservativen Regierung in Gesetzen umgesetzt. Für mich bleibt nur die Frage, ob diese Generation der Grünen einfach nur noch Macht und Einfluss um jeden Preis haben will oder ob die Akteure zu großen Teilen unter Bildungsmangel leiden, ohne es zu realisieren. Vielleicht beides.

  7. 25.

    Übrigens, das beflügelte Wort "Wenn es Deutschland schlecht geht, ist das gut für uns", geistert bei allen Extremisten, auch heute;
    und die Geschichte spricht davon "Bände".

  8. 24.

    Wenn man jetzt noch die aktuellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Baerbocks Visa-Affare dazunimnt, dann ergibt sich für die Grünen in Brandenburg ein noch tristeres Bild. Wenn das Recht gebeugt wird, um die parteiziele durchzusetzen, dann wird es für die Partei schwierig.

  9. 23.

    Hat sich die Situation in den letzten 30 Jahren in Berlin verbessert?
    Wenn man sich die Infrastruktur ansieht, den ÖPNV, Ämter, den baulichen Zustand der Schulen u.v.m., bin ich zumindest unsicher. Vermutlich gab es eine langsame und stetige Verschlechterung.
    Für die am Senat beteiligten Parteien aus meiner Sicht nur wenig Grund für Stolz....

  10. 22.

    Man hat sich selbst entzaubert und tendiert dorthin wogegen man mal kämpfte. Das Vertrauen der leichtgläubigen Bürger ist vorbei

  11. 21.

    Wossi:
    "Es geht um die diktatorische Einheitseinkommenideologie. Im übertragenen zugespitzten Sinne. Diktatorisch deshalb, weil nur eine Meinung statt Vielfalt gewünscht ist. Merkt man schon an der Sprache, und wehe man mag nicht die Gleichmacherei „alle in die Öffis und Mehrfamilienhäuser. Damit ist man sehr nah an anderen extremen Ansichten."

    Ach wie gut, dass ich in Deutschland lebe und nicht in Ihrer finsteren Diktatur leben muss!

  12. 20.

    Hoffentlich fliegen die Grünen 2024 aus dem Landtag.
    Die Linken am besten gleich mit.
    2 mal 4,9% würden doch genügen.

  13. 19.

    Na so ein Quatsch! Wenn jemand gegen grüne hetzt, ist er doch nicht gleich ein Rechter. Ihr seid es nämlich die hetzen, denn zwischen hetzen und Angst und Sorge ist ein großer Unterschied. Viele Menschen sind einfach nur enttäuscht, aber deswegen hetzen sie nicht.

  14. 18.

    Zitat: "Aber bitte erst die Deutschlandhasser auf 4,9 %. Das wäre gut für unser Land."

    Sie meinen die Deutschlandhasser von der AfD, bei denen das geflügelte Wort "Wenn es Deutschland schlecht geht, ist das gut für die AfD." herumgeistert; oder die sich in Teilen völlig unpatriotisch z. B. den Russen andient und deren Desinformation über die angebl. undemokratischen Zustände in Deutschland supportet, Ralph?

  15. 17.

    Es geht um die diktatorische Einheitseinkommenideologie. Im übertragenen zugespitzten Sinne. Diktatorisch deshalb, weil nur eine Meinung statt Vielfalt gewünscht ist. Merkt man schon an der Sprache, und wehe man mag nicht die Gleichmacherei „alle in die Öffis und Mehrfamilienhäuser. Damit ist man sehr nah an anderen extremen Ansichten.

  16. 16.

    Es würde mich einmal interessieren , ob die blauen Truppen auch soviel Müll produzieren können, wie es die Grünen bisher taten.

  17. 15.

    Wer gegen grüne Politik ist, kann gerne konservativ, liberal oder von mir aus auch links sein.
    Wer aber stumpf überall grüne Politik sieht und entsprechend hetzt, ist wohl meist genau das was ihm(in diesem Fall zu Recht) unterstellt wird: Ein Anhänger und Unterstützer einer faschistischen Partei.

  18. 14.

    Danke für die Zusammenfassung.

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