TU kündigt Vertrag mit dem VBB - Berliner Hochschulen verabschieden sich vom Semesterticket

Fr 09.06.23 | 17:01 Uhr | Von Franziska Hoppen und Leonie Schwarzer
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Symbolbild: Studenten versammeln sich auf der Liegewiese in Berlin. (Quelle: imago images/pemax)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.06.2023 | Franziska Hoppen | Bild: imago images/pemax

Die Technische Universität hat ihren Vertrag mit dem VBB gekündigt. Ab Oktober wird es kein Semesterticket mehr für die rund 35.000 Studierenden geben. Und auch andere Hochschulen ziehen die Reißleine. Das Solidarmodell steht auf der Kippe. Von Franziska Hoppen und Leonie Schwarzer

Ein Hörsaal in der Technischen Universität Berlin. Man sieht viele ernste Gesichter. Denn was hier gerade beschlossen wurde, betrifft alle 35.000 Studierenden der Uni. Für das Wintersemester wird es für sie kein Semesterticket geben - und damit keine Möglichkeit mehr, zum Studierendentarif vergünstigt Bus und Bahn zu fahren.

Massenhafter Absprung möglich

Und die TU-Studierenden sind nicht die einzigen. Bei mehreren der insgesamt 39 Berliner Hochschulen laufen die Verträge mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) nach dem Sommersemester aus. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft mit mehr als 14.300 Studierenden hat bereits angekündigt, den Semesterticket-Vertrag nicht neu abzuschließen.

Die Universität der Künste mit rund 3.500 Studierenden will ihn nur erneuern, wenn der VBB oder der Senat ein signifikant günstigeres Angebot vorlegen. Die Studierendenschaften an zwei weiteren Hochschulen wollen sich in den kommenden Tagen entscheiden. Das heißt: Zehntausende Studierende stehen ab Oktober ohne Semesterticket da – und viele weitere könnten folgen.

Nicht mehr "preisgünstig"

Der Grund für das massenhafte Abspringen: Laut Berliner Hochschulgesetz ist die Studierendenschaft verpflichtet, ein preisgünstiges Semesterticket per Abstimmung zu vereinbaren. Die Betonung liegt auf "preisgünstig". Bislang war das kein Problem. Denn das Semesterticket ist ein Solidarmodell: Alle Studierenden zahlen ein, unabhängig davon, ob sie Bus und Bahn nutzen. Im Gegenzug gibt es einen Mengenrabatt vom VBB. Seit 2017 zahlen die Studierenden rund 32 Euro pro Monat für den gesamten Tarifbereich, inklusive Fahrradmitnahme – und damit deutlich weniger als für ein reguläres Berliner Monatsticket.

Doch seit es günstige Nahverkehrsangebote für alle gibt, geht diese Rechnung nicht mehr so leicht auf. Nach Einführung des berlinweiten 29-Euro-Tickets versprach der alte rot-grün-rote Berliner Senat einen Zuschuss für das Semesterticket. Nur so konnte das Semesterticket wirklich günstiger bleiben. In der Folge zahlen die Studierenden derzeit noch rund 20 Euro pro Monat. Doch: Der Zuschuss war nur einmalig.

Das heißt, mit Beginn des Wintersemesters im Oktober steigt der Ticket-Preis wieder auf die ursprünglichen 32 Euro an. Nun argumentieren einige Studierende: Im Vergleich zum neuen Deutschlandticket für 49 Euro im Monat ist diese Ersparnis schlicht nicht mehr ausreichend.

Gutachten aus Nordrhein-Westfalen

Um das zu belegen, verweisen viele Studierende auf ein Gutachten, das der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der TU Dortmund im Frühjahr in Auftrag gegeben hatte. Anwälte bestätigen darin für Nordrhein-Westfalen (NRW), dass die Ersparnis des Semestertickets im Verhältnis zum bundesweiten 49-Euro-Ticket nur noch bei 25 Prozent liegt. Gegenüber den üblichen NRW-Monatstickets hingegen sparten die Studierenden 75 Prozent.

Das Gutachten stellt deshalb fest, "dass die Erhebung des Semestertickets durchaus von den Gerichten in Frage gestellt werden kann." Zwar gebe es insgesamt noch einen Preisvorteil. "Ob der verpflichtende Bezug aber von den Verwaltungsgerichten noch als verhältnismäßig im engeren Sinne gesehen wird, erscheint angesichts der geringen Preisdifferenz durchaus fraglich", so die Juristen.

Diese Befürchtung gibt es nun auch in Berlin: Studierende, die Bus und Bahn überhaupt nicht nutzen, oder Studierende, die wenig Geld haben und deshalb ungern ins Solidarmodell einzahlen, hätten nun erstmals eine sachfeste Grundlage, um die VBB-Verträge ihrer Hochschulen vor Gericht anzufechten: Weil das Semesterticket angesichts der neuen Angebote wie dem 49 Euro-Ticket kaum noch signifikante Ersparnis bringt. Denn die Preise der vergleichbaren Berliner Tickets sind ähnlich denen in NRW.

Rechtliche Fragen

Mehr noch: Einige Studierende argumentieren, dass vor dem Hintergrund des Deutschlandtickets genau genommen eine sogenannte "verhältnismäßige Preisteuerung" vorliegt. Und höhere Preise müssen eigentlich per Urabstimmung gebilligt werden. Genau das aber ist an den allermeisten Hochschulen gar nicht passiert. Denn auf dem Papier hat sich der Preis des Semestertickets ja nicht verändert - es gab nur eben eine Preisrevolution mit dem Deutschlandticket.

Miguel Góngora, Vorsitzender des Asta der Hochschule für Wirtschaft und Recht, fürchtet deshalb, dass die Verträge überall dort juristisch angreifbar sind, wo keine Urabstimmungen für das Wintersemester stattgefunden haben. Würde der Vertrag dann vor Gericht gekippt, müssten aus seiner Sicht alle Studierenden für das restliche Semester eine Rückerstattung erhalten – ein kaum zu stemmender bürokratischer Aufwand. Im schlimmsten Fall, sagt Góngora, könnten auf die ASten selbst Strafzahlungen zukommen. Auch diesmal der Verweis auf ein Gutachten aus Nordrhein-Westfalen, des Verkehrsministeriums.

Zwar müssen längst nicht alle Juristen diese Meinung teilen. Dennoch ist aus Studierendenkreisen zu hören, dass nun auch an Universitäten mit bestehenden Verträgen die Sorge umgeht, dass Klagen vor Gericht Bestand haben könnten.

Solidarprinzip durchbrochen?

Mathias Trenczek hat als Rechtsanwalt einige der Studierenden in den vergangenen Wochen beraten. Er sieht einen anderen Fallstrick für das Semesterticket: ausgerechnet das Upgrade für Studierende zum bundesweiten 49-Euro-Ticket, dessen Einführung zum 1. Juni von vielen gelobt wurde. Für 13,95 Euro können Studierende flexibel monatlich, je nach Bedarf, zum Deutschlandticket upgraden - wenn sie genug Geld dafür haben.

Trenczek sagt, der Sozialfonds der Berliner Hochschulen reiche nicht aus, um auch ärmeren Studierenden den Zugang zum Upgrade zu ermöglichen. Zwar zahlen alle Studierenden einen kleinen Sozialbeitrag zusätzlich zu den Semesterticketgebühren - an der Hochschule für Wirtschaft und Recht zum Beispiel einen Euro - sodass aus diesem Fonds bedürftigen Studierenden die Kosten für das Semesterticket zurückerstattet werden können. Doch dieser Fonds beinhaltet nicht an jeder Hochschule genug Geld, um damit auch noch massenweise Deutschlandticket-Upgrades zu ermöglichen - außerdem ist er dafür auch rein rechtlich gar nicht vorgesehen. Das heißt: ärmere Studierende werden vom Deutschlandticket ausgeschlossen.

VBB sieht kein Problem

Der VBB hingegen gibt sich angesichts potentiell schwindender Semesterticket-Zahler noch entspannt: "Wir gehen nicht von Mindereinnahmen aus, da das Mobilitätsbedürfnis der Studierenden erhalten bleibt und diese dann in die nächstteurere Option, das Deutschlandticket, wechseln müssten", schreibt ein Sprecher auf Nachfrage. Und: "Größere Auswirkungen auf den VBB erwarten wir nicht."

Im Oktober könnten also zehntausende Berliner Studierende ohne Semesterticket dastehen und gezwungen sein, sich teurere alternative Tickets kaufen zu müssen.

Die Berliner Verkehrsverwaltung hat noch nicht angekündigt, für das Wintersemester einen Zuschuss zahlen zu wollen, betont stattdessen, dass sie sich gemeinsam mit den anderen Bundesländern für ein bundesweit einheitliches Semesterticket einsetzt. Das soll spätestens zum Sommersemester 2024 eingeführt werden.

Alternativen zum Semesterticket

Bis dahin hat Marcel Hopp, Sprecher für Wissenschaft und Forschung der SPD einen Vorschlag. Er will sich für ein Studierenden-Ticket für 19 Euro in Berlin einsetzen, mit dem man deutschlandweit den ÖPNV nutzen kann. Bayern hat das ab dem Wintersemester schon geplant, allerdings soll es dort 29 Euro kosten. Weil Berlin bereits ein 29-Euro-Ticket für die Gesamtbevölkerung plant, will Hopp eine zusätzliche Vergünstigung für die Studierenden draufsetzen.

Auch die Studierenden selbst arbeiten an Lösungen. Góngora etwa sagte, er glaube, dass es möglich sei, in die VBB-Verträge Ergänzungsklauseln einzufügen, die außerordentliche Kündigungen mit dem VBB ermöglichen, sobald Berlin das 29 Euro-Ticket wieder einführe - oder ein günstigeres Ticketmodell für Studierende erarbeitet würde.

Und noch eine pragmatischere Lösung soll es geben: Die Hochschule für Wirtschaft und Recht zum Beispiel erwägt ein Fahrradverleihsystem, von dem alle Studierenden in Berlin profitieren sollen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 09:00 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen und Leonie Schwarzer

37 Kommentare

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  1. 37.

    Ergänzung: Ich stehe zu allem bisher von mir Geschriebenen, aber bitte nicht als Missachtung des Handwerks oder anderer Berufe ansehen. Meinen Respekt hat jede(r), der oder die sich in der Arbeitswelt beweist, nicht nur Leute mit Studienabschluss. Ich bin nur sehr wütend, wenn Studenten pauschal als faule Partygänger abgetan werden (siehe frühere Kommentare zu diesem Artikel). Und nein, Papa / Mama können das eben nicht immer abfangen. Sonst könnten nur noch Kinder wohlhabender Eltern studieren

  2. 36.

    "nicht jeder ist so nah, wie es von Ihnen beschrieben"

    Ok, wenn sie 55+ sind, dann erhalten sie nach 24 Monaten ihr Hartz4.

  3. 35.

    Reisende soll man nicht aufhalten.

    Weshalb muss der Steuerzahler überhaupt die Besserverdienenden von morgen umfangreich subventionieren?

    Die sind später mal gar nicht besserverdienend? Na dann: Auf ins Handwerk! Wir brauchen vielleicht sowieso mehr Menschen, die etwas Handfestes machen statt Soziologie, Politologie, Philosophie oder allerlei Kulturwissenschaften zu studieren.

  4. 34.

    "kann beim 29€-Ticket ...." Das ist ja alles noch in der Planung; die Fahrradmitnahme hat sich ja letztes Jahr nicht unbedingt bewährt... Aber Ihre Frage ist schon bezeichnend: 29€ ist zu teuer, wenn keine Fahrräder enthalten sind? Mit Verlaub, ich muss meinen Arbeitsweg auch selbst finanzieren, ohne Job-Ticket.....

  5. 33.

    Oh nein, nicht jeder ist so nah, wie es von Ihnen beschrieben wird, die meisten Menschen schaffen es, nicht auf Bürgergeld angewiesen sein zu müssen.
    In Deutschland fehlt es an Arbeitkräften, wer eine Arbeit sucht, der findet eine.

  6. 32.

    "wenn man rechnen kann unterm Strich plus minus 0" drei Mal null ist null?? Das funktioniert nur, wenn man zu Fuß geht, die Kosten für den ÖPNV nicht berücksichtigt. Gleichzeitig werden nämlich sichere, pünktliche & saubere Bahnen und Bahnhöfe gefordert, Sitzplatzgarantie und Platz fürs Fahrrad - kostet alles Null.....

  7. 31.

    Das macht als Brandenburger an berliner Hochschulen sogar sehr viel Sinn. Semesterticket (ABC) + das notwendige Zusatzticket kosten ca. 360€/Semester. Da ist das D-Ticket nicht nur günstiger sondern auch Deutschlandweit nutzbar.

  8. 30.

    Vergessen sie das nie: auch sie sind nur eine Kündigung und 12 Monate von der Hilfe der Solidargemeinschaft entfernt.

  9. 29.

    Na und? Da müssen sie durch. Sie studieren doch genau deswegen: um nicht mehr arm zu sein. Im Gegensatz zum H4-Empfänger bleiben sie nach dem Studium nicht arm.

  10. 28.

    Aus meiner Sicht sollten solche Vergünstigungen wie Semesterticket am Einkommen der Unterhaltspflichtigen Eltern festgemacht werden. Haben die Eltern ein hohes Einkommen, können sie ihren Kindern auch ein reguläres Ticket finanzieren, ansonsten sollten soziale Lösungen greifen.

  11. 27.

    Richtig so, Berliner Studenten haben genügend Geld, und wenn es auf Grund der vielen Partys mal nicht bis zum Monatsende reicht, Mami und Papi machen das schon !!!

  12. 25.

    Wer mit 480 Euro im Monat über die Runden kommen muss, gilt sehr wohl als arm.

  13. 24.

    Viele Komilitoninnen und Komiliton3n wollen kein Semesterticket. Sie fahren mit dem Rad. Warum muss man den Zwang haben, das sog. Solidarprinzip... Überlasst doch jedem Einzelen bitte die individuelle Entscheidung.

  14. 23.

    Wieso muss man heutzutage immer juristisch argumentieren?
    Das Solidarprinzip ist nichts Negatives. Es hält uns alle als Gemeinschaft zusammen und unterstützt auch die, die es brauchen. Nicht nur bei diesem Thema.
    Aber es denkt nur noch jeder an sich selbst bzw an Gleichgesinnte in seiner Bubble.
    Damit dann die laute Minderheit, der Mehrheit ihren Willen aufdrücken kann.
    Hätte es eine Umfrage unter allen Studierenden gegeben, wäre das Ergebnis ein anderes gewesen.

  15. 22.

    Es soll Studierende geben, die in Berlin mit dem ÖPNV unterwegs sind. Solange es das 29€-Ticket nicht gibt, ist die nächstgünstigere Monatskarte das 49€-Ticket. Wenn es das 29€-Ticket wieder gibt, wird es wohl auch wieder nur für den Tarifbereich AB gelten und für Studierende, die in Brandenburg wohnen, kommt es dann auch nicht in Frage.

  16. 21.

    Studenten geben auch mittlerweile knapp 700 Euro nur für ein WG Zimmer aus in Berlin. Da sind 17 Euro Einsparung eben juristisch kein Argument mehr zu sagen: man muss alle für ein Semesterticket zwangsverpflichten, das nur in Berlin gültig ist. Während man für den Aufpreis von eben 17 Euro bundesweit unbegrenzt fahren kann. Es kommt hinzu, dass Studenten das 29 Euroticket kaufen können in Berlin und viele auch das 9 Euroticket und dann sogar sparen.

  17. 20.

    Weil ja auch jeder Student täglich deutschlandweit unterwegs ist, um zur Uni zu kommen...

    Und jetzt ist jeder Student gezwungen, 17 Euro pro Monat mehr auszugeben für das 49 Euro Ticket.

    Herzlichen Glückwunsch für diese tolle Entscheidung!

  18. 19.

    "Wir schrecklich, die Brandenburger/Innen dürfen den Brandenburger ÖPNV nutzen?"
    Es geht darum dass das Semesterticket an Brandenburger Hochschulen das gesamte VBB-Gebiet umfasst, dh Berlin und ganz Brandenburg, an Berliner Unis aber nur Berlin ABC zum fast gleichen Preis, der aber zwangsweise zu bezahlen ist. Berliner Studenten fühlen sich deswegen naturgemäß benachteiligt. Wer da schnippische Witze macht, hat wahrscheinlich was falsch verstanden.

  19. 18.

    Es geht bei dem Punkt darum, dass Berliner sowie Brandenburger Studenten das Ticket zahlen mussten. Nur Berliner Studenten durften ausschließlich in Berlin ABC fahren, Brandenburger in Berlin und Brandenburg. Das ist viel mehr Leistung fürs Geld. Im übrigen kostet der qm Miete in Berlin mittlerweile im Schnitt 17,61 Euro. Platz 2 bundesweit nach München. Brandenburg ist auf den hinteren Plätzen bei der Miete. Erzählen Sie bitte keinen Unsinn von wegen Mieten in Jüterbog sind ähnlich zu Mitte.

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